Lisas Geheimnis
Etwa eine dreiviertel Stunde später saßen sie ein Stockwerk tiefer beisammen um den besprenkelten Caprese herum. Das an der Lampe gerinnende Blut bildete Tropfnasen, die an dunkles Kerzenwachs erinnerten. Die Polizei nahm ihre Personalien auf. Schuster war mit dem Notarztwagen auf dem Weg ins Krankenhaus. Seine Chancen standen schlecht. Herr Krause war wieder zu seiner Familie zurückgekehrt. Papa sah aus wie ein Metzger.
„Dass das Blut durch die Decke durch sickern konnte! Krass!", wunderte Klaas sich, den Blick nach oben gewandt, „Das ist doch nicht normal!"
„Ja, ja. Altbau halt. In der Nachkriegszeit haben sie die Häuser wieder mit dem zusammen gezimmert, was sie bekommen konnten. Vieles ist dann so provisorisch geblieben", erwiderte Papa.
„Ja, aber im Grunde muss da ja ein Loch in der Decke sein!"
Papa wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn und hinterließ eine rote Spur im Gesicht.
„Papa, nicht! Du hast da Blut dran!", rief Klaas.
Angewidert starrte er auf seine Kleidung.
„Was für eine Sauerei!"
Einen Moment lang sagte niemand etwas. Nur das Geräusch des Stifts auf dem Formular der Polizei war zu hören.
„Kann ich hier anfangen, sauber zu machen?"
Mama stand mit einem Putzeimer, Gummihandschuhen und einem Lappen in der Tür zum Esszimmer.
„Nein. Bitte warten sie noch. Ich möchte, dass sich die Spurensicherung das noch ansieht."
„Die Spurensicherung?"
Der Polizeibeamte antwortete darauf nicht. Mamas und Klaas Blicke trafen sich.
„Legt man uns etwas zur Last?"
„Nein. Nur Routine um ein Gewaltverbrechen auszuschließen. Aber so wie ich die Dinge sehe, ist die Sachlage hier eindeutig."
„Eindeutig?"
„Na ja. Sie waren zu fünft hier. Das sind 'ne ganze Menge Zeugen. Und dann ist da noch der Nachbar, der gesehen hat, dass die Stichverletzung schon bestand, bevor sie sich Zugang zur Wohnung verschafft haben. Dieser Part ist ein wenig schwierig, weil sie im Grunde eingebrochen sind. Aber das ... kriegen wir schon hin, denke ich. Wissen Sie, ob der Herr Schuster Angehörige hat?"
„Er hat einen Sohn", antwortete Mutter.
„Wissen Sie, wie man den erreichen kann?"
„Nein..."
„Doch. Ich hab' die Telefonnummer."
„Warum hast Du die Nummer vom Sohn vom Schuster?", fragte Papa.
„Ja. Warum hast Du die Nummer von dem?"
Das waren die ersten Worte, die Thomas sprach, seitdem der Notarzt mit Schuster losgefahren war. Lisa rollte die Augen.
„Weil er ein geiles Luder ist, das ich gerne mal so richtig – Du weißt schon."
„Lisa!"
„Nur Spaß, Papa. Nur Spaß."
Thomas runzelte die Stirn. Er ist also eifersüchtig, schoss es Klaas durch den Kopf.
Der Polizeibeamte hingegen blieb unberührt von dem Scherz. Er wirkte eher wie ein Typ mit amtlicher Scherzbefreiung.
„Könnten Sie mir bitte Namen und Telefonnummer diktieren?"
Lisa zögerte.
„Kann ich's selbst schreiben? Das ist einfacher."
„Ja, bitte."
Sie lief zu dem Polizisten an den Kopf des Esstisches und schrieb. Sie schrieb lange. Der Beamte las aufmerksam mit. Sie notierte offenbar etwas, das nur für ihn bestimmt war. Dann sah sie ihn an und nickte. Er erwiderte die Geste, schien zu verstehen, löste das Formular aus der Schreibkladde und legte es in seine Mappe. Klaas fand das ausgesprochen merkwürdig und fragte sich, was sie der Polizei mitzuteilen hatte und warum die anderen Anwesenden das nicht hören sollten.
„Ich geh' jetzt mal runter, eine rauchen. Kommst Du mit Klaas?"
Das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Zwar rauchte er nicht, aber sie hatten wahrlich ein paar Hühnchen miteinander zu rupfen.
„Ich komm auch mit."
„Schatz, ich muss jetzt mal mit meinem Bruder sprechen. Allein."
Konsterniert sah er Lisa an. Sein Gesicht wirkte fast so, als hätte sie ihn geschlagen. Sie ignorierte das und lief in den Flur. Klaas zuckte mit den Schultern und folgte ihr.
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