Kapitel 11 | Das Los eines Magiers
Rein technisch gesehen funktioniert der Verbrauch von Magie ähnlich wie bei jedem anderen Energieträger auch. Verbrennendes Holz wird zu Asche und verbrennender Sauerstoff zu Kohlenstoffdioxid. Genauso hinterlässt auch „verbrannte" Magie ein Abfallprodukt, das sogenannte Vanum. Einem weit verbreiteten Irrglauben zufolge ist Magie selbst die Energie; in Wirklichkeit ist sie aber nur der Energieträger, der verbrannt wird. Dieser feine Unterschied wird oft nicht gemacht. Dies rührt zum größten Teil auch daher, dass die entstehende Energie auch magische Energie genannt wird. Das Gleichheitszeichen zwischen dem Träger und der Energie ist also aus Bequemlichkeitsgründen schnell gesetzt.
Was bedeutet es aber für den Magier, wenn Magie ein Energieträger ist? Zuallererst: Die Stärke eines Magiers hängt zum einen Teil von der ihm umgebenden Magie ab, zum anderen, wie viel er davon auf einmal verbrennen kann. „Sinkt die Konzentration der Magie, dann kann es passieren, dass ein Zauber einfach ausbrennt wie ein ersticktes Feuer" (Scent 1994, 51). Die Analogie zum Feuer verliert auch bei weiteren Betrachtungen nur in Ausnahmefällen an Gültigkeit.
Allerdings muss ein Magier im Gegensatz zum Atmen zuerst ein Gefühl für die Magie um ihn herum entwickeln. Forscher sind sich einig, dass Menschen und Tiere mit dem M-Gen über Magierezeptoren verfügen, die ihnen das Ertasten dieser ungewöhnlichsten aller Energieträger ermöglichen.
Fest steht jedoch, dass sich der „Magie-Sinn" wie jeder andere unserer Sinne trainieren lässt. Gut ausgebildete Magier sind somit in der Lage, die genaue Konzentration von Magie und Vanum in ihrer Umgebung zu „sehen". Sie können also die ihnen zur Verfügung stehende Energie viel besser einschätzen. Diese Fähigkeit ist für jeden Magier essentiell, denn wenn das magische Feld hochkonzentriert ist, kann selbst der einfachste Funke, gedacht zum Entzünden einer Kerze, in einem Inferno enden.
- aus Leubrunners Lehrbuch der Magie; Abschnitt 1 Über die Magie
Das erste Mal seit Tagen wieder richtig gut gelaunt, rauschte Miles mit seinem Skateboard die Straße entlang. Das Wetter hatte sich zwar nicht gebessert, aber zumindest regnete es nicht. Dass die Sonne sich nicht zeigte, machte ihm im Moment auch gar nichts aus, im Gegenteil, er genoss den kühlen Wind, der ihm die Haare zerzauste.
Den ganzen Nachmittag hatten er und Blacky vor der alten Ruine im Wald geübt, damit Miles ein Gespür für die Magie und seine Gabe bekam. Zuerst hatte er geglaubt, der Fuchs wollte ihm tatsächlich ein gesamtes Lehrbuch zitieren. Er hatte sich angesichts von Miles' Langeweile dann allerdings nur auf die Einleitung sowie einen Teil über die Anwendung von Magie beschränkt.
Miles' Arme waren noch warm vom Spiel mit dem Feuer, sein Gesicht vor innerer Hitze gerötet und an seinen Fingern zeugten Brandblasen von seiner Unerfahrenheit. Laut Blacky sollte seine Gabe ihn auch widerstandsfähiger gegenüber Hitze machen, aber wie es aussah, erforderte das einfach Zeit. Miles hatte direkt versucht, einen Feuerball in der Hand halten zu können und sich fast sämtliche Finger verbrannt. Egal, das war es ihm wert gewesen.
Der Fuchs hatte es zwar nicht laut gesagt, dennoch glaubte Miles, dass er von seiner ersten Übungsstunde beeindruckt war. Er hatte Miles mit Warnungen nur so überhäuft, ihm Geschichten von Funkenschmieden erzählt, die sich in ihrem eigenen Feuer verzehrt, die sogar ganze Städte niedergebrannt hatten. Kaiser Nero hatte zu jenen gehört. Und dabei glaubte die ganze Welt, er wäre einfach nur verrückt gewesen. Welch Ironie ...
Miles erinnerte sich an die ersten Übungen – sie schienen schon Stunden zurückzuliegen. Zuerst hatte er einfach nur mit geschlossenen Augen auf einem Stein sitzen dürfen, um nach der Magie um sich herum zu tasten. Das war ihm ziemlich sinnlos erschienen und als er eine halbe Stunde später ohne irgendwelche Fortschritte erzielt zu haben, mit dem Fuchs zu streiten begonnen hatte, waren sie zu einer anderen Übung übergegangen.
Spöttisch hatte Blacky ihm den Auftrag gegeben, die Magie, welche er zuvor um sich ertastet haben sollte, nun zum Entzünden eines morschen Astes zu verwenden. Was hatte der Fuchs für Augen gemacht, als es Miles auf Anhieb gelungen war. Wahrscheinlich übten andere Magier wochenlang diese Meditation, bevor sie richtig zaubern durften, doch er, Miles, brauchte das nicht. Er grinste selbstzufrieden. Und gestern im Amt hatte er noch befürchtet, er wäre unbegabt.
Die Vibration seines Smartphones lenkte ihm von seinen Gedanken ab. Ohne langsamer zu werden, holte er es aus der Tasche und betrachtete die eingegangene Nachricht. Sie kam von Däx.
Wo steckst du?
Miles sah sich um. Gute Frage.
Kp, antwortete er wahrheitsgemäß in der teenagereigenen Chatsprache. Aber ich bin auf dem weg nach haus.
K, antwortete Däx und zeigte damit, dass er das nicht besonders lange Wort okay auf einen einzigen Buchstaben diskriminieren konnte.
Miles steckte sein Smartphone wieder ein und hielt nach Straßenschildern Ausschau, die ihm den Weg in ein ihm bekannteres Viertel der Stadt weisen würden. Diese Tätigkeit wurde schon nach wenigen Minuten überflüssig, da er das Wohnviertel mit den Protzgärten langsam hinter sich ließ und sich dem Stadtzentrum näherte. Nun wegessicher sauste er die Straße entlang und blieb erst wieder an einer Ampel stehen, an der er die Straße überqueren musste.
„Ey, Miles. Hab ich dich endlich gefunden."
Miles drehte sich zu der Stimme um und erkannte Däx, der breit grinsend auf ihn zukam und ihm von Weitem zuwinkte. Völlig unnötig, der Kubaner würde ihm selbst unter hundert Menschen sofort ins Auge fallen. Trotz fehlender Sonne trug er nur ein knallgelbes Muskelshirt und eine Dreiviertel-Hose.
Er rief winkend einen Gruß zurück und wartete, bis sein Kumpel die Distanz zu ihm überbrückt hatte.
„Na, du Spaten, bekomme ich dich auch mal wieder zu sehen?", keckerte Däx vergnügt. Eine Sekunde später zog er vor Überraschung die Stirn kraus. „Apropos sehen ... wie siehst du überhaupt aus? Du bist verschwitzt. Ausgerechnet du! Fängst du für 'ne Skateboardmeisterschaft an zu trainieren, um Mädels zu beeindrucken?" Däx stockte. „Und du riechst nach ... ah, du hast dich wohl nochmal an Kippen versucht, eh?"
„Quatsch, die letzte hat mir vorerst gereicht."
„Ja, selbst ich hätte dir zugetraut, eine Kippe ordentlich anzuzünden. Wo hast du die ganzen Brandblasen her, eh?"
„Bin an 'ne Herdplatte gekommen."
„Mit beiden Pfoten? Wolltest dich wohl vergewissern, dass es beim ersten Mal kein Phantomschmerz war, eh?"
„Ist halt dumm gelaufen", verteidigte sich Miles in einem schlechten Versuch.
„Und dabei hast du dir gleich auch die Ärmel deines Pullies verkokelt", meinte Däx zweifelnd.
Er hat recht, bemerkte Miles, als er seine Ärmel betrachtete. Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Mum wird ausrasten.
„Ah, das Schweigen des Schuldigen." Däx lachte und klopfte ihm kameradschaftlich auf die Schulter. „Dann rück mal mit der offensichtlich peinlichen Story raus, die du vor mir zurückzuhalten versuchst."
„Es gibt keine peinliche Story", widersprach Miles, aber Däx ließ nicht locker und verstärkte den Druck um seine Schulter, als wollte er die Wahrheit auf diese Weise aus ihm herauspressen.
„Hast dich wohl an einem heißen Mädel verbrannt, eh?" Er lachte wieder. „Würde erklären, warum du dich die letzten Tage so rar gemacht hast."
So unrecht hast du gar nicht mal, dachte Miles, als er an die süße Heilerin aus dem Magieramt vom Vortag dachte. Er seufzte bedauernd.
Däx bemerkte seine Reaktion. Er stockte, stellte sich Miles in den Weg und hielt ihn in Armeslänge auf Abstand. Prüfend musterte er ihn.
„Ist was nicht in Ordnung, Miles?", fragte er nun mit ungewohntem Ernst.
„Was soll sein?", fragte dieser zurück und schüttelte Däx' Hand von seiner Schulter ab.
„Das sollst du mir verraten, du Genie. Du siehst nicht gut aus."
„Danke Däx, ich weiß selbst, dass man mit einem angebranntem Pulli nicht besonders cool aussieht."
Sein Kumpel verdrehte die Augen. „Das meinte ich nicht, du Pfosten. Du wirkst krank, fast fiebrig. Eigentlich wollte ich noch 'ne Runde mit dir zocken, aber ich glaube, ich bring dich jetzt lieber nach Hause."
Miles nickte dankbar. Am liebsten würde er Däx einfach alles erzählen. Von dem Schatten, von Blacky, von der Magie, aber er wusste genau, dass er damit gegen die Gesetze der Magier verstieß und seinem Kumpel in der Hinsicht von nun an anlügen musste. "Das ist das Los eines Magiers", hallten ihn Blackys Worte durch den Kopf.
Gemeinsam setzten sie ihren Weg fort und folgten der Hauptstraße, bis sie in Richtung des Wohnviertels abbogen, in dem die beiden Jungs ihr Zuhause hatten. Die Straßen verengten sich auf eine Spur und es wurde ruhiger um sie herum. Über ihnen raschelte das Laub einzelner, stadtvergrünender Bäume.
„Was macht die Schule?", fragte Miles, um das Schweigen zwischen ihnen zu brechen.
„Nerven", antwortete Däx nur. „Sei froh, dass du heute nicht bei Herrn Trivial in Physik dabei warst, das war mega ätzend."
„Hm."
„Einen Versuch war es ja wert. Ist es immer noch die Suspendierung, die dir zu schaffen macht?"
„Auch."
„Und was noch?"
Miles schwieg.
„Es ist einfach die ganze Situation im Moment", antwortete er schließlich. „Ärger in der Schule hilft da nicht gerade. Zudem stresst meine Mum noch."
„Tut sie das nicht immer?"
Miles antwortete nicht und so schlenderten sie weiter, bis sie die Seitenstraße erreichten, in der auch das kleine Haus der Familie Helion stand.
„Hey, wenn es dir hilft", bot Däx an, „dann können wir am Wochenende ja noch mal feiern gehen. Ich meine, Spaß hat's dir schließlich gemacht und suspendiert bist du ja bereits und kannst also nicht schwänzen. Und wenn wir nicht sturzbetrunken in einer Gasse zusammenbrechen wie letztes Mal, dann merkt's auch keiner. Würde dir guttun, auf andere Gedanken zu kommen. Was meinst du?"
Miles dachte darüber nach. Däx' Worte klangen einleuchtend. Aber Frau Wasabis Warnung sowie seine jüngsten Erfahrungen mit den Schatten waren stärker. „Es gibt einen Grund, warum Minderjährigen der Alkohol verboten ist!"
„Diesmal nicht, Däx."
„Okay." Er hob die Hand und sie stießen die Fäuste zum Abschied aneinander. „Dann bis die Tage. Hab ja auch bald Ferien." Däx grinste aufmunternd, dann drehte er sich um und setzte den Weg zu seinem eigenen Zuhause fort, während Miles mit dem Skateboard unterm Arm auf dem Gehweg zurückblieb und ihm hinterher sah.
Wenn du wüsstest ...
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An dieser Stelle eine kleine Ankündigung :) Ich arbeite aktuell an einer Umsetzung dieses Buches als Videospiel. Eine Demo zu dem Spiel ist auf itch.io unter dem Link
https://alopex-lagopus.itch.io/das-erbe-des-lichtbringers
frei verfügbar für euch zu spielen. Die Story in dem Spiel geht genauso weit wie ihr hier gelesen habt, deswegen steht die Ankündigung erst hier :D Falls ihr den Link nicht kopieren könnt, sucht auf itch.io nach "The Lightbringers Legacy" - das ist der englische Titel, den Google aus irgendwelchen Gründen beser kennt (das Spiel ist zweiprachig verfügbar).
Das Game ist keine 100% genaue Adaption des Buches, sondern eher als Spinnoff zu sehen. Es orientiert sich am Buch, aber die Handlung wird später stark abweichen. Alleine schon dadurch, dass ihr mit euren Entscheidungen einigen Einfluss auf die Story habt. Das wird in der Demo angerissen, aber im späteren Verlauf deutlich, glaubt mir ;)
Für Updates zum Game folgt mir gerne hier oder auf itch.io
Jetzt aber viel Spaß beim Weiterlesen :)
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