36. Kapitel
Amon war zufrieden. Lucius stellte sich als wichtiger Verbündeter heraus. Er stand in direktem Kontakt zu der Herzogstochter Leyla und genoss ihr volles Vertrauen, sodass er für sie sprechen konnte. Leyla würde sich ihnen anschließen. Sie hatte erstaunlich großen Einfluss, wie Amon erfuhr. Ein Großteil der Palastwache war ihr treu ergeben und auch unter den Adligen hatte sie viele Fürsprecher und Verbündete, die sie unterstützen würden, sollte Leyla beschließen tatsächlich zu handeln. So lag nun der wichtigste Teil des Vorhabens bei Leyla. Sie sorgte dafür, dass zum vereinbarten Zeitpunkt nur Wachen Dienst hatten, die ihr folgten und gleichzeitig diejenigen Adligen, die ihre Stellung nach dem Putsch gefährden konnten, von ihren Verbündeten in Schach gehalten wurden. Alles hing davon ab, dass ihr Einfluss tatsächlich so groß war, wie sie behauptete. Im besten Fall würde der Putsch so innerhalb der Palastmauern still und fast kampflos ablaufen können. Wenn der Plan gelang. Wenn nicht, stehe der Himmel ihnen allen bei.
Amon seufzte. Daran konnte er denken, wenn es so weit war. Jetzt musste er Hoffnung und Zuversicht verbreiten und seinen Leuten ihre Aufgaben klar machen. Alle strategisch wichtigen Punkte der Stadt mussten gleichzeitig unter Kontrolle gebracht werden und hier kamen die Rebellen ins Spiel. Über die Abwasserkanäle erreichten sie jeden Winkel der Stadt und konnten so plötzlich auftauchen und die Wachen dort überwältigen. Türme und Tore mussten in ihre Gewalt fallen und die Stadt dadurch gesichert werden. Es konnte gelingen, sofern sie alle zeitgleich zuschlugen. Lucius würde das Signal dafür geben. Er hatte erklärt er könne es in Sekundenschnelle über den Wind in der Stadt verbreiten und Amon musste ihm diesbezüglich einfach glauben, denn er hatte keinerlei Erfahrungen mit Magie.
Er ließ seinen Blick durch die Halle schweifen um Ausschau nach seinem Bruder zu halten. Wenn es darum ging Nachrichten und Anweisungen weiter zu tragen, gehörte Tom zum engeren Kreis derjenigen, denen er besonders wichtige oder vertrauliche Dinge anvertraute. Im Moment konnte er ihn nirgendwo erblicken und als er gerade darüber nachdachte, wann und wo er den Jungen das letzte Mal gesehen hatte, fiel ihm Lucius ins Auge, der geradewegs auf Anna zu steuerte.
Es war ihm schon bei der Begrüßung aufgefallen, dass zwischen den beiden etwas nicht stimmte und nun war er wirklich neugierig. Er beobachtete Anna, als sie bemerkte, dass Lucius näherkam. Ihre Miene verschloss sich, soweit das bei ihr möglich war. Anna konnte ihre Gefühle nicht verbergen. Das hatte sie noch nie gekonnt. Und auch jetzt konnte Amon deutlich die Furcht sehen, die sich auf ihrem Gesicht abzeichnete. Doch sie hielt sich nur kurze Zeit, dann wandelte sie sich in eine vertraute Maske aus Trotz und Wut, die in Amon alte Erinnerungen an die Zeit mit Anna hervorriefen. Als sie beide noch in der alten Stadtmauer gehaust hatten. Amon lächelte bei dem Gedanken daran, dann erblickte er Tom, der aus dem Tunnel hinter Anna heraustrat und er schickte sich an um ihm entgegen zu gehen.
Anna hatte Lucius nicht aus den Augen gelassen, seit er die Höhle betreten hatte. Als er nun auf sie zukam, unterdrückte sie die aufsteigende Panik und wappnete sich für das Gespräch mit diesem Mann. Lucius verneigte sich erneut vor ihr und begrüßte sie:
„Hallo Anna. Ihr heißt doch Anna, oder? Eure Begrüßung vorhin war sehr kühl. Bitte entschuldigt meine Aufdringlichkeit, aber habe ich Euch irgendwie verärgert?"
Anna funkelte ihn an. Sie hatte sich noch nicht entschieden, wie sie sich diesem Mann gegenüber verhalten wollte und seine Fragen störten sie.
„Nein", antwortete sie knapp auf seine Frage.
Lucius lächelte.
„Nun denn, ich hatte den Eindruck, dass dennoch etwas zwischen uns steht, das der Klärung bedarf", fuhr er dann fort.
Anna schwieg.
„Ihr seid wahrlich nicht sehr gesprächig, oder? Scheint in der Familie zu liegen..."
Anna fuhr auf. Was hatte er da gesagt? Was wusste er von ihrer Familie?
„Ich meine nur", versuchte er sie zu beschwichtigen. „Euer Freund Aric ist auch ein sehr schweigsamer Gefährte."
„Wir sind nicht verwandt", sagte Anna scharf.
„Oh, das dachte ich mir. Es war nur eine Metapher für die Kriegerfamilie, der ihr beide angehört. Zumindest habe ich gehört, dass er euer Mentor ist."
Anna seufzte. Lucius würde sich so schnell nicht abschütteln lassen. Sie ahnte, dass er ihr mit geschickten Bemerkungen vieles entlocken konnte, einfach indem er ihre Reaktionen beobachtete. Also beschloss sie die Sache abzukürzen und fragte ihn direkt:
„Was wollt ihr von mir, Lucius?"
Überrascht von ihrer direkten Frage stutze er kurz, dann breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht.
„Ich möchte wissen, wer Ihr seid und weshalb sich der Wind in eurer Gegenwart anders verhält, als erwartet."
„Was habt ihr denn erwartet?", fragte sie scharf zurück.
„Dass er an Euch vorbeistreicht, wie an jedem anderen Menschen, ohne Euch große Beachtung zu schenken."
„Und?"
Anna hatte es satt. Sie wusste, worauf er hinaus wollte, aber sie hatte keine Lust es ihm leicht zu machen.
„Nun ja", begann Lucius nun vorsichtiger. „Bei Euch ist das anders. Der Wind geht durch Euch hindurch. Er umgibt Euch mit einem schützenden Schild und reagiert auf Euch wenn ihr Euch bewegt und wenn Ihr redet."
Anna schwieg. Er würde es schon direkt sagen müssen, wenn er eine Antwort wollte.
Lucius seufzte, dann sah er sie eindringlich an.
„Ihr seid eine Magierin, nicht wahr? Ich spüre das, weil ich selbst einer bin. Ein Kind des Windes."
Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte verzweifelt zu entscheiden, was sie nun sagen sollte. Schließlich erwiderte sie nur stur seinen Blick. Wenn es wirklich stimmte, dass man ihr jede Stimmung von den Augen ablesen konnte, dann würde er die Antwort in ihrem Gesicht sehen. Doch so leicht gab Lucius nicht auf.
„Bitte Anna. Ich weiß es ist gefährlich sich zu offenbaren, aber wir sitzen hier im selben Boot. Wir sollten zusammenarbeiten und uns gegenseitig vertrauen."
Anna wandte diesmal den Blick nicht ab.
„Ich vertraue Euch nicht. Ihr gebt mir keinen Grund dazu. Es lässt sich wohl nicht vermeiden, dass ihr meine Magie spürt und ich die Eure, aber das ist alles, was uns verbindet. Bitte lasst mich in Frieden."
„Wie kann ich Euer Vertrauen gewinnen?", drängte Lucius.
Anna seufzte. Gar nicht, dachte sie bei sich, aber zu Lucius sagte sie:
„Ihr könntet damit anfangen, eure Entdeckung für Euch zu behalten. Andernfalls werde ich dafür sorgen, dass Ihr es bereut."
Damit machte sie kehrt und lief davon.Doch Lucius folgte ihr und packte sie am Arm.
„Warte! Heißt das, dass..."
Weiter kam er nicht, denn diesmal war Anna vorbereitet. Sie reagierte blitzschnell, indem sie ihr Schwert zog und es ihm an die Kehle hielt. Er ließ sofort los und starrte sie entgeistert an.
„Habe ich mich nicht klar ausgedrückt?", zischte Anna, während sie die Klinge bedrohlich in seine Haut drückte, ohne jedoch zu verletzten.
„Glasklar", presste Lucius hervor und hob beschwichtigend die Hände.
„Hey! Was ist hier los?", tönte in diesem Augenblick ein scharfer Ausruf hinter ihr.
Anna ließ von Lucius ab und steckte ihr Schwert zurück in die Scheide. Amon trat gerade zu ihnen heran und wiederholte seine Frage.
„Wir lernen uns nur ein bisschen besser kennen", erwiderte Lucius fröhlich, offensichtlich wieder ganz Herr seiner selbst. „Kein Grund zur Sorge."
Er warf Anna einen letzten eindringlichen Blick zu, grinste, klopfte Amon beschwichtigend auf die Schulter und mischte sich unter die Menschen, die sich in der Nähe des Kochfeuers niedergelassen hatten. Anna sah ihm nach, wütend und verblüfft zugleich. Was für ein ungewöhnlicher Mensch, dachte sie. Sie hatte Angst vor ihm, weil er sie sah, wie kein anderer es konnte. Er war ihr lästig mit seinen neugierigen Fragen und doch faszinierte er sie. Wie er sich gab, wie er redete und wie er anderen gegenüber trat. Sicher ließen sich viele von ihm umgarnen, ohne es zu merken. Er schien meisterhaft um den heißen Brei herumreden zu können und doch zu erfahren, was er wissen wollte. Anna würde ihn nicht aus den Augen lassen!
„Kennenlernen? Was habt ihr Beide für ein Problem miteinander? Gibt es da etwas, das ich wissen sollte?"
Anna fuhr zusammen, sie hatte vergessen, dass Amon noch neben ihr stand.
„Ich traue ihm nicht, das ist alles", erwiderte sie nachdenklich, während sie weiterhin Lucius hinterher sah.
Amon folgte ihrem Blick und seufzte.
„Er ist unser Verbündeter. Wir brauchen ihn und wir brauchen seine Verbindung zu Leyla. Wir müssen ihm trauen, Anna."
Anna wandte sich nun Amon zu und lächelte ihn aufmunternd an.
„Nur weil er uns nützlich ist, heißt das nicht, dass ich ihm trauen muss. Ich behalte ihn im Auge."
Amon zog die Brauen hoch, dann grinste er.
„Tu was du nicht lassen kannst. Komm, es gibt einiges zu organisieren und hast du eigentlich Sahir schon richtig begrüßt?"
Das hatte sie nicht und mit leicht schlechtem Gewissen ließ sie sich von Amon mitziehen.
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