10 Versprochenes & Entscheidungen
Beynon
Ich wusste, dass der Augenblick kommen würde. Es war nur eine Frage der Zeit. Und als ich sie gestern Abend sah, wusste ich, es würde heute geschehen. Ich kann ihren Blick förmlich auf mir spüren. Sie ist da. Irgendwo im Schatten. Das warme Kribbeln, das mich zum Lächeln bringt und mein Herz zum Stolpern. Obwohl ich von ihrem Verrat weiß.
Eine letzte Umdrehung und ich sehe zur Galerie hinauf. Mein Blick trifft direkt den ihren, als habe ich genau gewusst, wo sie steht. Der Bogen in ihrer Hand überrascht mich, aber die Puzzleteile setzten sich rasch zusammen. Die Wunden an ihrem Unterarm, die Schwielen an ihren Fingern. Pfeil und Bogen sind ihre Waffen und die spitzen jenes zeigen auf mich. Zeigen ... und fliegt noch nicht. Dabei bin ich ein offenes Ziel. Der perfekte Schuss ist garantiert.
Ich zwinkere ihr zu und gebe ihr einige Herzschläge Zeit, bevor ich mich erneut im Takt der Musik wiege. Obwohl ich Hass und Wut verspüren müsste, schlägt mein Herz aufgeregt und freudig. Sie hat nicht losgelassen.
Das langsame Geigenspiel, das von einem Klavier begleitet und Flötentönen unter malt wird, wiegt meinen Geist zur Ruhe und verzaubert mein Herz, das bereits unter einem Bann steht. Mein Verstand klagt mich des Wahnsinns an, doch seine Stimme verstummt mit jedem Atemzug. Die Gäste um mich herum wissen nichts von der bewaffneten jungen Frau, die auf ihren neu gekrönten König zielt. Bezaubernde ausladende Kleider in den schönsten Farben hauchen dem Gold und weiß dekorierten Saal Farbe ein. Die schönsten Blumen lege eine bezaubernde Note in die Luft, die mich an Dahlia erinnert und meinen Verstand verstummen lässt.
Der nächste Blick auf die Galerie zeigt dasselbe Bild. Mein Lächeln wird größer. Der Wunsch, mit ihr zu tanzen, wird größer. Doch dann wendet sie sich um und ich sehe die Palastwachen, die auf sie zu eilen.
Hastig lasse ich meine Tanzpartnerin in einer Drehung los und eile zur Tür. Ein erschrockener Laut weicht der Unwissenden und sie wird im letzten Moment von einem jungen Mann aufgefangen, der sie verlegen anlächelt. Ich bin bereits aus der Tür, um ihre Reaktion zu sehen; das Treiben des Balles ist unwichtig.
So schnell ich kann, jage ich die Stufe zur Galerie und komme schwer atmend darauf an. Dahlias Pfeil zielt auf einen der vier Palastwachen, die ihre Schwerter gegen sie gerichtet haben. Ihre Augen sind geweitet und Angst mischt sich unter ihr Chaos.
„Lasst die Waffen nieder!", herrsche ich. Die Blicke aller zuckt zu mir, als haben sie das lautstarke Eintreten nicht bemerkt.
„Hoheit, diese Frau hat ihre Waffe auf Euch gerichtet", erklärt der Hauptmann, der sich erneut zu Dahlia gedreht hat. „Sie wollte den König töten." Sie hat gezögert! Sie hätte nicht geschossen! Aber das weiß der Mann nicht. Sie würden es nicht verstehen, wie es ist, von einer Vergangenheit in eine Richtung getrieben zu sein und vom Herzen in eine andere.
„Lasst Eure Waffen nieder! Das ist ein Befehl!", wiederhole ich streng. Zwei der Wachen kommen dem Befehl augenblicklich nach. Doch der Hauptmann und der Mann zu seiner Rechten, der einen kurzen Blick zu seinem direkten Befehlshaber wirft, rühren sich nicht. „Hauptmann!", mahne ich strenge und er senkt sein Schwert etwas.
„Aber, Hoheit sie —"
„Ich habe Euch verstanden, Hauptmann. Und ich sage, legt die Waffen nieder." Der Mann zu seiner Rechten kommt dem augenblicklich nach, nur der Hauptmann zögert noch einen Herzschlag. „Auch du Dahlia."
Mein Blick trifft den der jungen Frau, die blinzelt und ihren Pfeil erneut auf mich richtet. Der Hauptmann stellt sich augenblicklich zwischen mich und dem tödlichen Geschoss.
„Du hast einen Pfeil. Ich werde die Männer nicht aufhalten können, wenn du ihn loslässt, und er wird nicht mich treffen." Ich sehe über die Schulter des Hauptmannes zu Dahlia. Ihre Hand zittert und ihr Blick huscht über die Palastwächter, deren Schwerter gesenkt sind, aber nicht in ihren Scheiden stecken. „Leg den Bogen nieder, Dahlia."
Eine Träne sammelt sich in ihrem Augenwinkel. Sie zögert. Unendlich viele Herzschläge vergehen, bis sie die Sehne des Bogens lockert und die Spitze des Pfeiles zum Boden richtet.
„Leg ihn nieder, bitte." Sie kommt dem nach. Erleichtert nehme ich einen tiefen Atemzug und spüre, wie ein Druck um meine Brust sich löst.
In dem Moment, in dem sie sich erneut aufrichtet, wollen die Palastwächter sie packen. Doch meine harten Worte lassen sie noch vor dem ersten Schritt erstarren.
„Verlasst die Galerie!" Die Männer sehen mich verwirrt an. Der Hauptmann öffnet den Mund, doch ich komme ihm zuvor. „Wie oft wollt Ihr Euch noch Eurem König widersetzt? Wie oft, bevor es als Verrat gilt?" Alle Männer neigen den Kopf und treten widerwillig durch die Tür, doch nicht ohne Dahlias Waffe mit sich zu nehmen.
Für eine Ewigkeit starren wir einander schweigend in die Augen. Lediglich die Musik, die vom Ballsaal zu uns tritt, füllt die Stille. Doch auch die Musik vernehme ich kaum. Meine Aufmerksamkeit gilt der Träne, die Silber in ihrem Augenwinkel funkelt; dem Zittern ihrer Hände und dem blassen Rosa ihrer Lippen. Jeder Locke ihres Haars. Aber vor allem dem Funkeln in ihren Augen. Dem bestimmten Funkeln unter so vielen anderen und trotzdem erkenne ich es.
„Woher wusstet Ihr es?" Dahlias Stimme ist die lieblichste Musik, die ich je gehört habe und das Zittern darin schmerzt. Die Angst schmerzt.
„Ich kenne den Ausdruck von jemandem, der im Begriff ist, mir zu schaden. Ich musste lernen es zu erkennen, um meinen Körper auf den Schmerz vorzubereiten, damit ich nicht zu schnell nachgebe. Das hätte noch mehr Schmerz verursacht. Genauso wie Tränen." Vorsichtig gehe ich mit jedem Satz einen Schritt auf sie zu. „Und ich kenne den Ausdruck von jemandem, der mit seiner Entscheidung kämpft." Ich streiche eine ihrer Strähne nach hinten. „Ich kenne das Funkeln, das jeden Tag etwas mehr in Euren Augen wächst und von dem ich nicht dachte, es je wieder für mich zu sehen. Dieses Mal kämpfe ich dafür, denn ich sehe, dass es sonst niemandem gilt."
Meine Finger zittern, während mein Blick nur ihrem gilt. Jedem der goldenen Sprenkel in ihren Augen. Liebe macht einen Narren aus einem König, flüstert mein Vater.
Dann bin ich ein Narr.
„Was seht Ihr jetzt in meinen Augen?" Es schwingt Bedauern und Verlust in ihrer Stimme. Und ich bin nicht imstande, in Worte zu fassen, was mein Herz flüstert.
Die Ewigkeit und noch viel mehr.
Ein Leben, das mit einem Kuss der Sonne beginnt und mit dem Lied der Sterne endet.
Eine Zukunft, die einem Monster nicht zusteht, aber seinen Weg findet.
Ich sehe alles und fürchte es zu verlieren, bevor es mir gehört.
Ich sehe ein Mädchen, das hasst und zu lieben gewillt ist.
Ich sehe einen Schatten, der das Licht empfängt.
„Niemand zielt nur mit einer Waffe auf den König", höre ich die hasserfüllte Stimme meines Vaters. Ich spüre den Schlag, der gefolgt hat, auf meiner Wange. „Wenn du einen König töten willst, dann bring immer eine zweite Waffe mit, die er nicht kommen sieht." In manchen Dingen hat sich mein Vater nicht geirrt.
„Jemanden, der einen König töten will", wispere ich und zücke den Dolch, der unter meiner Abendgarderobe versteckt liegt. Nicht, um sie zu töten ... aber ich muss Evrem schützen. „Ihr nanntet mich einen Kämpfer, der sich noch für eine Seite entscheiden muss, nachdem er in der Dunkelheit aufgewachsen ist. Kein Monster. Obwohl ich der Sohn eines Monsters bin, zum Monster erzogen wurde und in den Augen meiner Mutter immer ein Monster sein werde. Im Spiegel sah ich das Monster. In den Augen meiner ersten Liebe sah ich das Monster. Doch Ihr seht einen Kämpfer. Und das sehe ich auch in Euch. Eine Kämpferin, die nicht dem Hass und der Wut zum Opfer fallen will. Sie haben mir meine Kindheit und die Liebe gestohlen. Meine Zukunft rauben sie mir nicht."
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