99. Kapitel
Taos unterdrückte ein Schaudern, als die Krone sich auf sein Haupt senkte. Das kalte Metall stach wie Eis in seine Haut und für einen kurzen Moment war der Drang, sie sich wieder vom Kopf zu reißen und davonzulaufen beinahe übermächtig. Doch er riss sich zusammen und richtete sich auf.
„Lang lebe Taos, Sohn von Maar, König von Abhan!"
Taos sah in die vielen Gesichter, manche lachend, manche voller Tränen, andere voller Hass. Er merkte sich besonders letztere. Er würde auf der Hut vor ihnen sein.
„Majestät! Ein denkwürdiger Tag!", sagte Lanis und schüttelte ihm lächelnd die Hand. Seine Augen schimmerten feucht. Taos nickte und drückte die dargereichte Hand. Er wusste, was dieser Tag den Kriegern bedeutete, wusste, was sie geopfert hatten um hierher zu gelangen. Er selbst hatte ihren Traum von Freiheit und Gerechtigkeit geteilt, hatte an ihrer Seite gekämpft. Doch wenn er ehrlich zu sich war, hatte er nie wirklich geglaubt, dass es so weit kommen würde – dass er diese Verantwortung wirklich würde schultern müssen. Aber er hatte es ihnen versprochen. Ihnen und seinem Volk und sich selbst. Er richtete sich etwas höher auf, die Krone ein so ungewohntes Gewicht.
„Taos. Meinen Glückwunsch!", erklang eine weitere vertraute Stimme.
Taos lächelte den jungen Mann an, der ihm auf die Schulter klopfte wie einem alten Freund. Amon hielt nichts von Etikette. Ein Wesenszug, den Taos außerordentlich sympathisch fand.
„Danke, das kann ich nur zurückgeben, Bürgermeister Amon", sagte er mit einem Zwinkern und beobachtete amüsiert, wie Amon rot wurde.
„Daran habe ich mich noch nicht gewöhnt", schnaubte er und schien sich regelrecht zu schütteln, um den Gedanken wieder loszuwerden. Taos zuckte die Schultern.
„Ein rebellisches Straßenkind an der politischen Spitze der neuen freien Stadt Zenon und ein Krieger auf dem Thron von Abhan. Ich finde wir tragen beide unseren Teil bei, die Welt zu verändern", bemerkte er und Amon lachte auf.
„Wohl eher dazu, sie in ihren Grundfesten zu erschüttern", gab er zurück, doch Taos sah den Stolz in seinen Augen funkeln. Der junge Bürgermeister wandte sich mit einem Grinsen ab und hakte sich bei einer jungen Frau unter, die Taos nur still zulächelte und dann mit Amon in der Menge verschwand. Taos erinnerte sich an sie, Li war ihr Name, Amons rechte Hand – und ganz offenbar auch noch ein wenig mehr.
„Majestät, es ist mir eine Ehre. Herzlichen Glückwunsch!", machte Leyla ihre Aufwartung.
„Herzogin! Ich danke Euch und hoffe auf eine friedliche und fruchtbare Zusammenarbeit!"
„Ich werde mich dem sicher nicht in den Weg stellen."
„Dann sind wir schon zu zweit."
„Zu dritt", erklang Lucius' Stimme zu ihrer Rechten und der Mann tauchte einfach plötzlich aus dem Nichts auf und schob sich an Leylas Seite. Sie lächelte warm, was Taos nur erwidern konnte. Lucius legte eine Hand auf die Brust und verbeugte sich elegant. Dann schob er die Herzogin davon.
„Du hast mir einen Tanz versprochen", hörte Taos ihn sagen. Sie knuffte ihn in die Seite.
„Nur wenn du lernst dich besser zu benehmen."
„Willst du behaupten ich hätte keine Manieren?"
Die Stimmen verklangen, Musik brandete auf, lud ein zum Tanz und an den Buffets wurden die ersten Speisen aufgetragen. Der große Thronsaal war voller Leben und Taos ließ den Blick wandern.
„Weiter nach rechts, dritte Säule an der Ostmauer", sagte plötzlich jemand neben ihm und Taos zuckte zusammen.
„Wie bitte?", fragte er verwirrt.
Neben ihm stand Sahir Onada.
„Man muss kein Geheimnishüter sein um zu erkennen, dass Ihr nach etwas sucht", erwiderte er ruhig. „Man muss allerdings einer sein um zu wissen, wo Ihr fündig werdet, Majestät. Wie gesagt. Ostmauer. Dritte Säule."
Taos hob den Blick.
Da war sie. Sie lehnte an der Säule, ein langer dunkler Mantel verbarg ihre Gestalt und verschmolz regelrecht mit den Schatten und dem Stein. Doch ihr Gesicht leuchtete hell, unter ihrer Kapuze lugte das rote Haar hervor, die Augen funkelten und auf ihren Lippen lag ein Lächeln. Ein Lächeln, so warm, so echt, dass es bis tief in Taos' Herz vordrang und sich dort einnistete. Sie war gekommen.
Für einen Moment, der ihm wie eine Ewigkeit erschien, sahen sie sich einfach nur an und er erwiderte ihr Lächeln. Dann nickte Anna ihm zu, trat einen Schritt zurück in die Schatten... und war verschwunden. Taos blinzelte.
Sein Blick verweilte noch einige Augenblicke auf dem Fleck, an dem sie gestanden hatte und er fragte sich, wann er sie wohl wiedersehen würde.
„Ihre Zukunft kann ich nicht sehen", sagte Sahir leise neben ihm. Taos hatte ihn beinahe schon wieder vergessen. „Aber ihre Vergangenheit reicht bis zur Geburt der Welten. Sie sah Völker entstehen und verblassen, sie sah Jahrtausende des Wandels, sie geht mit dem Schicksal Hand in Hand. Und Ihr, Majestät, seid ein Teil davon. Ebenso wie der junge Krieger an Eurer Seite."
Taos sah ihn an, versuchte seine Worte zu begreifen, doch Sahir ließ ihm keine Zeit darüber nachzudenken.
„Was werdet Ihr mit ihm machen, wenn er aus der Haft in Ibna entlassen wird?", fragte er ganz unverblümt. Taos schloss für einen Moment die Augen und atmete aus um die Gänsehaut zu vertreiben, die die kleine Rede des Geheimnishüters ausgelöst hatte.
„Ich mache ihn zum Hauptmann meiner Leibgarde", erklärte er stur.
Sahir lachte auf. Seine Augen blitzten vergnügt.
„Einen Königsmörder um den König zu beschützen. Das wird Aric gefallen. Ihr habt alle beide den Verstand verloren."
„Vielleicht ist es genau das, was diese Welt nötig hat. Ein bisschen weniger Verstand und ein bisschen mehr Herz", entgegnete Taos kühl.
Sahirs Lachen verstummte, der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde sanft.
„Ihr seid ihm ein guter Freund, Majestät. Euer Leben zu schützen ist eine Aufgabe, die Aric wahrscheinlich auch für sich beansprucht hätte, wäre er ein freier Mann."
„Ich versuche so gut ich kann zu verhindern, dass er sein Leben vergeudet."
„Nun, Ihr habt das jetzt in der Hand. Ihr könnt sein Leben vergeuden – oder ihm einen Sinn geben. Aber so wie ich das sehe, seid Ihr auf einem guten Weg."
Taos nickte dankbar. Arics Schicksal bereitete ihm immer noch Bauchschmerzen. Ihn zum Hauptmann seiner Garde zu machen, würde in Ibna einen Aufschrei verursachen. Aber Taos wusste, was er Aric schuldig war. Noch saß der Mann in Einzelhaft, wie das Urteil vorgeschrieben hatte. Taos hatte Gorjak in Ibna zurückgelassen um ein Auge auf ihn zu haben – und auf die Ibnesen, denen er auf Teufel komm nicht raus nicht über den Weg traute.
Also hatte er Gorjak eine königliche Vollmacht gegeben, sich um Arics Belange während seiner Gefangenschaft zu kümmern und ließ ihn als offiziellen Wächter zurück, der dafür sorgen sollte, dass das Urteil gemäß der Vereinbarungen vollzogen wurde und niemand sich einen bösen Spaß mit dem „Königsmörder" erlaubte. Gorjak hatte ihn entgeistert angesehen, als Taos ihm seine Aufgabe erklärt hatte:
„In anderen Worten: Pass auf, dass ihn keiner anrührt, das ist mein Ernst. Ich will dass er diese Haft lebend und unversehrt übersteht und in meiner Abwesenheit bist du dafür meine einzige Garantie", hatte er ihm eingeschärft und er konnte sich noch gut an Gorjaks Zweifel erinnern.
„Die Ibneser sind so penibel mit ihren Gesetzten, glaubt ihr wirklich, es besteht Gefahr?", hatte er überrascht gefragt.
„Aric hat ihre heiligen Gesetzte mit Füßen getreten und die Öffentlichkeit hat sie dazu gezwungen, ihn davonkommen zu lassen. Es würde mich wundern, wenn sie nicht versuchen würden, ihn das auf andere Weise büßen zu lassen."
„Ich verstehe."
Gorjaks entschlossener Gesichtsausdruck hatte Taos schließlich beruhigt. Er wusste, dass er Aric in fähigen Händen zurückließ.
Die beiden Männer fehlten ihm. Aric fehlte ihm. Mit ihm an seiner Seite wäre diese Krönungsfeier eine freudige Veranstaltung gewesen. So aber trug sie einen sauren Beigeschmack.
„Schaut nicht so trübsinnig aus der Wäsche, Majestät. Noch ist die Zukunft nicht geschrieben. Was ihr heute tut ist von Belang. Also bleibt aufmerksam. Lebt. Liebt. Und zeigt diesen fiesen Bastarden von einem Hofstaat, die Euch mit gezückten Messern im Nacken sitzen, was für eine Art Mann Ihr seid."
Taos blinzelte den Geheimnishüter überrascht an. Der grinste nur.
„Was ist? Hat es Euch die Sprache verschlagen?"
Taos schüttelte nur den Kopf.
„Ihr seid immer wieder für eine Überraschung gut, Sahir", sagte er mit einem Lächeln."
„Hin und wieder", erwiderte der Mann glatt, dann beugte er sich zu ihm hinüber.
„Da heute ein so großer Tag ist und die Zukunft hell und strahlend, verrate ich Euch ein weiteres Geheimnis: Der hübsche junge Mann im Kreise der trübsinnigen Höflinge zu Eurer Linken – der mit dem dunklen Haar und der hübschen Stickerei auf dem Revers – sein Name ist Ferdale und wenn Ihr es geschickt anstellt, wird er Euch die Aufgabe abnehmen, Euren Hof von Gesindel zu befreien."
„Und das wisst Ihr, weil...?"
„...ich sein Geheimnis kenne. Das Euch im Übrigen nichts angeht."
„Vielleicht sollte ich mir mit Lord Ferdale einen Drink genehmigen."
„Das solltet Ihr. Und er ist kein Lord. Nur der Bastard eines solchen."
„Ich dachte sein Geheimnis geht mich nichts an?", fragte der König amüsiert. Sahir zuckte die Schultern.
„Das ist ja auch kein Geheimnis. Ich hüte, was die Erde mir anvertraut, nicht das Geschwätz der Leute. Und jetzt geht und macht ihn zu einem der Euren. Ihr werdet es nicht bereuen."
Damit drehte Sahir ab und die Menge verschluckte ihn augenblicklich. Taos sah ihm einen Moment nach. Dann fiel sein Blick auf den jungen Höfling. Er schnaubte leise. Warum nicht sofort damit anfangen, die Zukunft zu gestalten? Er hatte es selbst in der Hand. Also griff er nach einem Glas von dem nächsten Tablett, das herumgereicht wurde, und ging auf die Gruppe zu.
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