Kapitel 32
Als Zunae aus ihrem Schlaf gerissen wurde, weil Yelir blass in ihr Zimmer gekommen war, hatte sie mit vielem gerechnet, doch nicht mit der blonden Frau, die auf einem Stuhl saß und völlig neben sich wirkte.
Degoni stand am Fenster und sah hinaus, als würde er sie ignorieren.
»Du hast ein Feingefühl wie ein Trampeltier«, schnauzte Zunae ihn an, nachdem sie sich von Yelir einen kurzen Abriss hatte geben lassen, was vorgefallen war.
Degoni hatte noch nie sonderlich viel Tacktgefühl gezeigt, doch das hier ... Zunae konnte gar nicht in Worte fassen, wie frustriert sie darüber war, wie er Aelith behandelt hatte. Allerdings vergaß sie auch nicht, dass diese eine Gefangen war und mit den Banditen, die Kavalare angegriffen hatten, unter einer Decke steckten. Allerdings deutete ihre Hintergrundgeschichte daraufhin, dass sie ausgetrickst worden war. Wie vielen es wohl auch so ging? Zunae wollte lieber nicht darüber nachdenken.
Zunae trat auf sie zu und nahm ihre linke Hand. Die, an der sie nicht das Artefakt trug. Sie wollte es auf keinen Fall berühren. Ihre Instinkte warnten sie. Das letzte Mal war fast tödlich gelaufen. »Es tut mir leid, dass Degoni dich so überfahren hat«, sagte sie sanft und streichelte ihre Hand.
Aelith reagierte jedoch nicht. Sie war in ihren eigenen Gedanken und Gefühlen gefangen.
Es fiel ihr so unglaublich schwer, zu akzeptieren, was geschehen war. Wie sollte sie nur damit umgehen?
»Es ist nicht deine Schuld, was passiert ist«, sprach Zunae weiter und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie sah zwar blass aus, doch ihre Kleidung war recht sauber, weshalb es schwer war, sie mit dem Kerker in Verbindung zu bringen. »Du musst uns sagen, wer dich reingelegt hat«, drängte Zunae, denn das war wichtig. »Damit wir anderen wie dir helfen können.«
Aelith zuckte leicht, was Zunae zeigte, dass ihre Worte zu ihr durchgedrungen waren. »Mir kann man nicht mehr helfen«, flüsterte Aelith, die sämtliche Lebensgeister verloren hatte.
»Das würde ich nicht sagen«, sagte Zunae sanft. »Ich kann natürlich nichts versprechen, aber vielleicht ist es noch nicht zu spät.« Sie hatte das schwarze Mal immerhin auch überlebt. Sie glaubte, dass es ähnlich war und mit Yelirs Hilfe, konnte sie vielleicht ihr Leben retten.
»Warum sollte ich es überhaupt versuchen?« Aelith hatte alles getan, was sie konnte und war gescheitert. Auf die schlimmste, denkbare Weise. Nicht nur ihr Bruder und sie waren daran zerbrochen, auch andere Unschuldige. Das könnte sie nie wieder gut machen.
Zunae stieß die Luft aus und blickte dann zu Yelir hoch. »Würdest du mir helfen?«, fragte sie, denn es war nur ein Versuch. Wenn er funktionierte, würde Aelith weiterleben und sie hätten wesentlich mehr Zeit, herauszufinden, was sie wusste.
Yelir zögerte einen Moment, wobei er Zunae starr in die Augen blickte. »Nur, wenn du dich dabei nicht in Gefahr bringst«, sagte er ernst, da er mittlerweile sehr gut verstand, wie weit Zunae gehen konnte. Auf ihn wirkte es manchmal, als hätte sie gar keinen Selbsterhaltungstrieb.
»Versprochen«, versicherte Zunae, denn das Nutzen ihrer Magie würde höchstens dem Kind schaden und davon war nie die Rede gewesen. Sie log Yelir also nicht an.
Yelir, der eigentlich vor gehabt hatte, sich nicht einzumischen, seufzte leise. Er konnte seiner Frau einfach nichts abschlagen.
»Was möchtest du von mir?«, fragte er, was Zunae dazu veranlasste, von Aelith abzulassen und an ihn heranzutreten, bevor sie ihm ins Ohr flüsterte, was sie plante. Im Grunde war es ein ähnliches Vorgehen, wie Yelir es schon bei ihr getan hatte, als das Mal ihren Arm in Beschlag genommen hatte. Der Unterschied war, dass sie plante, Yelir dieses Mal zu helfen.
»Na gut«, gab dieser sich geschlagen, denn solange es nicht Zunae betraf, war es ihm fast egal, ob es schiefging oder nicht. Außerdem rechnete er damit, dass Aelith ihren Arm verlor. Laut Dainte war er schon so weit fortgeschritten, dass man ihn nicht mehr retten konnte.
Eines der Probleme war wohl auch, dass Aelith sich den Ring nicht einmal selbst abnehmen konnte und er verhinderte auch, dass man ihr den Finger abtrennte.
Degoni hatte schon einiges versucht, was sich Yelir nie getraut hätte. Kein Wunder, dass Aelith so zusammengekauert im Stuhl saß. Wenn er ihr irgendwie helfen konnte, wollte er das tun. Es würde Zunae freuen, aber er rechnete sich trotzdem nicht viel aus.
Zunae zog ihn zu Aelith, damit er ihr die Hand auf die Schulter legen konnte. »Versuch dich nicht zu sehr zu verspannen«, murmelte Yelir, der seine Augen schloss und in ihren Blutkreislauf eindrang.
Sofort erkannte er die schwarze Stelle, die ihr Arm war. Dort war bis zum Ellenbogen schon alles verloren und das Blut im Oberarm zirkulierte bereits anders.
Dann spürte er, wie Zunae seine Hand nahm. Seine Sicht verschob sich ein wenig und überlagerte sich mit Zunaes Kreislauf. Ihr Blut floss ganz normal, doch trotzdem war da eine Ungereimtheit, die er nicht ganz einordnen konnte.
Dafür hatte er jedoch keine Zeit. Stattdessen konzentrierte er sich, bis Zunaes Magie in Sicht kam. Diese floss viel sanfter als er es eigentlich gewohnt war, weshalb er zuerst verwirrt war. Allerdings spürte er die bekannte Macht, die in ihrer Mitte schlummerte und eine angenehme Ruhe verströmte.
Jetzt, wo er wusste, dass es sich dabei um eine Hilfe und keinen Eindringling handelte, konnte er damit viel ruhiger umgehen.
Yelir atmete tief durch, bevor er sich wieder Aelith widmete und überrascht die Augen aufriss. Normale Menschen hatten keinen sichtbaren Magiekreislauf. Nicht einmal die, die mit Artefakten umgehen konnte. Daher war er nicht auf die sanft fließenden Bahnen vorbereitet, die sich nun zeigten.
»Was ist das?«, erklang eine leise, hallende Stimme, die von Zunaes Präsenz ausging.
Da Yelir keine Erfahrungen damit hatte, andere in diesen Bereich eines Seins mitzunehmen, ging er davon aus, dass es normal war, dass er mit ihr kommunizieren konnte. Auch, wenn es die letzten paar Male, als er ihren Kreislauf betrachtet hatte, nicht der Fall gewesen war.
»Sieht aus, als hätte sie magische Vorfahren«, bemerkte Yelir, der sich mehr darüber wundern würde, wüsste er nicht, dass es durchaus viele uneheliche Kinder in der Generation seiner Vorfahren gab. Diese hatten den Harem noch für ganz andere Dinge genutzt und so war ihre Magie also irgendwie unters Volk gekommen.
Durch die Menge an Magie schätzte Yelir, dass sie vielleicht in sechster Generation verwandt sein könnten. Möglich war aber auch, dass sie von einem anderen Clan abstammte. Das konnte er anhand der Magie nicht sagen. Klar war nur, dass irgendwo in ihrer Blutlinie der Nachfahre eines Göttertieres sein musste.
»Das sollte uns jetzt helfen, oder?«, fragte Zunae, denn so würde die Magie nicht ungezielt fließen.
»Vielleicht«, antwortete Yelir, der noch nicht so ganz wusste, wie er damit umgehen sollte.
Der Plan war es, seine und Zunaes Magie zu sammeln und dann in einem Strom direkt gegen das Artefakt zu richten. Allerdings konnte er dieses kaum wahrnehmen. Es war nicht einfach nur ein dunkler Fleck, der sich bewegte, wie damals bei Zunae. Es war eine Schwärze, die den gesamten Arm einnahm.
»Ich kann das Artefakt spüren. Aber du musst mir helfen, die Magie zu sammeln«, bemerkte Zunae, die sich hörbar unwohl fühlte. Das alles war neu für sie und die Angst, Aelith damit zu töten, war groß. Aber eine andere Lösung gab es nicht. Das Artefakt würde sie auffressen, wenn sie es nicht zerstörten.
»Das bekomme ich hin«, erwiderte Yelir, der nicht nur nach Zunaes Magieströmen griff, sondern auch den kleinen von Aelith. Er zog sie förmlich zusammen, bis sie zu einem großen Ball zusammenflossen.
Als würde er einen Schlauch zudrücken, in dem sich das Wasser staute, hielt er die Magie, während er seine hinzufügte. Er spürte den immer stärker werdenden Druck, wusste aber nicht, ob es bereits ausreichte. Wenn er an das Mal von Zunae dachte, war es noch bei weitem nicht genug.
Yelir bemerkte, dass die Magie, die von Zunae strömte, viel geringer war als das letzte Mal. Sie war auch viel langsamer und nicht so ungezügelt. Weil sie es dieses Mal bewusst steuerte?
Er konnte es nicht sagen, aber es machte ihn auf alle Fälle neugierig.
»Ich denke, das reicht«, bemerkte Zunae schließlich, was Yelir die Stirn runzeln ließ. Schwang da Erschöpfung in ihrer Stimme mit oder bildete er sich das ein. War es so schwer für sie, den Magiestrom zu kontrollieren?
»In Ordnung«, erwiderte er, obwohl er gern noch weiter gesammelt hätte. Nur war er selbst zu erschöpft, um noch weiter zu gehen.
Also richtete er die Magie aus und ließ die angesammelte Magie los.
Zuerst bewegte sie sich nur langsam, bevor sie immer schneller wurde. Dann traf sie auf die Schwärze und schleuderte Yelir und Zunae zurück.
Keuchend griff Yelir nach Zunae, damit sie nicht fiel. Er hatte damit gerechnet, doch so wie Zunae quietschte, traf es sie überraschend. Sie sackte in seine Arme und rang keuchend nach Atem, doch was ihn in dem Moment alarmierte, war ein ersticktes Keuchen, bevor ein lautes Knacken im Raum erklang. Fast so, als würden Knochen splittern.
Nur waren es keine Knochen. Es waren Aeliths Finger, die brachen wie zu heißer Ton.
Risse bildeten sich, zogen sich über ihren Arm, der nach und nach abblätterte.
Aelith sah das Geschehen mit großen Augen. Da waren keine Schmerzen, als sie zusah, wie ihr Arm auseinanderbrach.
Sie glaubte ihren eigenen Augen nicht, denn bis jetzt hatte sie noch immer gehofft, dass Degoni unrecht hatte.
Die Risse zogen sich bis zu ihrem Ellenbogen, hinauf zu ihrer Schulter, wo sie plötzlich einen stechenden Schmerz spürte.
Nur ganz kurz, doch so intensiv, dass ihr die Tränen kamen und sie für einen Moment die Augen schloss.
Schließlich schloss sie ihre Augen, während sie um Atem rang.
Ihr Arm. Ihr Arm war einfach zerfallen und sie spürte keinen Unterschied. Keine Schmerzen. Nichts.
Aeliths Tränen wurden schlimmer, als ihr klar wurde, was sie hätte erwarten können.
Sie schlang ihren freien Arm um sich und ließ ihren Tränen hemmungslos freien Lauf.
Aelith weinte um ihren Bruder, ihren Arm, um die Leben, die sie vermutlich zerstört hatte und darüber, dass die Erleichterung, dass sie doch nicht sterben würde, ungerecht war.
Zunae löste sich langsam von Yelir, um auf Aelith zuzugehen und sie sanft in den Arm zu nehmen. Ihre Hand glitt sanft und beruhigend über ihren Rücken. »Sieh so aus, als wärst du zumindest nicht mehr das Futter dieses Artefaktes«, bemerkte Zunae, die zu dem Ring schielte, er am Boden lag. Er hatte mehrere Risse, doch die dunkle Macht, die er ausstrahlte, war noch immer spürbar.
Zunae spürte, wie Aelith zitternd Luft holte und dann etwas flüsterte. »Was?«, fragte sie entsetzt, als ihr klar wurde, was sie da verstanden hatte.
Sie löste sich etwas von Aelith und blickte sie alarmiert an.
»Fürst Ladvarian hat mir den Ring gegeben«, wiederholte sie flüsternd, wobei sie immer wieder leise schluchzte.
Alarmiert blickte Zunae zu Yelir, dessen Blick schlagartig wütend und sein Gesicht blass wurde. Er war zu geschockt davon, dass einer seiner Fürsten involviert war. Gleichzeitig packte ihn die Wut. Wie konnte er all die Zeit unentdeckt bleiben?
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