Kapitel 23 | Ein eingelöstes Versprechen II
Cora, die den ganzen Vorgang schweigend verfolgt hatte, musterte ihn nun mit ungewohnter Aufmerksamkeit. „Du weißt schon, dass ich gerade dabei war, dich zu fragen, ob du mit mir Flip besuchen willst, oder?", fragte sie schließlich, als wäre nichts gewesen.
„Hmm?", wich Miles kurzzeitig von seinen Gedanken ab, die inzwischen hart an der Grenze zu 18+ waren.
„Flip", verdeutlichte Cora und sah ihn auf eine Art und Weise an, die er oft im Gesicht seiner Lehrer bemerkte, nachdem er eine Antwort zu einer im Unterricht gestellten Frage gegeben hatte. „Unser Kumpel, der schüchterne Empath, schon vergessen!? Wir wollten ihn besuchen!"
Miles runzelte die Stirn. „Okay, aber nicht heute", antwortete er. Schließlich hatte er in wenigen Stunden sein erstes Date mit Katy! Allein dieser Gedanke ließ ihn nervös werden. Heute schon. Und er wusste gar nicht, wie er sich am besten verhalten sollte. Was machte man beim ersten Date? Verflucht, das hatte er gar nicht bedacht, als er zugestimmt hatte. Besser wäre es gewesen, vorher einmal mit Däx darüber zu sprechen, doch sie hatten sich ja für direkt nach dem Kurs verabredet. Wieso war ihm das nicht aufgefallen? Morgen war schließlich Wochenende, er hatte reagiert, als würde Katys Bereitschaft auf ein Date verfallen, wenn er nicht sofort aufspringen würde. Vermutlich wäre das auch passiert, sagte er sich, doch der Gedanke konnte ihm seine aufkeimende Nervosität nicht nehmen.
Coras Finger, der sich unangenehm in seine Seite bohrte, holte ihn in die Realität zurück.
„Hey, ich habe dir eine Frage gestellt", meckerte sie empört.
Frage? Hä?
Die Ahnungslosigkeit musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen, denn Cora verdrehte genervt die Augen.
„Weißt du, Miles, warum ich mit Typen wie dir abhänge? Weil ich Mädels noch nie verstanden habe. Ich meine, die hat dich doch am Montag echt im Regen stehen lassen und jetzt möchte sie plötzlich mit dir Eisessen gehen!? Ziemlich bescheuert, was?"
„Das ist überhaupt nicht bescheuert!", fuhr Miles sie an und Cora hob überrascht die Brauen.
„Natürlich ist es das, mach doch mal die Augen auf! Sie hat dich gerade so kalt erwischt, uncooler geht es nicht!"
Miles verstand die Argumentation nicht. „Und wo ist das Problem?"
„Davon abgesehen, dass du anscheinend keine Ahnung hast, dass zu einer Beziehung mehr gehört – schau sie dir einmal an! Sie kann jeden haben!"
„Soll das heißen, ich wär nicht gut genug für sie?", fauchte Miles gekränkt.
„Nein", schnauzte Cora zurück, „das soll heißen, dass sie deine Macho-Absichten längst durchschaut hat und jetzt mit dir spielt wie eine Katze mit einer Maus – aus welchen Gründen auch immer –, du aber zu blind bist, das zu bemerken. Du bist echt in sie verschossen, oder?"
Miles schwieg. War das wirklich so offensichtlich?
„Ich werte das als ein Ja", fuhr Cora fort, um dann direkt in Schweigen zu verfallen. Mit verschränkten Armen wandte sie sich ab und brachte eine Kaugummiblase zum Platzen. Miles musterte sie irritiert.
„Du magst Katy nicht, stimmt's?", fragte er misstrauisch.
„Jop", gab sie unverblümt zu. „Ich fand, sie war ganz schön gemein zu dir." Cora grübelte ein wenig. „Was du allerdings auch verdient hast. Aber egal, du musst ja wissen, was du tust."
„Sie hat meinen Schattenriss geheilt", konterte Miles, ohne auf den Unmut über ihr verlorenes Druckmittel einzugehen.
Cora schien nicht überzeugt. „Schattensriss? Was ist das?"
Er wollte die Frage gerade beantworten, als Herr van Harzel den Veranstaltungsraum betrat.
„Verehrte Jungmagier", begann er. „Es tut mir leid, aber euer Kurs zur Angewandten Magie muss heute leider ausfallen. Es ist eine dringende Konferenz dazwischen gekommen."
Der untersetzte Magier erntete enttäuschte Gesichtsausdrücke. Auch Miles spendierte einen. Er hatte sich auf den Kurs sehr gefreut. Schließlich war heute der einzige Tag in der Woche, an dem er vermutlich frei zaubern durfte, und jetzt sollte das ausfallen!?
„Ich weiß", versuchte van Harzel die Gruppe zu beruhigen, „das ist ungerecht, besonders, da ihr für den Kurs extra in die Stadt gefahren seid, aber wir können es nicht ändern. Alle Lehrkräfte sind verhindert. Auch ich kann nicht viel länger bleiben, sondern muss wieder zurück. Ich wünsche euch ein schönes Wochenende."
Er wollte gerade zur Tür hinaus, als ihm etwas einzufallen schien und er noch mal umdrehte.
„Miles", sagte er, woraufhin der Junge sofort in Abwehrstellung ging. Was hatte er denn nun wieder getan?
„Ich muss dir noch deine Teilnahmebestätigung für diese Woche geben", sagte sein Kursleiter und drückte ihm ein kleines Stück Papier in die Hand. „Wäre nicht gut, wenn das am Montag fehlt." Er zwinkerte. „Jetzt muss ich aber wirklich los. Erholt euch gut und denkt an eure Referate am Montag." Dann war er zur Tür hinaus.
„Schade ...", fand Cora als erste die Worte wieder, während um sie herum erste Gespräche einsetzten. Etwas beleidigt fuhr sie fort. „Da du heute nicht mehr mit zu Flip willst, wünsche ich dir ebenfalls ein schönes Wochenende. Ich melde mich wegen dem Referat dann am Sanstag oder Sonntag bei dir. Du hast ja jetzt was anderes vor."
Stimmt, mein Date! Panik kam in ihm hoch und er musste den Drang unterdrücken, fluchtartig den Raum zu verlassen. Warum habe ich plötzlich so eine Angst? Das war doch vorhin noch nicht so ...
Entschlossen ballte er die Hände zu Fäusten.
Ich habe jetzt ein Date mit Katy! Alles ist cool. Ich mag sie und sie mag mich auch und wir gehen jetzt in die Stadt zu Tony's Eisdiele. Da ist überhaupt nichts dabei.
Cora schien seinen Gesichtsausdruck richtig zu deuten, denn sie sagte noch: „Mach dich bloß nicht nass, das kommt nicht so gut."
Sie kicherte noch einmal und bevor Miles eine schlagfertige Antwort formulieren konnte, schulterte sie ihr Tasche und verließ mit einem fröhlichen „Bis denne" den Raum.
Miles blieb wortlos zurück. Als ob Cora es heraufbeschworen hätte, legte sich nun auch noch Druck auf seine Blase.
„Okay, schade um den Kurs", hörte er Katys Stimme hinter sich, und sah das Mädchen an seine Seite treten. „Naja, dann haben wir etwas mehr Zeit. Wollen wir los?"
Miles lächelte. „Klar, ich bin soweit."
Nein, verflucht, ich muss vorher noch auf Toilette!
Egal, du hast gesagt, du bist soweit, verkneif's dir, Miles!
„Super", sagte Katy fröhlich.
Sie verließen den Raum und Miles verspürte den Drang, sich übergeben zu müssen. Die Situation hatte ihn schlichtweg auf kaltem Fuße erwischt und er befürchtete weitere Peinlichkeiten, wie schon zuvor mit dem Mangaheft. Also schwieg er.
Aber die Stille war genauso scheiße. Er musste irgendwie ein anderes Thema finden, irgendetwas ansprechen, am besten etwas mit Magie oder ...
„Und du bist also auch begabt?", fragte Katy ganz unvermittelt und befreite ihn aus seiner misslichen Lage.
„Ja", sagte er dankbar und grinste erleichtert. „Ich hab's erst nach unserem Treffen im Amt herausgefunden."
„Das heißt, du durftest noch mal hin, um die Information nachzureichen?"
„Gott sei Dank nicht!", rief Miles aus. „Ich hab mich im Amt so sehr geärgert, dass ich meine Anmeldepapiere in Brand gesteckt habe."
Erfreut stellte er fest, dass Katy schmunzeln musste.
„So schlimm ist es da gar nicht. Man muss sich nur vorher einmal die Hinweisschilder anschauen." Sie zwinkerte.
„Oder man wechselt einfach die Beamten gegen Menschen aus", ließ sich Miles zu einer bissigen Antwort verleiten.
„Oder so", lenkte Katy ein. Dann schwiegen sie wieder, während sie nebeneinander die breite Treppe zum Erdgeschoss hinabstiegen und Miles inständig seine Blase verfluchte.
„Deine Freundin ist echt süß", fing Katy ein neues Thema an. „Ihr kamt am Montag gemeinsam, kennt ihr euch also schon aus der Schule?"
Was?
„Sie ist nicht meine Freundin!", betonte Miles etwas zu hastig, wodurch Katy ihm einen überraschten Blick zuwarf. „Also nicht die Freundin", plapperte Miles weiter. „Freunde sind wir schon, aber ich bin noch zu haben."
Zu spät bemerkte er, dass er das wirklich gesagt hatte.
„Wir haben uns auf dem Flur getroffen, als wir beide nach dem Veranstaltungsraum suchten", plapperte er in der Hoffnung drauflos, es würde Katy ablenken. „Aus meiner Klasse ist hier niemand – jedenfalls habe ich niemanden gesehen, den ich kenne. Ich denke, es ist schon selten, wenn man mit Freunden zur Schule geht und zeitgleich bemerkt, dass man ein Magier ist – oder eine Magierin, so wie du und deine Freundin Tess."
„Ach weißt du", sagte Katy, als sie in die Eingangshalle traten und auf den Ausgang zusteuerten, „eigentlich ist Tess gar keine Freundin – eher eine Bekannte."
„Keine Freundin?", fragte er überrascht. Das hatte am Montag aber anders ausgesehen.
„Ja", fuhr Katy fort. „Tess und ich hängen schon mal zusammen ab und reden auch in der Schule öfter miteinander, aber so richtig Freundinnen sind wir nicht. Zur Freundschaft gehört für mich mehr, als dass man sich jeden Tag in der Schule sieht und gut miteinander auskommt. Freunde unternehmen auch mal was zusammen und tun etwas füreinander."
„So wie wir beide jetzt?"
Er bereute die Frage augenblicklich, als Katy den Kopf zu ihm herumdrehte. Warum hatte er das auch gesagt? Sie waren keine Freunde, die etwas zusammen unternahmen, sondern zwei Teens, die zu einem Date unterwegs waren!
„Ja, so in etwa", sagte Katy schmunzelnd, bevor er die Gelegenheit bekam, die Situation geradezubiegen. Miles fluchte innerlich. Verdammt! Hatten sie nun ein Date oder nicht? Wollte sie das mit dem „so in etwa" also klarstellen, dass es eins war, oder wie konnte er das verstehen? Oder spielte sie wirklich mit ihm, wie Cora behauptet hatte? Mann, die ganze Situation war ja schwieriger, als er angenommen hatte.
„Hey, Miles, da kommt gerade 'ne 9. Wenn wir uns beeilen, kriegen wir die noch", rief Katy und deutete auf die Bushaltestelle. Er bekam keine Gelegenheit zu widersprechen, da das Mädel schon losgerannt war. Eilig preschte er ihr hinterher und sie erreichten den Bus, noch während die letzten Fahrgäste einstiegen. Katy zeigte ein Ticket vor, aber Miles musste eines lösen.
„Ein Einzelticket", bestellte er, woraufhin der untersetzte Mann am Steuer mit einem Knurren zwei Euro dreißig von ihm verlangte. Widerstrebend holte Miles seine Brieftasche hervor. Zur Altstadt waren es zu Fuß nur zehn Minuten. Von dem Geld hätte er bereits einen halben Eisbecher bezahlen können.
„Du hast kein Monatsticket?", fragte Katy, als er in einem der zwei Sitze ihr gegenüber Platz nahm. Miles legte unruhig seine Tasche auf dem freien Platz neben sich ab, während der Bus mit einem lauten Brummen anfuhr. War es so schlimm, kein Monatsticket zu besitzen? Jedenfalls wollte er jetzt nicht zugeben, dass seine Mutter nicht genug verdiente, um ihm ein solches zu kaufen. Und anstatt sein Taschengeld für ein Fahrrad oder gemütliche Busfahrten auszugeben, hatte er sich lieber ein Smartphone angeschafft.
„Nein", sagte er. „Ich bin lieber mit dem Skateboard unterwegs." Unterstreichend klopfte er gegen das Brett, welches er an seinen Rucksack geklemmt mit sich trug. „Dann tue ich was für meine Fitness und bekomme frische Luft."
„Auch bei Regen?"
„Ich bin doch nicht aus Zucker", grinste er zurück.
„Uh, ein ganz harter Bursche", erwiderte Katy und verzog spöttisch die Lippen. „Trainierst du auch solche Tricks an Halfpipes und so?"
Nein.
„Ich kann ein paar kleinere Tricks", sagte Miles mit dem Bestreben, nachher sofort die nächstliegende Halfpipe zu googeln. Er musste Katy auf jeden Fall beeindrucken! „Und was hast du so für Hobbies?", legte er eine Frage nach, bevor sie einen Stunt bei ihm einfordern würde. „Wie lange spielst du schon Gitarre?"
Katy verzog nachdenklich den Mund und legte die Stirn in Falten. „Fünf Jahre dürften es jetzt wohl sein. Spielst du auch ein Instrument?" Fragend fokussierte sie wieder ihren Blick auf ihn.
„Hab mal überlegt, mit E-Gitarre anzufangen, aber ..."
Er ließ den Satz unbeendet. Die Erinnerungen, die ihm sein Gehirn vorsetzte, gefielen ihm nicht.
„Aber?", fragte Katy nach.
Miles fand ins Hier und Jetzt zurück. „Ach, ist irgendwie untergegangen", wich er ihr aus. „Ich glaube, das ist unsere Haltestelle."
Katy nickte und sie erhoben sich von ihren Sitzen. Der Bus hielt und sie stiegen aus. Kalte Luft umfing sie. Der Wind bließ als wäre die Stadt eine Wunde in der Haut der Erde, die er mit seinem Atem kühlen müsste. Kein passendes Wetter zum Eisessen.
Um sie herum strömten die Menschen geschäftig durch die Stadt; die meisten gingen in Richtung der Fußgängerzone, der Einkaufsmeile, dorthin, wo auch Miles hinwollte.
„Okay, wohin gehen wir?", fragte Katy neugierig und sah ihn aufmerksam an.
„Wir gehen natürlich zu Tony's. Warst du schon mal bei Tony's?"
Sie schüttelte den Kopf.
„Echt nicht!? Gut, dass wir das jetzt nachholen. Komm, du wirst begeistert sein."
Gemeinsam zogen sie die breite Hauptstraße entlang und sahen den Leuten dabei zu, wie sie sich trotz des grauen Wetters in den Geschäften und auf den Straßen herumtrieben. Die meisten bahnten sich ihren Weg mit gesenkten Köpfen und schnellen Schrittes durch die Straßen, eindeutige Zeichen dafür, dass die warmen Tage vorbei waren, an denen man gemütlich durch die Straßen schlenderte. Miles bekam das Gefühl, dass nur er und Katy eine Ausnahme bildeten.
„Außerdem, wenn du diese Seitenstraße reingehst, dann kommst du direkt zu Klangwelten", sagte er nebenbei und deutete mit dem Daumen nach rechts. „Nur zum Thema, wer einen Lageplan nicht lesen kann, kennt sich nicht in der Innenstadt aus, in der er die meiste Zeit seiner Freizeit verbringt."
Katy sah in die gewiesene Richtung, und er bemerkte nicht ohne Stolz einen leichten Rotflimmer auf ihren Wangen.
„Stimmt ... ähm, tut mir leid, Miles."
„Schon okay, aber ich wollte das gerne richtig stellen." Er zwinkerte und Katy lächelte wieder.
Inzwischen fühlte er sich richtig gut. Die Nervosität war verflogen und er befürchtete nicht mehr, sich übergeben zu müssen, wenn er den Mund aufmachte. Er genoss Katys Nähe und den Umstand, dass es ihr anscheinend ebenso ging. Eine Windböe fuhr durch die Straße und Katys Haar wirbelte fesch durch die Luft. Miles musste nachher unbedingt ein Foto von ihr mit seinem Smartphone machen – nicht zuletzt, um Däx zu beeindrucken. Er würde Augen machen!
Sie erreichten das Lokal viel schneller, als es Miles lieb war. Eigentlich wollte er noch etwas länger einfach nur durch die Straßen mit ihr spazieren, wollte dieses Gefühl genießen, welches seinen gesamten Körper durchflutete – er konnte gar nicht genug davon bekommen.
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