Kapitel 5 | Blacky
Wenn man Schülern etwas über magiebegabte Wesen erzählen will, dann denken Sie als erstes an Schatten oder an Fabelwesen. Dabei unterläuft ihnen ein häufiger Verwechslungsfehler, denn sie übersehen, dass sie selbst magiebegabte Wesen sind. Auch werden Vertraute oftmals den magischen Geschöpfen zugeordnet, obwohl sie ebenfalls zu den magiebegabten Wesen gehören. Schatten gehören zu den magischen Geschöpfen. Der Unterschied besteht lediglich in der Fähigkeit, Magie zu verbrennen oder nur im magischen Spektrum sichtbar zu sein. Würde ein Schatten also Magie verbrennen, wäre er neben einem magischen Geschöpf zudem ein magiebegabtes Wesen. Dem Schöpfer sei Dank ist ein solcher Schatten bisher nie gesichtet worden.
- Winfried van Harzel
Erschöpft ließ sich Miles ins Gras fallen und genoss die Ruhe um ihn herum. Er war am Ende seiner körperlichen Reserven. Die Kids hatten sie tatsächlich mitspielen lassen und natürlich war er, Miles, der schlechteste Spieler in der Runde gewesen – jedenfalls hatte das Verhalten der anderen darauf hin gedeutet. Schließlich fühlte er sich nach wie vor unsicher auf den Beinen. Zudem hatte die Anstrengung ein leichtes Schwindelgefühl und Kopfschmerzen hinterlassen. Unter diesen Vorraussetzungen war Schadenfreude vorprogrammiert, jedoch hatten die anderen Teenies ihre Sticheleien schnell eingestellt, als ihnen Däx' mahnender Blick und seine straff gespannten Muskeln aufgefallen waren.
Dabei hatte Miles sich in seinen Augen gar nicht so schlecht geschlagen. Fast immer war es ihm gelungen, den Ball übers Netz zu befördern, allerdings schmerzten nun seine Unterarme vom Baggern. Tat das den anderen etwa nicht weh? Dazu kam die Sache mit seinem Bein. Mitten im Spiel war er einfach eingeknickt, als der Schmerz mit voller Wucht zugeschlagen hatte. Nach wenigen Minuten war aber alles wie vorher und so hatten sie weitergespielt, bis die Kids sich irgendwann verabschiedet hatten. Auch Däx hatte kurz darauf einen Anruf von Zuhause bekommen, er solle sich endlich auf den Weg machen, oder er würde das Abendessen verpassen.
Und so war Miles alleine am Ufer des Flusses zurückgeblieben.
Inzwischen berührte die Sonne den Horizont und die meisten Uferchiller waren längst wieder auf dem Weg nach Hause. Nur Miles wollte noch nicht gehen. Zum einen, weil er seiner Mutter nicht so schnell unter die Augen treten wollte, weil er vorhin einfach das Haus verlassen hatte und zum anderen, weil ein dumpfer Schmerz in seinem Bein und die Angst, einfach so auf der Straße einzuknicken, immer noch in ihm steckte.
Also legte er sich auf die mit kuscheligem Gras bewachsene Senke und beobachtete den Sonnenuntergang. Bis auf eine Frau, die mit ihrem Hund am Ufer des Flusses spazieren ging sowie ein junges Pärchen, die ein wenig weiter entfernt unter einer Weide miteinander kuschelten, war er ganz alleine.
Miles atmete einmal tief durch und ließ den Tag Revue passieren. Er war suspendiert worden und hatte Streit mit seiner Mutter und mit Frau Wasabi. Nicht gut. Außerdem war er nun schon zum zweiten Mal einem Schatten begegnet; diesmal am hellichten Tage inmitten einer Menschenmenge. Ebenfalls nicht gut.
Wurde er etwa verrückt? Er hatte doch nur ein wenig Alkohol am Vorabend getrunken. Normalerweise sollte die Wirkung längst verflogen sein. Auch hatte Miles nie zuvor gehört, dass Menschen vom Alkohol den Verstand verlieren. Es sei denn, sie soffen sich jeden Tag die Birne dicht, dann konnte das schon mal vorkommen, aber nicht nach einem Mal!
Als die Sonne hinter den Umrissen der Häuser verschwunden war, erhoben sich die beiden frisch Verliebten und verließen das Ufer händchenhaltend. Auch Miles fasste nun den Entschluss, sich auf den Weg zu machen. Er wollte so einem Schatten lieber nicht nachts über den Weg laufen.
„Na endlich, ich dachte schon, die zwei dort vorne verschwinden nie."
Erschrocken fuhr Miles herum, auf der Suche nach demjenigen, der da gerade gesprochen hatte, doch um ihn herum war keine Menschenseele.
„Hey, nicht so schreckhaft, Miles Helion. Ich habe keine Lust, dir noch weiter hinterher zu rennen, nur weil du jetzt vor Angst abhaust. War schon schlimm genug, hier eine Ewigkeit darauf zu warten, dass wir allein sind."
„Wer ist da?", fragte Miles ängstlich und wich ein wenig von der Böschung am Hang zurück. Eigentlich wollte er die Antwort nicht abwarten, sondern lieber weglaufen. Miles spürte bereits, wie die Angst ihm kalt den Rücken hinab kroch. Er wollte sich abwenden, doch abermals machte ihm sein Bein einen Strich durch die Rechnung und er fiel schmerzhaft auf seine Kehrseite.
„Ich sagte doch, du sollst nicht abhauen! Ihr Neulinge immer. Yolanda muss mich doch angekündigt haben." Die Stimme erklang nun direkt neben seinem Ohr.
Miles drehte den Kopf. An seiner Seite hockte ein Fuchs und betrachtete ihn aufmerksam. Ungewöhnlich war die Farbe seines Fells. Es war schwarz wie Onyx; an Bauch, Gesicht und Schwanzspitze hingegen weiß wie Schnee.
„Hast du eben gesprochen?", fragte Miles zu verwundert, um weiter Angst zu haben.
Der Fuchs zog zischend die Luft ein und verdrehte die Augen. „Ja, das habe ich getan. Magst du dich jetzt vielleicht ruhig hinsetzen und mir zuhören?"
Miles setzte sich auf und starrte den Fuchs verblüfft an. „Aber, du bist ein Tier! Du kannst doch nicht ..."
„Ich kann sehr wohl!", knurrte der Fuchs und fletschte die Zähne. „Denkst du, die Spezies Mensch beschlagnahmt die Magie für sich alleine? Das ist so typisch für euch! Zu ignorant, um die Begabung eines anderen Wesens anzuerkennen!"
„Magie?", fragte Miles. „Du willst mir doch wohl nicht erzählen, dass du so eine Art Zauberer bist?"
„Kremple deine Jeans hoch."
„Was?"
„Du hast schon richtig verstanden. Da du anscheinend zu der begriffstutzigen Sorte gehörst, muss ich ein wenig nachhelfen. Nein, nicht dort, dein anderes Bein, welches wehtut."
Miles zögerte weil der Fuchs von der Verletzung wusste, kam der Aufforderung aber nach. Verrückter konnte das alles sowieso nicht mehr werden.
Der Fuchs näherte sich ihm und drückte eine Pfote auf die Haut. Sofort nahm der Schmerz wieder zu und ein dunkler Riss schnitt sich in gezackter Linie seine Wade hinauf.
„Wah, verdammt! Was hast du gemacht? Was ist das da an meinem Bein?"
Der Fuchs zog die Pfote zurück und die Wunde verblasste. „Bevor du mir die Schuld dafür gibst; ich habe deine Verletzung lediglich sichtbar gemacht. Das ist ein sogenannter Schattenriss. So etwas hinterlassen Schatten, wenn sie dir die Haut aufschlitzen."
„Aber ...", begann Miles zu widersprechen. Dann kam die Erinnerung an gestern Abend zurück. An den Schatten, der plötzlich an seinem Bein gewesen war, seine blutige und zerfetzte Jeans ... Langsam beruhigte er sich ein wenig und der Schmerz ebbte ab. „Kannst du das ... kannst du mich heilen?"
Der Fuchs schnaubte nur. „Was bin ich? Ein Fuchs oder eine Krankenschwester? Das ist ein Schattenriss, der wird dich noch ein wenig quälen, aber heilen tut der wie jede andere Wunde auch."
„Wirklich?"
„Ja, wirklich", sagte der Fuchs ein wenig genervt und wedelte mit dem Schwanz. „Nur weil deine Verletzung magischer Natur ist, heißt das nicht, dass du dich jetzt auch noch mit einer gefährlichen Krankheit angesteckt hast und dich binnen der nächsten vierundzwanzig Stunden langsam und qualvoll in Staub auflöst. Verabschiede dich also von deiner Fantasy-Vorstellung, die du von Magie hast, und komm in die Realität zurück."
Vorsichtig betastete Miles die Wunde. „Wenn das eine normale Verletzung ist, warum tut sie dann nur manchmal weh?" Er betrachtete sein scheinbar unverletztes Bein. „Und warum ist sie unsichtbar?"
Der Fuchs legte den Kopf schief und kratzte sich mit einer seiner Hinterpfoten am Ohr.
„Sie ist nur unsichtbar für Nichtmagier, weil die Verletzung in einem anderen Spektrum der Realität existiert, dass du anscheinend noch nicht gänzlich wahrnehmen kannst."
„Bitte was!?"
„Was die Schmerzen betrifft - die Verletzung ist an deine Gefühle gekoppelt. Wenn du Aufregung, Angst, oder gar Panik verspürst, dann schmerzt auch der Schattenriss - frag mich nicht nach Details, das kann ein Biomiraculoge sicher besser erklären als ich. Also entspann dich die nächste Woche, dann ist das weniger schlimm als ein Sonnenbrand."
Miles nickte. Jetzt wo er sich beruhigt hatte, kamen ihm tausend Fragen in den Sinn, die er diesem Wesen unbedingt stellen musste. „Du sagtest eben, irgendjemand hätte dich angekündigt?"
„Ja, Yolanda. Deswegen verstehe ich auch deine Überraschung nicht."
„Wer?"
„Yolanda Wasabi natürlich."
Ein Funken Elektrizität sprang in Miles' Gehirn von einem Neuron zum nächsten und ließ ihn Eins und Eins zusammenzählen. Ungläubig starrte er auf das schwarze Wesen hinab, welches sich in aller Seelenruhe die Pfote leckte.
„Du bist dieser Betreuer, den sie heute Mittag erwähnt hat?"
„Was hast du denn gedacht?", erwiderte der Fuchs seine Wäsche unterbrechend. „Ein magischer Fuchs kommt mal eben so vorbei, um dir drei Wünsche zu erfüllen? Wir haben alle unsere Aufgaben, Miles, und meine ist es, ein Auge darauf zu haben, dass dich nicht gleich der nächste Schatten zerstückelt, bevor du selber gelernt hast, mit ihnen klarzukommen. Oder kurz: Ich bin dein Vertrauter."
Miles ließ sich ein wenig ins Gras zurücksinken.
„Und da schickt sie mir statt einem richtigen Magier einen sprechenden Fuchs?"
Sein tierischer Betreuer kniff die Augen zusammen. „Vorsicht, Bürschchen."
„Nein, ernsthaft. Wie heißt du überhaupt? Meinen Namen kennst du ja schon, aber du trägst kein Halsband, auf dem deiner steht."
„Halsband?" Der Fuchs gab ein Knurren von sich. „Strapazier meine Geduld nicht, oder du wirst sehen müssen, wie du alleine mit dem Schatten dort hinter dir klarkommst."
„Was?", rief Miles erschrocken und wirbelte herum. Ein stechender Schmerz machte sich in seinem Oberschenkel breit, als der Fuchs eine mit Krallen besetzte Pranke in sein Fleisch trieb.
„Tot!", rief er. „Was hat Yolanda dir gesagt? Du sollst einem Schatten nicht zeigen, dass du ihn sehen kannst! Das bedeutet auch, dass du dich nicht zu ihnen umdrehst wie schon vorhin in der Altstadt!"
„Du warst dort?", fragte Miles perplex, ohne auf die Rüge einzugehen.
„Selbstverständlich war ich dort", sagte der Fuchs, als sei es das natürlichste auf der Welt. „Wie gesagt, ich warte schon den ganzen Tag darauf, endlich alleine mit dir sprechen zu können. Außerdem – wer sonst hat dir eingeschärft, den Schatten in Ruhe zu lassen?"
„Mein Unterbewusstsein?", schlug Miles vor.
„Wieder falsch, das war ich! Du hast einfach nur Glück gehabt, du hättest noch Magie verbrannt, hättest du ihn noch stärker angestarrt. Und wenn dir das passiert wäre, dann wärst du jetzt nicht hier!" Er steckte einen Kralle vor und deutete damit direkt auf Miles' Brust. „Zum Glück hast du dann aber dieses Weibchen angestarrt, Kleiner."
Miles verschluckte sich beinahe, als er das Mädchen von vorhin erwähnte. „Hey, wen nennst du hier Kleiner, Blacky?", verpasste nun Meiles dem Fuchs empört einen Spitznamen, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Ich habe nicht darum gebeten, diese Schatten sehen zu können. Warum hat Frau Wasabi heute Mittag alles abgestritten, nur um mir dann einen sprechenden Fuchs hinterherzuschicken, der für sie die Arbeit erledigt? Ich habe schon an meinem Verstand zu zweifeln begonnen."
„Was vielleicht gar nicht so verkehrt ist", erwiderte der Fuchs spitz. „Wo hast du dich mit Yolanda unterhalten?"
„Heute Mittag auf dem Schulhof, ich ..."
„Und dort in aller Öffentlichkeit spricht sie mal eben über Magie!? Sag mal, Kleiner, denkst du ab und zu auch mal nach?"
Miles spürte, wie ihm die Röte aus einer Mischung von Scham und Wut ins Gesicht stieg. „Nenn mich nicht immer Kleiner, kapiert? Ich bin schon fast sechzehn!"
„In drei Monaten nennst du ‚fast', kleiner, unerfahrener Welpe?"
„Welpe!?", wiederholte Miles aufgebracht. „Ich zeig dir gleich, wer hier ..."
„Hör zu, Kleiner", unterbrach der Fuchs ihn ungeduldig. „Ob es dir nun passt oder nicht, ich bin nun mal dein Vertrauter und ich habe das Wissen über die Magie, welches du benötigst, wenn du weiterleben möchtest. Also schluck deinen pubertären Stolz hinunter und akzeptiere endlich, dass du auf mich angewiesen bist, oder ich verschwinde wieder. So einfach."
Miles wollte schon trotzig widersprechen, doch eine Sache, die der Fuchs gesagt hatte, ließ es ihn sich noch mal anders überlegen. „Wenn ich weiterleben möchte?", fragte er etwas verunsichert. „Haben es die Schatten denn speziell auf mich abgesehen?"
„Ach, jetzt auf einmal interessiert es dich doch!?", fragte sein Vertrauter berechnend.
„Natürlich!", rief Miles so laut, dass der Fuchs missbilligend die Ohren anlegte. „Gestern war noch alles in Ordnung und dann sehe ich plötzlich dieses Viech, welches sich nur Sekunden später auf mich stürzt und mir das Bein aufschlitzt. Am nächsten Morgen wache ich mit einem verdammten Kater auf und bin auf einmal von der Schule suspendiert worden. Meine Lehrerin, die mir noch gestern das Leben gerettet hat, spielt plötzlich die Ahnungslose und dann kommst du daher und erzählst mir, dass mein Leben in Gefahr ist. Ich habe auch so schon genug Probleme. Wahrscheinlich soll ich jetzt noch gegen diese Schatten kämpfen! Mir reicht es, ich ..." Miles wandte sich ab, weil er merkte, dass ihm die Tränen in die Augen schossen. Auch das noch! Musste er jetzt wirklich zu flennen anfangen? Hastig wischte er sich das Wasser aus seinem Gesicht und versuchte ruhig zu atmen.
Er spürte, wie sich der Fuchs an seine Seite lehnte.
„Geht's besser?", fragte er sanft.
Miles brachte nur ein kurzes Nicken zustande.
„Sei ehrlich zu deinen Gefühlen, Miles, das ist sehr wichtig. Es ist keine Schande, dass dich diese Situation überfordert. Das ergeht allen so." Nach einer Pause, die Miles nicht nutze, um zu antworten, fuhr er fort. „Geh jetzt nach Hause und schlaf ein wenig. Ich bin morgen wieder bei dir."
Miles schniefte, doch als er sich stark genug fühlte, das Gespräch fortzuführen, war der Fuchs verschwunden. Nur das plattgedrückte Gras an der Stelle, wo er gesessen hatte, erinnerte daran, dass er wirklich da gewesen war.
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Und damit betritt einer neuer Charakter die Bühne. Was habt ihr für einen ersten Eindruck von Blacky? >^..^<
Mir macht es unglaublich viel Spaß, Szenen mit ihm und Miles zu schreiben (in den nächsten Kapiteln wird vermutlich klar, wieso).
Btw. Habt ihr Lust auf eine Lesewoche? Also ab Freitag jeden Tag ein neues Kapitel? Oder habt ihr gerade viel zu tun und nicht so die Zeit zum Lesen?
Lasst es mich wissen!
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