Das Amore
Es regnete noch immer. Argwöhnisch blickte ich zum Himmel hinauf und öffnete meinen Schirm. Dieses Wetter mitten im August zog mich noch mehr herunter. Das war doch kein Sommer.
Ich schlenderte an all den großen Läden vorbei, bis ich das kleine schnuckelige Restaurant erreicht hatte.
Das Amore.
Nino war bereits in der Küche zugange. Seit drei Jahren war ich Teil des Amore. Ich stand zwar nicht in der Küche, dennoch machte es mir riesigen Spaß, unsere Gäste zu verwöhnen. Außerdem war dies das einzige noch kleine Restaurant, welches sich seit Jahren hier hielt. Die Qualität unserer Speisen war phänomenal.
Wir waren jeden Tag ausgebucht. Auch die Bezahlung war mehr als gut.
Bald schon könnte ich mir eine größere Wohnung leisten. Stellte sich nun noch die Frage, wofür?
Jetzt da ich wieder alleine war, war der Platz ausreichend.
Das Amore hatte nebenbei auch noch Kultstatus. Es war das letzte Restaurant in der vierundsechzigsten und das seit 1974 im Besitz von Nino's Familie. Um uns herum wuchs eine Shoppingmeile. Bekleidungsgeschäfte reihten sich aneinander, zwischendrin fand sich der ein oder andere Juwelier. Doch bei uns, fühlte man sich in der Zeit zurückversetzt. Nino pflegte die alte Einrichtung und Felicia, seine Frau, dekoriere etwas zeitgemäßes hinzu. Es war urig mit einem modernen Touch. Hier fühlte ich mich wohl.
„Ah, Topolina! Du bist schon hier. Das ist Buona. Du kannst Felicia helfen zu decken", begrüßte mich Nino, so wie er es immer tat. Er und Felicia nannten mich liebevoll Topolina. Was soviel wie Mäuschen bedeutete.
„Natürlich. Bin schon auf dem Weg", nickte ich und setzte mein schönstes Lächeln auf.
Die beiden waren wie eine Familie, die ich nie hatte. Was es natürlich erschwerte, mein befinden zu verstecken.
„Topolina! Fermare! Was ist los? Bist du malato?", stoppte Nino mich, ließ sein Messer auf das Schneidebrett fallen und kam zu mir.
„Nein ich bin nicht krank, es... Bobby hat mich verlassen", nuschelte ich mit erröteten Wangen.
„Oh, das tut mir sehr leid. Er ist pazzo, wenn er dich gehen lässt. Du findest und verdienst einen besseren Amante. Er hat dich nicht verdient", zog er mich in seine Umarmung und strich mir über den Rücken.
„Ich weiß Nino, es schmerzt. Aber die Zeit heilt ja bekanntlich Wunden. Ich helfe nun erst mal Felicia", flüsterte ich.
Nino gab mich frei, deutete einen sanften Kinnhaken an und zwinkerte mir zu. Ich wusste seine Gesten zu schätzen. Die beiden waren so nett zu mir. Einmal mehr war ich glücklich darüber, hier arbeiten zu dürfen.
„Ah gut Laureline, kannst du bitte die Tischdecken holen", rief Felicia mir entgegen, als sie mich sah.
Sie war gerade dabei, alle Tische feucht abzuwischen. Die beiden war sehr gründlich.
Ich nickte ihr zu und ging in Richtung der Toiletten. Dort war eine Tür, welche in ihre Wohnung nach oben führte. Bevor es die Treppen empor ging, stand man in einem kleinen Flur. Dort hatte Nino einen Schrank aufgestellt, indem sich die Tischdecken befanden. Joyce und Neil, die beiden anderen Servicekräfte durften dort nicht hinein. Mir jedoch vertrauten sie. Ich schnappte mir sechzehn Deckchen und lief zurück zu Felicia.
„Bambino, du gefällst mir heute nicht. Was ist los?", fragte sie mich, als ich ihr die Hälfte der Deckchen überreichte.
„Bobby, er hat mich verlassen", rang ich mit meinen Tränen und hielt in meiner Bewegung inne.
„Er war nicht gut genug für dich. Ich weiß, wir haben gut reden. Aber es wird ein besserer Kerl kommen, der dich auf Händen trägt Topolina. Trauere nicht der Vergangenheit nach, Blicke und die Zukunft", legte sie die Deckchen ab und schloß mich ebenfalls in ihre Arme.
„Und jetzt vergiss den bastardo, lass uns alles vorbereiten. Wir sind ausgebucht", lächelte sie, strich über meine Wange und widmete sich den Tischen.
Ich atmete einmal tief durch und tat es ihr gleich. In der Küche war Nino am Singen. Dies tat er immer, wenn er am kochen war. Der Duft von Kräutern und angebratenem Fleisch erfüllte die Luft. Es roch köstlich. Ich spülte derweil die Weingläser, als Neil war heute eingeteilt. Er war ganz in Ordnung. Manchmal etwas lustlos, aber er war auch noch jung. Ganze zwei Jahre war er jünger als ich. Neil war gerade siebzehn geworden. Er wollte sich einfach nur sein Taschengeld aufbessern. Deshalb arbeitete er meist nur zwei bis drei Stunden. Ich hatte immer eine volle Schicht. Ich kam früh und ging erst Nachhause, wenn Nino oder Felicia das Amore schloß. Heute war Neil jedoch gut drauf.
„Hey Laureline, welche Seite möchtest du heute?", stieß er mich sanft gegen die Schulter.
„Ach suche du dir eine aus Neil", lächelte ich ihm zu, während ich dabei war, die letzten Gläser auf den Tischen zu verteilen.
„Gut, dann nehme ich den Eingangsbereich", grinste er und band sich seine schwarze Schürze um.
Nickend sah ich mir noch einmal alle Tische an und war zufrieden mit unserer Arbeit. Es sah wie immer perfekt aus. Felicia verteilte die Kerzen auf den Tischen und ihre Augen funkelten. Es war ihr Lebenstraum. Dies sah man ihr auch an.
„In Ordnung Bambino's, wir können öffnen", verkündete sich feierlich und Neil ließ das Schild über der Tür erleuchten.
Es waren noch dreißig Minuten, bis zur ersten Reservierung.
„Topolina, kommst du mal eben", rief mir Nino aus der Küche zu.
Eilig lief ich zu ihm. Er stand lächelnd mit dem Löffel in der Hand da und wartete.
Dies war eines der vielen Kleinigkeiten, die ich hier so liebte. Das verköstigen der Speisen, welche Nino voller Leidenschaft herstellte.
Diese Minestrone schmeckte wie der Himmel auf Erden.
„Was meinst du? Fehlt etwas, oder ist sie bene così", fragte Nino mit gespannten Blick.
„Du hast dich mal wieder selbst übertroffen, sie ist molto bene", lächelte ich, während eine Geschmacksexplosion in meinem Mund wütete.
Nico nickte zufrieden. Dann begann der Ansturm. Alles lief jedoch ohne irgendwelche Probleme. Als Neil nach drei Stunden Nachhause ging, übernahm ich seine Tische. Dies war gut. Denn in jeder Minute, in jeder freien Sekunde in der ich nichts zu tun hatte, dachte ich an Bobby. Ein Gefühl von leere machte sich in mir breit. Dies zog sich über Wochen hinweg. Pauline half mir, meine Wohnung wieder Wohnbar zu gestalten. Immer wieder startete sie den Versuch, mich zum ausgehen zu motivieren. Doch ich wollte nicht. Ich flüchtete mich in meiner freien Zeit in die Welt der Bücher. Hin und wieder kam sie vorbei und brachte mal Jessy oder Oliver mit. Blieb dann für zwei Stunden und ließ mich wieder alleine.
Allmählich stumpfte der Schmerz ab. Bobby konnte mir gestohlen bleiben. Ich hatte ihn seit diesem Abend nicht wiedergesehen und ich wollte es auch nicht mehr. Als ich an diesem Tag auf dem Weg zum Amore war, geschah etwas eigenartiges. Eine alte Dame hatte an der Kreuzung zur dreiundsechzigsten einen kleinen Stand aufgebaut. Dies war eigentlich verboten, doch es schien niemanden zu stören. Als ich näher kam, erkannte ich das sie dort Bücher verkaufte. Genauer gesagt, lag noch genau ein Buch auf dem kleinen Tisch vor ihr. Mein Interesse war geweckt. Ihr faltiges Gesicht wies ein Lächeln auf.
„Komm ruhig näher Kindchen, ich habe das Gefühl, dass dieses Buch genau das richtige für dich ist", krächzte sie, blickte mir aber immer noch freundlich entgegen.
Lächelnd kam ich näher und sah mir den Einband an. Er war nicht sonderlich auffällig gestaltet. Eher schlicht, in einem schönen Blau gehalten. Der Buchtitel lautete, Das Buch der Wünsche. Ich nahm es auf und drehte es um. Der Klappentext bestand aus nur einem Satz.
Eine Geschichte, die du so garantiert noch nie gelesen hast. Fragend blickte ich zu ihr auf, vorauf sie nur bestätigend nickte.
Ich drehte es erneut und suchte nach d Autor dieses Buches, jedoch ohne Erfolg. Es war in Folie verpackt, weshalb ich es nicht öffnen konnte.
„Gute Frau, wer hat dieses Buch denn geschrieben? Und was macht sie so sicher, dass es für mich das richtige ist?", fragte ich sie neugierig.
Ihr Lächeln wurde breiter. Aber immer noch freundlich.
„Wer es geschrieben hat, weiß ich nicht. Das musst du schon selbst heraus finden Kindchen. Nur so eine Eingebung, du liest gerne?", nickte sie bestätigend.
Zugegeben, mein Interesse war nun mehr als geweckt. Wer schrieb ein Buch, ohne wirklichen Klappentext oder ohne seinen Namen? Das war grotesk.
„Was soll es den Kosten?", sah ich sie nun an, obwohl ich es egal zu welchem Preis, kaufen würde.
Ich war einfach zu neugierig. Außerdem hatte ich mir schon länger kein neues Buch mehr gekauft. Ich laß einige meiner Bücher bereits zum dritten Mal.
„Ich gebe es dir für siebzehn Dollar, nicht mehr und nicht weniger Kindchen", sah sie nun fest entschlossen drein.
Ich wusste umgehend das sie es genau so meinte, wie sie es sagte. Hinter mir blieb ein Mädchen stehen. Es schien in meinem Alter zu sein. Auch ihr Interesse war geweckt. Dies war der Moment in dem ich wusste, ich würde nicht zögern.
„Ich nehme es. Ich nehme das Buch der Wünsche", sagte ich in Windeseile und begann meine Geldbörse hervorzukramen.
Das Mädchen ließ geschlagen seine Schultern hängen und ging davon. Die alte Dame lächelte und nahm den zwanzig Dollar Schein entgegen.
„Du wirst diese Entscheidung nicht bereuen Kindchen, viel Spaß damit", lächelte sie und überreichte mir das Buch und die drei Dollar.
Unmittelbar danach faltete sie ihren Tisch zusammen und eilte davon. Ein wenig seltsam war das schon, doch ich dachte nicht weiter darüber nach. Ich packte das Buch in meine Tasche und machte mich auf den Weg ins Amore.
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