꧁ 2 ꧂
„Ethan?", entfuhr es mir laut.
Die hübschen, blauen Augen weiteten sich und das dazugehörige Gesicht legte sich irritiert in Falten. „Ja?"
Ich starrte den Kerl ungläubig an. Ein wirklich groß gewachsener, breiter Typ starrte zurück. Blitzartig flog mein Blick über ihn. Volles, dunkelbraunes Haar, dunkler Drei-Tage-Bart, stattlich trainiert. Weißes Shirt, Bluejeans. Auffälliges Armtattoo, nämlich vier tätowierte Streifen, die einmal um den linken Unterarm herum gingen.
Das Tattoo ... es war eindeutig der Typ, der eben den ganz Durchgang versperrt hatte, um seine Freundin zu vernaschen. Und er war auch ganz eindeutig nicht mein Ethan. Mein Ethan war schlaksig, gar schmächtig. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit gar nicht mehr am Leben – oder?
Aber diese Augen ...
Erneut ließ ich meinen prüfenden Blick über ihn fliegen, als ich am untätowierten Arm hängen blieb. Und tatsächlich fand ich genau das, wonach ich suchte. Drei kreisrunde Narben, Überbleibsel von den Zigarettenstummeln seines Pflegevaters, an genau der Stelle des rechten Unterarms, an der sie auch in meiner Erinnerung immer waren. Das konnte nur eins bedeuten ...
Oh mein Gott!
Ich riss meine Augen auf und das Adrenalin schoß mir augenblicklich durch den ganzen Körper. „Das ... das kann doch nicht..." Der rote, noch halb volle Plastikbecher fiel mir aus der Hand. „Ethan!" Ohne darüber nachzudenken sprang ich ihm in die Arme.
„Immer langsam, Baby", hörte ich seine verwunderte, tiefe Stimme an meinem Ohr raunen. „Nicht, dass es mich stören würde, aber für gewöhnlich stellt man sich wenigstens mal vor, bevor man miteinander..."
„Oh mein Gott!", unterbrach ich ihn überglücklich und drückte mich erneut von ihm weg. „Scheiße, du ... du ... du lebst?", quiekte ich völlig verdattert und schaute fassungslos zu ihm hinauf. Er war wirklich ein Riese geworden.
Irritiert legte Ethan seinen Kopf schief und musterte mich kritisch, ganz so, als hätte ich einen Knall. Doch nur Sekunden später fiel ihm jegliche Mimik aus dem Gesicht, ganz so, als hätte ihn der Blitz getroffen und als würde er endlich realisieren, wer da eigentlich vor ihm stand. „Ivy?"
Ich nickte aufgeregt. Mein Herz schlug mir bis zum Hals und ich hätte schwören können, dass es mir jeden Moment aus dem Mund springen würde, doch stattdessen purzelten nur unkontrolliert irgendwelche Worte hervor. „Ich ... du ... wir ... wir dachten, du ... du wärst ... ich meine ... und jetzt stehst du hier einfach!" Fassungslos legte ich meine Hände an meine Lippen.
„Was machst du denn hier, Ivy?", fragte er sichtlich geplättet und legte die Stirn in Falten.
„Was? Ich meine ... oh man ... du ... d-du bist es w-wirklich", stotterte ich. Ungläubig fasste ich seine Brust an, seine Oberarme, sein Gesicht. Ich konnte es einfach nicht glauben. Es sah so anders aus. Gar nicht wie mein Ethan, und trotzdem war er es. „Wo warst du denn nur?", wisperte ich, aber die laute Musik verschluckte meine Worte.
Doch ganz plötzlich verfinsterte sich Ethans Mine und er kam einen Schritt auf mich zu. „Lass das, Ivy." Unsanft zog er meine Hand von seiner Wange herunter und blickte sich um, doch niemand schien sich weiter für uns zu interessieren.
Ich stand völlig unter Schock, doch zugleich auch so sehr unter Strom, wie noch nie in meinem Leben. Ethan Sawyer war gar nicht tot? Er stand hier einfach so vor mir? Auf einer Party? Auf einer verdammten Party?! Als diese Erkenntnis wirklich zu mir durchdrang, traf sie mich wie ein Faustschlag in die Magengrube.
Unter den Schock und die Freude mischte sich augenblicklich eine nie zuvor gefühlte Wut. Ohne weiter darüber nachzudenken, holte ich aus und schlug Ethan so fest ich konnte mit der flachen Hand ins Gesicht. „Weißt du eigentlich, was du uns angetan hast?", schrie ich ihm danach unter vollem Adrenalin entgegen. „Weißt du, was du Ryan und Mum angetan hast?"
Erst jetzt spürte ich den Schmerz in meiner Hand, den mein Schlag hinterlassen hatte. Es fühlte sich an, als hätte ich eine Betonwand getroffen. „Oh Shit", jammerte ich auf und schaute zu meiner Hand. Mist – das hätte ich vielleicht besser gelassen. Das würde morgen noch weh tun, so viel war sicher.
Ethan jedoch zuckte nicht einmal mit der Wimper. Er stand wie angewurzelt vor mir und ertrug den über ihn hinwegziehenden Orkan gefasst. Er hatte sich nicht einen Millimeter bewegt.
„Ich bete für dich, dass du eine gute Erklärung dafür hast, Ethan Sawyer!", setze ich nach und funkelte ihn zornig an.
Plötzlich riss mich eine tiefe Stimme irgendwo neben mir aus meiner Wutblase heraus.
„Alles okay, Bro?" Zwei Kerle standen neben uns. Zwillinge. So viel bekam ich in meiner Wut gerade noch mit.
Ethan blickte mich noch lange an, als könne er immer noch nicht so recht verstehen, was gerade passiert war, ehe er sich dann doch losriss und ihnen einen kurzen Blick zuwarf.
Sekunden später tauchte ein weiterer Typ auf, der sich ebenfalls zu uns gesellte. „Was ist los?", fragte dieser. „Hab gerade eine echt heiße Maus an der Angel."
Als ich mich zu ihm drehte, erkannte ich ihn gleich wieder. Es war Jake, der Eishockeyspieler.
„Ivy?", fragte dieser sichtlich überrascht. „So kurz hier und schon Streß? Nicht schlecht, Kleine", gluckste er.
Ich kam nicht dazu, ihm zu antworten.
„Ihr kennt euch?", hörte ich Ethans tiefe Stimme.
„Kennen ist wohl zu viel des Guten, aber ich bin gerade ihrer Freundin auf der Spur", erklärte Jake lachend und nahm einen Schluck aus seinem roten Becher. „Also, was ist los?"
Ethan schüttelte seinen vollen, dunkelbraunen Schopf und presste sichtlich genervt seine vollen Lippen aufeinander. „Nichts", zischte er. „Kümmert euch wenigstens einmal um euren eigenen Scheiße!"
Ethan griff kurzerhand nach meinem Arm und zog mich mit einem Ruck unsanft von den Typen weg. Er führte mich durchs Wohnzimmer, vorbei an den Feiernden, über eine breite Veranda, auf der es auffällig nach Gras roch, in den Garten hinter dem Haus hinaus.
Draußen angekommen ließ er mich los, schüttelte ungläubig den Kopf und fuhr sich durchs volle Haar. „Also, was machst du hier, Ivy?", wiederholte er daraufhin seine Frage.
Fassungslos schaute ich zu ihm hinauf. „Du willst mich wohl verscheißern? Das sollte ich eher dich fragen!", schimpfte ich los. „Weißt du eigentlich, wie lange wir nach dir gesucht haben? Die Polizei hat halb Florida nach dir durchkämmt. Die Highschool hat wochenlang Suchmärsche veranstaltet, weil wir dachten, du lägst in irgendeinem beschissenen Busch! Und jetzt finde ich dich hier? Tausende Meilen von Zuhause entfernt? Auf einer verdammten Studentenparty?"
Ethans starrte mich selber sichtlich überfordert an, ehe sich seine harten Gesichtszüge etwas entspannten und er seufzte. „Ich ... ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll, Ivy", sagte er schließlich.
Ich atmete mit bebender Lunge ein. Die Anspannung steckte mir wirklich in den Knochen. „Wie wäre es mit einer Erklärung?"
„Das ... das ist nicht so einfach", antwortete er schlicht.
„Dann streng dich mal ein bisschen an!"
„Ich hatte einfach keine andere Wahl."
„Eine ziemlich beschissene Begründung, findest du nicht?"
Ethan zuckte mit seinen breiten Schultern.
Er sah so verändert aus. Er hatte nichts mehr von der schlaksigen, schmalen Bohnenstange, auf deren Rippen Mum vergeblich versucht hatte, auch nur ein Gramm Fett mehr zu bekommen. Nun war er ein Kerl wie ein Bär. Bis in die letzte Faser durchtrainiert. Mehr Unischwarm als verpickelter Teenager. Und mehr Fremder als Freund.
„Wieso bist du hier?", fragte Ethan erneut.
„Ich studiere hier, Blödmann ... was denkst du denn?"
„Das ... das ist einfach ..." Ethan rieb sich sichtlich sprachlos den Nacken und presste seine Lippen aufeinander, so fest, dass seine Kiefer aufeinander mahlten. „Fuck." Ungläubig schüttelte er den Kopf. Er verarbeitete den Schock sichtlich langsamer als ich.
Doch plötzlich fuhr er rum und schaute zum Haus hinauf.
In der Tür der Veranda stand ein Typ, beinahe so groß und breit wie die Tür selbst. Vor ihm stand die kurvige Rothaarige, mit der Ethan vor wenigen Minuten noch so zugange waren. Beide blickten zu uns runter.
„Ich muss jetzt gehen", ließ Ethan mich wissen und ging einen Schritt rückwärts.
„Spinnst du?", fragte ich völlig entgeistert.
„Es tut mir leid." Er warf mir einen Blick zu, den ich nicht deuten konnte und drehte sich um.
„Du ... du lässt mich jetzt einfach hier stehen?", rief ich hinter ihm her.
Ethan ließ seine Schulter hängen. Ich hörte ihn seufzen, eher er sich noch einmal zu mir drehte. „Wohnst du auf dem Campus?"
Ich nickte. „Ja, im B-Gebäude, Zimmer 3-..."
„Ich werd dich schon finden", unterbrach Ethan mich. „Ich komme morgen nachmittag zu dir." Damit drehte er mir seinen breiten Rücken zu und ging.
„Verschwindest du jetzt einfach wieder?" Die leichte Panik in meiner Stimme ließ ihn erneut stehen bleiben.
„Ich komme morgen", sagte er über seine Schulter hinweg, trabte danach zum Haus hoch und wurde von den beiden Wartenden empfangen.
„Aber Ethan!", war das Letzte, was ich ihm nachrufen konnte, ehe die drei im Gedränge verschwand.
___
🙈 aiii Was denkt ihr, loves? Feedback gerne hier ➡️
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro