8 Verwirrtes & Zerstörtes
Beynon
„Du hast mir zu gehorchen", donnert die Stimme meines Vaters, gefolgt von einem Schlag, der Sterne in mein Sichtfeld jagt. „Du bist eine Schande. Du bist wertlos und abscheulich! Zu weich! Du hättest sterben sollen!" Erneut klatscht seine Hand in mein Gesicht. Würde ich nicht liegen, wäre ich spätestens jetzt auf den Boden gesackt.
Das Zucken, das durch den Schlag durch mich geht, lässt die Wunden an meinem Oberkörper aufreißen. Ich spüre, wie erneut Blut aus ihnen tritt. Die Schnitte sind tief, werden dicke Narben hinterlassen und mich ewig an den Tag erinnern, an dem ich das Blut meines Bruders an den Händen hatte. Hamish. Er war ein Kind. Unschuldig. Wie konnten sie ihn töten?
Mein Vater schnaubt, schüttelt den Kopf und tritt aus dem Raum, in dem bis gestern noch meine Schwester mit mir ruhte. Auch sie wird Narben tragen, doch sie ist am Leben.
Als eine weitere Person eintritt, hebe ich den Blick von dem Ort, an dem sie lag. Mein Herz macht einen Sprung, als ich meine Mutter erkenne. Sie ist es, die nach den Schlägen meines Vaters zu mir kommt, sich um die Wunden kümmert, mich mit einem Lied beruhigt und mich im Arm hält. Sie ist es, die mich vor einer guten Anzahl an weiteren Schlägen schützt. Sie ist das Gute, das meinem Vater fehlt. Der Grund, weshalb mein Geist noch nicht in die Finsternis gefallen ist. Sie schenkt mir Licht.
Mit jedem Schritt den sie näher tritt, erkenne ich, dass ihr das Leuchten in den Augen fehlt. Das Funkeln, das mir Leben schenkt, nachdem mein Vater es erlischt. Trauer beherrscht stattdessen ihren Blick und ... Wut. Wut wie die meines Vaters.
„Mutter?", winsele ich wie ein kleines Kind. Sie reagiert nicht, bleibt vor meinem Bett stehen und betrachtet die Hand, die ich nach ihr ausstrecke, kalt. „Mutter?", wispere ich, als mir die Erkenntnis kommt, was in ihrem Blick fehlt. Liebe. „Ich wollte ihn nur auf den Rummel nehmen. Er hat es sich so sehr gewünscht. Ich wollte ihm nur Freude machen. Ich ..."
Das Bild von Hamish taucht vor mir auf. Mein kleiner Bruder, der vor Freude übersprudelte, als ich von meinem geheimen Ausflug erzählte. Unsere Eltern hatten es verboten, weshalb ich einen Plan schmiedete, es ohne ihr Wissen zu tun. Doch ich habe nicht an Palastwachen gedacht. Wieso sollte auch ein 12-Jähriger davon ausgehen, bei einem Ausflug zum Rummel angegriffen zu werden? Zudem hätte es die Aufmerksamkeit unserer Eltern geweckt.
„Ich wäre nicht gegangen, hätte ich geahnt, dass —"
„Hätte Leander uns nicht erzählt, was du getan hast, wäre auch deine Schwester tot!", unterbricht sie mich barsch. Kein Mitleid, nur Hass, in ihrer Stimme.
Aber etwas anderes irritierte mich. Leander, er wusste nicht, wohin wir gingen. Ich hatte ihm nichts gesagt. Ich wusste, er würde zu Vater rennen und es unterbinden. Seit Jahren buhlt er nach der Aufmerksamkeit unseres Vaters — nein, des Königs. Ich habe gesehen, wie er die Krone und den Thron begehrte. Obwohl er ihn nie erreichen kann — nicht so lange ein legitimer Sohn ... ich ... am Leben bin.
Meine Gedanken werden von den Worten meiner Mutter durchbrochen, die tiefer schneiden als die meines Vaters.
„Du hast Hamish getötet. Sein Blut klebt an dir. Dein Vater hatte recht, du bist eine Schande für diese Königreich. Du solltest es sein, der verblutet ist!" Und dann zerbrach es. Mein fragiles Herz aus Glas, das sie immer wieder hatte zusammengeflickt. Es war ein Scherbenhaufen ohne Hoffnung auf Vollkommenheit. „Du bist nicht länger mein Sohn, Beynon."
Keuchend schrecke ich aus dem Albtraum, der mich zu oft heimsucht. Schweiß läuft meine Stirn herab, während meine Lungen brennen. Seichtes Mondlicht scheint durch die Fenster und legt den Raum in einen Tanz aus Silber und Schatten.
Ich habe mich oft gefragt, was mein Vater zu einem Monster gemacht hat. Welches Böse ihn geschaffen hat, werde ich nie erfahren. Aber ich weiß, wer es meiner Mutter angetan hat. Ein zwölfjähriger Junge, der ihr ihren Sohn nahm. Und mein Vater bekam das Monster, das er aus mir machte — das Monster, das ich nicht mehr sein will. Aber wie bekämpft man etwas, das tief in einen gepflanzt und genährt wurde?
Noch immer aufgewühlt, wie beinah jede Nacht, tigere ich ins Badezimmer und spritze kaltes Wasser in mein Gesicht. Wasche den Schweiß und damit die Erinnerung von mir. Still starre ich in die Augen meines Spiegelbildes und versuche den kleinen Jungen zu erkennen, der geliebt wurde. Das Kind vor dem Monster.
„Kann ein Monster geliebt werden?", flüstere ich die Frage meinem Spiegelbild zu.
Kein Monster, sondern ... ein Kämpfer, der sich noch für eine Seite entscheiden muss, nachdem er in der Dunkelheit aufgewachsen ist. Ein Lächeln zuckt auf meinen Lippen. Dahlias zuckersüßes Lächeln, das hinter einem Strauß Blumen zu mir funkelt, erscheint in meinen Gedanken. Vielleicht bekomme ich eine zweite Chance. Vielleicht habe auch ich ein Anrecht auf Liebe? Aber dieses Mal mache ich es richtig.
Mit widersprüchlichen und kreisenden Gedanken schlüpfe ich aus meinem Zimmer. Verloren irre ich über die Gänge, die mir so vertraut sind.
Eisiger Wind streicht über meine nackte Brust. Gänsehaut zieht sich über die Haut, die ich nicht beachte. Ich trete auf einen Balkon, der den Garten übersieht. Das Heulen einer Eule und das Plätschern von Wasser sind das einzige, das die Stille füllt ... bis
... Stimmen. Leises Geflüster.
Ich erkenne die weibliche Stimme sofort und mein Herz macht einen merkwürdigen Hüpfer. Dahlia. Mit einem Lächeln trete ich zur Treppe, die von Schatten beherrscht wird und mich verhüllt.
„Vater, lasst mir Zeit. Er —" Ein Flehen, das mich fröstelt, liegt in ihrer Stimme. Ich höre die Tränen, die sie bekämpft. Und mein Herz versteinert, denn der Gedanke, dass ihr jemand wehtut, weckt Wut. Wut, die meine Hände in Fäuste zwingt, — die ich bekämpfe. Ich will nicht von der Zorn und Hass beherrscht und diktiert werden, aber sie sind es die mich großgezogen hat. Ist es dann nicht meine Natur, die ich bekämpfe? Kann ich einen solchen Kampf gewinnen?
Der Duft von Blumen wird stärker und Dahlias Bild taucht erneut vor mir auf. Meine Finger lockern sich. Endlich kann ich sie aus der Faust befreien.
„Du solltest ihm nicht so nah kommen. Er verdreht deinen naiven Geist!" Es ist eine Stimme, die mir sofort bekannt vorkommt. Aber ich kann sie nicht zuordnen. „Meine Entscheidung steht fest! Und jetzt suche mich nicht mehr auf!", zischt eine tiefe Männerstimme. Ich erhasche einen kurzen Blick auf das Gesicht des Mannes, der zurück in den Palast eilt. Ein Gesicht, das im Gegensatz zu der Stimme, sofort wiedererkenne.
Meine Welt bleibt stehen.
Die Freude, die ich gerade noch verspürt habe, verpufft und eine Leere fegt durch mein Herz. Die Kälte auf meiner Haut gräbt sich tief in mich hinein und lässt meinen Geist erstarren. Obwohl der Mond nur schwach leuchtet, kenne ich das Gesicht des Mannes als sei es mitten am Tag. Ich habe es zu oft in meinen Albträumen gesehen. Die Wunde an meiner Seite, die inzwischen Narben sind, beginnt zu brennen, als würde mein Fleisch aufs Neue aufgeschnitten werden.
„König Beynon?" Ich werde aus meinem Kopf gerissen und sehe in die Gold gesprenkelten Augen, die mein Herz noch immer aus seinem Takt bringen. Selbst die Kälte kann sie verjagen. „Was macht Ihr hier?" Angst schwebt in ihrer Stimme, wie noch nie zuvor in meiner Gegenwart, und ein Knoten legt sich in meinen Magen.
Und was macht das aus der Tochter des grausamen Mannes?
Eine Kämpferin, die sich noch für eine Seite entscheiden muss, nachdem sie in der Dunkelheit aufgewachsen ist. — Stimmt das? Muss auch sie sich noch entscheiden? Ich schüttele die Kälte ab und strecke mich nach der Wärme, die in ihren Augen liegt.
„Dasselbe könnte ich Euch fragen, Milady. Ihr solltet nachts nicht allein herumstreifen. Es ist gefährlich." Meine Stimme klingt wie sonst und leicht neckend. Nichts von dem inneren Wirbelsturm und den Fragen ist darin zu hören. Ein König beherrscht sein Inneres und trägt es nicht nach außen, flüstert der Wind die Worte meines Vaters. Ich bin der Sohn meines Vaters, aber muss ich das Monster seiner Wut sein?
„Ich war nicht allein", rutscht es aus Dahlia und sie sieht erschrocken zu mir auf. „Ihr seid doch hier", rettet sie ihre Aussage und erforscht mein Gesicht, ob ich ihre Täuschung glaube. „Es ist wunderschön, das Funkeln in deinen Augen zu sehen. Auch wenn es nicht mir bestimmt ist", meine Worte, die aus einem anderen Leben zu stammen scheinen, lösen die harte meines Vaters im Wind ab. Aber das Funkeln, das ich von Dahlia kenne, gilt mir.
„Ihr habt recht." Ich trete näher und streiche eine Locke, die der Wind vor ihre Augen weht — in denen ich es sehe, dieses Funkeln, nach dem ich mich sehne — hinter ihr Ohr. Ihr Blick senkt sich aus meinem. Sehnsucht lässt mein versteinertes Herz erneut schlagen. Wärme schleicht sich von meinen Fingerspitzen, meinen Arm entlang und zu meiner Brust, wo die Offenbarung noch immer meinen Geist umklammert. Was hat es zu bedeuten, dass der Mann, der die Menschen anführte, die unseren Kutsche überfallen und meinen Bruder getötet haben, hier im Palast ist?
„Wer hat Euch das angetan?" Eine zarte Berührung auf meiner nackten Brust vertreibt die Gedanken. Vorsichtig fährt Dahlia über die dicken Narben, die sich hässlich und abscheulich über meine Haut ziehen. Narben von Wunden, die ihr Vater mir ins Fleisch geschnitten hat. Sie ist nicht ihr Vater! Wir sind nicht die Kreaturen der Monster, die uns in die Dunkelheit stoßen, mahne ich mich selbst und klammere mich an die Hoffnung, dass die Worte wahr sind. Sie müssen wahr sein, sonst verliere ich nicht nur mich selbst, aber auch die junge Frau, die dabei ist mein Herz zu rauben.
„Das war ich selbst", antworte ich und schließe die Augen, um ihre Berührung für immer ins Gedächtnis zu brennen. Dabei wird mir bewusst, dass ihr Verrat — wie auch immer er aussehen mag — kein so großes Gewicht hält, wie die Angst als sie mich entdeckte.
„Ihr selbst?" Überraschung nimmt die Angst aus ihrer Stimme und ich atme freier.
Sie löst die Hand von mir. Kälte streichelt die Stelle, die eben noch sehnsüchtig brannte. Ich schlage die Lieder auf. Ihre Augen studieren mein Gesicht. Sie funkeln, als wüsste sie, was ihre Berührung mit mir macht. Als genieße meine Berührung; meine Finger, die noch immer hinter ihrem Ohr verweilen. Du wirst jemanden finden, der dich liebt. Eines Tages, da bin ich sicher. Aber bis dahin denk daran, dass du der erste sein musst, der dich liebt. Abschiedsworte einer jungen Frau, die mir half, den ersten Schritt aus der Dunkelheit zu gehen.
Mein Herz wird schwer und meine Augen brennen. Doch der Schmerz nimmt ab, als ich Dahlia erneut vor mir wahrnehme.
„Eine Entscheidung, die ich getroffen habe. Die Entscheidung eines unwissenden Kindes, gefolgt von unglücklichen Ereignissen", murmele ich und lasse meine Finger in ihr Haar gleiten. Weich wie Seide. Egal was sie plant, es spielt in diesem Moment keine Rolle, denn ich halte etwas in Händen, was ich nie glaubte je wieder zu spüren.
„Was ist das ...?"
... Zwischen uns. Sie muss die Frage nicht beenden, damit ich es verstehe.
Sie schluckt und sieht mir fest in die Augen. Ich spüre unter meinen Fingerspitzen, wie stark ihr Herz schlägt und sehe ihre Nervosität. Ihre Finger legen sich erneut auf meine Haut und ich weiß, dass auch sie meinen Herzschlag spüren kann.
„Die Entscheidung eines unwissenden Königs, der sich gegen die Dunkelheit entscheidet", wispere ich Zentimeter vor ihren Lippen. Ich warte, überbrücke nicht die letzte Distanz, um ihr zu erlauben zurückzuweichen. Denn so schmerzhaft und grauenvoll die Vergangenheit sein mag, es gibt immer etwas, das man aus ihr lernt. So auch der Liebe freie Wahl zu lassen, Zeit zu geben und nicht zu fesseln.
„Ihr kennt mich nicht", wispert Dahlia und weicht zurück.
„Und Ihr vertraut mir nicht." Es ist kein Vorwurf in meiner Stimme. Sie bleibt sanft wie die Worte zuvor. „Trotzdem habe ich durch Euch erkannt, dass ich nicht das Monster sein muss, das mein Vater erschuf." Meine Hand ist noch immer in ihrem Haar vergraben und ihre Ruhe über meinem Herz.
„Und was ist, wenn ich das meines bin?" Traurigkeit schwingt in ihrer Stimme und ihre Hände lösen sich von mir. Meine Hand gleitet aus ihrem Haar, während sie langsame Schritte nach hinten nimmt.
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