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Während Mariah im Büro bei Mrs Taylor gesessen hatte, hatte sie nicht wagen wollen, ihrer Freude bezüglich ihrer Annahme bei der berühmten Zeitung Ausdruck zu verleihen, doch nun, wo sie wieder im Flur stand, konnte sie sich nicht länger zurückhalten. Ein Quietschen entwisch ihrer Kehle und sie musste sich zusammenreißen nicht lauthals los zu schreien vor Glück.
Mochte ja sein, dass sie vielleicht ein wenig übertrieb, was dieses Praktikum anbelangte, doch sie war nunmal ein Mensch, der sich gerne an so Kleinigkeiten festhielt, denn diese waren es, die das Leben lebenswert machten; Auch wenn man es nicht wirklich als Kleinigkeit bezeichnen konnte, von Mrs Gabriela Taylor als Praktikantin angestellt zu werden. Daher freute sie sich noch um so mehr.
Würde Terry sie jetzt sehen, würde diese die Augenbrauen missbilligend zusammen ziehen; Doch nach kürzester Zeit würde sie selbst quietschend umherlaufen und jedem Fremden, dem sie über den Weg lief, von diesen fantastischen Neuigkeiten berichten. Mariah erinnerte sich nämlich noch gut daran, als sie Terry von ihrer Zulassung nach Yale erzählt hatte:
Sie hatten sich im New Yorker Einkaufszentrum getroffen, wo Mariah ihrer Freundin dann auch davon erzählt hatte, doch auf ihre Bitte hin, nicht loszuschreien, hatte sie keineswegs gehört. Stattdessen hatte Terry sich auf einen der hölzernen Bänke gestellt, welche verteilt im Einkaufszentrum standen, wenn man mal eine Pause, beziehungsweise eine Sitzgelegenheit brauchte, und hatte angefangen sich in der großen Halle Gehör zu verschaffen.
»Liebe Mitbürger und Ausländer, die mich vielleicht nicht verstehen werden - und wenn das der Fall sein sollte, sucht bitte schnellstens einen Sprachkurs für Englisch auf - ich habe etwas zu verkünden!«, hatte Terry mit ihrer spontanen Rede begonnen, die, wie Mariah es nannte, auf ihre ganz eigene Weise, die niemand verwenden würde, wenn er nicht geistlich krank wäre, gehalten wurde. »Meine liebe Freundin, Mariah Antonett Caramida Winters«, bei diesen ausgefallenen Zweitnamen wurde Mariah immer so rot im Gesicht wie eine Tomate, »hat so eben ein Stipendium für die Yale University in New Haven erhalten. Wenn ihr wie ich genauso stolz auf sie seid, dann, meine lieben Mitbürger, klatscht doch einmal laut in die Hände, um dies zum Ausdruck zu bringen. Klatscht, meine lieben Freunde! Klatscht!«
Mariah hatte sie von der Bank wieder zu sich hinunter gezogen, um sie schnell daran zu hindern, weiterzusprechen, doch die Menschen, die an diesem Tag im Einkaufszentrum gewesen waren, hatten ihr tatsächlich zugehört und angefangen für sie zu klatschen. Rot wie Mariah gewesen war, hatte sie Terry hastig in das nächste Geschäft mitgezogen, doch ihr Aufenthalt zwischen den vielen Läden hatte nicht geendet, ohne dass mindestens acht verschiedene Personnen auf sie zugekommem waren und ihr zu ihrem Stipendium gratuliert hatten.
Eine besondere Gabe, wie Terry es immer nannte.
Doch trotz dieser Verrücktheit, mit der ihre Freundin stets durchs Leben ging, liebte sie sie wie eine Schwester - obgleich der vielen Gegensätze, die zwischen ihnen herrschten. Doch ein Sprichwort besagte ja ›was sich liebte, das neckte sich‹.
Die beiden waren einfach ein super Team und ergänzten sich stets dort, wo es dem anderen fehlte. Sie waren wie magnetische Monopole - der Südpol und der Nordpol, die ständig von dem anderen angezogen wurden, weswegen es schwer war sie zu trennen.
Abermals entfuhr Mariah ein aufgewecktes Quietschen, weswegen sie sich schnell von Mrs Taylor's Bürotür wegbewegte. Riskieren, dass diese von ihrem Ausbruch an Glücksgefühlen Wind bekam, wollte sie lieber nicht. Sie bezweifelte nämlich, dass es ihr einen Vorteil bei der Redakteurin verschaffen würde.
Trotz allem musste sie anmerken, dass Mrs Taylor recht ruhig auf ihre Verspätung reagiert hatte.
Sie konnte es einfach nicht glauben! Sie würde tatsächlich drei Wochen lang als Praktikantin bei ›The Daily News‹ tätig sein. Ohnehin würde sie es vermutlich erst glauben, wenn sie am Montagmorgen erneut vor der Tür zu Mrs Taylor's Büro stehen würde.
Instinktiv fing sie an, sich jedes erdenkliche Szenario vorzustellen, sobald sie in weniger als drei Tagen wieder hier sein würde. Aber am meisten stellte sie sich die Frage, was wohl ihre Aufgaben sein würden.
Hoffentlich würde sie nicht nur dafür eingesetzt werden, um frischen Kaffee zu holen und kleine, unbedeutende Artikel zu überarbeiten, die später sowieso kein Mensch lesen würde - mit Ausnahme von älteren Damen vielleicht, die sonst nichts mehr in ihrem Leben zu tun hatten, als über ihre Mitmenschen zu lästern.
Das Schlimmste wäre allerdings, wenn sie sie einfach in eine Ecke verbannen würden, damit sie jeden Vorgang genaustens beobachte. Natürlich war sie hier um zu lernen, doch sie war auch kein Neuling - auch wenn die Schülerzeitung für ihre Kollegen vermutlich bloß ein Witz im Vergleich zu ›richtigem Journalismus‹ war.
Jedoch hatte man ihr nicht aus Spaß ein Stipendium an der Yale University angeboten, sondern weil sie offen für Neues war, diese schnell lernte und vor allem weil sie motiviert war. Ohne Motivation brachte es nämlich nichts, sich an einer Sache zu beteiligen; Noch dazu lief man Gefahr die Arbeit bloß halbherzig zu erledigen und dadurch konnte man Fehler machen.
Tief atmete sie einmal ein und wieder aus; Sie fing schon wieder damit an. Ihre Mutter hatte ja schon immer gesagt, dass sie versuchen sollte, solche Gedanken zu unterlassen. Doch man konnte seine eigenen Gedanken nicht kontrollieren - zumindest hatte sie es bereits mehrfach versucht, aber gelungen war es ihr noch nie.
Und wieso sollte sie überhaupt versuchen etwas daran zu ändern? Ja, vielleicht war es nicht so gut, dass sie sich immer sofort in Rage brachte, wenn sie über ein Thema nachdachte, respektiv sprach, das ihr sehr viel bedeutete, doch diese Eigenschaft war ein Teil von ihr und sich selbst zu ändern ... Nein, das war keine Option für sie! Ihre Mutter würde einfach damit leben müssen.
PING! Erschrocken zuckte Mariah zusammen und blickte sich erstmal orientierungslos um, dabei stellte sie fest, dass sie vor dem Fahrstuhl am anderen Ende des Ganges stand. Wie sie wohl so schnell hier gelandet war?
Ein Räuspern ertönte und riss sie erneut aus ihren Gedanken. Überrascht sah sie in die besagte Richtung und erblickte einen jungen Mann, der scheinbar in ihrem Alter zu sein schien, mit blonden Haaren und grauen Augen, die sie erwartungsvoll anblickten.
Erst nach einigen Sekunden realisierte sie, dass er mit einem Fuß auf der Schwelle zwischen Flur und Fahrstuhl stand und darauf wartete, dass sie zur Seite gehen würde, um ihn durchzulassen. Wie betäubt kam sie dieser stummen Aufforderung nach, dabei kam sie nicht umhin ihm noch eine Weile hinterherzusehen.
Verwirrt trat sie selbst in den Fahrstuhl und drückte auf die Null, um wieder in der Empfangshalle rauszukommen. Doch dass der Fahrstuhl ins Rollen kam, bemerkte Mariah gar nicht. Ihre Gedanken schwebten einzig und allein um ihre Begegnung. Wer war er? Und wieso war er ohne dieses Gerät zu bedienen ins Büro von Mrs Taylor gegangen?
Irgendwie fühlte sie sich in eins ihrer Romane versetzt, doch so wie die Protagonisten würde sie auch früher oder später dieses Rätsel noch lösen.
***
Gut in ihren Mantel eingehüllt spazierte Mariah durch die Straßen, bemüht die Kälte nicht zu sehr an sich rankommen zu lassen. Wieso hatte sie dann nicht ihr Auto oder die U-Bahn genommen, um zu ihrem Termin mit Mrs Taylor zu fahren? Nun die Antwort war eigentlich ganz simpel: die Adventszeit.
In dieser Zeit erstrahlte New York immer von seiner besten Seite. Lichter waren an den Fassaden der Hochhäuser angebracht, bestehend aus Sternen und Schneeflocken. Girlanden hingen an Bäumen und über den Straßen, und erhellten die Nacht mit einer heimischen Atmosphäre. Fast an jeder Ecke stand ein kleiner Weihnachtsbaum sowie kleine Statuen aus Christbaumkugeln und Engeln. Und das war noch bei weitem nicht alles.
Am Schönsten fand Mariah ja immer der Platz, wo eine große Eislaufbahn aufgebaut wurde. Als kleines Kind fand sie es dort schon immer am Faszinierendsten, auch wenn sie anfangs immer ständig auf den Hintern gefallen war, wenn sie sich zusammen mit ihrem Vater aufs Eis gewagt hatte. Doch das hatte keine Rolle gespielt; Nur der Spaß war wichtig gewesen.
Schon damals war die Weihnachtszeit ihre Liebste gewesen und im Laufe der Jahre hatte sich dies auch nicht geändert, viel eher verstärkt.
Immer wieder liefen Menschen an ihr vorbei, die hektisch das nächste Geschäft betraten, und genau das verstand Mariah nicht. Weihnachten war die Zeit der Besinnlichkeit und nicht der Hektik, doch über die Jahre hatte sich dies so entwickelt. Niemand nahm sich mehr Zeit, die wunderschöne Atmosphäre in sich aufzusaugen und sie einfach zu genießen.
Natürlich verstand sie, dass die Menschen rasch all ihre Geschäfte vor Jahresende erledigen wollten, doch fürs Geschenkeeinkaufen sollte man sich aus Prinzip Zeit nehmen und diese in Ruhe von der To-Do-Liste abhaken. Immerhin ging es darum jemandem eine Freude zu bereiten, doch diese Weise kam ihr eher so vor, als wäre es für diese Menschen bereits ein Muss geworden und sie hätten den wahren Sinn der Weihnacht vergessen.
Nach einiger Zeit - sie wusste nicht wie lange - war sie endlich bei ihrem Ziel angekommen. Froh, dass sie trotz allem nun der Kälte enfliehen konnte, betrat sie dann auch die Buchhandlung.
Wie immer begrüßte sie Mr McGregor, den Besitzer freundlich und begab sich zwischen die vielen Regale. Nach einer Weile während sie immer wieder eins der Bücher in die Hand genommen hatte, um es zu studieren, entschied sie sich schließlich für ›Der kleine Lord‹ von Frances Hodgson Burnett.
»Haben Sie dieses Buch nicht schon, Mariah?«, fragte Mr McGregor überrascht, als er den Barcode scannte.
»Ja, Sir, aber hierbei handelt es sich um eine Neuauflage«, erwiderte sie grinsend. »Und das Alte habe ich in meiner Wohnung liegen gelassen.«
Er lachte. »Ich frage mich manchmal wirklich, wie viele Bücher Sie eigentlich schon besitzen, wenn ich bedenke, dass Sie Stammkundin hier sind.«
»Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung.«
Schmunzelnd überreichte er ihr die Tüte mit dem Buch drin. »Und was haben Sie jetzt vor? Warte, lassen Sie mich raten, Sie werden das Buch jetzt lesen.«
»Ja, das hatte ich eigentlich vor, doch zuerst würde ich gerne meine aktuelle Lektüre zu Ende lesen. Ob ich das allerdings hinkriegen werde, ist eine andere Sache«, entgegnete sie leicht verlegen und nahm das neu gekaufte Buch an sich.
»Dann viel Spaß beim Lesen, Mariah«, wünschte er ihr noch, bevor sie sich lächelnd wieder nach draußen begab.
Doch weit kam sie nicht, denn als sie um die Ecke gehen wollte, entdeckte sie plötzlich aus dem Augenwinkel etwas, was das letzte Mal noch nicht da gewesen war.
Von Neugierde gepackt zog sie ihre Tasche näher an sich heran und überquerte zielstrebig die Straße, bevor sie die Tür langsam öffnete und hindurch trat.
›Das Café von gegenüber‹ ...
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Geschafft! Etwas spät, aber das dritte Kapitel ist nun fertig. Zum Glück beginnen gleich die Ferien für mich, weswegen ich mich mehr aufs Schreiben konzentrieren kann.
Was haltet ihr eigentlich von der Weihnachtsdeko in New York? Seit ihr auch so begeistert wie ich?
Und wie ist bis jetzt eure Meinung zu Terry? Findet ihr sie sympathisch oder einfach nur verrückt? Oder vielleicht beides?
Dann frage ich mich allerdings auch noch, was es mit diesem jungen Mann auf sich hat, dem Mariah über den Weg gelaufen ist. Was meint ihr denn?
Nachträglich wünsch ich euch noch einen schönen Nikolaustag!
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