Kapitel 12
Zunae trieb ihr Pferd immer weiter an, während die kalte Luft ein Stechen auf ihrer Haut hinterließ.
Ihr Atem bildete weiße Wölkchen und es brannte in ihrer Kehle, wenn sie zu tief einatmete, doch Zunae hieß das willkommen. Der körperliche Schmerz betäubte den seelischen und ließ sie an andere Dinge denken.
Was sollte sie jetzt tun?
Das Bild von Yelir und Ariel ging ihr einfach nicht aus dem Kopf.
Am liebsten hätte Zunae das Pferd noch mehr angetrieben, doch sie spürte, dass das Tier an seinen Grenzen war.
Zunae lenkte es sicher durch die Dunkelheit, ohne zu merken, dass Aaron ihr auf den Fersen war.
Sie hatte kein bestimmtes Ziel, da sie die Umgebung nicht ganz so gut kannte. Der einzige Weg, der ihr ins Blut übergegangen war, war der nach Kavalare, aber was wollte sie dort? Dort waren zu viele Menschen.
Sie bog von dem Weg ab, der nur zu erkennen war, weil er Schnee plattgedrückt war. Jetzt aber musste das Pferd durch den Schnee stapfen und wurde dadurch langsamer.
Zunae spürte, wie ihr die Tränen über die Wangen liefen und am liebst hätte sie sich zusammengerollt und geweint, doch sie fühlte sich noch nicht sicher genug. Sie war zu nah an der Burg. Zu nah an Yelir.
Als das Pferd nicht weiter laufen konnte, schwang sich Zunae hinab. Ihre Magie in ihren Beinen sammelnd, gelang es ihr, auf dem Schnee zu laufen, als hätte sie Schneehuhe an. Eine Fähigkeit, die sie sich erst in den letzten Wochen angeeignet hatte.
Sie war sich sicher, dass es ihr besser ging, wenn sie sich körperlich erschöpfte. Das hatte ihr bisher immer geholfen.
Zunae bewegte sich immer weiter in den kleinen Wald hinein, der zwischen der Burg und Kavalare lag. Ihr Körper schmerzte vor Kälte, doch ihr Geist wollte einfach nicht aufhören, sich immer wieder um das zu drehen, was sie gesehen hatte.
Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, sich in ihrem Zimmer einzuschließen, doch alles hier ließ sie an Yelir denken und das wollte sie nicht. Das Problem war nur, dass die Nacht ihr die Sicht erschwerte und sie nicht einmal etwas fand, um sich abzulenken.
Die Geräusche der Tiere waren verstummt, weil sie durch ihr Auftauchen zu viel Lärm machte, auch wenn sie eigentlich recht leise war. Dazu kam ein seltsamer Geruch von Asche und Schlamm, der so gar nicht zu der verschneiten Umgebung passen wollte.
Sie irrte durch das dichte Unterholz, das teilweise so im Schnee versteckt lag, dass sie es kaum sehen konnte und immer wieder darüber stolperte.
Irgendwann hielt sie an, ließ sich an einem Baum im Schnee nieder und schlang die Arme um ihre Beine.
Zitternd holte sie Luft, bevor sie ihren Tränen freien Lauf ließ.
Sie verstand nicht, warum die ganze Sache sie so sehr mitnahm.
Vielleicht war es nicht einmal das, was sie gesehen hatte, sondern die aktuelle Situation.
Sie hatte die Vision ihrer Vergewaltigung noch nicht ganz verkraftet, da stellte sie fest, dass sie schwanger war. Eine Sache, die dafür sorgte, dass die Zukunft, die sie gesehen hatte, eintreten würde. Dabei hatte sie alles daran gesetzt, dass eben diese nicht wahr wurde.
Das Wissen, dass ihre gesamte Familie und all ihre Lieben sterben würden, hatte sich in ihr zu einem festen Ball geformt, der nun begann, aufzubrechen und sie in sich zu ziehen.
Schon immer hatte sie von einer eigenen Familie geträumt. Von einem liebenden Mann, denn sie geglaubt hatte, in Yelir gefunden zu haben und vielleicht ein oder zwei Kindern.
Ihre Hand wanderte auf ihren Bauch.
Dieses Kind kam unerwartet und dennoch wollte sie es haben. Nur wusste sie, was dann geschehen würde.
Zunae zog ihre Beine enger an sich, während ihr ganzer Körper zitterte. Sie fühlte sich so hilflos, dass sie einfach nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Ihre Visionen hatten sie schon immer verwirrt, aber noch nie so verunsichert.
Sie fühlte sich allein und verantwortlich für die Zukunft. Mit wem sollte sie darüber sprechen? Wer konnte ihr helfen?
Zunae wünschte sich zurück in ihre Kindheit. Wo noch alles einfach gewesen war. In die Arme ihres Vaters.
Yelir fluchte, als er in die Stallungen kam. »Wo bei allen Göttern ist sie hin?«, schrie er Evareth an, weil Zunaes plötzliche Flicht ihn verunsichert hatte.
»Sie hat nichts dazu gesagt«, erwiderte Evareth, der sich sichtbar unwohl fühlte. »Aaron ist ihr nach, um auf sie aufzupassen.«
Yelir fuhr sich durch die Haare und machte sich sofort auf den Weg, ein Pferd zu satteln. Wie konnte sie nur so dumm sein, ohne Kleidung auszureiten. Es war extrem kalt und zu allem Überfluss begann es auch noch zu schneien. Wie sollte er so nur finden?
Gerade, als sich Yelir auf sein Pferd schwang, erschien vor ihm ein kleiner, leuchtender Punkt. Wie ein Glühwürmchen oder ein Stern.
Zuerst ignorierte er es, doch ales es zum wiederholten Male in sein Blickfeld flog, brummte er und sah es genau an.
Yelir blinzelte mehrmals, um sicherzugehen, dass er richtig sah.
Es war eine schimmernde Kugel, die beim genaueren Hinsehen den Eindruck eines zusammengeballten Sternenhimmels machte.
Sofort wusste er, woher diese Kugel kam, auch wenn er nicht verstand, warum.
Statt den Spuren im Schnee zu folgen, jagte er der Kugel hinterher, die ein beachtliches Tempo vorgab.
In Yelir stieg Angst auf. Wenn Chiaki sich einmischte, musste Zunae in Gefahr sein. Anders konnte er sich das nicht erklären.
Zuerst folgte er einen Weg, der leicht zu reiten war, doch schon bald kam er mit dem Pferd nicht weiter.
Fluchend schwang er sich hinab und versank förmlich im Schnee.
Was hatte sich Zunae nur dabei gedacht? Wo war sie hin gegangen?
Die Kugel aus Sternen führte Yelir immer weiter hinein in einen Wald, von dem er sehr genau wusste, dass es Wölfe gab. Nicht, vor dem Zunae sich in Acht nehmen musste, wenn sie richtig da wäre. Wenn er jedoch an ihren Blick dachte und wie sie vom Hof geritten war, fragte er sich, ob sie vielleicht in einer Vision gefangen war. Damals im Wald, bei ihrer ersten Vision, die Yelir direkt miterlebt hatte, war sie auch sehr verwirrt gewesen. Was, wenn sie sich deshalb verlaufen hatte?
Yelir ballte die Hände zu Fäusten, während er sich durch den Schnee kämpfte, der ihm bis über die Knöchel reichte.
Eine sehr gefährliche Umgebung. Sie könnte auf einem eingeschneiten See einbrechen, weil sie ihn nicht als solchen wahrnahm.
So viele Dinge, die geschehen konnten, gingen Yelir durch den Kopf und seine Sorge sorgte dafür, dass er nicht an Zunaes Magie dachte. Sie war in Gefahr, das war alles, was ihn gerade antrieb.
Dann erklang ein schriller Schrei, der Yelir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
Zunae!
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