Kapitel 21
Yelir hatte gehofft, eine andere Lösung zu finden, doch ihm war nichts eingefallen. Darum hatte er entschieden, es zu versuchen. Was auch der Grund war, warum er nun mit Zunae auf den Weg nach Vereven war.
Die Reise hätte durch den ganzen Schnee eigentlich unmöglich sein müssen, doch mit Zunaes Magie, welche den Schlitten ohne Probleme vorantrieb, erreichten sie ihr Ziel in wenigen Tagen.
Der Winter hatte Vereven trotzdem in seinem Griff. Der Wind hatte den Schnee gegen die Mauern geweht und bis auf das große Tor hatte man sich nicht die Mühe gemacht, irgendwas freizuräumen, das außerhalb der Stadt lag.
Als Hafenstadt war sie ein wichtiger Umschlagsort für Güter, doch niemand sorgte sich darum, dass die Händler die Stadt auch erreichen konnten. Das war die Aufgabe jedes einzelnen. Was Yelir etwas besorgte. So wäre ein großer Teil der Dörfer vom Handel abgeschnitten und die Schwachen würden leiden.
Bisher hatte er sich nie Gedanken darum gemacht, denn in den Nordlanden herrschte der Stärkere, doch die Art, wie sich Zunae um sein Volk kümmerte, inspirierte ihn. Sie machte keinen Unterschied, ob eine Person stark oder schwach, reich oder arm war. Sie behandelte alle wie eine liebende Mutter. Genau das, was sich Yelir immer als seine Königin gewünscht hatte.
Daher würde er alles tun, um sie an seiner Seite zu halten. Vor allem die Gefahr beseitigen, die sie bedrohte. Nur musste er dazu erst einmal wissen, welche Art der Gefahr das war.
»Herzlich willkommen«, grüßte ein Mann, der eine dicke Mütze und einen Mantel trug. In seiner Hand einen großen Speer, der eindeutig ein Artefakt war.
Yelir nickte ihm zu, während er darauf wartete, dass sie das Tor öffneten. »Bitte stellt den Schlitten bei der Kutschstation ab. In der Stadt sind nur kleine Kutschen erlaubt, die ihr euch dort leihen könnt«, erklärte der Mann mit einer Routine, die Yelir zeigte, dass er das schon oft getan hatte. Außerdem erkannte er Yelir nicht. Was vielleicht daran lag, dass dieses Mal nicht nur Zunae in einen dicken Mantel gehüllt war, sondern auch er. Dieses Mal war es ihm wichtiger, eher unentdeckt zu bleiben.
Yelir nickte, obwohl er das wusste.
Dann lenkte er den Schlitten zum Tor hinein.
In der Stadt selbst gab es nur einen Weg, den sie mit dem Schlitten nehmen konnten. Direkt zur Kutschstation. Alle anderen Straßen waren nur von dieser aus zu erreichen, bildete sie doch gleich die erste Station, in der sie kontrolliert wurden.
Vereven hatte sehr strenge Regeln, weshalb auch die Straßen alle freigeräumt waren und überall Patrouillen unterwegs waren.
Zunae sah sich neugierig um. Sie war begeistert von den gepflasterten, sauberen Straßen und wünschte sich das für Kavalare auch, denn es machte den Warenaustausch so viel einfacher.
Ihr fiel auf, dass die Häuser, die nahe an den Mauern lagen, eher klein waren. Nur einstöckig, aber dennoch dicht gedrängt, um möglichst viel Platz herauszuholen.
Dann wurden sie, je weiter sie in die Mitte kamen, immer höher. Bis zu vier Stockwerken, sodass sie von außen den Anblick einer Pyramide bildeten.
Was Zunae jedoch verwirrte, war die innere Mauer hinter den hohen Häusern. Diese war fast so hoch wie das höchste Haus, doch eintreten durften sie dort nicht. »Das ist der Bezirk der Herrscher der Stadt«, erklärte Yelir ihr mit gerümpfter Nase. Er hielt nichts davon, dass diese Elite der Stadt sich so verschanzte, aber Zunae sah das Potential des Stadtaufbaus. Zumindest für die Verteidigung. Bogenschützen könnten von oben auf ihre Feinde hinabschießen, wenn die Mauer belagert wurde. Wie der innere Ring jedoch beschützt werden sollte, war ihre in Rätsel.
Beide ritten langsam an der Mauer vorbei.
Da sie keine Waren transportierten, hatten sie sich für Pferde entschieden, auch wenn diese recht teuer gewesen waren. Vermutlich, damit es nicht zu viele davon gab. Die Straßen waren immerhin sehr voll.
Überall waren Männer mit Handkarren oder kleinen Kutschen, die Waren umher transportierten. Je weiter sie sich dem Hafenbereich näherten, desto mehr wurden es.
Zunae blickte an einer Hauswand hinauf, als ihr plötzlich ein eiskalter Schauer über den Rücken wanderte.
Sie schlang einen Arm um sich, während sie zitternd gegen die Erinnerungen ankämpfte.
Feuer loderte um sie herum und die Hauswände hinauf, die denen ähnlich waren, an denen sie gerade vorbeiritten.
Yelir wurde langsamer, sodass er neben ihr reiten konnte. Sanft legte er ihr eine Hand auf den Arm, was Zunae zucken ließ.
Sie blickte mit weit aufgerissenen Augen zu Yelir und blinzelte dann die aufkommenden Tränen weg, doch sie zitterte noch immer.
»Alles in Ordnung?«, fragte Yelir, der sich Sorgen machte, weil sie plötzlich so blass geworden war.
Zunae schüttelte leicht den Kopf. »Nein«, hauchte sie und schielte zu den Häusern hinauf. »Hier ... hat meine Vision ...«, setzte sie an, brachte ihren Satz aber nicht zu Ende.
Hier war sie vom Feuer eingeschlossen worden und die Häuser waren auf sie niedergestürtzt, bevor sie endlich wieder zu Yelir gekommen war.
Dieser nahm ihre Hand und drückt sie sanft. »Es ist alles gut. Kein Feuer und ich bin hier«, versicherte er, damit sie nicht in die Erinnerung an die Vision gezogen wurde.
Dass jedoch Vereven brennen sollte, war jetzt schon das zweite Mal Teil ihrer Vision.
»Ja«, flüsterte Zunae, die versuchte sich nur auf Yelir zu konzentrieren. Es wäre vielleicht besser gewesen, nur ein Pferd zu nehmen, denn sie hatte Mühe, weiter zu reiten. Allerdings mussten sie sich etwas beeilen, denn das Schiff, das Yelir für ihre Reise besorgt hatte, wartete.
Zunae schloss ihre Augen und presste die Schenkel etwas zusammen, um dem Tier zu symbolisieren, dass es weiter gehen solle.
Es funktionierte und langsam bewegte es sich.
Yelir blieb an ihrer Seite und sorgte dafür, dass sie nirgendwo dagegen lief oder das Pferd durchdrehte.
So schafften sie es schließlich, den Bezirk zu verlassen, der Zunae solche Bauchschmerzen machte.
Der salzige Geruch der Meere drang Zunae an die Nase und ließ sie die Augen schließlich wieder öffnen.
Vor ihr baute sich ein riesiger Hafen auf. Die massiven Holzpalisaden wehrten den Wind nur unzureichend ab. Zunae beobachtete die Schneeflocken, die durch die Luft tanzten und sich auf die Kaimauern niederließen. Der grob behauene Stein und die Planken der Stege wurden dadurch rutschig und schimmerten verheißungsvoll.
In der trüben See schaukelten Schiffe, die teilweise von Raureif überzogen waren. Ihre Segel waren eingerollt, doch an den Tauen klirrte das Eis wie ein leises Glockenspiel.
Es war ein ganz anderes Bild, als Zunae von sich zuhause kannte. Im Winter war es viel gefährlicher in See zu stechen, das wurde ihr jetzt klar.
Die gedämpften Geräusche des Hafens, der selbst im Winter in Geschäftigkeit gehüllt war, drangen an ihr Ohr.
Sie hörte die Rufe der Fischer und Hafenarbeiter, die sich vermischten. Knarren von Holz, dumpfe Aufschläge von Fässern und das Rauschen der Wellen, die an den Schiffen brachen, zogen Zunae in diese Welt.
Überall waren Feuerkörbe aufgestellt, an denen sich die Männer wärmen könnten. Das Flackern der Flammen ließ Zunae schaudern. Jeder von ihnen war ein Brandherd, der die Stadt in Flammen hüllen könnte, doch sie waren nötig.
An den Hafenkanten thronen die Lagerhäuser wie dunkle Bastionen, die unter einer Schneeschicht lagen.
Yelir führte Zunae direkt auf die Schiffe zu, die im Hafen lagen. Vorbei an Arbeitern, die Kisten, eingepackte Ballen und Handkarren durch die Gegend transportierten. In oder aus den Lagerhäusern heraus.
Das war ein Teil von Vereven, den sie in ihrer Vision nicht gesehen hatte, weshalb sie sich besonders dafür interessierte. Alles wirkte so lebhaft. Verglichen mit ihrer Vision, fröhlich.
Schließlich hielt Yelir an und stieg von seinem Pferd, bevor er sie auffordernd anblickte.
Zunae wollte sich weiter umsehen, doch sie hatten ein wichtiges Ziel, weshalb sie schließlich abstieg und die Pferde an einen jungen Burschen weiterreichte. Er würde sie zurück zur Ausleihstation bringen.
»Welches Schiff ist unseres?«, fragte Zunae, die sich ein wenig unwohl fühlte. Durch die Kleidung, die sie trugen, fielen sie durchaus auf. Die Arbeiter hier waren zwar auch warm angezogen, doch die wenigsten von ihnen hatten so gut gearbeitete Kleidung. Außerdem war Zunaes Mantel weiß, was zwischen den sonst braunen oder grauen Umhängen nur noch deutlicher auffiel.
»Das Kleine dort«, bemerkte Yelir, der auf ein Schiff deutete, das ebenfalls vor Anker lag, aber lediglich einen einzigen Mast besaß. Es war nur ein Viertel so groß wie die Handelsschiffe, die hier sonst lagen, doch dafür war es schneller. Was daran lag, dass es kein Schiff für den Handel war.
Es gehörte jedoch auch nicht zur Flotte der Schiffe, welche die Handelsschiffe verteidigte. Yelir hatte sich früher sehr für die Schifffahrt interessiert und daher ein eigenes Schiff mit Kapitän angeheuert. Seitdem war es jedoch nicht häufig genutzt worden und stand dem Kapitän zu seiner Verfügung, sofern er da war, wenn Yelir ihn brauchte.
Ein älterer Mann mit dicken, braunen Bart und Holzbein erschien auf dem Deck. Sein Blick war mürrisch und passte zu seinem eher abweisenden Auftreten.
»Kapitän Cairos«, grüßte Yelir mit ruhiger Stimme, die Zunae sogar als eher abweisend interpretieren würde.
Der Mann brummte, wandte sich ab und kurz darauf wurde ihnen eine Planke an Land gelassen, damit sie auf das Schiff gelangen konnten.
»Cairos ist sehr grummelig, aber einer der besten Schifffahrer der Nordlande«, erklärte Yelir, der Zunae eine Hand reichte, um ihr zu helfen, das Schiff zu betreten.
Als Zunae das Schiff betrat, sah sie sich neugierig um. Es war nicht das erste Mal, dass sie ein Schiff als Passagier sah, doch sie wollte die Unterschiede ausmachen. Nur kannte sie sich nicht genug mit dem Bau von Schiffen aus.
»Es bringt Unglück, eine Frau an Bord zu haben«, murmelte einer der jungen Matrosen zu seinem Partner, der zustimmend nickte.
»Passt auf, wie ihr von eurer Königin sprecht«, wurden sie von Kapitän Cairos gescholten, der hinter ihnen auftauchte und sogar soweit ging, ihnen mit der Faust auf den Kopf zu schlagen. »Und jetzt ab, an die Arbeit.«
Beide Jungen gaben frustrierte Laute von sich, liefen dann aber sofort los.
Cairos kam auf Zunae und Yelir zugehumpelt und verneigte sich leicht. Eigentlich war er einer ähnlichen Meinung wie die Schiffsjungen, doch er war nicht dumm genug, diese einfach hinauszuposaunen. Vor allem nicht, seitdem er gehört hatte, wie verfallen der König seiner Frau sein sollte. Er hoffte, dass er dieses Gerücht auf der Reise widerlegen konnte. Doch so, wie er schützend neben ihr stand, hatte er wenig Hoffnung.
»Eure Hoheiten? Wo führt Euch der Wind hin?«, fragte er, da bisher noch nicht über ein Ziel gesprochen worden war.
»Die Rabenklippen«, erwiderte Yelir, der Cairos ernst ansah.
Dieser verzog die Lippen und rümpfte die Nase. »Dann hoffen wir, dass der Rabengott uns gnädig sein wird«, brummte er und wandte sich ab. »Setzt die Segel!«, schrie er über das Schiff, ohne weiter zu hinterfragen. Ihm gefiel das Ziel ihrer Reise nicht, doch wer war er, seinem König zu widersprechen?
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