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Mit einem Vibrieren rutschte das Prepaid Handy mit der mausgrauen Hülle, auf der grüne Plastiksteinchen klebten, vom Beifahrersitz des mattschwarzen Dodge Chargers, hinter dessen Steuer er saß. Seufzend trat er auf die Bremse, um über den Schaltknüppel hinweg im Fußraum nach dem Telefon zu tasten, auf dem er soeben seinen neuen Auftrag erhalten hatte.
Hinter Paolo hupte es energisch, wütende Rufe drangen durch das heruntergefahrene Fenster an sein Ohr. Resigniert duckte er sich möglichst tief und hoffte inständig, die Schmach würde so schnell vorüber gehen, wie sie gekommen war.
Endlich bekam er das Handy zu fassen und richtete sich ächzend wieder auf. Er warf es hastig in den Getränkehalter, bevor seine Finger sich erneut in das fellumzogene Lenkrad klammerten und er den Fuß von der Bremse auf das Gaspedal bewegte.
In diesem Moment ertönte hinter ihm der kurze, aber heftige Ausstoß einer Polizeisirene, gefolgt von einer winkenden Hand, die ihm bedeutete, in die nächstbeste Seitenstraße abzubiegen. Paolo seufzte.
Es würde wieder ein längerer Tag werden. Und dafür war er definitiv nicht gemacht. Mit zitternden Knien brachte er das Fahrzeug zum stehen und überprüfte fahrig, ob er auch wirklich angeschnallt war.
Ein Streifenbeamter des NYPD trat an sein geöffnetes Fenster. "Führerschein, bitte", verlangte er und klang dabei selbst so überzeugend, wie Paolo sich fühlte.
So langte er in das Handschuhfach, wo er die zerknitterten Fahrzeugpapiere aus einer Klarsichthülle fummelte. Das Papier wollte sich nicht so recht aus seiner Umgebung lösen und bewirkte, dass Paolos Herz um einiges schneller schlug.
Wenige Sekunden vergingen und er konnte dem jungen Polizisten seine Unterlagen durch das Fenster reichen. Der rückte seine etwas zu große Mütze auf seinen unordentlichen, braunen Haaren, die Paolo an die Boyband-Poster im Jugendzimmer seiner älteren Schwester erinnerten, zurecht und fuhr sich über das Kinn.
"Sie wissen hoffentlich, dass Sie den Verkehr massiv eingeschränkt haben?"
Paolo nickte, während er hinter vorgehaltener Hand auf seiner Unterlippe herumkaute, bis er Blut schmeckte. "Tut mir Leid, das Telefon hat geklingelt, da hab ich mich erschreckt", murmelte er zerknirscht, ohne den Polizisten anzusehen.
"Naja, also die Strafe müssten Sie schon zahlen", drängte der Mann und sah sich unsicher um. Ein plötzlicher Blitz, der lautlos über den Himmel zuckte, lenkte ihn ab. Erschrocken fuhr er zusammen und krallte seine Finger in Paolos Autotür.
Auch er hatte sich ängstlich geduckt, als die Wolken aufleuchteten. Paolo dachte an das Snipergewehr, das unter einer Decke auf dem Rücksitz lag und schluckte.
"Keine Angst, nur ein harmloser Blitz", stammelte der Polizist, wirkte aber kaum von sich selbst überzeugt. "Also dann, hier ist ihr Ticket, ich hab auch nicht ewig Zeit, hier rumzustehen." Der Verkehr rauschte hinter ihnen über den Broadway, Menschenmassen drängelten sich unberührt von dem plötzlichen Wetterumschlag über den Asphalt.
"Danke", nuschelte Paolo, war der Polizist doch bereits wieder in sein Auto gestiegen und konnte ihn nicht hören. Er warf einen kurzen Blick auf die Nachricht, die er in dem ganzen Trubel vergessen hatte.
Citigroup Global Markets
Jason Francis Jr.
Schwarzer Anzug, Blau karierte Krawatte (siehe Bild)
Fällig spätestens: Heute, 5 pm
Er warf das Telefon achtlos zurück in den Getränkehalter, wo es zwischen Krümeln und Staub aufprallte. Paolo musste bei Gelegenheit unbedingt den Handstaubsauger wiederfinden. Im Rückwärtsgang reihte er sich in die Schlange vor der Ampel hinter einem gelben Taxi ein.
Der Name in der Nachricht sagte ihm nichts. Paolo kannte kaum eine Person des öffentlichen Lebensende hätte auch ohne zu zögern den reichsten Menschen der Welt umgelegt, solange die Zahlung stimmte. Erst seine Auftraggeber klärten ihn nach getaner Arbeit über die Opfer auf.
Bei dem Starbucks an der Ecke bog er ab und nietete beinah einen Straßenhändler um, der ihm mit einer Handvoll strassbesetzter Gürtel zuwinkte. "So viel kann der billige Scheiß nicht wert sein", grummelte Paolo und ließ den Afroamerikaner mit den Rastalocken passieren.
Die Zeitanzeige des Wagens verriet ihm, dass er noch knapp eine Stunde Zeit hatte, seinen Auftrag zu erledigen. Danach würde er sich deprimiert in seiner Einzimmerwohnung am Rande des Industrieviertels verschanzen und auf den nächsten Morgen warten.
Die Sonne stand ungewöhnlich tief, schließlich war es Juli und schon fast dunkel, was nicht sein konnte. Paolo runzelte die Stirn, während er achtlos eine rote Ampel nach der nächsten überfuhr, bis er das glänzende Gebäude vor sich sah.
Den Wagen parkte er auf einem Baustellenvorplatz zwischen Rohren Dixiklos. Mühsam schachtelte er sich aus dem Fahrzeug und hielt einen Moment inne, um dem Rauschen des Hudson River zu lauschen, der in all seiner Pracht vor ihm lag.
Das trüb grünliche Wasser schlug in sanften Wellen gegen die Mauern der Parkanlagen, in gräulichem Schaum strudelten Dosen und Plastiktüten.
Paolo rümpfte die Nase und wandte sich dem Rücksitz zu, wo er die Decke zurückschlug und seine Waffe vorfand. "Na dann wollen wir mal, oder nicht?", murmelte er ihr zu und begann, sie auseinander zu schrauben, sodass sie in seine Sporttasche passte.
Das weiße Adidas Logo bestand im Wesentlichen nur noch aus rauen Krümeln des Aufdrucks, die Trägerschnallen hingen lose und nutzlos auf Höhe des klemmenden Reißverschlusses. Paolo hatte Mühe, sein Werkzeug hineinzustopfen.
Insgeheim verfluchte er sich, diesen Part der Arbeit nicht schon vorher geplant zu haben. Nun stand er in voller Öffentlichkeit und bastelte an einem Snipergewehr. Als er endlich fertig war, blieben ihm noch knapp zwanzig Minuten.
"Na Toll", fluchte er und schulterte die Sporttasche.
Seine Schuhe quietschten auf den glänzenden Fliesen der Eingangshalle. Die Drehtür, durch die ein lauer Wind drang, jedes Mal, dass ein gestresster Businessmann an ihm vorbei hastete.
Die Halle war gefüllt von Geräuschen. Paolo blieb etwa mittig stehen und hielt sich das rechte Ohr zu. Auf dem Linken war er ertaubt und so rauschte die betäubende, schlagartige Stille durch seinen Kopf.
Mit zusammengekniffenen Augen musterte er seine Umgebung, kein Detail auslassend. Am Ende der Eingangshalle stand ein marmorner Schalter, hinter dem ein blonde junge Frau mit Headset auf eine Tastatur einschlug. Sie würde kein Problem für ihn sein. Sie hatte nichts außer ihrer Arbeit im Kopf.
Hinter ihr öffneten und schlossen sich die Fahrstuhltüren. Der mittlere von dreien schien nicht zu funktionieren, zumindest drückten verschiedenste Anzugträger vergeblich den kleinen runden Knopf.
Im spiegelglatten Boden konnte Paolo die Menschen an sich vorbeigehen sehen. Taktlos, unrhythmisch, wie eine Horde ungebremster Tiere, bahnten sie sich ihre Wege, rempelten ihn unwirsch an, um ja nicht die Chance des Reichtums zu verpassen, die einem der Sitzungsräume irgendwo in diesem Gebäude auf sie wartete.
Er nahm die Hand von seinem Ohr und ging auf den Schalter zu. Paolo zitterte ein wenig, wie eigentlich immer, wenn es einen Auftrag zu erledigen galt. Er passierte den Schalter und trat dahinter in den Fahrstuhl ein, den er sich mit einer hochgewachsenen Frau im Kostüm teilen musste.
Der Geruch ihres Parfums zog in seine Nase und löste einen Niesreiz in ihm aus. Möglichst unauffällig drehte er sich zur Seite und sah sich selbst in die Augen, als seine Stirn gegen die verspiegelte Wand stieß. Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte die Frau ihn, bevor der Fahrstuhl halt machte und die Türen sich wieder öffneten.
Eilig stolperte er auf den Flur und sah sich um. Wie eine Galerie wanden sich die Flure um die Eingangshalle. Von diesem Stockwerk aus hatte Paolo einen guten Überblick. Ein Blick auf seine Uhr verriet ihm, dass noch etwa zwei Minuten Zeit blieben.
In diesem Moment entdeckte er sein Zielobjekt mit einem Stapel Akten auf dem Arm, die Jason Francis Jr. achtlos auf den Schalter warf.
"Er sieht recht harmlos aus", dachte Paolo, während er begann, sein Werkzeug zusammenzuschrauben.
Er warf einen letzten prüfenden Blick über die Schulter, doch der Flur war leer. Francis schien einen Witz gemacht zu haben, zumindest lachte die junge Sekretärin gestresst und bückte sich nach einer Schublade.
Francis Blick folgte ihrem Körper, der in einem engen Businesskostüm steckte, gefolgt von einem schmierigen Lächeln.
"Schwein", murmelte Paolo und schluckte. Es gab ihm jede Sicherheit, die ihm bis zu diesem Zeitpunkt gefehlt hatte.
Paolo drückte ab, so wie er es hunderte Male zuvor getan hatte.
Und wieder zog sich sein Magen zusammen.
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