"Der Sohn der See"
Drachen brüllten, Menschen schrien. Tote kreischten, doch im Götterhain war es still. Theon Graufreud, ganz ins Schwarz der Nachtwache gekleidet, stand neben seinem Feuerkäfig und blickte in die Dunkelheit, den geschwungenen Langbogen schussbereit in den Händen.
Er war nicht alleine. Um ihn herum standen weitere Männer. Die besten Bogenschützen aus ganz Westeros. Sie alle standen neben Feuerkäfigen, die Köcher voller Drachenglaspfeile neben sich. Über ihnen hingen die Äste des großen Wehrholzbaumes, dem Herzbaum des Götterhaines von Harrenhal. Wie alles in dieser Burg, war er gewaltig. Seine Blätter waren größer als Theons Hände. Die Äste so dick, das man auf ihnen ein Haus hätte bauen können und der Stamm so breit, das es mehr als zwanzig Männer bräuchte, um ihn ganz zu umfassen. Das Gesicht, das er seit Urzeiten trug, war streng, hart und grausam. Theon konnte den Blick der roten Augen spüren und wie sie ihn anstarrten. Er konnte die Verachtung der Alten Götter fühlen. Jedes Rascheln der Blätter und jedes knacken der langen Äste ließ ihn den Hass der Götter des Nordens fühlen. Du hast Ned Stark verraten, schienen sie zu flüstern. Er war dir ein Vater, doch du hast ihn verraten! Wir haben es gesehen.
Ich habe das für bezahlt!, dachte er stumm und musste an die Folter denken, die er in den Kerkern von Grauenstein erlitten hatte. Was der Bastard Ramsay Schnee ihm angetan hatte und das nur aus Spaß. „Ich habe für meinen Verrat an Lord Eddard bezahlt."
„Was meinst du?", fragte Gil Steinern. Der Generalhauptmann der Goldenen Kompanie stand in seiner Nähe. Mit den Augen suchte er die Umgebung ab, während seine Hände am Valyrischen Langschwert Waisenmacher lagen. Er war nicht der einzige Ritter mit einem Valyrischen Schwert.
Dickon Tarly, der Träger von Herzbann. Ser Lyn Corbray mit Lady Einsam, die berüchtigte Klinge mit dem Herzförmigen Rubinknauf. Ser Harras Harlau, der Ritter von Harlau trug Nachtfall, das einer seiner Ahnen einst von Dalten Graufreud, einem Ahnen Theons, geschenkt bekommen hatte. Denys Drumm, der das rote Schwert Rotregen trug, das sein Vater ihm vor der Schlacht anvertraut hatte. Der alte Eisenmann fühlte sich auf seinem Schiff wohler, er hatte sich aber dem Befehl von Prinz Jon und Königin Daenerys beugen müssen, dass sich alle Ritter, Lords und Kämpfer, die eine Valyrische Klinge trugen, sich im Götterhain zu versammeln hatten.
Und so hatten sie sich im Götterhain eingefunden. Fast zweihundert Männern, welche die letzten Klingen aus Valyrischem Stahl trugen, die es in Westeros noch gab. Theon war sich sicher: seit dem Untergang von Valyria hatte sich nie so viel Valyrischer Stahl an einem Ort mehr befunden. Harrenhals Götterhain war nun der tödlichste Ort in Westeros.
Und der Sicherste, denn mit ihren Schwertern waren sie den Weißen Wanderern am ehesten gewachsen. Theon drehte sich zu dem Wehrholzbaum um. Brandon Stark saß an dessen Wurzeln, direkt unter dem Gesicht. Sein Blick war leer und seine Augen weiß. Baelor Hohenturm, der Umsicht, das Schwert seines Vaters trug, stand neben ihm Wache.
Theon war mulmig zu Mute gewesen, den jungen Stark zu beschützen, doch er hatte sich verpflichtet gefühlt, es anzubieten.
Jon hatte ihn lange angesehen, als er Theons Bitte gehört hatte.. „Bist du noch immer so gut mit dem Bogen wie damals?" war seine Frage gewesen und Theon hatte genickt.
„Dann geh. Ziele gut und schieße schnell."
Asha hatte ihm die Hand gereicht und ein letztes Mal umarmt. „Was Tot ist, kann niemals sterben.", hatte sie ihm gesagt. „Aber töte die Schweine trotzdem. Wir sehen uns nach der Schlacht."
Und so stand er nun im Götterhain von Harrenhal. Umgeben von Rittern die alle geschworen hatten, den letzten Grünseher zu beschützen. Denn um ihn ging es. Brandon Stark war das eigentliche Ziel des Nachtkönigs. Von seinem Überleben hing alles ab.
Barrikaden und hohe Mauern umgaben die 20 Morgen Land, die zum Götterhain gehörten und verschlossen die Eingänge. Bogenschützen patrouillierten auf den Mauern. Rings um den Wehrholzbaum waren auf hundert Meter die Bäume abgeschlagen worden, um den Bogenschützen eine freie Sicht zu ermöglichen. Doch Theon bezweifelte, dass die Schützen auf den Mauern von Nutzen waren. Der Sturm des Nachtkönigs war so stark, das kaum ein Pfeil gerade flog.
Er sah über die Helme der Unbefleckten hinweg, die Königin Daenerys in den Götterhain entsandt hatte. Ihre Disziplin und ihre Drachenglasspeere würden einen ebenso großen Schutz bieten wie die Valyrischen Schwerter.
„Theon," sagte Bran. Der junge Stark sah zum Gesicht im Wehrholzbaum. „Die alten Götter. Du hast Angst vor ihnen."
Unsicher sah Theon zum Gesicht im Baum und dann wieder zu Bran. „Ich habe unter eurem Dach gelebt. Zehn Jahre lang. Ich habe gesehen, wie dein Vater und deine Familie zu ihnen gebetet habt. Sogar Sansa," er schluckte mühsam. „ich war immer ein Sohn der See und ein Anhänger des Ertrunkenen Gottes. Immer wenn ich im Götterhain war, dann habe ich die Wut der Alten Götter gespürt. Und nachdem ich Ned Stark, der mir mehr ein Vater war als Balon, verraten habe, kann ich ihren Hass noch mehr spüren."
„Sie hassen nicht. Du glaubst es nur," sagte Bran. „Sie sind wie die Natur selber. Sie beobachten, sie wandeln sich. Aber sie beugen sich nicht und greifen nicht ein, solange sie respektiert werden."
Theon packte seinen Bogen. Er hob den Blick und sah erneut in das Gesicht des Wehrholzbaumes. An einem Ast sah er vierzehn blutrote senkrechte Schnitte. Er meinte, dass irgendein Targaryen Prinz sie dem Baum einst zugefügt hatte, doch er wusste nicht mehr welcher. Vielleicht war es auch der schwarze Harren gewesen. „Was ich getan habe. Die Bauernjungen, die ich getötet habe... Die Männer von Winterfell. Ser Rodrick. All die anderen..."
„Du hast getan was du für richtig hieltest. Ich habe es gesehen Theon. All deine Gedanken, deine Zweifel, deine Träume, deine Folter." Bran sah ihn an und unendliches Wissen lag in seinen Augen. „Alles was du getan hast, hat dich hierher gebracht. Es war dir vorbestimmt. Du solltest hier sein. In diesem Moment. Das ist dein Schicksal."
Theon zögerte. „Was meinst du? Was ist mein Schicksal?"
Bran wand erneut den Kopf ab. „Ich sehe die Vergangenheit, nicht die Zukunft. Ich kann dir nur sagen, dass du hier sein musst."
Theon schluckte. „Was haben die Alten Götter für mich vorgesehen?"
„Vergebung."
Es war nur ein einziges Wort, doch es bedeutete Theon alles. Und als er Bran erneut ansah, war er den Tränen nahe.
„Theon. Ich vergebe dir," sagte Bran leise.
Theon Graufreud sank auf die Knie. „Ich danke dir Bran. Ich danke dir," sagte er, schluchzend vor Erleichterung. Ihm war vergeben worden. Das war alles, was er sich erhofft hatte, seit den Tagen der Folter in Grauenstein.
„Graufreud! Steht auf, sie kommen!", rief Gil Steinern mit vor Kampfeslust zitternder Stimme.
Theon stand auf. Er sah noch einmal zu Bran. „Ich danke dir."
Bran nickte. Dann wurde sein Blick wieder leer und er starrte in die roten Augen des Herzbaumes.
Theon ging zurück zu seinem Feuerkorb. Mit ruhigen, geübten Griffen legte er einen Pfeil auf die Sehne und hielt die Spitze in den Feuerkorb. Das mit in Öl getränkten Leinentüchern umwickelte Drachenglas fing Feuer. Wachsam sah er in die Dunkelheit. Eine Leichtigkeit, wie er sie seit Jahren nicht mehr gekannt hatte, überkam ihn. Und als er den Bogen hob, fühlte er sich wieder wie damals, als er noch ein grüner junge gewesen war, in den goldenen Tagen auf Winterfell. „Lasst sie kommen. Wir sind bereit!"
Die Blätter raschelten und Äste knackten. Dann ertönte ein lautes Poltern und Krachen, als der Nachtkönig mit seiner Magie die Barrikaden einriss. Schreie ertönten, als die Wiedergänger die Vorposten angriffen und zerstörten. Geist, Struppel und Grauwind heulten und knurrten. Und dann kamen sie. Die Wiedergänger erreichten den Waldkreis. Ihre blauen Augen leuchteten, doch sie griffen nicht an. „Spannen!", rief Theon. „Feuer!"
Pfeile flogen durch die Luft und trafen die Toten. Sie zerfielen zu dutzenden. Doch es blieben hunderte und tausende übrig. „Weiter schießen!" befahl Theon. „Haltet sie auf!"
Doch die Toten rührten sich überhaupt nicht. Sie standen nur da und ließen den Pfeilregen über sich ergehen.
„Haltet ein!" rief Theon. Da stimmte etwas nicht.
„Warum machen die nichts?", fragte Gil Steinern wütend. „Warum greifen sie nicht an?"
„Vielleicht warten sie darauf, dass wir unsere Pfeile verschießen.", vermutete Baelor Hohenturm, Umsicht in den Händen.
„Sollten wir einen Vorstoß wagen?" schlug Gil Steinern vor, begierig auf den Kampf. Er zog Waisenmacher.
„Nein. Wir sollten unsere Position halten. Der Schutz des Prinzen Brandon ist am Wichtigsten. Ganz wie die Königin es befohlen hat," sagte Ser Harras Harlau.
„Seit wann gehorchen Eisenmänner den Drachen?", fragte Ser Altonor Celtigar, der Erbe der Klaueninsel, der eine Axt aus Valyrischem Stahl und Eisenholz hielt.
„Lasst es, Celtigar.", befahl Ser Baelor. „Wir dienen nicht den Drachen, oder Hirschen, oder Wölfen. Wir dienen dem Leben. Und wenn Brandon Stark der Garant der Lebenden ist, dann werde ich ihn verteidigen."
„Sie kommen.", sagte Bran leise.
Ein starker Wind wehte durch den Götterhain und brachte weißen Nebel, der alles verschlang. „Schließt die Reihen!", befahl der Kommandant der Unbefleckten. Die Eunuchenkrieger schlossen die Reihen, verhakten die anderthalb Meter hohen Schilde und senkten die langen Spieße.
„Lasst sie kommen!" rief Baelor. „Valyrische Kompanie! Schließt die Reihen!"
Hinter Theon drängten sich die Männer zusammen und hoben ihre valyrischen Schwerter und Äxte.
Theon hob seinen Bogen und legte einen weiteren Pfeil an. Blindlings schoss er in den Nebel. Er hörte es splittern und ein lautes Kreischen ertönte, gefolgt von dem zu Boden fallen von Körpern.
„Ein guter Schuss, Graufreud. Einen habt habt ihr erwischt," rief Baelor zufrieden.
Ein heller weißer Speer flog durch den Nebel und traf Baelor Hohenturm in den Kopf. Er flog zurück und sein Körper wurde gegen den Wehrholzbaum geschleudert. Blut lief an dem weißen Holz hinunter und färbte das weiße Holz rot. Umsicht fiel ihm aus der Hand.
„Achtung, sie greifen an!", brüllte Gil Steinern.
Theon nahm den nächsten Pfeil auf. Noch immer war es Still im Götterhain. Totenstill. Er schoss einen weiteren Pfeil ab, doch er traf nichts.
Weitere weiße Speere flogen heran. Zwei der Unbefleckten fielen. Ihre Kameraden schlossen dir Lücken, doch weitere fielen. „Zurückweichen!", befahl Gil Steinern. „Schließt die Reihen! Die Schildreihen schließen!"
Die Unbefleckten wichen vor den Weißen Wanderern zurück. Der Nebel folgte ihnen. Das Glühen der blauen Augen jagte Theon einen Schauer über den Rücken. Erneut wähnte er sich auf der Mauer, wo der Nachtkönig das Horn des Winters eingesetzt hatte, um den riesigen Eiswall zu zerstören. Er versuchte diesem Gefühl Herr zu werden, indem er einen Pfeil nach dem anderen auf die Weißen Wanderer abschoss.
Doch kein einziger traf. Es war, als würde er auf Trugbilder schießen.
„Ich habe genug vom Verstecken!" rief Gil Steinern wütend. Er zog Waisenmacher und hob die Axt des gefallenen Altonor Celtigar auf. „Für das Leben!", rief er und sprang über die Unbefleckten hinweg.
„Steinern! Was tut ihr da?", rief Theon, doch der Generalhauptmann antwortete nicht. Mit einem wilden Kriegsschrei ging er auf die Weißen Wanderer los.
Entsetzt musste Theon mit ansehen, wie Gil Steinern die Weißen Wanderer in einen Kampf verwickelte.
Es war beinahe wie ein Tanz, denn der begnadete Krieger tanzte. Immer wieder schlug Gil zu, wich aus, duckte sich und parierte. Die beiden valyrischen Waffen glänzten dunkel im Fackelschein.
Theon hatte den Eindruck, dass die Weißen Wanderer zögerten. Sie schienen begriffen zu haben, mit welchen Waffen man gegen sie antrat.
Dann schaffte Gil Steinern das Unmögliche. Er stieß die helle weiße Klinge eines Weißen Wanderers beiseite und hieb mit Waisenmacher nach dem Wanderer. Der Valyrische Stahl durchtrennte den schwarzen Panzer und als er durch den Körper des Wanderers glitt, zerfiel dieser zu Eis und Kälte.
Die Verteidiger jubelten, doch das wütende Kreischen der Weißen Wanderer, übertönte sie. Der Nebel erhob sich und schwebte über die Bäume hinweg.
Theon stockte der Atem. Der Götterhain war voller weißer Wanderer. Mindestens einhundert, wenn nicht mehr. Ihre Augen glühten kalt und waren voller Zorn.
„Keine Sorge, Theon. Wir sind mindestens genau so viele.", sagte Lyn Corbray. Der Ritter zog Lady Einsam. „Kommt nur! Wir sind bereit!"
Und die Weißen Wanderer griffen an. Stumm und tödlich. Ihre Waffen waren Valyrischem Stahl mehr als ebenbürtig. Sie durchtrennten Kettenhemden, Plattenpanzer und warme Körper, als wären sie aus Pergament.
Doch die Lebenden wehrten sich. Alle waren große Krieger und ihrer Waffen mehr als würdig. Der Kampf war hart und brutal.
Theon musste immer weiter zurückweichen. Pfeil um Pfeil schoss er ab, um die Wanderer zumindest aufzuhalten, doch die kümmerten sich kaum um ihn.
Fünf Wanderer wurden getötet. Einer von Gil Steinern, einer von Denys Drumm und einer von Harras Harlau. Die anderen beiden von den Speeren der Unbefleckten. Doch die Lebenden konnten keinen Boden gutmachen. Immer weiter wurden sie zurück gedrängt.
Theon wollte einen weiteren Pfeil abschießen, doch sein Köcher, war leer. Er warf den Bogen weg und griff nach dem Drachenglasspeer, den jeder Bogenschütze besaß. Er drehte sich zu Bran um, der noch immer in seinem Stuhl saß. Stumm beobachtete Bran die Kämpfe um sich herum. Gil Steinern hatte es geschafft, sich zu den anderen zurück zu ziehen und stand mit Dickon Tarly neben Bran und bewachte ihn mit ihren Schwertern. „Graufreud! Kommt zu uns!", rief Steinern. Theon nahm seinen Speer und rannte zu ihnen.
Der Schaft eines Speeres traf ihn am Rücken und er wurde mehrere Meter über den Boden geworfen. Mühsam versuchte er aufzustehen, doch die Kälte schien ihn zu Boden zu drücken. Eis wanderte über den Boden und ließ ihn erstarren. Er konnte sich kaum noch bewegen, kroch nur noch über den Boden.
Um ihn herum gingen die Kämpfe weiter. Doch die Schreie erstarben einer nach dem Anderen. Vom Boden aus entdeckte Theon die Körper von Denys Drumm und Lyn Corbray. Und noch während er sie ansah, wurden ihre Augen blau und sie erhoben sich als Wiedergänger, ihre Schwerter noch immer in den Händen.
Theon stöhnte und robbte weiter. Er schaffte es, Brans Stuhl zu erreichen.
„Theon. Blieb liegen. Es ist vorbei.", sagte Bran leise.
Theon hob den Kopf. Bran schien über ihm zu thronen. In den Händen hielt er Eis. Das große Langschwert, das einst seinem Vater Eddard Stark gehört hatte. „Theon.", sagte Bran leise. „Du bist ein guter Mensch. Ich vergebe dir."
„Bran." keuchte Theon. Dann traf ihn die Klinge eines Weißen Wanderers im Rücken. Voller Schmerz bäumte er sich auf, ehe er zusammensackte.
Er sah Beine, die in einer schwarzen Rüstung steckten. Den schwarzen Lendenschurz und die schwarze Plattenrüstung. Fingerlange weiße Dornen bedeckten den kahlen Kopf wie einen eisige Krone. Der Nachtkönig war im Götterhain eingetroffen.
„BRAAAN!", rief Jon Targaryen. „NEIN!"
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