Kapitel 1
Es war erst ein halbes Jahr her, seitdem Zunae, die Königin der Südlande, in die Nordlande gekommen war, um Frieden zu stiften. Nicht nur hatte sie König Yelir, den Herrscher der Nordlande, geheiratet, er hatte sie auch zur Mitregentin gemacht. Einen Posten, den Charlet schon begehrte, seitdem sie angefangen hatte, um Lacrew zu werben. Dieser hatte jedoch nie auch nur ein Fünkchen wahre Macht an sie abgegeben. Alle Privilegien hatte sie sich hart erarbeiten müssen.
Auch ihr Plan, ihren Marionettensohn Arcas auf den Thron zu setzen, war gescheitert. Er hatte gegen Yelir verloren und Schuld daran war nur diese fremde Königin, die sich hier breit machte wie eine Seuche. Eine Seuche, die das Leben ihres kostbaren Sohnes gefordert hatte.
Vermutlich war ihr nicht einmal bewusst, wie viel Kraft sie in Arcas Ausbildung und Erziehung gesteckt hatte. Wie schwer es gewesen war, ihn derart hörig zu bekommen.
Sein Tod war ein herber Verlust und würde ihre Position nur noch mehr schwächen.
Als Königin hatte sie einst die größte Macht innegehabt, die eine Frau in den Nordlanden haben konnte. Jetzt aber stand sie nur noch unter der neuen Königin, die ein ganz anderes Zeitalter einzuläuten schien.
Es ärgerte Charlet sehr, denn sie hatte ihre Spielsteine sehr präzise und vorsichtig gesetzt. Jeder einzelne Verlust würde es ihr schwerer machen, ihr Ziel zu erreichen.
Charlet blickte aus dem Fenster zum Innenhof des Tempels. Der Sternenhimmel schimmerte wunderschön, doch der Anblick machte sie lediglich wütend.
Die Trauung war erst ein paar Stunden her und die geladenen Gäste feierten ausgelassen. Charlet fühlte sich jedoch nicht danach, auch nur einen Fuß zu ihnen zu setzen.
Eigentlich hätte sie als Frau nicht an der Trauung teilnehmen dürfen, doch Yelir hatte sowohl sie, als auch die beiden Dienstmädchen der Königin und Ariel eingeladen. Auch die Fürsten hatten ihre Frauen mitbringen dürfen. Das hatte es noch nie gegeben, aber Charlet fühlte sich auch nicht danach, sich unter die Feiernden zu mischen.
Die Gespräche mit den Damen der Fürsten waren immer recht langweilig und eintönig und an die Männer kam sie eher selten heran.
Ein Klopfen an der Tür ließ Charlet zucken und sie wandte sich mit verzogenem Mund vom Fenster ab. War das schon wieder Degoni, der sie bat, der Feier beizuwohnen? Dabei dachte sie, sie hätte klar gesagt, dass sie kein Interesse hatte.
Charlet stieß die Luft aus und versuchte, sich ihre schlechte Laune nicht so sehr anmerken zu lassen, als sie zur Tür ging. Diese Königin raubte ihr sämtliche Nerven und wie sie gesagt hatte, war sie eine Gefahr für ihr Land.
Nicht nur ihr Sohn war tot, jetzt gab es auch noch eine Frau auf dem Thron. Wäre sie es gewesen, die sich mit den Traditionen der Nordlande auskannte, hätte sie nicht gemeckert, doch ausgerechnet eine Südländerin? Was dachte sich dieser Mann nur dabei? Wie konnte er freiwillig auf so viel Macht verzichten? In diesem Punkt kam er eindeutig nicht nach seinem Vater.
Charlet hatte schon Wörter auf der Zunge, die sie ihrem Sohn an den Kopf werfen wollte, da erblickte sie einen blonden Wuschelkopf und ein charmantes Lächeln.
Röte bildete sich auf ihren Wangen. »Fürst Ladvarian«, sagte sie flüsternd und trat einen Schritt zurück. »Was führt Euch hierher?«, fragte sie und blickte kurz in den Gang, ob er allein war.
Fürst Ladvarian trat ein, griff ihre Hand und küsste sanft ihre Knöchel. »Ich habe den König gefragt, warum seine Eltern nicht dabei sind und er sagte, dass Lacrew krank sei und Ihr Euch ebenfalls nicht wohl fühlt, aber trotzdem mitgekommen seid«, erklärte er mit einem charmanten Lächeln und einem Funkeln in den Augen. »Darum wollte ich mich erkundigen, wie es Euch geht.«
»Es ist sehr freundlich von Euch«, erwiderte Charlet, die nicht damit gerechnet hatte, dass Yelir überhaupt zugeben würde, dass sie hier war. »Wäre die Braut eine andere, hätte ich die Hochzeit vielleicht auch genießen können.«
»Was stört Euch an der Prinzessin der Südlande?«, fragte Fürst Ladvarian neugierig, während er auf den kleinen Tisch zuging, um sich dort niederzulassen.
Charlet verzog das Gesicht, während sie ihm eine Tasse Tee eingoss. »Genau das. Sie ist aus den Südlanden, unseren Feinden. Und er räumt ihr derart viel Macht ein«, erklärte Charlet und rümpfte die Nase.
»Das kam auch für mich überraschend. Aber aufgrund ihrer Erfahrung im Handel kann ich das durchaus verstehen«, erklärte er und nahm dankbar den Tee entgegen.
»Seit Ihr Zunae bereits begnet?«, fragte Charlet skeptisch, die Fürst Ladvarian eingängig musterte. Ließ er sich von diesem schönen Gesicht auch so verzaubern, wie ihr Sohn?
»Noch nicht. Aber ich habe vor, sie heute kennenzulernen«, erklärte er und nahm einen Schluck. »Sie wirkt wie ein naives Mädchen, das denkt, sie könne mit Geld die Leute auf ihre Seite ziehen. Ich habe vor, es ihr nicht zu leicht zu machen«, erklärte er mit einem Lächeln, das eine Spur Hochmut enthielt. »Die Wirtschaftsmacht der Nordlande ist meine. Ich werde dieses Geschenk von Euch sicher nicht so einfach an sie abgeben.«
Charlet nickte zustimmend. »Ich werde Euch helfen, so gut ich kann.«
»Ist es wahr, dass sie die Herrschaft über Kavalare übernommen hat?«, fragte Fürst Ladvarian voller Neugier. Er konnte sich das kaum vorstellen, doch die Händler, die in seine Stadt gekommen waren, hatten Waren angeboten, die es so nicht geben sollte. In dieser Jahreszeit war das nur möglich, wenn sie viel Magie nutzen. Soweit er wusste, gab es jedoch in Kavalare niemand, der so stark war oder ein Artefakt in diesem Bereich besaß.
Charlet schnaubte. »Sie spielt sich als Retterin auf. Mir kam zu Ohren, dass sie sogar die alten Magiesteine der Dorfbewohner aufgekauft und durch neue ersetzt hat. So eine Geldverschwendung. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass sie wirklich in der Lage war, sie mit Magie zu füllen.« Charlet verzog den Mund und schüttelte sich.
Fürst Ladvarian beobachtete Charlet genau. Die Abneigung gegen die neue Königin war ihr deutlich anzusehen. »Stimmt es, dass sie Euren Sohn ...«, setzte er an, doch traute sich nicht, den Satz zu beenden.
Trauer huschte über Charlets Gesicht. Gepaart mit Wut. »Sie hat ihn getötet«, stimmte sie zu und ballte frustriert die Hand zur Faust. Jetzt würde es für sie viel schwerer werden, Informationen von außerhalb zu bekommen. Aus dem Harem heraus war es schwierig an Neuigkeiten zu kommen. Arcas hatte sie damit unauffällig versorgt, denn niemand wunderte sich, wenn er Zeit mit dem Harem verbrachte, war es doch seine Aufgabe gewesen, diesen zu beschützen.
Charlet fragte sich, was nun passieren würde. Sie hatten keinen Aufpasser mehr und sie hoffte, dass sich Degoni dieser Sache annahm. Dann könnte sie wieder mehr Zeit mit ihm verbringen und ihn vielleicht auch davon überzeugen, dass diese Hochzeit keine gute Idee war.
»Mein Beileid«, sagte Fürst Ladvarian mit einem traurigen Blick, bevor er ihre Hände nahm. Dann beugte er sich über den Tisch und kam ihr so nah, dass seine Lippen ihr Ohr erreichten. »Aber Ihr seid noch nicht zu alt für einen weiteren Sohn.«
Charlet spürte Hitze in sich aufsteigen und erschauderte leicht. Das Problem war, dass Lacrew sie nicht mehr anfasste, obwohl sie schon seit vielen Jahren versuchte, ein weiteres Kind zu bekommen. Selbst Arcas war nicht ihm zu verdanken.
»Spielt Ihr damit auf etwas Bestimmtes an?«, fragte sie heiser. Wie schaffte dieser Mann es nur immer, ihren Körper derart zum Kribbeln zu bringen?
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