Kapitel 40
Feyns Auftauchen hatte meine Müdigkeit ersteinmal verdrängt. Lorion brachte ihn in die Küche. Dort bereitete Teleria gerade einen Teller ihres Hähnchen-Currys vor, und brachte ihn mit einer Karaffe Zitronenwasser zu Feyn an den Tisch. Dieser schien ziemlich ausgehungert zu sein, so wie er den Teller verschlang. Als er fertig war, goss er sich Wasser in sein Glas, nippte daran und sah, in die Runde.
Sein Blick blieb an Rallion hängen. „Wo ist der Rest des Rates?"
„Albion ist Calatin gefolgt, genau wie mein Sohn. Lata und Imion kamen bei dem Angriff in der Krankenstation ums Leben.", fasste dieser kurz zusammen. Betretenes Schweigen. Ich hörte ein Schniefen und sah wie Teleria die Tränen über das Gesicht liefen. Ich ging zu ihr und nahm sie in den Arm. Dankbar lehnte sie sich an mich. Feyn schien mich erst durch meine Bewegung wahrzunehmen. Er fixierte mich mit seinem Blick, dann runzelte er die Stirn. „Und wo ist mein Sohn? Und Floriel?", fügte er noch schnell hinzu. Es herrschte kurzes Schweigen. Keiner wollte diese Frage beantworten. Rallion räusperte sich und ergriff erneut das Wort: „Sie wurden von Calatins Männer gefangen genommen."
„Wo?", flüsterte Feyn. Man spürte, wie es in ihm brodelte. „Das wissen wir derzeit noch nicht. Wir hoffen, dass du Kyus oder Calatin aufspüren kannst." Fassungslos sah er Rallion an und als dieser keine Miene verzog, blickte er zu Lorion hinüber. Als würden sich die Beiden einen Spaß mit ihm erlauben. „Wie konnte das passieren?", donnerte er urplötzlich los. Mein Herz rutschte mir in die Hose. Wenn er erfuhr, dass ich diejenige war, die Calatin dabei half... Mir wurde übel. Ich wusste nicht, wer wen jetzt gerade hielt. Teleria schien sich gefangen zu haben und spürte, dass mir jetzt ein Donnerwetter drohte. „Wie?", brüllte Feyn in die Runde und haute mit einem lauten Rums auf den Tisch. Das Besteck auf dem Teller klapperte und aus seinem Glas schwappte das Wasser. „Calatin hatte einen Plan. Talin und Albion unterstützten ihn dabei und überrumpelten uns in dem Moment, als wir es bemerkten.", erzähle Lorion ihm in der Kurzfassung. Feyn musterte nun ihn, bevor er antwortete. „Wenn sie euch überwältigt haben, bevor ihr sie angreifen konntet, wie ist dann die Zerstörung zu erklären?"
„Woher?", fragte Lorion. In dem Moment aber kam Noam herein. Ich hatte ihn völlig vergessen. Er wurde vor einigen Tagen ausgeschickt, um sich umzusehen und nach Spuren Ausschau zu halten. Er ließ seinen Blick über jeden einzelnen im Raum gleiten. Bei mir verharrte er einen Moment länger, als würde er sich alles an mir genau einprägen wollen. Ein Schauer lief mir über den Rücken. Der Moment dauerte nur ein paar Sekunden, dann sah er Lorion an. „Auf meinem Rückweg traf ich auf Feyn und seine Männer. Sie verließen gerade das Krankenhaus." Lorion nickte verstehend. Teleria drückte kurz meine Hand und richtete erneut einen Teller her, den sie mit einem weiteren Glas zu Noam an den Tisch brachte. Dieser hatte sich neben Rallion gesetzt und bedankte sich höflich bei ihr. Als sie sich entfernte, fragte Feyn Lorion erneut: „Was also verursachte diese Zerstörung?" Der Älteste faltete seine Finger auf dem Tisch und sah Feyn an. „Calatin stand Lucy gegenüber. Wir dachten, er wäre weggetreten, doch das war eine Täuschung von ihm. Er wollte sie töten. Während er also Lucy angriff, hielten uns seine Anhänger in Schach. Um sich zu schützen, rief Lucy ihr Wächtertier." Feyns Blick huschte zu mir. Er betrachtete mich eingehend. Ich wusste nicht, was in ihm vorging. Ich rechnete nur jeden Moment damit, dass er mir an die Gurgel ging und mich anschrie, dass Kyus Verschwinden ganz allein meine Schuld war. Was ja auch stimmte. „Du kannst das Tier rufen?", fragte er nach einer Ewigkeit in die entstandene Stille. Jeder wollte ihm die Zeit geben, das Gesagte zu verarbeiten. Doch bevor ich antworten konnte, sprach Rallion: „Wir haben vorhin ihre Fähigkeiten geprüft. Für das erste Mal war sie nicht schlecht. Den Drachen zu kontrollieren erfordert aber noch ein wenig Arbeit."
Wieder blickte mich Feyn mit diesem durchdringenden Blick an. Dann nickte er aber bloß. Erleichtert atmete ich tief ein. Mein Großvater blickte liebevoll zu mir herüber. „Du solltest dich jetzt ein wenig ausruhen gehen, damit du nachher fit genug bist, mit Tarek zu trainieren." Er zwinkerte mir zu. Ich wusste, dass die Ältesten ungestört reden wollten, aber ich war froh, mich endlich in meinem Zimmer verkriechen zu können. Also verließ ich mit einem knappen Nicken den Raum. Noams Blick verfolgte mich.
Ich schob mich vorsichtig durch die Dunkelheit. Meine Hände an der Wand wiesen mir wieder den Weg. Bis meine Füße, die auch jetzt wieder nur mit Socken bekleidet waren, auf Stroh traten. „Floriel, hast du den Lufthauch gespürt?", wisperte eine tiefe und raue Stimme ein Stück vor mir. Sie jagte mir eine Gänsehaut des Glücks und der Angst über den Körper. Durch mein Blut floß Adrenalin und das pure Verlangen ihn zu berühren. Mein Herz zog sich schmerzhaft zusammen. „Kommen sie schon wieder?", hörte ich Floriel erschrocken auf der wohl anderen Seite des Raumes flüstern. Das Stroh raschelte, aber ob er zurückwich, sich aufsetzte oder gar aufstand, konnte ich in der Dunkelheit nicht sehen. Die beiden hielten die Luft an, doch als sie keine weiteren Geräusche hörten, räusperte sich Kyus. „Hallo?", flüsterte er. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. „Vielleicht nur eine dieser Ratten.", bemerkte Floriel leise. Zischend atmete ich ein. Ratten? Ich mochte sie nicht. Und die Vorstellung, dass ich nicht mal Schuhe trug, machte das Ganze nicht besser. „Da ist doch wer. Ich spüre es ganz genau!", sagte Kyus zu Floriel. „Vielleicht fängst du auch nur langsam an zu halluzinieren?", erwiderte Floriel. Ich schob mich weiter und fand mit der linken Hand den Ring der Kette. Langsam tastete ich mich daran entlang. Langsam ging ich in die Hocke. Dann spürte ich etwas Warmes und Weiches. Erschrocken zog ich die Hand weg, Adrenalin schoß erneut durch meinen Körper und ich hielt reflexartig die Luft an. Die Kette klirrte und das Stroh vor mir raschelte. „Was ist los?", erklang Floriels Stimme. „Da war irgendwas an meinem Bein!", keuchte Kyus erschrocken. „Ich sag doch, Ratten. Versuch sie zu verscheuchen.", zischte Floriel. Füße scharrten über den Boden, als wollten sie Stroh beiseite schieben. Ich nahm all meinen Mut zusammen und flüsterte: „Kyus?" Das Rascheln hörte abrupt auf. „Ist sie weg?", drang Floriels Stimme zu uns hinüber. „Pssst. Da ist irgendwer. Ich fühle es." Er hörte mich also nicht. Verdammter Mist. „Wer bist du?", hauchte Kyus. Ich sammelte meinen Mut, atmete tief durch und streckte meine Hände Richtung Boden um die Kette zu ertasten. Ich fand sie auch sofort und tastete mich also wieder voran. Diesmal war ich aber darauf gefasst. Kyus sog scharf die Luft ein, hielt aber still. „Was ist los bei dir?" Floriels Stimme war alamiert. „Pssst, warte." Ich erstarrte als die Zwei redeten, nur ließ ich meine Finger weiter tasten. Vom Bein, fand ich seinen Bauch, fuhr seine Brust hinauf. Ich merkte jeden seiner definierten Muskeln, was meine Konzentration sehr ins Wanken brachte und in mir Gefühle auslöste, die ich bis jetzt so noch nie gespürt hatte. Ich riss mich zusammen und ertastete seine Schultern und fand was ich suchte, sein Gesicht. Ich strich mit den Fingern über sein Kinn und legte meine Hände an seine Wangen. Es fühlte sich komisch an. Real, aber auch wieder nicht. Ich spürte, wie unregelmäßig seine Atmung ging und meine Finger fühlten wie sein Herz raste. Langsam zog ich ihn ein Stück zu mir, was er ohne Gegenwehr zuließ. „Was passiert bei dir Kyus? Nun red schon!", drang Floriels panische Stimme zu uns herüber. „Lass es mich rausfinden.", hauchte Kyus in meinen Händen ganz leise, um mich nicht zu verschrecken. Was ich total süß fand in diesem absurden Moment. Ich strich mit meinem rechten Daumen über seine Unterlippe, dann beugte ich mich vor und legte meine Lippen auf seine. Mein Körper wurde von verschiedenen Gefühlen überspült. Liebe, Zuneigung, Verlangen, Trauer, Sehnsucht... Ich war wie elektrisiert und auch Kyus schien es ähnlich zu gehen. Seine Hände hoben sich und umschlossen mein Gesicht. Auch wenn er mich nicht sehen und hören konnte, wir verschmolzen in diesem Moment zu einer Person. Bilder blitzen vor meinen geschlossenen Augen auf. Calatin und seine Anhänger, wie sie Kyus folterten. Erschrocken ließ ich von ihm ab. „Lucy.", hörte ich seine Stimme ganz nah vor mir. Trotz dieser schrecklichen Bilder stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. „Was? Wo?", fragte Floriel. „Sie ist hier, aber auch nicht.", flüsterte Kyus glücklich. „Du meinst, sie hat dich mental aufgespürt?" Ich merkte wie er nickte, doch das konnte Floriel nicht sehen, was er aber nicht realisierte. Er war zu abgelenkt. Ich musste unwillkürlich grinsen und mein Herz hüpfte vor Freude. In meinem Kopf ratterte es. Wie sollte ich ihm nur mitteilen, dass wir dran waren ihn und Floriel zu suchen, aber noch nicht wussten wo sie waren. Vielleicht konnte er uns einen Tipp geben. Ich tat das Einzige, was mir einfiel und küsste ihn erneut. Nur diesmal versuchte ich, ihm meine Erinnerungen zu zeigen. Ich stellte mir vor, wie die Bilder durch meine Hände in seinen Kopf gelangen. Ich stellte mir Tarek über der Landkarte vor und wie Lorion und Rallion auf verschiedene Stellen tippten. Doch nach ein paar Sekunden übernahmen meine Gefühle wieder die Oberhand. Ich sehnte mich so sehr nach ihm, dass es mir das Herz zerriss. Keuchend lösten wir uns voneinander. „Was tut ihr da drüben?" Ich merkte wie mir die Röte ins Gesicht schoss. Gut, dass es dunkel war und er mich eh nicht sehen konnte. Seufzend holte Kyus Luft: „Ich denke sie suchen nach uns. Aber ich weiß nicht, ob sie wissen, wo wir sind? Lorion und Rallion wirkten ratlos.", fasste er zusammen. „Woher...", setzte Floriel an. „Lucy hat es mir gezeigt. Ich kann sie nicht hören, aber ich spüre sie hier vor mir." Plötzlich wurden Schritte im Gang laut. Ich erschrak und wich zurück. Meine Gedanken fingen an zu kreisen, Schweiß rann mir über den Körper. Floriel hatte mich nicht bemerkt, aber wer weiß, was mit der Person ist, die auf dem Weg hierher war? Als mir plötzlich schwarz vor Augen wurde.
Schreiend setzte ich mich auf. Schweißgebadet und hektisch atmend, starrte ich an die Wand vor mir, bis ich bemerkte, dass ich nicht allein war. Ein weiterer Schrei entfuhr mir und ich schlug die Hände vor den Mund. Neben meinem Bett stand Tarek.
Fragend sah er mich an. Doch ich konnte ihm noch nicht antworten. Er stand auf und holte mir ein Glas Wasser, welches ich in einem Zug hinunter stürzte. Nachdem er das Glas aus meinen zitternden Fingern genommen und es auf meinem Nachtisch abgestellt hatte, setzte er sich auf meine Bettkante und nahm meine kalten Finger in seine. Ich hatte das Gefühl, als würde die Kälte in mir die Wärme seiner Finger aufsaugen, nur um sie zu vernichten. Mir war so Elend zumute und doch war ein Teil von mir glücklich. Ein völliges Gefühlschaos. Tarek ließ mich zur Ruhe kommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit, fragte er mich: „Warst du wieder dort?" Ich wusste, was er meinte ohne dass er es aussprechen musste. Daher nickte ich nur schwach. Ich atmete tief durch, um die Übelkeit niederzuringen, die sich gerade in mir breitmachen wollte. Da mir bewusst wurde, was ich da gehört und gespürt hatte. Ich erzählte Tarek meinen Traum, der definitiv keiner war. Diesmal konnte ich es mir nicht mehr einreden. Mit jedem Wort wurde mir unbehaglicher. Jedes Wort welches meinen Mund verließ, machte es noch schlimmer. Ich bemerkte die Tränen erst, als Tarek sie mir mit einem Taschentuch wegwischte. „Wir sollten das Training auf morgen verschieben.", sprach er leise. „Nein!" Das wollte ich nicht. „Ich will so schnell als möglich zu ihm. Jede Verzögerung macht nicht stärker." Energisch schüttelte ich dabei den Kopf. „Außerdem brauche ich dringend Ablenkung.", seufzte ich. „Verstehe."
„Und ich will das den anderen noch nicht sagen. Nicht, solang ich noch keine Ahnung habe, wo sich die Zwei überhaupt befinden." Tarek wog meine Worte ab, nickte dann aber. „Heute Abend arbeiten wir weiter an deiner Meditation." Worauf ich ihn entschlossen ansah und nickte. „Und nun los, ich soll dich schließlich trainieren.", grinste er mich breit an.
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