Rückkehr IV
Eines musste man Rebekka lassen - einen schmackhaften Braten konnte sie durchaus zubereiten. Goswin leckte sich genüsslich das Fett von den Fingern und warf den Beinknochen eines der Kaninchen ins Gras. Er reckte seine kalten Hände den Flammen entgegen und sah Rebekka und Thomen, die ähnlich satt und zufrieden aussahen wie er selbst, fragend an.
„Und nun? Der Tag ist noch lang, und Tante Bravna erwartet uns nicht vor dem Abendessen zurück - zumindest Thomen und mich nicht, Bekka vermutlich schon. Von uns erwartet sie zumindest nicht, dass wir beim Zubereiten des Essens helfen."
Rebekka verzog das Gesicht.
„Mutter hat das ganze Jahr über Zeit, mich mit der Haushaltsführung zu quälen, da kann sie mir diesen einen Tag wohl ein wenig Freizeit lassen. Ihr könntet ebenso gut Besorgungen machen und Wasser holen oder Vater in der Schmiede helfen!", ereiferte sie sich und verschränkte trotzig die Arme.
Goswin lachte leise.
„Nun beruhige dich doch, wir haben nicht vor, dich zurückzuschicken. Anya und Relke helfen Tante Bravna bestimmt gern beim Kochen, und meine Mutter mit Sicherheit auch." Er lehnte sich zurück und stützte sich auf die Handflächen.
„Ich schlage vor, wir gehen hoch zur Burg. Sonst sehe ich Otis vor dem Mittwinterfest nicht mehr, und außerdem wüsste ich gern, was aus dem Fohlen geworden ist, das Vater und ich letztes Jahr mitgebracht haben."
„Dem Fohlen geht es prächtig", warf Thomen grinsend ein. „Es hat Vater bald die Finger gebrochen, als er es beschlagen wollte. Otis hat vor einigen Wochen damit begonnen, es zuzureiten. Wir haben es noch nicht geschafft, dem Wildfang einen Sattel aufzulegen. Wenn das vor Mittwinter nicht geschieht, kann aus ihm nur ein Kutschpferd werden, und das wäre eindeutig eine Verschwendung seiner Talente. Aber ich weiß von Otis, dass er dem Fohlen erst eine kleine Pause gönnt, ehe er erneut versucht es zu satteln. Immerhin soll es keine Angst bekommen, damit wäre wahrlich niemandem geholfen. Außerdem ist noch jemand anderes in der Burg, den zu sehen es dich mehr drängt. Otis' Schwester, Mathilde, habe ich recht?"
Goswin zuckte mit den Schultern und gab sein bestes, unbeteiligt zu wirken. Dennoch konnte er nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf seine Lippen legte. „Und wenn? Sie ist hübsch."
Kopfschüttelnd bedachte Rebekka ihren Vetter mit einem missbilligenden Blick. „Du musst nicht jedem Mädchen, das dir gefällt, das Herz brechen Goswin", tadelte sie ihn. „Das ist unnütz und verletzend obendrein. Könntest du dir nicht zur Abwechslung mal ein Mädchen anlächeln, dessen Gesellschaft du länger als nur ein paar Wochen in Anspruch nimmst?"
„Wozu?", fragte Goswin amüsiert. „Denkst du etwa bereits über das Heiraten nach?" Augenblicklich nahm Rebekkas Gesicht eine rötliche Färbung an. „Varhyan bewahre, nein! Ich habe nicht vor, in meinem Alter auch nur einen Gedanken an das Ehelichen zu verschwenden. Aber ich mache auch nicht jedem Jungen, dem ich begegne, falsche Hoffnungen, wie du es mit den armen Mädchen tust."
„Genau genommen", warf Thomen spöttisch ein. „Schmachtet sie seit Wochen Vicas an und traut sich kaum, ein Wort mit ihm zu wechseln." Er lachte, als Rebekka ein Büschel Moos nach ihm warf, und wich diesem gewandt aus. Ihr Gesicht war inzwischen puterrot vor Ärger und Scham. „Du bist ein Idiot, Thomen!", rief sie voller Inbrunst aus. „Nichts kannst du für dich behalten, nicht ein Geheimnis kann man dir anvertrauen, ohne dass du es ausplauderst wie ein altes Waschweib!"
Goswin brach in lautes Gelächter aus. „Oh, ihr beiden seid ein Geschenk der Götter. Ohne euch wären die Wintermonate nicht einmal halb so amüsant. Vicas ist doch nett, du solltest zum Mittwinterfest mit ihm tanzen. Außerdem-" Er erhob sich und klopfte sich Staub und Erde von der Gewandung. „Außerdem ist es mir gleich, an wem ihr Gefallen findet, solange ich ein hübsches Mädchen an meiner Seite habe und einen Krug Met in der Hand. Und nun lasst uns zur Burg gehen. Ich mache mich auf die Suche nach Mathilde, und ihr könnt indessen versuchen, etwas über die Fremden auf dem Marktplatz herauszufinden. Vielleicht sind sie ja Gäste des Fürsten."
Zweifelnd sah Thomen ihn an, ehe er sich ebenfalls erhob. „Mit anderen Worten: Du lässt uns arbeiten und gehst indes deinem Vergnügen nach", stellte er trocken fest.
Goswin räusperte sich.
„Es klingt so... unschön, wenn du es auf diese Art und Weise formulierst. Außerdem bin ich mir sicher, dass auch Otis' Schwester einiges über die Fremden zu berichten hat, sollten sie tatsächlich Gäste in der Burg sein. Als Dienstmädchen bekommt sie ziemlich viel mit."
Rebekka gluckste amüsiert und begann damit, die Holzscheite des Lagerfeuers mit einem Stock auseinanderzuschieben, damit das Feuer sich leichter löschen ließ. „Wie soll sie dir denn irgendetwas anvertrauen, wenn ihre Lippen auf deinen liegen? Welches Mädchen, an dem du Gefallen findest, hast du denn jemals ungeküsst gelassen?"
„Dich", entgegnete Goswin selbstgefällig und erstickte die prasselnden Flammen mit Erde. Resigniert schüttelte Rebekka den Kopf. „Du bist und bleibst ein elendiger Schürzenjäger, Goswin."
„Und du eine prüde Anstandsglucke", spottete Goswin und lachte, als Rebekka ihm daraufhin die Zunge herausstreckte.
„Nun lasst uns endlich zur Burg gehen, ehe es Abend wird", beendete Thomen die aufkommende Diskussion und schüttelte sich das wirre Haar aus der Stirn. „Sonst seid ihr noch morgen damit beschäftigt, euch gegenseitig zu verspotten."
xxx
Obgleich der Wald bereits ein gutes Stück oberhalb der Stadt lag, ging der Weg zur Burg steil bergauf. Goswin musste sich immer wieder eine seiner braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht streichen, die so lang war, dass sie ihm in die Augen fiel, bis Rebekka die Geduld verlor und die Strähne mit seinem Jagdmesser kürzte. Insgeheim amüsierte ihn diese mütterliche Geste. Rebekka mochte zwar eine grauenvolle Hausfrau sein, doch sie würde sich dennoch immer um ihn und Thomen sorgen. Mehr als einmal hatte sie Verletzungen versorgt, die er sich bei Übungskämpfen zugezogen hatte, nichts unversucht gelassen, um Thomen und Goswin von Dummheiten anzubringen - stets erfolglos, aber der gute Wille zählte - und ihnen im Nachhinein Moralpredigten gehalten, die es mit jenen von Goswins Mutter aufnehmen konnten.
Sie war und blieb nun einmal ein Mädchen, so sehr sie ihrem Bruder in ihren Charakterzügen auch ähnelte - eine Tatsache, die beide Geschwister vehement abstritten. Sie war mutig und entschlossen und eine vortreffliche Bogenschützin, doch sie war ebenso liebevoll und eitel, wie es sich für ein ordentliches Weibsbild gehörte. Würde Goswin ihr das ins Gesicht sagen, würde sie ihm vermutlich eine Ohrfeige verpassen, aber ernstlich wütend wäre sie sicher nicht. Zumindest nicht lange. Und wenn doch, so war auch sie nicht gegen Goswins Charme gefeit, Base hin oder her. Es gab noch kein Mädchen, das seinem Lächeln widerstehen konnte, keine Magd, Bäuerin, Nonne oder Fürstin. Wenn er es sogar schaffte, eine Hure um den Finger zu wickeln... Goswin grinste in Erinnerung daran. Nicht er war es gewesen, der in jener Nacht eine Handvoll Sizernen für ein wenig Zweisamkeit bezahlt hatte.
Goswin sah sich nach Thomen und Rebekka um. Sie waren es nicht gewohnt, ständig auf Wanderschaft zu sein, und kamen dementsprechend ein wenig langsamer voran als er. In vielerlei Hinsicht wurde ihm vor Augen geführt, wie stark sich das Leben in Jokgunnsgraven von seinem unterschied. Das Stadtleben hatte Vorzüge, doch das konnte die größten Nachteile nicht aufwiegen. Inmitten eines Waldes oder auf freiem Feld scherte sich niemand um die Gesetze, die irgendein Fürst oder König aufgestellt hatte. Dort zählte nur das Überleben. Es war nicht immer einfach, doch für seine Freiheit nahm Goswin das gern in Kauf.
Allmählich lichteten sich die Bäume und gaben den Blick auf die gewundene Lehmstraße frei, die vom Stadttor zur Burg führte. Die schweren Hufeisen galoppierender Pferde hatten erst vor kurzem tiefe Furchen in den vom letzten Regenguss noch weichen Boden gegraben. „Die Hufspuren führen zur Burg", sprach Goswin aus, was jeder der drei unverkennbar sehen konnte. „Vielleicht stammen sie ja von den Fremden." Thomen hockte sich neben eine der Hufspuren auf den Boden. „Die Eisen stammen zumindest nicht aus Vaters Schmiede, er versieht seine mit einer Prägung. Und in der Stadt gibt es nur einen weiteren Schmied, der Hufeisen fertigt. Vater ist nicht ohne Weiteres Gildemeister geworden, er steht niemandem in Jokgunnsgraven in seinem Handwerk nach." Seine Stimme war von Stolz erfüllt, was Goswin unwillkürlich schmunzeln ließ.
Auch er könnte nie ein schlechtes Wort über seinen Vater verlieren, war er zwar streng, aber gerecht. Zugegebenermaßen entsprach er nicht ganz dem typischen Bild eines Söldners - er hatte Frau und Kinder, war rechtschaffen und ehrenhaft. Nie würde er einen Auftrag annehmen, der Unschuldigen schadete, nie tötete er aus Vergnügen. Oft fragte Goswin sich, wie ein Mann wie er sich dem Söldnertum zugewandt hatte, statt sich den Truppen des Königs oder den Kriegern der Landesfürsten anzuschließen. Doch sein Vater verlor nur selten Worte über seine Kindheit, ähnlich wie Goswins Onkel Falbert. Goswin wusste nicht einmal, ob er Großeltern hatte oder sonstige Verwandte neben jenen in Jokgunnsgraven. Für gewöhnlich verschwendete er keinen Gedanken daran, doch hier, inmitten von Stille und Frieden, schlichen sich die unbeantworteten Fragen wieder in seinen Geist.
Ebenjener Frieden war ein weiterer Grund, weshalb Goswins Familie Jahr um Jahr in die kleine Stadt im Norden zurückkehrte. Sollte tatsächlich im Land ein Krieg ausbrechen, so würde er wohl kaum Jokgunnsgraven erreichen. Es lag weit abseits der Grenze und der großen Städte des Landes. Es besaß keine großen Minen oder Streitkräfte, war also weder eine Gefahr noch ein lohnenswertes Ziel. Wenn man sein ganzes Leben lang Kriegen, Tod und Verderben hinterherzog, sehnte man sich irgendwann nach einigen Monaten der Ruhe und des Friedens.
Über den Wipfeln der Baumkronen erhoben sich majestätisch die vier hohen Türme der Burg. Mit jedem Schritt, den die drei jungen Erwachsenen sich den Bauten näherten, schienen sie mehr aus dem Gewirr von Ästen und Zweigen emporzuwachsen. Zwischen den Nadeln der Bäume blitzten die gewaltigen, grob behauenen Steinquader hervor, aus denen die dicken Mauern erbaut waren. Es war ein überwältigender Anblick, selbst für Goswin, der in seinem Leben schon viele verschiedene Burgen gesehen hatte. Die Burg war klein im Vergleich zu anderen, doch sie wirkte düster und bedrohlich und könnte wochenlang einer Belagerung standhalten. Es war unmöglich, sich unbemerkt den Toren zu nähern, konnte man von den Zinnen aus doch das gesamte Tal und die umliegenden Ländereien überblicken. Ein breiter Graben, der von dem durch die Wälder führenden Fluss gespeist wurde, verhinderte, dass man direkt an die Mauern herantreten konnte, und nur durch die steinerne Brücke vor dem Tor, welches stets von zwei Wachen flankiert war, war das Betreten der Burg möglich.
Goswin, Thomen und Rebekka ließen die letzten Ausläufer des Waldes hinter sich und betraten nebeneinander die Brücke. Sie waren schon oft gemeinsam in der Burg gewesen und die Wachen ließen sie kommentarlos passieren. Die Burg war der Dreh- und Angelpunkt allen Geschehens im Tal sowie des gesamten Fürstentums. Hier empfing Fürst Kaleb Gesandte der anderen Fürstentümer, fällte Urteil über Recht und Unrecht und hielt Versammlungen ab.
Gerade während der Herbstmonate herrschte reger Betrieb in dem großen Burghof, wenn die Abgaben an den Fürsten eingebracht wurden. Goswin hatte dies einmal miterlebt, als er und seine Familie ein wenig früher als sonst nach Jokgunnsgraven aufgebrochen waren, nachdem sein älterer Bruder Framan sich bei einem Kampf eine tiefe Verletzung am Bein zugezogen hatte. Goswin war zu diesem Zeitpunkt zwölf Jahre alt gewesen. Gemeinsam mit Thomen und Rebekka hatte er vor den Stallungen der Burg gegessen, einen Kanten Brot verdrückt und den nicht enden wollenden Strom von Fuhrwerken beobachtet, die mit Wolle, Gemüse, Getreide und Früchten beladen waren. Es war ein beeindruckendes Bild gewesen, wenngleich es kaum mit der allgegenwärtigen hektischen Betriebsamkeit der Hauptstadt mithalten konnte.
Nun aber war der Burghof nahezu leer, von den patrouillierenden Wachen einmal abgesehen. In den kleinen Fensteröffnungen sah man von Zeit zu Zeit das Gesicht einer Dienstmagd aufblitzen, derer es in der Burg zahlreiche gab. Sie hielten die Zimmer rein, bereiteten die Mahlzeiten zu, schürten die Kaminfeuer und versorgten die Wäsche der Burgbewohner. Zu letzteren zählten neben der Fürstenfamilie auch die hochrangigen Krieger seiner überschaubaren Streitkräfte, einige Ritter sowie deren Knappen und Edelknaben, niedere Adlige und natürlich das Gesinde. Auch wohlhabende Kaufleute, sollten sie sich jemals so weit in den Norden wagten, empfing Fürst Kaleb mit Gastfreundschaft und edlen Unterkünften, wie Goswin von Mathilde, der Schwester des Stallburschen Otis, erfahren hatte.
Während Thomen und Rebekka ihre Schritte in Richtung der Stallungen lenkten, um ebendiesen aufzusuchen, ließ Goswin sich unauffällig ein Stück zurückfallen und schielte hinüber zu dem flachen Gesindehaus, in dem Mathilde sich wohl am ehesten aufhalten würde. Er wollte gerade die niedrige Holztür aufstoßen, als Rebekka ihn am Kragen zurückzog.
„Hier geblieben", sagte sie entschieden und zerrte ihn hinter sich her in Richtung der Stallungen. „Um deine Liebschaften kannst du dich später kümmern." Grummelnd befreite Goswin sich aus ihrem Griff und trottete hinter ihr her. „Elendiges Weibsbild", murrte er. Rebekka wandte sich zu ihm um und taxierte ihn mit mahnendem Blick.
„Das habe ich gehört!"
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