Um Mitternacht
Die Glocken schallen über den nebelverhangenen Friedhof, die schiefen Grabsteine scheinen zu erzittern, die wenigen verkrüppelten Bäume sich im Wind zu wiegen. Im Zentrum der Gräber steht sie, eine alte, kleine Kapelle, das Türmchen schon leicht windschief, doch die Glocken klingen unermüdlich und sauber wie am ersten Tag.
Die Luft ist von einer kraftvollen Aura erfüllt. Eine Art Spannung liegt über dem geisterhaften Ort, ist schon beinahe greifbar. Wäre etwas Lebendiges hier, so würden sich die feinen Härchen auf seiner Haut aufstellen und er würde ein leises Knistern - oder ist es doch ein Knacken? Ein Rauschen? - vernehmen.
Beim zwölften Schlag schwillt der Wind kurz an, verwirbelt den Nebel, lässt Schemen, Gestalten erscheinen. Zumindest scheint es so. Oder ist es doch nichts weiter als eine Einbildung? Eine Einbildung. Nichts weiter als Fantasie. Und wenn es doch echt ist?
Die Kerzen in den Lampen flackern hell auf, eine Eule lässt ihr nun merkwürdig schauriges Schuhu ertönen und die alte Kapellentür ächzt laut auf, als bleiche Körper sich durch sie hindurchschieben, langsam an Transparenz verlieren und die aufwendige, altmodische Kleidung erkennbar wird. Es waren Menschen und doch steht ihnen der Tod ins Gesicht geschrieben. Eingefallene Gesichter, leere Augen und blass, so blass. Und dennoch strahlen sie eine Art Macht aus, als sei der Friedhof ihr Reich.
„Esss isssssst sssoweit..."
Ihre geisterhaften Stimmen klingen wie aus weiter Ferne, eine Echo aus vergangenen Zeiten. Ihre Worte hallen über den Friedhof. Wenige Worte sind es nur und doch ist der Effekt nicht zu übersehen, als hätte alles auf einen Befehl gewartet und gehört.
Denn nun nehmen auch die anderen Schemen an Form an. Unterschiedlichste Menschen lassen sich erkennen. Kinder, zu jung verstorben, gebrechliche Alte, die ihr Leben gelebt haben, Erwachsene aus jedwener anderen Altersschicht. Und alle kommen sie aus einer anderen Zeit, gemeinsam haben sie nur ihre letzte Ruhestätte.
Ihr Heulen, Lachen und Singen weht mal leise, mal laut über den Friedhof.
Der Mond bricht durch die Wolken und taucht alles in silbriges Licht, lässt das Tanzen der Gestalten feierlich, geübt und doch spontan wirken.
Es ist Geisterstunde.
Und bis zum Morgengrauen wird der Ort des Todes in vergangenes Leben gehüllt sein.
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