17. Kapitel
„Anna, ich habe mit dem Hohen Meister gesprochen", begrüßte sie Aric am nächsten Morgen ernst. „Er wird dich prüfen. Wenn er dich für fähig und würdig hält, steht deiner Ausbildung nichts mehr im Wege."
„Wenn?"
„Ich kann dir nichts versprechen, aber ich glaube nicht, dass die Prüfung dir im Weg stehen wird. Vorher möchte ich dir noch einiges erklären. Da ich in Erwägung ziehe, dich persönlich auszubilden, wird der Meister dich danach fragen, wie du dazu stehst. Deine Antworten werden ihn in der Entscheidung beeinflussen, ob er mir die Erlaubnis gibt, oder nicht. Überlege dir also vorher, was du willst."
„Was würde es für mich bedeuten, wenn du mich ausbildest?"
„Ich bin dann dein Mentor und du meine Schülerin. Du bist mir bis zum Ende deiner Ausbildung zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Ich werde dich alles lehren, was du wissen musst. Von der Kampfkunst bis zu dem umfangreichen Wissen der Krieger über Politik und Geschichte. Wenn ich einen Auftrag erledigen muss, wirst du mich begleiten und aus der Erfahrung lernen."
„Was wäre, wenn ich nicht von dir ausgebildet werde?"
„Dann hast du bei verschiedenen Kriegern Unterricht, die sich ganz dem Lehren verschrieben haben. Du wirst häufig mit anderen Schülern in Klassen lernen und wohnst im Schülertrakt, wo du bis zum Ende deiner Ausbildung auch bleibst. Es ist zu gefährlich unerfahrene Krieger allein aus der Festung zu lassen, bevor sie nicht vollständig ausgebildet sind. Du bist deinen Lehrern, was den Unterricht angeht, ebenfalls zu Gehorsam verpflichtet, deine übrigen Entscheidungen können sie nicht beeinflussen. Allerdings musst du dich an die Regeln halten, die den Schülern gestellt sind."
Sie nickte ernst.
„Warum willst du mich unterrichten?"
Aric lächelte sie an.
„Ich habe meine Gründe. Einer davon ist, dass ich mir geschworen habe, dich zu beschützen. Als meine Schülerin habe ich dich immer um mich und kann dafür Sorge tragen, dass du nichts Verrücktes anstellst, das dich das Leben kostet."
„Bist du denn gar nicht böse, weil ich dir so viele Probleme gemacht habe?"
„Weshalb sollte ich böse sein? Du hast mich schließlich nicht gebeten, mich zu deinem Beschützer zu machen. Das ist auf meinem eigenen Mist gewachsen und ich wusste, was auf mich zukommen könnte."
„Danke, dass du das getan hast. Du hast mir schon zwei Mal das Leben gerettet."
„Ich nehme deinen Dank an. Ich hoffe nur, du machst nicht in diesem Tempo weiter, dich in Todesgefahr zubringen."
Anna lächelte verlegen.
„Ich werde mein Bestes dazu tun."
In der Mitte seines Büros wirkte der Hohe Meister noch einschüchternder als an ihrem Krankenbett. Doch er sah nicht gefährlich aus. Nur - Respekt einflößend.
Als Anna ihm in die Augen sah, erkannte sie die Erfahrung, die dieser Mann besaß und sie sah ein fröhliches Blitzen, während er sie aufmerksam musterte. Verlegen senkte sie den Kopf. Der Meister stellte ihr viele Fragen, über Krieger und ihre Geschichte, über Annas Leben und ihre Zeit in Zenon. Wie sie ihren Entschluss gefasst hatte und was ihre Beweggründe waren. Die meisten Fragen hatte sie schon einmal gehört und beantwortet. Es fiel ihr nicht schwer Antworten zu geben, die den Meister befriedigten, bis er wieder das Thema ihrer Herkunft anschnitt.
„Ich habe keine Eltern mehr, Herr."
„Nun, du hattest aber welche und du sagtest dein Vater war Taos. Was macht dich so sicher, dass das stimmt?"
„Warum glaubt Ihr, dass es nicht stimmt?", fragte sie trotzig zurück.
Der alte Mann seufzte.
„Weil Taos keine Frau hatte und auch keine Geliebte."
„Vielleicht hat er es Euch nur nicht erzählt."
„Ich frage dich noch einmal. Was macht dich so sicher?"
Wut stieg in Anna auf. Warum ließ er sie nicht zufrieden?
„Ich bin mir sicher, weil ich seine Tochter bin. Ich weiß wer meine Eltern waren, auch wenn ich kaum mehr als ihre Namen kenne. Was wollt ihr von mir hören? Ihr seid doch derjenige, der meinen Vater kannte. Ich weiß jetzt, wer er war, aber das ist auch schon alles. Ich hatte nie die Gelegenheit meine Eltern wirklich kennen zu lernen und ich werde diese Gelegenheit auch nie bekommen."
Trauer huschte über das alte Gesicht.
„Es tut mir leid. Es ist nicht gut, wenn man seine Wurzeln nicht kennt. Man kann leicht den Halt verlieren. Andererseits hast du die Chance, dein Leben ohne ihren Einfluss zu gestalten und Wege zu beschreiten, die dir sonst verwehrt wären."
Anna erwiderte nichts darauf und der alte Meister ließ das Thema fallen.
„Du hast dich für das Schwert entschieden?"
„Ja, Herr."
„Ein Kriegermeister hat darum gebeten, dich ausbilden zu dürfen. Das ist ein großes Privileg, doch du musst weise entscheiden, ob es das Richtige für dich ist."
Sie nickte.
„Was hältst du von Kriegermeister Aric?"
„Ich vertraue ihm", erwiderte Anna fest. Sie hatte lange überlegt, was sie auf diese Frage antworten sollte. Da sie hatte feststellen müssen, dass sie Aric eigentlich nicht kannte, blieb sie bei dem, worüber sie sich ganz sicher war.
Zu ihrer Überraschung schien diese Antwort dem Meister vollkommen zu genügen. Er wandte sich zur Tür und wechselte leise Worte mit der Wache davor. Dann kehrte er zu seinem Tisch zurück und sie schwiegen beide. Anna fragte sich, was das jetzt bedeutete. Was kam als nächstes? Da sie nicht wagte zu fragen, senkte sie den Blick und starrte nachdenklich auf ihre Hände.
Doch ihre Geduld wurde bald belohnt. Es klopfte kurz und Aric trat durch die Tür.
Anna beobachtete, wie er in einer schnellen, kunstvollen Bewegung sein Schwert präsentierte und sich verneigte. Auch der Meister verneigte sich. Dann erhob er sich, sah erst Anna an und sagte dann ernst zu Aric:
„Kriegermeister Aric. Ich ernenne euch hiermit zum Mentor der Schülerin Anna. Nehmt ihr an?"
„Ich nehme an, Meister."
„Ihr tragt von nun an die Verantwortung für dieses Mädchen. Seid euch dessen immer bewusst, bei allem was ihr tut."
Aric verneigte sich.
Der Meister wandte sich nun an Anna.
„Schülerin Anna. Du bist deinem Mentor zu absolutem Gehorsam verpflichtet. Schwöre ihm deine Treue und dein Gehorsam für die Zeit deiner Ausbildung."
Anna schlug das Herz bis zum Hals. Es war so weit. Jetzt wurde es endgültig. Sie war sich der Blicke der beiden Männer bewusst, die auf ihr ruhten. Langsam ging sie zu Aric, verneigte sich und sprach mit fester Stimme:
„Ich schwöre Euch, Meister Aric, bedingungslose Treue und Gehorsam während der ganzen Zeit meiner Ausbildung."
Als sie sich wieder aufrichtete und ihn ansah, lächelte er stolz.
„Ich nehme deinen Schwur an."
„Wunderbar!", warf der Meister fröhlich ein.
„Nun, du besitzt ja bereits eineeigene Waffe", erklärte er dann und während Anna noch zu einer Antwort ansetzte, trat Aric vor und überreichte dem Meister ihr Schwert. Die alte runzlige Hand schloss sich fest um den harten Griff und als Anna aufblickte, sah sie gerade noch wie die Augen des alten Meisters nachdenklich von ihr abließen und sein Blick sich wieder auf das Schwert senkte.
„Das ist ein gutes Schwert, Kriegerschülerin Anna."
„Danke", erwiderte sie stolz.
„Gebrauche es weise", sagte er und überreichte ihr die Waffe ohne noch einmal aufzublicken. Dann nickte er Aric zum Gruß und wandte sich seiner Arbeit auf dem Schreibtisch zu.
Aric verneigte sich noch einmal und Anna tat es ihm nach. Dann folgte sie ihm aus dem Zimmer.
Eine Welle der Erleichterung überkam sie. Sie hatte es geschafft. Jetzt war sie eine Kriegerin. Zumindest eine Schülerin. Sie nahm sich vor, sich mit aller Energie, die sie hatte, in die Ausbildung zu stürzen und sich niemals zu beklagen. Sie würde beweisen, dass sie die Ehre verdiente, die ihr zuteil wurde.
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