1 Vergangenes & Verpflichtung
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Rehva
„Er hat seine Geliebte getötet. Kurz darauf seinen Vater. Seinen Bruder hat keiner jeher mehr gesehen. Unzählige andere sind verschwunden. Wie viel Blut muss ein Mann an seinen Händen tragen, um in Euren Augen ein Monster zu sein?", frage ich entsetzt in der Hoffnung, seine Meinung zu ändern.
Mein Vater steht weiterhin unberührt mit dem Rücken zu mir und sieht aus dem bodentiefen Fenster. Die Sonne beendet den Tag mit einem Flammentanz am Horizont. Rot und Orange schwimmen in ein tiefes Lila über, das von der Nacht verschluckt wird. Die ersten Sterne erkämpfen sich ihren Platz in der Finsternis. Lichter so klein und trotzdem so stark. Ein verzaubernder Anblick würde es nicht den kommenden Tag in greifbare Nähe rücken. Mir läuft die Zeit davon.
„Er ist kein Mann. Er ist ein König und ein König hat Blut an den Händen." Mein Vater reibt die Hände an der Seite seiner Hose, als versuche er etwas von ihnen zu waschen — doch sie sind frei von Schmutz. Wie viel Blut er bereits vergossen hat? Seine Stimme klingt schwer. Obwohl ich ihn noch nie habe Blut vergießen sehen, spüre ich es in mir, dass auch er nicht unschuldig ist.
„Und Ihr seid gewillt, dass auch mein Blut an ihnen klebt!?" Meine Stimme hallt durch den Saal, der bis zu meinem lautstarken Hereinplatzen mit Beratern und Gelehrten gefüllt war. Eine Sitzung, die über mein Leben entschied. Eine Sitzung, von der ich ausgeschlossen wurde.
Die Wachen, die mich davon abhalten sollten, hineinzuplatzen, wären beinahe erfolgreich gewesen. Doch nun liegen zwei von ihnen im Krankentrakt und ein dritter konnte kaum noch gehen. Es lag nicht nur an meinem Training, ich spürte ihre Zurückhaltung. Aber genau darin lag ihr Fehler. Sie haben gezögert. Ich nicht.
Wütend lasse ich meine wunden Fäuste kreisen und ignoriere die aufgeplatzte Haut meiner Knöchel. Wunden würden heilen - wenn ich jetzt aufgebe, würde es meine Zukunft nicht.
Mein Vater nimmt einen tiefen Atemzug und wendet sich zu mir. Tiefe Falten lassen ihn älter wirken als sonst. Das Braun seiner Augen wirkt trüb. Die Stärke, die ich immer darin sehe, liegt hinter einem Schleier verborgen, den ich nicht recht deuten kann. Bereits seit Wochen ist mir aufgefallen, dass er den Augenkontakt meidet und ein Gespräch mit mir aufschiebt. Er hat sich von mir distanziert, was die ganze Situation erschwert. Noch vor Wochen hätte er mir jeden Wunsch von den Lippen abgelesen. Nun zwingt er mich zu etwas, von dem er weiß, dass es falsch ist. Wie lange hegt er diesen Plan bereits?
Ich schüttele den Kopf und sehe zurück in die Augen meines Vaters. Während er die Krone vom Kopf nimmt, fallen vereinzelte graumelierte Strähne in sein Gesicht. Er wirkt müde. Erschöpft. Doch vor allem sehe ich noch immer Trauer in seinen Augen. Er lässt die Mauern um sein Innenleben nur selten fallen; wenn er es tut, scheinen die Emotionen darin, mir den Boden unter den Boden zu reißen. Jeden Tag aufs Neue scheint er mit einem Verlust zu kämpfen. Jeden Tag aufs Neue wächst die Trauer. Und mein Anblick scheint es zu erhöhen.
Er streckt mir das goldene Schmuckstück entgegen. Verzaubert sehe ich auf die Rubine und Saphire, die das letzte Tageslicht brechen und das Gold unter einem Regenbogen verhüllen. Doch es ist der blaue Stein, der mich fesselt. Im Gegensatz zu den anderen ist er rund, wie eine Murmel, und wirkt nicht so kostbar, aber ein Silbernebel scheint darin zu schweben. Es hat etwas Magisches, etwas Anziehendes und birgt ein Mysterium.
Nach einigen Herzschlägen des Zögerns nehme ich das kalte Metall entgegen und fahre ehrfürchtig über den blauen Stein, der etwas zu flüstern scheint. Doch bevor ich die Worte vernehmen kann, ertönt die Stimme meines Vaters erneut.
„Wie schwer ist sie?", verwundert sehe ich zu ihm und hebe die rechte Braue. „Wie schwer ist die Krone?", wiederholt er und ich drehe das Metall in meiner Hand. Es ist nicht das erste Mal, dass ich sie in Händen halte. Oder auf dem Kopf. Nur weiß er das nicht. Oder doch?
Wie schwer ist die Krone?
Ich überlege einige Herzschläge und lenke meine Aufmerksamkeit zurück zu meinem Vater.
„Wie ein viertel Sack Kartoffeln." Seine Mundwinkel heben sich und er schnaubt amüsiert. Für einen Wimpernschlag erkenne ich meinen Vater. Ohne Trauer und Verlust. Der trübe Schleier über seinen Augen bricht kurz auf, wie eine Wolkendecke, die einen Herzschlag Sonnenlicht hindurch blitzen lässt.
Mit einem Blick, als betrachte er ein unschuldiges Lamm, dreht er sich zurück zum Fenster und verschränkt die Finger hinter dem Rücken. Dicke Wolken nehmen einigen der Sterne ihr Licht und verwandeln die Nacht in etwas Finsteres.
„Weißt du, was dein Bruder mir damals antwortete, Rehva?" Mein Griff um die Krone wird fester und das Metall schneidet in mein Fleisch. Wir sprechen nicht über Aspen. Nicht mehr seit ... seiner Ermordung. Nicht mehr seit dem Tag, als er und Mutter von uns gerissen wurden. Wir sprechen nicht darüber! Es ist ein stilles Abkommen, das ich an manchen Tagen zu brechen wünsche. Heute ist kein solcher Tag.
Mit tiefen Atemzügen starre ich auf den Rücken meines Vaters, dessen Schultern einst stolz und stark wirkten und seit einiger Zeit zu sinken scheinen. Als sei das Gewicht, das er trägt, zu viel. Als habe er verloren, was sie oben hielt. Aber ich vermute, das haben wir beide. Verloren. Nur Julius ist zu klein, um zu verstehen. Der dritte von uns Königskindern und mit seinen gerade eineinhalb Jahren seit dem Zwischenfall, der Thronfolge unseres Königreiches. An manchen Tagen erinnert er sich noch an Aspen und Mutter, aber die Erinnerung verliert sich und bald wird sie ganz verblassen - denn wir reden nicht über sie.
Ich kämpfe die Tränen beiseite und straffe meine Schultern.
„Die Krone ist nur ein Symbol. Die Last, die sie mit sich bringt, ist mehr als nur das Metall, aus dem sie geschaffen ist. Die Krone wiegt so viel wie unser Land, wie jeder Bürger und jede Entscheidung, die wir treffen. Die Krone hat das Gewicht eines jeden Lebens, das ihr unterliegt. — Und ein Leben ist nicht in Gold zu wiegen, weniger ist auch das Gewicht der Krone aufzuwiegen", flüstert mein Vater, als habe er die Worte viele Male wiederholt. Als spuken sie in seinem Kopf, seit dem Tag, an dem sie gesprochen wurden.
Ich schlucke, denn ich erkenne meinen Bruder in den Worten. Ich erkenne den jungen Mann, der mein größtes Vorbild und mein treuster Freund war. Ich höre Aspen, dessen Tod ich rächen will und doch nicht darf. Nicht auf die Art, wie es gerecht wäre. „Bezirze ihn. Dann hintergehe ihn, raube ihm etwas, das wertvoller ist als das Leben, raube ihm sein Königreich", hat mein Vater gesagt. Was, wenn ich das nicht tun will?
„Manchmal müssen wir Dinge tun, die wir verabscheuen, um den Menschen zu helfen, die uns wichtig sind." Ein kalter Windhauch streicht meine Haut und ich glaube die Überreste seiner Stimme zu hören. Aspens Stimme. Worte, die meine Wut zu einer kleinen Flamme schrumpfen lassen.
Aber was ist, wenn die Menschen, die wir lieben, fort sind? Wem schulden wir dann Rechenschaft außer uns selbst?
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