23. Kapitel
Nicht alle Krieger waren zu der Versammlung gekommen. Viele waren unterwegs und hatten keine Möglichkeit so schnell zurückzukehren. Trotzdem war die Halle voller Menschen und es herrschte ein lautes Durcheinander. Aric schritt durch die großen Flügeltüren und ließ den Blick schweifen. Rechts von sich erkannte er eine Gruppe Krieger unter welchen sich auch sein Waffenbruder und bester Freund Gorjak aufhielt. Gorjak trug noch seine Reisekleidung, er musste eben erst eingetroffen sein. Aric hatte ihn schon seit Monaten nicht mehr gesehen und er freute sich darauf sich mit seinem Freund austauschen zu können. Rasch gesellte er sich zu ihnen und begrüßte Gorjak überschwänglich.
„Weißt du, worum es geht?"
„Nur zum Teil. Ich komme gerade von der östlichen Ebene. Die Armee nimmt gefährliche Ausmaße an. Auch andere Späher aus beinahe allen Regionen des Landes sind zurückgekehrt und haben wichtige Informationen für uns mitgebracht."
Aric nickte und sah hinauf zur Rednerbühne. Gerade fand sich der Hohe Meister dort ein und in der Halle wurde es ruhig. Aric folgte Gorjak zur nächsten Bank und sie setzten sich gespannt.
Der Meister hob die Hände und begrüßte sie alle.
„Meine Freunde. Es gibt Neuigkeiten. Sowohl von der Küste, als auch von der großen Ebene im Landesinneren. Späher berichten, dass die Armee sich von Tag zu Tag vergrößert. Sie steht offensichtlich unter dem Befehl des Königs, obgleich sich dieser nicht dort aufhält. Die Truppen werden von einem Mann namens Viron befehligt. Über diesen Mann ist uns nichts Näheres bekannt. Er hat allerdings die volle Befehlsgewalt. Entweder genießt er das Vertrauen des Königs oder er hat den Greis schon in seiner Gewalt. Sicher ist, dass der Gehorsam der Truppen zu einem großen Teil in Furcht begründet liegt. Dieser Mann besitzt anscheinend sehr überzeugende Druckmittel. Wie wir bereits wissen, werden die Männer im ganzen Land eingezogen, wenn nötig mit Gewalt. Nur Frauen und Kinder bleiben zurück. Dennoch sind die Bergwerke und Schmieden in Betrieb und die Felder der Plantagen bestellt. Der Sklavenhandel nimmt immer größere Ausmaße an, doch die Organisation bleibt weiterhin undurchsichtig. Dieser Sache muss nachgegangen werden. Außerdem gibt es überraschende Gerüchte über eine Widerstandsbewegung der Bürger an der Küste. Hierfür haben wir keine stichhaltigen Beweise, aber wir konnten beobachten, dass der Herzog Zenons erhebliche Schwierigkeiten hat, seine Pläne in die Tat umzusetzen und die Stadt von Gesindel zu säubern. Ich muss sagen es interessiert mich sehr, wer so dreist ist, sich dem Herzog nicht nur zu widersetzen, sondern ihm auch noch das Leben schwer zu machen. Je nach dem wie sie sich organisieren und welche Ziele sie verfolgen, könnten sie, wenn sie erfolgreich sind, wichtige Verbündete sein. Zumal Zenon ein strategisch wertvoller Ort ist. Auf alle Fälle ist es eine interessante Informationsquelle.
An dieser Stelle bitte ich um Freiwillige, die sich die Sache einmal genauer ansehen und wenn möglich auch ein Auge auf die einlaufenden Schiffe werfen."
Aric erhob sich.
„Ich übernehme diese Aufgabe. Ich war schon einige Wochen dort und habe hilfreiche Verbindungen."
„Ich werde dich begleiten", erklärte Gorjak und links von ihnen erhob sich Meister Sogo und stimmte ebenfalls zu.
Der Meister nickte zufrieden.
„Sehr gut. Aric, was ist mit Eurer Schülerin? Wird sie Euch begleiten?"
„Ja, ich werde sie mitnehmen."
„Informiert sie so weit wie nötig über das Geschehen und kommt nachher noch in meinem Büro vorbei, damit wir die Einzelheiten besprechen können."
Aric stimmte zu und setzte sich wieder. Gorjak setzte sich neben ihn und sah ihn entgeistert an.
„Du hast vergessen zu erwähnen, dass du eine Schülerin hast!", flüsterte er aufgeregt. „Wann ist das denn passiert? Hast du all deine Prinzipien über den Haufen geworfen? Du bist doch sonst nicht so gesellig!", zog er ihn leise auf und boxte ihm neckend den Ellbogenin die Seite. Aric blieb ihm eine Antwort schuldig, denn der Meister hatte wieder das Wort ergriffen. Er schenkte seinem Freund ein verschwörerisches Grinsen und konzentrierte sich wieder auf das Geschehen am Podium.
„Desweiteren habe ich beunruhigende Nachrichten von einem unserer verbündeten Magier erhalten. Ich habe ihn gebeten Euch die Sache selbst darzulegen, da ich hoffe er vermag euch das Problem besser zu schildern", fuhr der Meister fort und winkte einem Mann zu, der vorn am Podium gesessen hatte und sich nun erhob. Aric glaubte ihn schon einmal gesehen zu haben, aber er war sich nicht sicher. Der Mann wirkte unscheinbar. Er war einen ganzen Kopf kleiner als der Hohe Meister und trug einfache Reisekleidung. Er hatte die scheinbar unerschütterliche Ausstrahlung eines Mannes mittleren Alters, der schon lange nicht mehr wirklich im mittleren Alter war. Aric kannte diese seltsame Mischung von junger körperlicher Stärke und alter Weisheit in Blick, Gestik und Ausdruck schon von Oliver. Dieser wirkte wie ein Mann Mitte vierzig, doch Aric wusste, dass Oliver seinen hundertsten Geburtstag schon lange hinter sich hatte. Es war eine Tatsache, die er oft vergaß, wenn er mit dem Magier sprach. Der Magier auf dem Podium räusperte sich und begann dann zu sprechen.
„Mein Name ist Kato und ich lebe östlich der Hauptstadt nicht weit von der Ebene, in der der König seine Armee sammelt. Seit wenigen Wochen gibt es in dieser Gegend starke magische Erschütterungen. Für diejenigen unter euch, die nicht viel über die magischen Bahnen dieser Welt wissen, hierzu eine kurze Erklärung: Magie ist nicht nur in den vier Elementen enthalten, über die Magier gebieten können. Sie umgibt und durchdringt alles Leben, jeden Menschen, jedes Tier, die ganze Natur, absolut alles. Sie ist wie ein steter Strom, wie das Blut, das durch eure Adern fließt, fließt Magie durch jedes Ding in und auf der Erde. Es ist ein steter Kreislauf. Wenn ein Magier in den Kreislauf eingreift, verändert sich das Gleichgewicht und der Strom passt sich an um es wieder herzustellen. Grundlegend zu verstehen ist dabei, dass Magie sich nicht vermehrt ober abnimmt. Es ist immer gleich viel davon auf dieser Welt verfügbar, sie verschiebt sich nur und dadurch entstehen Unregelmäßigkeiten, die einen Sturm oder ein Erdbeben verursachen können um nur einmal einige eindrückliche Beispiele zu nennen. Die Erschütterungen im Osten, von welchen ich hier sprechen will, lassen sich im weitesten Sinne mit einer solchen Gleichgewichtsverschiebung vergleichen, mit dem einen gravierenden Unterschied, dass der Magiestrom sie nicht wieder auszugleichen vermag. Die Magie verschwindet und hinterlässt Lücken, die völlig unnatürlich sind. Im Moment sind die Ausmaße noch überschaubar, aber wenn, was auch immer dafür verantwortlich ist, sich verstärkt, könnte das nicht nur Auswirkungen auf das Wetter haben, sondern auch alles Leben in diesem Land und auf der ganzen Welt gefährden. Ich habe bereits mit Magiern überall im Land Kontakt aufgenommen um sie auf das Kommende vorzubereiten, aber wir sind nur wenige und ich bin daher hier um euch zu lehren, solche Gleichgewichtsstörungen zu erkennen um mit Eurer Hilfe herauszufinden wo sie vermehrt auftreten. Wir müssen wissen, ob sich dieses Phänomen auf die östliche Ebene beschränkt oder ob es mehrere Zentren gibt und ob und wie schnell es sich ausbreitet."
Die Stille, die dieser Rede folgte war erdrückend und nur zaghaft meldeten sich die Ersten um Kato weitere Fragen zu stellen. Arics Gedanken dagegen wanderten zu Anna, seiner kleinen Krieger-Magierin und er fragte sich, ob sie diese Erschütterungen spürte. Er erinnerte sich an ihren Ritt nach Ronan, als sie ohne jeden erkennbaren Grund völlig in Panik verfallen war. Doch ihre Magie war ebenso ein Tabuthema wie ihre königliche Herkunft und Aric wappnete sich innerlich schon für das Gespräch, das hier nun trotz allem nicht mehr zu vermeiden war.
Im weiteren Verlauf des Abends wurde das Vorgehen in der Ebene festgelegt und eine Gruppe Freiwilliger aufgestellt, die sich nach Lonaar und Ibna begeben sollten um die dortigen Könige auf einen möglichen Angriff vorzubereiten. Die Debatten und Planungen zogen sich bis in den späten Abend hin und als Aric endlich die Halle verließ, fühlte er sich völlig erschöpft.
Gorjak trat neben ihn und grinste.
„Ein harter Schwertkampf ist nichts gegen ein langes Wortgefecht, nicht wahr?"
Aric stöhnte zustimmend und die beidenwandten sich zu Sogo um, der auf sie zukam.
„Ist deine Schülerin schon bereit für eine solche Unternehmung?", fragte dieser zweifelnd.
„Sie wird keine Schwierigkeiten machen. Sie ist dort auf der Straße aufgewachsen. Möglicherweise ist sie sogar eine große Hilfe."
Gorjaks Miene leuchtete interessiert auf, doch Aric kam seinem Ansturm von Fragen zuvor und richtete das Wort an Sogo.
„Wir sollten uns bald auf den Weg machen. Ohne Zwischenfälle brauchen wir ungefähr vier Tage bis Zenon."
„Wir brechen übermorgen bei Sonnenaufgang auf", bestätigte Sogo seinen Vorschlag und verabschiedete sich. Gorjak konnte nun nicht mehr an sich halten und Aric dachte, wenn er kein gestandener Krieger wäre, würde er wohl neben ihm auf und ab hüpfen, um sich endlich seine Aufmerksamkeit zu sichern. Seufzend ergab er sich in sein Schicksal und auf dem Weg zu den Quartieren erzählte er seinem Freund wie er Anna begegnet war und wie es dazu gekommen war, dass er sie nun zur Kriegerin ausbildete. Dass sie Taos Tochter war und zudem eine Magiern, verschwieg er ihm, obwohl er dringend das Bedürfnis hatte, sich darüber auszusprechen. Doch es war ein Geheimnis, das er selbst seinem besten Freund nicht erzählen konnte.
Vor Gorjaks Quartier verabschiedeten sich die Männer voneinander und Aric machte sich auf den Weg zu Anna um ihr vom baldigen Aufbruch zu berichten. Lächelnd stellte er sich vor, wie sie darauf reagieren würde. Zweifellos wird sie begeistert sein die Stadt und möglicherweise sogar Amon wieder zu sehen, dachte er.
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