Kapitel 16
»Wo genau reiten wir hin?«, fragte Zunae, die langsam neben Yelir herritt.
Sie erkannte im Schnee, dass jemand vor ihnen hier entlanggeritten war. Sie erkannte Pferdespuren. Nur wenige, was darauf hindeutete, dass auch nur eine Person hier gewesen war.
Das machte Zunae ein wenig misstrauisch, doch da sie mit Yelir unterwegs war, machte sie sich nicht so viele Gedanken.
»Zu einem meiner Lieblingsplätze im Winter«, erklärte Yelir, der eine große Tasche an seinem Sattel hängen hatte.
Bisher hatte Zunae gar nicht darüber nachgedacht, was Yelir so in seiner Freizeit tat. Daher war sie auch nicht auf die Idee gekommen, dass er einen Lieblingsplatz hatte.
»Bist du dort oft?«, fragte Zunae, die ihre Ungeduld zügeln wollte, indem sie mit Yelir sprach.
»Als Kind war ich oft mit meinen Brüdern dort«, erwiderte er, wobei er an seine Kindheit zurückdachte.
Misha und Degoni waren immer voller Vorfreude gewesen, ihren geheimen Platz, wie sie es damals nannten, aufzusuchen. Dabei war der See, umgeben von einem kleinen Wäldchen, nicht so unbekannt. Allerdings wurde er außerhalb von Festen nicht sonderlich stark frequentiert, weil er einfach zu weit von bewohnten Dörfern weg lag. Und da es im Moment nicht mehr so viele Bewohner in der Burg gab, war es dort ruhig.
Yelir führte Zunae durch das kleine Wäldchen, durch das man leicht reiten konnte. Kein dichtes Unterholz oder andere Hindernisse, die störten.
»Oh«, stieß Zunae auf, als sie im Sonnenlicht das Eis eines großen Sees erkannte. Es schimmerte wie Diamanten und lockte sie förmlich an.
Sie wurde langsamer und rutschte dann von ihrem Pferd, ohne auf Yelir zu achten.
Dieser blieb ebenfalls stehen und ohne Zunae aus den Augen zu lassen, stieg er ab und löste die Tasche.
Es war beruhigend zu sehen, wie verzaubert Zunae durch den Schnee stapfte und sich das Eis besah. In den Südlanden waren die Winter nie kalt genug, damit die Seen zufroren. Es war das erste Mal, dass sie einen solchen sah.
»Er ist wunderschön«, sagte sie, als sie am Rand angekommen war und sich wieder zu Yelir drehte.
Dabei bemerkte sie, dass dieser am Boden etwas Platz gemacht hatte. Dort lag nun ein großes Fell und Schuhe, die Zunae die Stirn runzeln ließen. »Was machst du da?«, fragte sie, denn sie verstand nicht, warum die Schuhe metallene Aufsätze hatten. Sie erinnerten Zunae an die Kufen der Schlitten.
»Ich möchte mit dir Schlittschuh laufen«, erklärte er und deutete auf die Schuhe mit den Kufen.
Zunae runzelte die Stirn. »Was ist das? Was macht man damit?«
»Ich zeige es dir gleich«, versprach Yelir, der alles auf das Fell legte, bevor er Zunae die Hand reichte.
Überrascht, was er nun vorhatte, nahm sie diese und ließ sich zum See führen.
Als Yelir jedoch einen Schritt auf das Eis mache, schnappte sie nach Luft. »Was tust du da? Pass auf«, stieß sie hervor, denn sie war sich sicher, dass das Eis brechen würde.
»Keine Sorge«, sagte Yelir, der hochsprang, um zu zeigen, wie stabil das Eis war. »In den Nordlanden sind die Seen sicher, wenn sie gefroren sind.«
Zunae brauchte einen Moment, um Yelir auf das Eis zu folgen. Als ihr Fuß dieses berührte, rutschte sie sofort aus, da sie nicht mit einer derart glatten Oberfläche gerechnet hatte.
Ein überraschter Laut verließ ihren Mund, bevor sie sich in Yelirs Armen wiederfand, der leise lachte.
»Mach langsam«, sagte er sanft, hielt sie aber bewusst bei sich.
Der Duft, der von ihr aufstieg, beruhigte ihn sehr, auch wenn er ihn nicht ganz einordnen konnte. Sie hatte schon immer wie eine frische Brise gerochen, doch heute war da ein leichter Minzgeruch.
»Ich habe nicht erwartet, dass es so glatt ist«, murmelte sie und versuchte, irgendwie zu stehen. Allerdings waren ihre Schuhe nicht so richtig dafür geeignet.
Yelir half ihr und zog sie ein Stück mit sich, so dass sie über das Eis glitt. »Mit Schlittschuhen geht das besser«, versicherte er sanft, wollte aber, dass sie erst einmal ein Gefühl für die Lage bekam.
»Das hast du als Kind mit deinen Brüdern gemacht?«, fragte sie, während sie sich die größte Mühe gab, sich nicht zu dumm anzustellen.
Noch verstand sie nicht, wie man daran Spaß haben konnte. Wäre Yelir nicht hier und würde sie halten, wäre sie schon längst gestürzt.
Yelir führte sie langsam wieder zum Rand. »Ich zeig es dir«, meinte er und nahm die Schlittschuhe, als sie zurück beim Fell waren. Dieses war durch magische Steine so geschützt, dass es nicht nass oder kalt wurde. Perfekt, um im Schnee zu sitzen.
Zunae, die sich erschöpft fühlte, ließ sich nieder und beobachtete, wie Yelir die seltsamen Schuhe anzog und dann auf das Eis ging.
Sie schnappte nach Atem, als er plötzlich elegant über das Eis glitt. Es sah aus, als würde er tanzen.
Zunae erhob sich und trat näher an den See heran, um Yelir beobachten zu können.
Seine Bewegungen waren kraftvoll und elegant zugleich, weshalb sich Zunae einfach nicht sattsehen konnte.
Hatte er deshalb gesagt, dass sie Kleidung anziehen sollte, in denen sie sich gut bewegen konnte? Wollte er mit ihr auf dem Eis tanzen?
Je länger Zunae ihn beobachtete, desto unruhig wurde sie. Sie wollte es ebenfalls versuchen und genauso auf dem Eis tanzen, wie Yelir.
Dieser kam wieder an den Rand, als er merkte, dass Zunae die Schuhe in Augenschein nahm.
»Zum Leuchten der Wintersterne werden wir ein kleines Fest abhalten. Mit dem See im Zentrum«, erklärte er, während er beobachtete, wie Zunae die Schuhe anzog.
»Leuchten der Wintersterne?«, fragte Zunae, die sich nur vage daran erinnerte, das schon einmal gehört zu haben. War das nicht ein Fest, das in den Nordlanden im tiefen Winter begangen wurde?
»Ja. Es ist in ein paar Monaten. Am Tag der längsten Nacht, wenn die Wintersterne fallen«, erklärte Yelir, der am Rand darauf wartete, dass Zunae ihn erreichte.
Sie stakste durch den Schnee und wedelte mit den Armen, um nicht zu fallen, was ihn innerlich grinsen ließ.
Als sie den Rand erreichte, öffnete er seine Arme, um sie zu halten. Er wusste gut, dass die ersten Schritte mit Schlittschuhen sehr ungewohnt waren und er wollte nicht, dass sie fiel.
Zitternd, weil sie sich angestrengt hatte und so aufgeregt war, griff Zunae nach Yelirs Armen. Als ihr Fuß das Eis berührte, rutschte sie sofort weg und landete erneut in den Armen ihres Ehemannes.
Dieser küsste sanft ihre Wange, bevor er ihr half, zu stehen.
»Gar nicht so einfach«, keuchte Zunae. Bei Yelir hatte es so leicht ausgesehen.
»Du schaffst das schon«, versicherte er, bevor er sich die Zeit nahm, ihr geduldig zu erklären, was sie machen musste und wie sie sich bewegen sollte.
Zunae musste zugeben, dass er ein sehr geduldiger Lehrer war. Sie fragte sich, ob er auch so mit seinen Soldaten umging.
Er schaffte es, dass sie in weniger als einer Stunde allein auf den Kufen stehen und Fahren konnte, ohne hinzufallen und Angst zu haben.
Es war wunderbar, auf dem Eis zu gleiten. Zunae fühlte sich frei und hatte so viel Spaß, wie schon lange nicht mehr.
Es war eine gute Idee gewesen, mit Yelir Zeit zu verbringen. So fühlte sie sich wieder geerdet und bereit für weitere Herausforderungen. Immerhin hatte sie noch einiges an Arbeit vor sich.
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