Rückkehr II
„Gib es auf, Thomen, du wirst ihn nicht besiegen", rief Rebekka lachend ihrem Bruder zu und beobachtete aus einiger Entfernung weiterhin den Ringkampf zwischen Thomen und Goswin, dessen Ende sich aufgrund der Sturköpfigkeit der beiden Jungen wohl noch verzögern würde. Spott klang in ihrer Stimme, gemischt mit unverhohlener Belustigung. Ihr Gesicht zierte ein breites Grinsen, während offene Schadenfreude in ihren Augen glänzte. Thomen erwiderte nichts auf ihre Bemerkung, verbissen hieb er ein weiteres Mal auf Goswin ein. Es würde ihn ohnehin nur ablenken, seiner Schwester so große Bedeutung beizumessen, und Goswin würde sich gewiss nicht scheuen, dies auszunutzen. Rebekka hatte den kleinen Ringkampf vorgeschlagen, und Thomen könnte sie dafür verfluchen.
Es war offensichtlich, dass sie dies nur getan hatte, um ihn in seiner Ehre zu verletzen, als Rache für seine vorangegangenen Sticheleien. Er konnte nachvollziehen, dass sie ein wenig verärgert war und trotz neu geschlossenen Friedens die Schmach nicht einfach vergessen würde, doch das rechtfertigte gewiss nicht, ihn bloßzustellen und in seiner Ehre zu verletzen. An Goswins Kampfkunst würde er nie herankommen, egal wie oft er übte.
An Kraft fehlte es ihm nicht, oft genug half er in seines Vaters Schmiede und betätigte dort den riesigen Blasebalg oder schwang selbst einen der schweren Hämmer aus rohem Eisen. Allerdings reichte seine Wendigkeit bei weitem nicht an die seines Vetters heran, was es ihm äußerst schwer machte, dessen Schläge rechtzeitig abzuwenden. Das würde Thomen allerdings nicht daran hindern, Goswin die Stirn zu bieten, immerhin war er kein winselndes Waschweib. Die Herausforderung auszuschlagen war zu zumindest keine Option, hätte ihn dies doch als Feigling dastehen lassen, was er auf keinen Fall zulassen konnte. Goswin und Rebekka würden noch ihr blaues Wunder erleben.
Zu spät sah Thomen den Faustschlag kommen. Er traf ihn mitten auf die Nase und Schmerz explodierte in seinem Kopf. Thomen taumelte orientierungslos zurück, stolperte über ein Grasbüschel und verlor das Gleichgewicht. Stöhnend fiel er zu Boden und seine Hände zuckten reflexartig hinauf zu seiner brennenden und pochenden Nase. Er spürte etwas Warmes über seine Lippen rinnen, dann schmeckte er Blut. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und verdichteten sich zeitweilig zu wabernden Flecken.
Thomen zwang sich, langsam durch den Mund zu atmen, auch wenn er sich dabei beinahe am eigenen Blut verschluckte. Es half zumindest ein wenig, der Schmerz rückte nach und nach in den Hintergrund, nur um dann schlagartig wieder anzuschwellen, als er einen Atemzug durch die Nase nahm. Verschwommen tauchte Goswins Gesicht über ihm auf. „So schlimm?", fragte er grinsend. Thomen murmelte unverständlich einen Fluch vor sich hin, dann ergriff er die Hand, die Goswin ihm darbot, und zog sich daran hoch.
Das stetige Pochen in seiner Nase blieb, aber zumindest nahm seine Umgebung nun langsam wieder Gestalt an. Vorsichtig tastete Thomen seine Nase nach einem Bruch ab, doch scheinbar hatte Goswin sich doch ein wenig zurückgehalten, das Nasenbein schien unversehrt. Jedem anderen hätte Goswin vermutlich Zeit seines Lebens eine verkrüppelte Nase beschert. Dennoch lösten die vorsichtigen Berührungen auf seinem Nasenbein ein schmerzhaftes Ziehen aus, dass er mit einem zischenden Atemzug quittierte.
Als Thomen die Hand wieder senkte, war sie blutverschmiert. Vermutlich sah sein Gesicht nicht anders aus, er spürte bereits, wie das Blut auf seiner Haut trocknete und jede Bewegung des Gedichts erschwerte. Nicht, dass ihm jetzt nach einem Lächeln zumute wäre, würde es doch ohnehin nur den Schmerz in seiner Nase wieder anschwellen lassen.
Missmutig und mit Rebekkas Spott im Rücken trottete Thomen zu dem Bach am Rande der Lichtung, auf welcher sie gekämpft hatten, um sich das Blut aus dem Gesicht und von den Händen zu waschen. Das Wasser war eiskalt, eines der vielen Anzeichen des nahenden Winters. Es würde nicht mehr lange dauern, bis der erste Schnee fiel.
Prüfend betrachtete Thomen sein Spiegelbild im klaren Wasser des Bachs. Seine strohblonden Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. Moos und Zweige hatten sich beim Raufen darin verfangen, und an seiner Stirn haftete Dreck. Es gab ihm ein verwegenes Aussehen, befand Thomen mit einem schiefen Grinsen. Er sah aus wie ein Abenteurer, auf der Reise durch die Weiten der Welt. Ein Held, der Schlachten schlug und hübschen Damen das Leben rettete. Ein Leben von welchem er nur träumen konnte, wusste er doch, dass dies niemals wahr werden würde.
Goswin war der Krieger, nicht er. Er selbst würde auf ewig der Sohn eines Schmiedes bleiben. Nicht einmal die Schmiede seines Vaters würde er erben, selbst wenn ihm der Sinn danach gestanden hätte. Dieses Recht stand seinem älteren Bruder Ben zu, während er selbst sich nach einem anderen Handwerk würde umsehen müssen. Und den Kriegern des Königreichs beizutreten, war er bereits zu alt, begannen diese doch schob im Kindesalter damit, den Umgang mit Waffen zu üben.
Unwirsch verdrängte Thomen diese Tagträumerei aus seinen Gedanken, dann erhob er sich, klopfte sich den Schmutz von den Kleidern und kehrte zurück zu den Anderen.
Goswin saß neben Rebekka auf einem umgekippten Baumstamm, der dem letzten Sturm zum Opfer gefallen war. Sie unterhielten sich leise miteinander. Goswin gestikulierte wild mit den Händen, und Rebekka lachte von Zeit zu Zeit kurz auf. Dann wiederum spiegelte sich Mitgefühl auf ihrem Gesicht wider, manchmal auch Trauer. Thomen blieb stehen und beobachtete die beiden. Sicher erzählte Goswin ihr davon, was er während des vergangenen Jahres alles erlebt hatte. Rebekka hob den Blick, als Thomen sich näherte, und winkte ihn lächelnd zu sich, doch er winkte ab. Es drängte ihm nicht danach, dem zuzuhören, er hatte es bereits am Vorabend erfahren, als Goswin mit seiner Familie angekommen war.
Während der Dauer seines Aufenthaltes schlief Goswin mit in Thomens Kammer, und die beiden Jungen hatten sich bis spät in die Nacht miteinander unterhalten. So blieb Thomen ein Stück entfernt von den beiden stehen, und betrachtete sie nachdenklich.
Er liebte seine Familie von ganzem Herzen, seine Eltern, seinen Bruder, seine Vettern und Basen, doch Goswin und Rebekka waren ihm die liebsten Menschen auf der ganzen Welt. Sicher, er konnte eine kleine Stichelei gegenüber seiner Schwester nie unterlassen, doch er würde den Gedanken nicht ertragen, sie ernstlich zu verletzen. Sie waren zusammen aufgewachsen, auch wenn sich Goswins Aufenthalte auf die Wintermonate beschränkten, sie hatten gemeinsam Abenteuer erlebt und Schabernack getrieben. Nie würde er ohne sie leben können.
Und das Bild, wie sie so nebeneinander saßen, hatte etwas so Schönes und Friedliches an sich, dass er den Moment ungern unterbrechen wollte. Stattdessen blickte er auf den weichen Waldboden am Rande der Lichtung herab und suchte zwischen Laub und Moospolstern nach etwas toter, herabgefallener Rinde. Ihm stand der Sinn danach, diesen Augenblick festzuhalten, und Pergament hatte er nicht zur Hand. Zudem war es teuer und seine Eltern würden es gewiss nicht gern für solche Zwecke verschwendet sehen. Sobald Thomen fündig geworden war und ein handtellergroßes Stück Buchenrinde zwischen zwei knorrigen Wurzeln entdeckt hatte, durchsuchte er die Tasche an seinem Gürtel nach ein wenig Kohle, die er erst vor kurzem aus der Schmiede seines Vaters entwendet hatte.
Den Blick auf Goswin und Rebekka gerichtet, ließ er sich am Fuße eines Baumes auf einer geschwungenen Wurzel nieder und setzte die Kohle auf der Innenseite der Rinde an. Grobe, schwarze Striche erschienen unter seinen Fingern auf dem toten Holz, formten Körper, Gesichter, Rebekkas Lachen. Die Risse in der Rinde verzerrten das Bild, dennoch war deutlich zu erkennen, wen es darstellte. Thomen hielt die Zeichnung auf der Rinde mit ausgestrecktem Arm von sich und betrachtete sie kritisch. Seine Mutter sagte immer, er habe eine Begabung zum Zeichnen, hatte ihm sogar schon mehrfach vorgeschlagen, beim städtischen Maler eine Lehre zu beginnen.
Doch Thomen wollte kein Maler werden, er wollte nicht sein Lebtag mit Pinsel und Farbe in einer zugigen Kammer zubringen. So sehr es ihm auch Vergnügen bereitete, mit Kohle kleine Kunstwerke zu schaffen, würde ihn dieser Beruf auf Dauer langweilen. Die kindliche Hoffnung, ja, der törichte Wunsch, eines Tages ein Held zu werden. Jemand, der Schlachten schlug und gewann, der vom Volk bejubelt wurde, und nicht nur der zweitgeborene Sohn eines Schmiedes. Ihm war vollauf bewusst, dass er nie das Geschick und die Wendigkeit eines Schwertkämpfers erreichen würde, doch dieser Traum, dieser Wunsch grub sich so hartnäckig und verbissen in seine Gedanken, dass alle anderen Zukunftsaussichten langweilig und ohne größeren Belang erschienen. Es war eine schlechte Idee, sich so sehr darin hineinzusteigern, das wusste Thomen durchaus. Dennoch gab er seinen Traum nicht auf. Eines Tages würde er ein Krieger werden, dessen war er sich sicher.
Prüfend betrachtete er ein weiteres Mal die Zeichnung. Er hatte Goswin und Rebekka gut getroffen, auch wenn es schwer war, auf der leicht gewölbten und noch dazu unebenen und rissigen Rinde zu zeichnen. Mit einem Schulterzucken schob Thomen Rinde und Kohle in seine Tasche und erhob sich leise ächzend von seinem Platz. Seine Glieder schmerzten vom Kämpfen und noch immer konnte er nur durch den Mund atmen. Sicher würde seine Haut am nächsten Tage voller blauer Flecken sein.
Thomen streckte den verspannten Hals und sah hinauf gen Himmel. Die Sonne stand hoch am Himmel, bald würde sie ihren Höchststand erreichen. Eine gelbe Scheibe am blassblauen Himmel, die nicht so recht Wärme zu verbreiten vermochte. „He, Tom", rief Rebekka ihrem Bruder zu, und er wandte ihr fragend den Blick zu.
„Was stehst du dort und träumst, komm doch wieder mit her!"
"Meinetwegen", entgegnete er murrend trottete zu den beiden. Im Vorbeigehen hob er seinen Umhang auf, den er vor der Rauferei abgelegt hatte, und warf ihn sich über die Schultern. Er war an die stetig herrschende Kälte gewohnt, doch das Herumwälzen auf dem Boden von seinem Kampf mit Goswin hatte seine Gewandung klamm und kalt werden lassen. Thomen ließ sich neben seiner Schwester auf den umgestürzten Baumstamm fallen und verzog dabei das Gesicht ob seiner schmerzenden Glieder. Rebekka bemerkte es und stieß ihm feixend den Ellenbogen in die Seite - er konnte nicht verhindern, dass ihm dabei ein schmerzerfülltes Zischen entwich.
„Rebekka!", presste er verärgert zwischen den Zähnen hervor und rückte ein wenig von ihr ab. „War das wirklich notwendig?"
„So schlimm?", spottete sie und legte ihm eine Hand auf die Schulter; er spürte die Wärme ihrer Haut durch seine Kleidung. „Schlimmer", brummte er nur als Erwiderung. „Aber das war doch von vornherein klar. Ich könnte jeden meines Alters aus Jokgunnsgraven im Faustkampf besiegen, aber an Goswin komme ich nicht heran, da kann ich Vater noch so oft in der Schmiede helfen." Goswin klopfte ihm rau auf die Schulter - es sollte wohl eine aufmunternde Geste sein, doch sie hatte nur zur Folge, dass Thomen scharf die Luft einsog und beinahe vom Baumstamm fiel - und setzte ein schiefes Grinsen auf.
„Das wird schon wieder. Rohe Körperkraft ist eben nicht alles, das musste ich auch lernen. Ohne Schnelligkeit und Geschick kannst du noch so stark sein, deinen Gegner wirst du dennoch nicht besiegen. Das trifft auch für den Schwertkampf zu. Man muss täglich üben, um ein guter Krieger zu werden. So sehr Vater sich hier in Jokgunnsgraven auch Erholung gönnen möchte, Hanfried und Krabinian unterrichtet er dennoch jeden Morgen. Wir sind darauf angewiesen, uns verteidigen zu können, sei es nun vor wilden Tieren, Wegelagerern oder verrückten Würdenträgern." Goswin gluckste, als würde er mit seinen letzten Worten eine besonders amüsante Erinnerung verbinden, ehe er fortfuhr.
„Zudem ist es nicht immer angenehm, ein Söldner zu sein. Man zählt als niederträchtig, geldgierig und gewissenlos. Noch dazu halten uns die meisten wohl für dumm, zumindest hat es oft den Anschein. Und dann ist es nicht immer einfach, einen Lagerplatz zu finden. In jedem Fürstentum benötigen wir eine Aufenthaltsgenehmigung, ein Jagdrecht und vor allem Aufträge, und sei es, eine reiche Schnepfe von einem Ende der Stadt zum anderen zu eskortieren. Man ist zwar ein Krieger, aber ein namenloser. Wir sind keine Helden, Thomen, wir sind - genau wie jeder andere auch, Menschen, die ihrem Handwerk nachgehen. So ist das Leben."
„Hm", brummte Thomen nachdenklich. „Hast ja recht." Darauf bedacht, das Thema zu wechseln, erhob er sich und zog seine Gewandung zurecht. „Also, was machen wir jetzt?" Goswin warf einen prüfenden Blick gen Himmel, wie Thomen es erst kurz zuvor getan hatte. „Etwas essen, würde ich meinen ", sagte er, und just in diesem Moment gab Thomens Magen ein lautes Knurren von sich. „Bestens", meinte Rebekka und erhob sich nun ebenfalls. „Ich fange uns etwas."
„Du?" Skeptisch sah Thomen seine Schwester an. „Und mit welchen Waffen?" Mit einem süffisanten Lächeln zog sie eine Schleuder aus ihrem Gürtel und hielt sie ihm triumphierend vor die pochende Nase. Ruckartig wich Thomen zurück, er war nicht sonderlich erpicht darauf, dass der Schmerz in seinem Gesicht zurückkehrte, nur weil Rebekka ihm versehentlich die Schleuder gegen die Nase schlug. Rebekka quittierte seine Reaktion mit einem spöttischen Grinsen.
„Damit. Ich brauche nur ein paar Steine. Also, was soll ich fangen? Kaninchen? Perlhühner?"
„Wie wäre es mit beidem?" Goswin streckte sich gemächlich auf dem Baumstamm aus und hielt sein Gesicht der Sonne entgegen. „Aber lass dir nicht zu lange Zeit, ich habe wahnsinnigen Hunger." Dem wusste auch Thomen nichts entgegenzusetzen. Er wusste, wie gut Rebekka mit der Schleuder umzugehen wusste, und so musste er sich zumindest nicht selbst um das Essen kümmern. Also tat er es Goswin gleich, ließ sich am Fuße einer gewaltigen Eiche nieder, zog den Umhang enger um seine Schultern und schloss die Augen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro