12 Verbliebenes & Neue
Beynon
„Was ist das Wertvollste, das Ihr je gestohlen habt?", fragt Dahlia mit zitternder Stimme. Ich kenne den Blick mit dem sie mich ansieht. Es ist nicht das erste Mal, dass er sie verrät. Ich kenne ihn nur zu gut ... nicht nur von ihr. Der Griff um meinen Dolch wird enger aus Angst, er könnte mir entgleiten, nicht weil ich plane sie zu töten. Aber ... um ihr Zeit zu geben, sich zu entscheiden.
„Ein Leben", antworte ich nach einigen Herzschlägen der Stille. Die Erinnerung daran schmerzt, sie zu offenbaren, schmerzt noch mehr. Vor allem vor ihr. Denn ich fürchte, dass sie danach keinen Kämpfer mehr sieht, sondern das Monster. Die Angst, das Funkeln ihrer Augen zu verlieren, zerreißt mich innerlich.
Ihr Atem stockt, als sie die Klinge in meiner Hand sieht, die so stark zittert, dass man mir den Zwiespalt ansieht. Langsam hebe ich die Spitze zu ihrem Brustbein. Ich könnte es beenden — hier und jetzt. Aber was macht das aus mir?
Ich schließe die Lider, sehe das viele Blut vor mir, die Schreie meiner Geschwister und Hamish starre Augen. Ich war daran schuld, dass er sein Leben verlor.
„Ich habe ein Leben gestohlen und damit die Liebe aus meinem Leben", füge ich hinzu und schlage die Lider auf.
Tränen brennen in Dahlias Augen und ihre Atmung zittert wie meine Hände.
„Das Eures Vaters?" Ihre Schultern verspannen sich, während ihr Brustkorb bei jedem Atemzug gegen meinen Dolch gedrückt wird. Aber es flackert keine Angst in ihren Augen.
„Sein Leben wurde von den Dämonen geholt, die er nährte. Ich trage keine Schuld daran." Etwas wie Erleichterung huscht über ihr Gesicht.
„Prinz Leander?" Ich schüttele den Kopf. Mein Bruder ist fort, aber nicht tot. „Eure Ehefrau?" Ein Stich in meinem Herz lässt mich zucken und sie weitet ihre Augen. Aber ich schüttele den Kopf und sie nimmt erneut einen Atemzug. „Wessen Leben habt Ihr dann gestohlen?" Ihre Stimme zittert.
„Ein Unschuldiges. Das meines Bruders Hamish." Warme Tränen rollen über meine Wange. Erneut schließe ich die Augen, um das Bild meines toten Bruders zu verdrängen, um den Blick meiner Mutter zu vergessen. Um die Liebe — die an dem Tag endete, als sein Herz aufhörte zu schlagen — zu betrauern.
Eine warme Berührung lässt mich, die Augen öffnen. Mit dem Daumen streicht Dahlia die Spuren eines gebrochenen Geist beiseite. Ich finde etwas in den Augen, das mir Hoffnung gibt.
„Aber Ihr wart es nicht, der sein Leben nahm." Sie kennt die Geschichte, aber aus der anderen Sicht.
„Ich hätte ebenso die Klinge führen können, wie Euer Vater." Ihre Bewegung stockt und ihre Brauen huschen nach oben. „Ich habe ihn zuerst nicht erkannt. Der Mann, der uns damals angriff, war ein Barbar, getrieben von Trauer. Und ich war ein Kind. Der Mann, der im Palast umhergeht, ist gepflegt, bedacht und weiß seinen Zorn zu verhüllen." Sie zieht ihre Hand von mir und es fühlt sich an, als entziehe sie mir die innere Wärme.
„Ihr wisst es und trotzdem atme ich?" Mein Messer ruht noch immer über ihrem Herzen und dessen scheint sie sich erneut bewusst zu werden. „Ich bin die Tochter eines grausamen Mannes, was macht das aus mir?", stellt sie eine ähnliche Frage, wie ich bei unserer ersten Begegnung.
„Kein Monster."
Es wird still, lediglich unsere abgehackten Atemzüge füllen den Schatten, der uns zu verschlingen droht. Die untergehende Sonne taucht den Saal blutrot und schimmert wie ein Rubin in ihrem Haar. Die goldenen Sprenkel in ihren Augen ziehen mich in ihren Bann.
Ich bemerke erst, wie nah ich mich zu ihr beuge, als ihr Atem meine Haut streift. Warm. Verführerisch. Mein Blick huscht auf das zarte Rosa ihrer Lippen und nicht das erste Mal erwische ich mich bei dem Gedanken, sie küssen zu wollen. Aber ich habe mir geschworen, besser zu sein als zu vor. Ich würde mich niemandem mehr aufzwingen, auch wenn es mich alles kostet.
Als ich meinen Blick erneut in Dahlias hebe, erhasche ich sie bei einem ähnlichen Blick.
„Milady Dahlia sagt mir, was ist das wertvollste, das ihr jemals gestohlen habt?" Ihr Blick ist weicher als zuvor, zärtlicher und ich glaube, ein gleiches Verlangen wie meines zu sehen.
Wir sind beide die Kinder von gebrochenen Männern, die uns für ihren Hass missbrauchten. Jeder auf seine Art. Während meine Narben auf der Haut hinterließ, spielte ihrer mit ihrer Psyche. Wir sind die Kinder von Monstern und wir haben ein Recht auf eine Entscheidung gegen die Dunkelheit ... auf Liebe.
Dahlia nimmt einen zitternden Atemzug. Entschlossenheit funkelt in ihren Augen und sie legt ihre Hand erneut auf meine Wange.
„Das Herz eines Königs", wispert sie und überwindet die Distanz unserer Lippen. Wärme umgibt mich, durchfließt mich, berauscht mich und die Welt um uns wird vergessen. Mein Herz stockt, bevor es mit ihr im Einklang schlägt und alles, was mich je auf den finsteren Grund des Ozeans zerrte, fällt mit einem Schlag ab. Ich fühle mich schwerelos, unbesiegbar und gesehen. Geliebt.
Erst das Klirren von Metall reißt mich aus der Euphorie, in der mein Geist gefallen ist. Dahlia zuckt von mir. Überraschung in ihren Augen und dann ein Lächeln. Mein Blick folgt ihrem, zum Boden ... zu meinem Dolch. Und dann auf den in ihrer Hand. Der, der nicht länger hinter ihrem Rücken versteckt liegt.
Unsere Blicke treffen aufeinander und ein Sturm wütet in dem warmen Braun, dessen goldene Sprenkel wie die Sterne leuchten. Sie hatte recht. Mein Herz gehörte ihr und nicht einmal dieser Verrat konnte es brechen.
Ohne von ihr wegzusehen, knöpfe ich mein Hemd auf. Ihre Brauen ziehen sich zusammen und sie hebt den Dolch höher. Als ich das Hemd abstreife, blieb ihr Blick auf den riesigen Narben hängen — die ständige Mahnmale waren, was ich getan habe.
„Beende, was dein Vater begonnen hat." Ich nehme ihre Hand. Sie zuckt im ersten Moment, doch als ich ihre Klinge an dieselbe Stelle setzte, auf die mein Messer auf ihrer Brust gesetzt war, gibt sie den Protest auf. „Es gehört dir. Warum solltest du nicht darüber bestimmen, wie lange es noch schlägt?"
Ihr Atem stockt und als ich ihre Hand freigebe, verliert sie die Klinge beinahe. Doch sie packt sie erneut und drückt sie auf meine Haut. Ein einzelner Tropfen Blut sammelt sich auf der Spitze, während ihr Blick weiter in meinem gefesselt bleibt.
Geschlagen komme ich dem Drang nach, eine ihrer Strähnen hinter ihr Ohr zu schieben, um den Blick auf ihr Gesicht vollkommen in mich aufzunehmen.
„Ihr sagtet einst zu mir, ich sei ein Mann, der in Dunkelheit aufwuchs und nun entscheiden muss, auf wessen Seite er steht. Ich glaube, Milady, Ihr kennt die Dunkelheit, und steht vor derselben Entscheidung. Nur, dass ich ein Licht entdeckt habe." Meine Finger fahren über ihren Kiefer zu ihrem Kinn und streifen ihre Lippen, bevor ich sie erneut von ihr nehme. „Ihr habt recht. Ihr habt mein Herz gestohlen und trotzdem fühle ich mich reicher als zuvor."
Die Klinge zittert stark, aber der Druck auf meine Brust nimmt zu. Der Tropfen bahnt sich seinen Weg über meinen Bauch und hinterlässt eine rote Spur.
„Wir sind mehr als die Kinder von Monstern, hinter dessen Fassade gebrochene Männer sind. Wir sind mehr als Werkzeuge der Rache, getrieben von Hass und Wut. Wir sind mehr als die Fehler, die wir, gefangen in der Dunkelheit, begangen haben. Wir haben ein Recht auf Licht ... auf Liebe." Sie zieht hörbar die Luft ein und im selben Moment scheppert Metall erneut auf den Marmorboden.
Meine Mundwinkel zucken und ich wage einen Schritt näher zu ihr. Wir sind uns erneut so nah wie zuvor und ich spüre ihr rasendes Herz gegen meine Brust schlagen.
„Und ich fordere mein Recht ein, Milady." Mit den Fingern fahre ich ihren Haaransatz entlang, hinter ihr Ohr und vergrabe meine Hand in ihrem Haar. „Wenn Ihr keinen Einspruch erhebt", raune ich und verringere die Distanz zwischen unseren Lippen.
Sie schüttelte ganz leicht den Kopf und legte ihre Hände auf meineWangen. Dieses Mal bin ich es, der die Distanz überwindet und sie an mich ziehtwie einen lebensrettenden Anker. Und es liegt so viel mehr in dem Kuss als Leidenschaft. Verständnis, Schmerz, Heilung und ... Liebe. Ein Neuanfang ohne die Dunkelheit, die uns in ihren Armen wog.
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