- 11 / Ric -
Mein Handy vibrierte, doch ich hatte es fast nicht mitbekommen. Eugene war derjenige, der mich aus meinen Gedanken riss.
« Was wichtiges? »
Ich griff in die Tasche meines Hoodies und wurde ganz steif als ich Avery's Namen las. Mein kleines Vögelchen hatte mich kontaktiert.
"Ich brauche dich."
Seit Stunden saß ich mit Eugene hier, wertete die Aufnahmen aus die wir von Eve hatten - aber wir kamen kein Stück weiter. Es war ein Rätsel wo hin die verschwunden war, ebenso, wie sie wieder auftauchte. Etwas stimmte ganz und gar nicht und ich wollte einfach nicht drauf kommen, was es war. Schließlich erhob ich mich und sah Eugene an.
« Ich muss kurz... Überprüf nochmal die Aufnahmen. Wir übersehen etwas und es macht mich wütend das wir nichts finden. »
Ohne auf seine Antwort zu warten ging ich hinaus, verließ sogar die Halle und stand nun, unweit meines Wagens, im Freien. Die kühle Nachtluft ließ mich etwas abkühlen.
Nach einigen Sekunden des läutens hob sie ab. Es war das erste Mal das wir auf diese Weise miteinander sprachen - wieder ein Meilenstein wie ich mir selbst einredete... Doch die Freude darüber ihre Stimme zu hören wurde sofort getrübt, gar düster, weil sie völlig außer sich war. Sie weinte und ich musste mich sehr konzentrieren ihren schnellen Worten folgen zu können.
« Langsam, kleines Vögelchen. Eve hat sich also gemeldet? Aber sie hat dir nicht gesagt wo sie ist? »
« Irgendwas stimmt nicht, Alaric. Und ich will sie finden. Ich muss sie finden. Ich gehe notfalls alleine los, aber ich weiß nicht wo ich anfangen soll. Bitte, hilf mir... Du hilfst doch Frauen in Not. Ich glaube, sie ist in großer Gefahr. »
Der Gedanke Avery würde alleine los ziehen um auf eigene Faust die Wahrheit ans Licht zu bringen machte mich noch wütender als ich ohnehin schon war. Ich knurrte, konnte meinen Zorn kaum zurück halten und sagte ihr, daß ich auf dem Weg zu ihr war. Wenn sie auch nur einen Fuß aus ihrer Wohnung setzen würde, würde ich sie bestrafen.
Ich hoffte das es genügte das so ernst wie möglich zu sagen, um sie dort zu halten wo sie war. In Sicherheit.
†
Ihre Wohnung lag in vollkommener Dunkelheit, einzig ein kleines Licht im Schlafzimmer brannte. Ich hielt mich dort auf, wo ich sicher war und sie kommentierte es nicht, war viel zu beschäftigt damit gegen die immer wieder aufkommenden Tränen an zu kämpfen.
Ihr war es völlig egal ob ich in dieser Situation mein Geheimnis um mein Aussehen für mich behielt.
« Kannst du helfen? »
Sie schniefte und es tat mir leid sie so zu sehen. Ich konnte mir nicht mal ansatzweise vorstellen was in ihrem kleinen, hübschen Köpfchen vor sich gehen musste. Das sie sich sorgte konnte ich allerdings überdeutlich wahrnehmen. « Du musst mir genau sagen was sie gesagt hat. Jedes Detail könnte helfen. »
Avery erzählte mir alles. Von der SMS bis hin zu dem Anruf, der für sie viel zu abrupt endete und noch mehr Fragen aufwarf. Sie wirkte auf mich nicht wie jemand der etwas verschwieg, also begann ich bereits die Suche zu planen, wusste aber gleichzeitig das es nicht leicht werden würde. « Als erstes brauche ich ihre Nummer. Ich werde mein Team dran setzen um sie zu orten falls das möglich ist. Versuch mit ihr in Kontakt zu treten, aber lass dir nichts anmerken. »
« Was heißt... Team? »
Sie hatte ein recht darauf es zu erfahren aber ich war vorsichtig. All die Jahre in denen ich mich wie ein Schatten bewegt hatte, war nie jemand nah genug an mich heran gekommen um auch nur einen Hauch zu erfahren. Würde ich Avery von Eugene, meiner Schwester und den Truppen erzählen, würde sich das ändern... Und gleichzeitig die Zielscheiben auf unsren Rücken vergrößern. « Das ist im Moment nicht wichtig. Wichtig ist das ich in der Lage bin dir zu helfen... Und natürlich Eve. Wenn sie da draußen noch irgendwo am Leben ist finde ich sie... Und wenn nicht... »
« Wenn sie tot ist will ich das die Menschen die ihr das angetan haben sterben. Ich werde sie umbringen. »
Ich hatte es nicht für möglich gehalten aber mein Schwanz wuchs bei den Aussagen die Avery traf. Ich stellte sie mir vor als blutdurstige Amazone und musste lächeln. Ich hatte wirklich keinen Anstand, denn gerade in dieser heiklen Situation forderte es Fingerspitzengefühl. Zum Glück sah sie mein Gesicht nicht.
†
Nur widerwillig verließ ich Avery's Wohnung, befahl ihr drinnen zu bleiben. Ich hatte keinen Nerv sie auch noch suchen zu müssen, aber ich brauchte meine Ausrüstung. « Wenn ich wieder komme und du bist nicht hier werde ich richtig übellaunig. Das müssen dann ganz viele Menschen ausbaden und das wollen wir doch nicht. »
Ich hatte Avery's Blick noch vor Augen als ich zum Wagen lief. Die Dunkelheit schützte mich, aber bei ihr verlor ich langsam den wichtigsten Grund aus den Augen, weshalb ich diesen Schutz überhaupt brauchte.
« Wirst du mir je erzählen wer du eigentlich bist... Also so wirklich? Du hast gesagt du bestrafst die Menschen die anderen weh tun... Aber ich weiß sonst gar nichts über dich. Ich kenne ja nicht einmal dein Gesicht, Alaric. »
Ihre Worte beschäftigten mich selbst dann noch, als ich bereits in der Halle ankam.
†
Eugene und Jess liefen auch Hochtouren. Zum einen weil ich Eve's Nummer in unseren hauseigenen Suchmonitor geladen hatte und darauf wartete das er einen Standort ausspuckte - zum anderen weil sie immer aufgeregt waren wenn etwas im Gange war. Ich ließ die Einzelheiten aus, erzählte jedoch das wichtigste. Die seltsamen SMS, dann der Anruf. Ihnen war genauso klar wie mir, dass das eine Falle sein konnte, aber wir waren bereit es darauf ankommen zu lassen.
« Gehen wir davon aus... Die Kuttis haben sie. »
Jess' verniedlichte die Arschlöcher um auf ihre Weise damit klar zu kommen. Ich hasste es, sagte aber nichts.
« Dann verstehe ich etwas nicht. Sie schaffen sie weg. Sie ist unauffindbar. Und dann taucht sie wieder auf. Wieso? Du hast keine direkte Verbindung zu dieser Frau und doch scheinen sie sicher, daß es eine gibt. Es ist eine Falle, Ric. Mir gefällt das ganz und gar nicht. »
Ich wollte Avery nicht erwähnen. Noch nicht. Für meine Verhältnisse war das der falsche Zeitpunkt.
« Und genau weil es eine Falle ist werde ich alleine gehen. Du kannst Eugene unterstützen. Wenn wir einen Standort haben kümmere ich mich darum. Halte du dich bereit, falls ich dich benötige. »
« Was? Du spinnst ja wohl! »
« Jess... »
« F*ck Dich Ric. Halt einfach deinen scheiß Mund und hör mir genau zu. DU gehst da nicht alleine hin, ist das klar? Ich werde nicht den wichtigsten Teil meiner Familie opfern, weil er zu stur ist auch nur eine Sekunde über Verstärkung nachzudenken. Wenn es eine Falle ist, wonach es stark aussieht, dann gehst du nicht ohne Backup. Das lasse ich nicht zu! »
Eugene schwieg die ganze Zeit während Jess aus vollem Halse schrie. Ich verstand ihren Standpunkt genauso wie die Sorge - aber es änderte nichts. Mein Entschluss stand fest, ganz egal was sie sagte. Ich konnte sie nicht in die Falle tappen lassen, wollte nicht riskieren das ihr etwas geschah. Mitleid spiegelte sich in Eugene's Blick als er zwischen uns hin und her sah.
Aber es war zu spät. Ich hatte meine Entscheidung getroffen und egal wie sehr sie sich dagegen wehrte... Sie konnte es nicht ändern. Auf dem Weg nach draußen griff ich nach meiner Tasche, dann stapfte ich zum Wagen. Ich hatte nur noch im Sinn so schnell wie möglich hier raus zu kommen, bevor meine eigene, einzige Schwester eine Waffe auf mich richtete.
†
« Mit etwas Licht würdest du besser sehen, findest du nicht? »
« Kleines Vögelchen... Ich weiß was du versuchst, aber keine Sorge. Ich weiß sehr genau was ich tue, selbst in der Dunkelheit. Das müsstest du ja wissen. »
Ich konnte mir den Kommentar nicht verkneifen und Avery sog scharf die Luft ein, erwiderte aber nichts. Mit meiner Tasche war ich wieder bei ihr einmarschiert - zum einen um sie im Auge zu behalten das sie nicht doch noch Kamikaze like nach ihrer Freundin suchte - zum anderen gefiel es mir, mit ihr zusammen zu sein. So vergrub ich mich bis Eugene anrief wenigstens nicht hinter den Monitoren.
Ich durchsuchte die Tasche nach etwas bestimmtem - ich wusste es ist da. Es dauerte etwas und womöglich wäre es im Licht tatsächlich schneller gegangen aber schließlich hielt ich die kleinen Knöpfe in der Hand. « Wenn ich die nötige Info habe werde ich gehen. Und bevor du auf dumme Ideen kommst - nein, du gehst nicht mit. Aber um sicher zu gehen das auch bei dir alles in Ordnung ist und du keinen Scheiß machst, wirst du das hier in dein Ohr stecken. Auf diese Weise können wir miteinander kommunizieren, wenn nötig. Klar soweit? »
Ich hielt ihr einen der Knöpfe hin und Avery legte die Stirn in Falten. Das kleine Licht aus dem Schlafzimmer beleuchtete ihr Gesicht nur schwach, doch gut genug um die Sorgen zu sehen die sie hatte.
« Ich weiß nicht... »
« Keine Widerrede, Avery. Zwing mich nicht dich ans Bett zu fesseln und dir den Knopf ans Ohr zu kleben. »
Wir hatten keine Zeit mehr diese Diskussion weiter zu führen, denn Eugene meldete sich. Tatsächlich hatte er etwas gefunden und gab mir die Adresse, sodass ich sofort los konnte.
Ein letzter Blick Richtung Avery... In diesem Moment hätte ich ihr liebend gern ein Lächeln geschenkt.
†
Als ich an der Adresse ankam überkam mich ein seltsam ungutes Gefühl. Es war mir nicht neu, weil ich es schon oft gespürt hatte - doch gerade in diesem Fall war es besonders intensiv.
Ein vor langer Zeit gestrandeter Tanker am Hafen war meine Anlaufstelle und ich ärgerte mich das wir nicht von selbst auf ihn gekommen waren. Schließlich betrat ich ich ihn. « Test, Test. »
« Ich höre dich, Alaric. Wo bist du? »
Netter Versuch, Baby.
« Am Zielort, kleines Vögelchen. Warte kurz, ja? »
Mit einer fließenden Bewegung tippte ich den Knopf kurz an um die Frequenz zu wechseln. Sofort hatte ich Jess und Eugene im Ohr. Meine Schwester zog es vor nicht mit mir zu reden, aber nicht weil sie sauer war - sie hatte Angst.
Um mich.
« Bin jetzt da. Ich durchsuche erstmal die unteren... Heilige Scheiße. »
« Was ist? RIC? »
Der Geruch von Tod schwappte in meine Richtung. Ich erkannte es sofort. Wenn man einmal diesen modrigen, verfallenen Gestank in der Nase hatte wurde man ihn nie wieder los. « Auf Standby. Ich sage Bescheid wenn ich was habe. »
Sofort schaltete ich auf Avery um. Sie wusste zwar nicht wo ich hingefahren war, allerdings hielt ich sie für schlau genug es herauszufinden - irgendwie. Davon musste ich sie abhalten. Außerdem beruhigte mich ihre Stimme etwas... Und das war genau das richtige, in diesem Moment wo mich doch der Geruch des Todes zärtlich berührte.
Ich hielt die Waffe angespannt, leuchtete die Dunkelheit aus, bis ich etwas entdeckte das wie Kerzen flackerte. Genau dort wollte ich hin, doch ich ließ mir Zeit, wollte die Falle zumindest sehen bevor ich hinein lief.
Das Licht wurde deutlicher...
« Was zum... Eine Kapelle? »
Avery wurde hellhörig. « Du bist in einer Kapelle? »
Alles war genauso her gerichtet wie in den Videos aus dem Darkweb. Sitzplätze, spärlich ausgeleuchtet, säumten meine Flanken. Je weiter ich ging desto mehr stieg mein Unbehagen, bis ich an einer Leinwand ein Bild entdeckte. Drei Schweine waren darauf abgebildet und ein Wolf der sich zwischen Bäumen und Gebüschen versteckte.
Eines der Schweine war blutrot beschmiert.
Plötzlich brach eine Halterung der Leinwand ab und enthüllte was sich dahinter verbarg. Mir gefror das Blut in den Adern. « Scheiße. »
« Was ist? »
Ich hatte Avery vergessen. Für einen verdammten scheiß Augenblick hatte ich vergessen das sie mich hören konnte. « Warte, ich... »
« Eve hat mir eine Nachricht geschickt! Lass mich nachsehen. Es ist ein... Video. »
Das konnte unmöglich sein. Nicht, wenn sie direkt vor mir baumelte. Tot und... Dermaßen verstümmelt. Also konnte das nur bedeuten, dass...
« Was? Was ist das...? Um Gottes Willen! »
« Avery, mach das aus. Sofort. »
Ich blieb ruhig obwohl ich innerlich völlig ausbrannte. Schreie drangen an mein Ohr, aber sie kamen nicht von Avery. Von ihr hörte ich nichts als unregelmäßiges atmen, gefolgt von Tränen und einem Laut wie ich ihn noch nie zuvor gehört hatte - als würde ein Tier Höllenqualen leiden. « F*ck! »
Schnell tippte ich den Knopf an und gab Jess und Eugene das GO den Trupp her zu schicken. Ich hatte keine Zeit mich um das hier zu kümmern... Es gab ohnehin nichts mehr das ich tun konnte. Bevor sie mich fragen konnten was los sei zog ich den Knopf aus dem Ohr. Ich war wie betäubt.
Und dann verließ ich den Tanker.
†
Ich schoss durch die Straßen von Burton mit nur einem Ziel - so schnell wie möglich zu Avery zu gelangen.
Als ich dort ankam hörte ich sie wimmern, fand sie auf dem Boden im Wohnzimmer. Das Display ihres Handys zeigte noch immer das gestoppte Video. Eilig schob ich es beiseite und zog sie an mich, so nah wie ich konnte.
Ich wollte das richtige tun, für sie da sein... Also tat ich es, als hätte ich so etwas schon immer getan. Als hätte ich keine verdammten Dämonen, die nun wieder einen weiteren Neuzugang zu verzeichnen hatten. Ich hielt sie und ließ sie weinen.
Bis nichts mehr übrig war.
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