Chapter 56
Wir hatten die Informationen diskutiert, die Liam auf der Party preisgegeben hatte. Es war schwierig gewesen den Inhalt der Begegnung aus ihm herauszustemmen. Harry wollte mir immernoch nicht von der Person erzählen, die seine Gedanken beschlagnahmte, wenn das Thema angesprochen wurde. Doch das spielte keine Rolle, wenigstens redete er darüber; ich nahm es als eine positive Entwicklung auf, hinsichtlich seinem Bedürfnis die Dinge in sich hineinzufressen. Es war einige Wochen her, seit wir uns entschieden hatten seine alte Nachbarschaft und die Erinnerungen, die in der Landschaft verschlossen waren zu besuchen. Ich hatte die Situation nicht erzwungen oder erdrängt. Erst als wir von einem Besuch bei seiner Schwester zurückkehrten wurde ein Umweg gemacht und das Auto hielt auf dem Bordstein etwas außerhalb von einem Park an.
"Jess und ich sind sonntags immer hierhergekommen, um auf den Schaukeln zu spielen. Mum hatte uns ein wenig Geld für Eis gegeben, aber ich wollte meins nicht, ich hab es Jess gegeben und sie hat zwei Kugeln anstatt eine gekauft."
Es war ungewöhnlich still, die kühleren Sommermonate verwandelten sich in die brennenden Farben des Herbstes. Harry nahm meine Hand, steuerte auf eine scheinbar vertraute Reihe von laubigen Wegen. Es war hübsch; ein klassischer Park mit Bänken und Kastanienbäumen, ein erdiger Duft, der mich in meine Kindheit zurück brachte.
Das Metalltor wurde für mich aufgehoben und ich fing an mir Harrys vornehme Geste zu Nutzen zu machen, betrat den fast menschenleeren Spielplatz mit ihm hinter mir. Ich lächelte, als ich ein entzücktes Quietschen hörte; das kleine Kind versteckte sich in der hölzernen Festung, während sein Vater ihn ausfindig machte.
Der Mulch war für einen gepolsterten Weg unter meinen Stiefeln gemacht, als ich mich bei einem Satz Schaukeln zu Harry gesellte. Die Bomberjacke die er trug war bis zum Hals mit dem Reisverschluss zugemacht, kämpfte damit die stürmische Brise zu verdrängen. Ich schob meine Hände in meine Hosentaschen, stupste seinen Schuh leicht mit meinem an. Er gab mir warm ein Zeichen seine Position nachzuahmen.
"Wir hatten ihr Eis gekauft und sind hierher gekommen. Sie hatte darauf bestanden Streusel zu bekommen und das ich die Schokoladenraspeln hatte." Sein Gesichtsausdruck erweichte bei der Erinnerung. "Es gab eine Jungengruppe; ein paar die ich aus der Gegend erkannte, wo wir wohnten. Sie schlugen ihr die Eistüte aus der Hand und lachten."
Ich setzte mich auf die Schaukel neben Harrys, tauchte so sehr in die Worte ein, dass ich sehen konnte, wie es sich vor meinen Augen abspielte. Eine jüngere Jess und ihr kleiner Bruder. Ich hatte Bilder von beiden zu der Zeit gesehen, als sie junge Teenager waren, Harry mit völlig lockigen Haaren und Grübchen.
Meine Beine richteten sich auf, ergriff die Ketten etwas, die an meinem Sitz befestigt waren und schaukelte vor und zurück.
"Ich hab ihn umgeschubst; ihm gesagt, dass er sich verpissen soll. Einer seiner Kumpels hat mich gegen die Brücke gestoßen," Harrys Augen magnetisierten sich auf die kleine, hölzerne Kreuzung, die die Rutsche und das Klettergerüst vereinte. "Ich hab ihm ins Gesicht geschlagen," gluckste er leise. "An dem Tag wurde ich so schlimm verprügelt, aber alles woran ich denken konnte war Jess. Sie hat mich praktisch nach Hause getragen, mir gesagt wie dumm ich gewesen war, eine Schlägerei anzufangen. Ich erinnere mich wie Mum uns angeschrien hat, uns sauber gemacht und uns in unsere Zimmer gebracht hat, bevor Dad nach Hause kam."
Harry hatte mich nicht angeschaut, während er es wiedergab, war vermutlich von den Bildern aufgeholt worden, die sich bereits abgespielt hatten. Mit seinen Füßen immernoch Kontakt mit dem Boden aufnehmend streckte er seine langen Beine, drückte sich in dem Sitz nach hinten, um Schwung zu bekommen.
"Ich glaube das war der Tag, an dem meine Mutter realisiert hatte, dass ich ihr nicht länger beistehen würde...Es hat ihr Angst gemacht."
***
"Das ist dein Haus?"
Es war ein Reihenhaus, mit roter Haustür und einem hübschen Garten; ein Haus, dass jemand anderes Zuhause nannte. Die Umgebung war ruhig, eine Dame und ihr Hund wünschten uns einen "schönen Nachmittag", als wir auf dem Weg an ihr vorbeigingen.
"Es war mein Haus."
"Es sieht schön aus, Harry."
"Eine Schande, dass das Leben innerhalb nicht mit dem von außerhalb mithalten konnte."
Er setzte ein kleines, erzwungenes Lächeln auf. Doch ich konnte sehen, wie gequält er war vor seinem alten Haus zu stehen, fragte mich wieviele Skelette den Schrank bewohnten.
"Wir können gehen, wenn du das willst?" fragte ich, in Sorge, dass der Besuch eine negative Auswirkung hatte.
Ich wollte nicht, dass er für irgendetwas Reue spürte, das in diesem Haus passiert war. Ich hatte mir diesen Ausflug ein wenig reinigend vorgestellt, eine Art Entgiftung. Dennoch war es ersichtlich, dass es viel mehr als eine simple Autofahrt brauchen würde, um die Emotionen auszulöschen, die mit dem Haus verbunden waren.
Wir standen zusammen da, Harry hielt meine Hand, fast als würde er etwas brauchen, um ihm in der Gegenwart zu verankern und ihn daran zu hindern, in seine Erinnerungen abzuschweifen. Seine Haltung war angespannt, widerwillig seinen Schutz herabzulassen. Harrys zuvor schwindende Konzentration schnappte zur Aufmerksamkeit zurück, als er ein Krachen aus der angrenzenden Garage des Hauses hörte. Ich hatte nicht wirklich an sie gedacht, bis ich dazu angeregt wurde dem neugierigen Jungen zu folgen.
Ein lautes, untaugliches Knallen war zu hören, als wir uns der Seitentür näherten, die durch eine gepflegte Hecke geschützt war. Es war nicht die Art von Lärm, der irrtümlich für eine Schreinerei oder einen Bau gehalten werden konnte; da war keine Methode in dem Knallen. Das Geräusch passte mehr zu dem Kampf eines gefangenen Vogels, der dringend Flucht benötigte.
"Harry?"
"Ich wollte nur sehen, ob es ihnen gut geht."
Seine Hand drückte sich an die Tür, die etwas angelehnt war, schob sie auf, um eine stolpernde Figur zu offenbaren. Es schien als wäre unser Zutritt von dem Mann unbemerkt geblieben, als er gegen eine mit Regalen versehene Wand mit Farbtöpfen torkelte.
Meine Reflexe zwangen mich dazu einen Schritt nach hinten zu machen, als er sich umdrehte, um uns entgegenzutreten. Mein Kopf überflog ihn für eine schnelle Beurteilung, Ende vierzig, ein steifer Kiefer, Stoppel, durchschnittliche Größe und Augen, die selbst die Tapfersten zu einem spitzfindigen Durcheinander minimieren konnte. Die selben Augen waren Harry nicht abgewichen und sein Gesicht war unlesbar, als ich mich in das anstarrende Spiel zwischen den beiden einmischte. Ein furchtloser Krieger, bereit für den Kampf.
"Wo ist Kathy?"
Der Mann kannte Harrys Mum. Ich hatte das Gefühl, dass das kein Zufall war. Seine barsche Frage war mit Anschuldigung gefärbt.
"Wir wohnen hier nicht mehr," erwiderte Harry scharf, benutzte unsere verknüpften Hände, um mich leicht hinter ihn zu stoßen. "Das hier ist nicht dein Zuhause...Du solltest nicht hier sein."
Der Ton, den er hielt war ein Hinweis darauf, dass Harry nicht einfach diesen genauen Moment bestimmte, es lief auf einer tieferen Ebene. Der Mann war in Harrys alter Nachbarschaft unerwünscht, hatte nicht das Recht auf dem Gelände zu sein, wo wir standen und zweifellos war er es nicht würdig in Harrys Gegenwart zu sein.
"Dein Fahrrad ist draußen am Gatter," lallte er.
Nein.
"Mein Fahrrad war blau," rief Harry zurück. "Mum hatte es für meinen siebten Geburtstag gekauft. Du bist mit dem scheiß Auto rückwärts drüber gefahren, als du betrunken warst und hast dann mir die Schuld dafür gegeben."
Es zerbrach mein Herz, dass er sich an solche Einzelheiten erinnern konnte. Er hatte diese traumatischen Kindheitserinnerungen seit Jahren mit sich rumgetragen.
Es war diese kleine Information, die die Dinge klar werden ließ. Jetzt machte es Sinn. Harrys Vater. Es war sein Vater, der zurück war. Er war der Mann, von dem Liam geredet hatte, die Gerüchte die getuschelt wurden, als ob er so etwas wie eine schrecklicher Mythos wäre, angesehen für die Familie, die er beschmutzt hatte. Die Information hatte sich unter Harrys Freunden wie ein in der Luft geborener Virus verbreitet, die immernoch in der Gegend verblieben, in der er aufgewachsen war.
"Du hast mich angeschrien, als ich geweint habe," sprach Harry grob. "Ich war sieben."
Ich wünschte mir verzweifelt, dass ich hätte da sein können; den kleinen Jungen zärtlich an mich drücken, der um den Verlust seines geliebten Geschenkes trauerte. Sein Väter hätte derjenige sein sollen, der ihn tröstete, doch so war es nicht gewesen.
"Mum konnte sich es nicht leisten mir ein neues zu kaufen. Du hast noch nichtmal gesagt, dass es dir leid tut."
Harry hatte mir seinen Namen nicht gesagt, es war die Zeit nicht wert. Der einst täuschende Gesichtsausdruck verschwand, seine Augen härteten sich. Den Bruchteil einer Sekunde hatte er sich umgedreht und ich konnte die Unsicherheit spüren, die Harry hielt. Alkohol versehene Verwirrung war mit Zorn kombiniert. Das Gebräu der Emotionen hatte einen negativen Halt in der Situation.
"Du warst ein kleines Stück Scheiße," biss er mit Gehässigkeit zurück. "Du hast nie das gemacht, was man dir gesagt hat."
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Harry alles andere als ein ängstliches Kind war. Mit so einem Vater wäre es dumm gewesen, nicht zu gehorchen.
"Und du warst eine klägliche Entschuldigung für einen Vater. Weißt du, was ich mir an meinem achten Geburtstag gewünscht habe?" fragte er rhetorisch. "Als ich meine Kerzen ausgeblasen habe, habe ich mir gewünscht, dass du von einem Bus überfahren wirst."
"Ich bin trotzdem noch dein Vater."
Der Flaum des Rausches schien sich anzuheben, und die einstmals fast traurige Verwunderung wurde von groben Worten und einer angefressenen Stimmung in Schutt und Asche gelegt. Seine wahre Natur konnte sich nicht länger hinter dem betrunkenen Durcheinander verstecken, die er mir weisgemacht hatte, als ich ihm das erste Mal begegnet war. Das Monster lauerte.
"Warum zur Hölle bist du überhaupt hier?" fragte Harry.
"Ich bin gekommen, um dich zu finden."
"Wir haben das hinter uns gelassen, wir haben Leben von denen du kein Teil mehr bist. Mum will nichts mit dir zu tun haben."
Ein kaum sichtbares Zucken kreuzte seinen Körper bei der Erwähnung von seiner ehemaligen Frau. Doch auch wenn er von Harrys Worten beunruhigt war weigerte er sich näher darauf einzugehen, wies die Antwort ab und fuhr fort an der Unterhaltung herumzumeißeln.
"Sieht so aus, als wärst du auch erfolgreich gewesen," bemerkte er mit gefühllosem Blick. "Ich bin stolz auf dich."
Harrys Haltung versteifte sich bei den letzten Worten, die gesprochen wurden, sein Kiefer bebte. Ich konnte sagen, dass er den Gedanken an seinen Dad verabscheute, irgendein Gefühl von Stolz oder Erfolg in sich zu spüren. Harrys Erfolge waren seine eigenen.
"Das bedeutet mir nichts."
Sein Vater lächelte, und es machte mich krank, dass er Freude darin fand den Jungen, der dicht an meiner Rechten stand zu reizen. Als die Hingabe seiner Aufmerksamkeit auf mich fiel, spürte ich wie ich zurückschreckte, aus Angst und Abscheu.
"Hübsches Mädchen, was du da hast, Sohn." Sein schiefes Grinsen passte zu seinem herablassenden Ton. "Wie ist dein Name, Liebling?"
Ich weigerte mich Augenkontakt herzustellen, blickte unbehaglich weg, um zu entdecken wie Harrys Hand feste meine nimmt. Ich wusste, dass das seine Art war lautlos meine Sicherheit zu bekräftigen, doch ich fühlte mich dennoch beunruhigt. Mein Griff festigte sich, flehte Harry an sich zu bewegen.
"Harry, komm schon, lass uns gehen," meine Stimme ein wenig zittrig, graue Augen sehr an unserer Interaktion interessiert.
"Ich bin nicht dein Sohn und sie geht dich nichts an," legte Harry kalt dar.
Ich wurde weiter hinter das männliche Schutzschild gestupst, atmete seinen starken Duft ein und packte die Rückseite von Harrys Jacke. Es war eine all zu vertraute Erinnerung, die sich wieder abspielte. Ich spähte von hinter ihm nach vorne.
"Hab keine Angst," die angeblich beruhigenden Worte seines Dads hatten die gegenteilige Wirkung.
Ich will nicht, dass er sich einem von uns nähert, doch Harry weigerte sich sich zu bewegen.
"Ich werde ihr nicht wehtun," erwiderte er auf unsen Bewegungsmangel, von dem Fehlen des Vertrauens verletzt.
"Genau so wie du meiner Mum nicht wehgetan hast."
"Sie hat danach gefragt."
Die Erwiderung war so scharf; ich hatte Angst sie könnte das dünne Eis zerbrechen, auf dem er sich befand. Es gab nur so viel Drängen, wie Harrys Mäßigung auf sich nehmen konnte. Ich hatte zu oft gesehen, wie seine Entschlossenheit zerfallen war.
"Fick dich!" fauchte Harry.
Sein Körper ruckte bei den giftigen Worten nach vorne. Doch ich spürte wie er sich unter meiner vorsichtigen Berührung entspannte. Meine Hand rieb besänftigend über Harrys Rücken, flüsterte Worte, die nur für ihn bestimmt waren. Ich fühlte mich wie eine Mutter, die ihr Kind nach einem Albtraum beruhigte, es leise beschwichtigte und ihm versicherte, dass alles okay werden würde. Aber ich konnte das nicht garantieren. Besonders da Harrys Albtraum genau vor uns stand.
"Sieht sich das einer an," brachte der Mann erstaunt hervor, eindeutig von der Leichtigkeit verblüfft, die ich anwenden konnte. "Ich habe von dir gehört, du hast dir einen ausgezeichneten Ruf gemacht, Sohn." Sein Blick sank etwas nach unten, um ihn mit mir zu verbinden. "Und ich habe auch gehört, dass du die einzige bist die ihn beruhigen kann."
"Bitte," drängte ich verzweifelt. "Harry, ich will nach Hause gehen."
Meine Finger waren um Harrys Mittel- und Zeigefinger gehüllt, zog seinen Arm leicht in meine Richtung. Ich wollte ins Auto steigen und wegfahren, um dieses Durcheinander zurückzulassen.
"Bring mich nach Hause."
Meine fast stumme Bitte war unerhört.
"Bist du in sie verliebt?"
Mein linker Arm kam, um sich um Harrys Taille zu haken, meine Wange auf die Fläche seines Rückens gepresst. Ich hätte alles dafür gegeben zu Hause zu sein, der Fernseher an, auf dem Sofa liegend mit Harry, der in mein Ohr schlummern würde, während ich mit seinen Haaren spielte. Doch als ich meine Augen öffnete waren wir immernoch hier; mein Herz sank.
Ich wurde herumgeführt, um an der Seite von Harry zu stehen, unsere Hände fast verschmolzen miteinander mit dem rasenden Bedürfnis die Existenz des anderen zu bestätigen; zu wissen, dass wir nicht alleine waren.
"Oh, du bist es," musterte sein Vater neugierig.
"Ich habe keine Angst vor dir," bekundete Harry entschieden. Nicht mehr.
"Aber hat sie Angst vor dir, das ist die Frage."
Es gab kein Zögern in meiner Antwort.
"Nein."
"Bist du dir sicher?" fragte er mit geneigtem Kopf.
Das Bedürfnis des Mannes mich zu verniedlichen fing an mir auf die Nerven zu gehen. Harry war einer der wenigen Menschen, denen ich mein Leben anvertrauen würde. Sein Vater würde niemals den vollkommenen Glauben nachvollziehen können, den ich in seinen Sohn gesteckt hatte, denn diese Art der Zuneigung war für die Menschen gedacht, die man liebt. Jede potenzielle Liebe die er für seine Frau und seine Kinder besessen hatte war in der Sekunde, in der er Kathy angerührt hatte, weggerissen worden.
"Harry würde mir nicht wehtun."
Es war eine Antwort, die er erwartet hatte. Der Spott, den er zeigte empörte mich, die Freude die er darin hatte die Beziehung, die Harry und ich hatten, zu erniedrigen. Es war als konnte er die Tatsache nicht begreifen, dass sein Sohn einen Mensch finden konnte, der die Liebe die er gab erwiderte; entschied sich stattdessen herablassend zu lachen. Es war weit entfernt davon, was er selbst erlebt hatte. Vielleicht hatte er sich für den Gedanken einfach selbst verurteilt, dass Harry zu einem Leben ähnlich wie seines verurteilt werden würde, betrunken, einsam und nicht liebenswert.
"Hat er dir gesagt, wo ich die hier her habe?"
Ich beobachtete wie Harrys Vater seinen Kopf nach rechts neigte, eine ziemlich große Narbe wurde offenbart, die knapp unter seinem Ohr schnitt. Die Zeit hatte die schmutzige Haut ausgebessert, doch sie sah immernoch entzündet und rot aus, als hätte sie sich geweigert mit Gnade zu heilen.
"Bitte," flehte Harry leise. "Nicht."
Ich blieb perplex, als sein einst unzerbrechlicher Griff aus meinem glitt. Er schien angespannt, seine Augen bitteten um Vergebung, als er sich auf meinen Fokus konzentrierte. Aber ich hatte keine Ahnung was für eine Nachsicht ich geben sollte. Sein Kopf schüttelte sich, bevor er beständige Hände auf meine beiden Schultern legte.
"Dein Freund hat ein Küchenmesser an meinen Hals gehalten," fuhr Harrys Dad fort. "Hat er dir das erzählt?" jetzt fand er daran Gefallen.
Mein Körper war erstarrt, unfähig sich zu bewegen, mein Gesicht wurde in den zittrigen Händen meines Liebhabers gehalten.
"Schätze nicht." Er lächelte. "Der kleine Haz war erst vierzehn, nicht wahr? Du hast versucht meine Kehle aufzuschlitzen, als ich auf dem Sofa geschlafen habe."
Harry war kalt, als ob sich das Leben aus ihm entleert hätte. Die Freude die in seinen bewaldeten Augen sprühte war ausgelöscht worden und alles was übrig blieb war Hass, auf sich selbst, auf seinen Dad. Da war eine Leere. Die Person, die er geworden war, war leer. Ich blinzelte und er war weg. Der körperliche Druck von Harrys Händen umschloss immernoch mein Gesicht, genug um zu wissen, dass der kleine Junge, der vor mir stand ein Produkt meiner Phantasie war. Blut tropfte von seinen zitternden Händen, die schlaff an seinen Seiten hingen. Die Tränen schienen sich schwer über seine Wangen zu wiegen.
"Hat er es verdient?" fragte ich.
"Meine Mum, er hat sie..."
Ich schüttelte meinen Kopf.
"Hat er es verdient, Harry?"
"Ja."
Das war alles, was ich hören musste. Ich nahm seine Hände von meinem Gesicht, hielt sie zwischen uns. Sich die Handlungen die durchgeführt worden waren vorzustellen, um einen 14-jährigen Jungen zum Töten zu treiben war unvorstellbar. Ich wollte es nicht wissen.
"Ich hätte ihn tausendmal umgebracht, wenn das bedeutet hätte, dass er meiner Mum nie wieder wehtun würde."
So ein aufgewühlter Junge. Ich würde für ihn bis ans Ende der Welt gehen, und Harry wusste, dass ich niemals aufhören würde zu suchen.
"Ich liebe dich."
Ein sanftes Lächeln krümmte sich auf seinem Mund. Er wusste es.
"Du hast die linke Hälfte von meinem Herz. Bewahr sie sicher auf."
"Immer."
Seine Finger rutschten aus meinen, das kleine Lächeln verschwand und Harry tauchte in die Dunkelheit ab, wo er sein Bestes versucht hatte sie davon abzuhalten, ihn zu zerstören. Sie verspottete seine Entscheidung, spielte mit dem Feuer, das sie von den Wänden seines Zurückhaltens ableckte. Alles was er sehen konnte war seine Zielscheibe.
Ich hatte bereits gesehen wie Harry kämpfte, doch das hier war anders als alle anderen Kämpfe. Die Wut hinter seinen Schlägen ließ mich zurückweichen, beobachtete aus einer Entfernung wie er seinen Vater schlug, ihn gegen die Regale stieß, wie er seine rechte Faust wieder und wieder eine blutige Nase treffen ließ. Das Hemd des älteren Mannes war an der Schulternaht eingerissen, zerrissen, als als er sich ruckartig wegriss, um seinen Magen mit mit einem spitzen Knie zu verbinden.
Es war ein Ringen für ihn die Erkundigung herauszukeuchen, doch die atemlosen Worte ließ Harry zurückstoßen.
"Wie geht es deiner Mum?" hustete er mühsam.
Harry schwieg, ballte seine Fäuste, als seine Brust hievte. Er wusste genau, wie er seinen Sohn auf die Palme bringen konnte. Es war gefährlich.
"Geht es Jess gu..."
"Hör auf ihren Namen zu sagen."
Sein Vater gab Harry einen neugierigen Blick, schaute auf Harry und dann erschreckenderweise auf mich. Er war ein absolutes Durcheinander, scharlachrote Streifen beschmutzten seine Nase, ein schwärzendes Auge.
"Darf ich immernoch nicht ihren Namen wissen?"
Meine Hand unterdrückte das Schluchzen, das aus meinem Mund strömte, als ich sah wie Harry auf seine Knie gezwungen wurde. Als er sich umdrehte, um sicherzustellen das ich immernoch bei ihm war hatte sich von hinten ein Arm um seinen Hals gewickelt. Unsere Augen tränten, aber aus unterschiedlichen Gründen; meine sammelten sich mit Tränen an, Harrys mit Sauerstoffmangel. Verzweifelte Finger flehten, dass der Unterarm von seinem zusammengepressten Atemweg weggenommen wurde, seine Fingernägel bissen sich in die Haut.
"Sieh her! Sieh sie dir an!" brüllte sein Vater. "Du verdienst sie nicht. Du bist der Liebe nicht würdig, die sie dir geben kann."
Ich hatte das Gefühl als würde sich die Inhalte meines Magens auf dem Boden von der Garage entleeren, krank vor Schmerz und Abscheu.
"Ich hasse dich," blaffte ich. "Wie kannst du es wagen ihm das zu sagen? Du bist ein abscheulicher, missbrauchender Mann. Deine Kinder...sie haben dich gebraucht und alles was du getan hast war sie beiseite zu schieben, sodass du dich am Boden der Flasche ertränken konntest. Harry hat sich um seine Mutter und seine Schwester gekümmert, als du es nicht getan hast. Du bist nichts. Deine Worte bedeuten nichts!"
Sein Arm ließ etwas locker, versorgte Harry mit unvollständiger Befreiung.
"Rede nicht so mit mir, Mädchen," drohte er aggressiv.
"Was ist los mit dir?" fragte ich wütend. "Für wen hälst du dich zu sagen was Harry verdient, du verdammter Feigling."
Er verschluckte sich an seinem Atem, war endlich in der Lage die Lebensluft einzusaugen. Seine Hand besänftigte die gerötete Haut an seinem Hals. Doch die Erleichterung war von kurzer Dauer, als der zusammenzuckende Mann in meine Richtung stolzierte. Genau in dem Moment traf es mich, wie banal aussehend er war. Ich hatte ihn mir als einen bestialischen Mann vorgestellt, grausam, unmenschlich. Das war nur nicht der Fall, er sah gewöhnlich aus, wie jemand, dem man auf der Straße keinen zweiten Blick zuwerfen würde, und möglicherweise war das der erschreckendste Gedanke von allen. Harrys Albtraum wurde jetzt zu meinem.
Ich schöpfte aus seiner Kraft.
"Ich kenne deinen Namen immernoch nicht. Aber du musst ihn mir nicht sagen. Harry wird ihn wahrscheinlich schon bald schreien," sprach er selbstgefällig.
Er genoss einen Vorteil, drengte mich gegen die Wand und schloss meine Fluchtwege. Ich hätte ihn vielleicht nicht übermannen können, doch der Mann hatte die Fertigkeit, die sein Sohn weitergegeben hatte, unterschätzt. Die zahlreichen Stunden die Harry damit verbracht hatte mir Verteidigung beizubringen war in einem gemütlichen Sinne gewesen, wenn man es als nichts anderes als ein kindisches, spielerisches Kämpfen betrachtete. Doch es war einfach so passiert, dass ich die Informationen beibehalten hatte.
Ich duckte mich flink, mied die Faust, die für mein Gesicht vorgesehen war. Mein Körper umging seinen, er war nicht länger das Hindernis zwischen Harry und mir. Ich rannte zu ihm, zu dem Jungen, der mein Herz besaß. Und er wartete auf mich.
"Bleib hinter mir."
Harry war bereit, jetzt auf seinen Füßen und richtete sich zu dem wutbegeisterten Kämpfer auf, den ich zuvor gesehen hatte. Ich hätte ihn nicht stoppen können, wenn ich es gewollt hätte. Der zuvor konsumierte Alkohol hatte die motorischen Fähigkeiten seines Vaters geschwächt, seine Reflexe und seine Fähigkeit einen Schlag abzulenken. An einem unbestimmten Zeitpunkt schloss ich meine Augen, unfähig den Angriff noch länger mitzubekommen.
Noch nie zuvor hatte ich gehört, wie die Rippe von jemandem zerbrochen wurde, doch als Harry ihn erneut trat konnte ich die qualvollen Brüche beinahe zählen. Sobald sich meine Augen geöffnet hatten nahmen sie die Szene auf. Ein gebrochener Mann lag ausgespreizt auf dem Betonboden, krallte sich an seine Besinnung, während Harry über ihm ragte.
"Unseren vorderen Zaun hast du auch rausgerissen, als du mein Fahrrad zerstört hast. Mum musste mich an dem Montag in die Schule bringen und der Empfangsdame sagen, warum ich kein Lunchpaket dabeihatte und das wir uns das Essen in der Schule nicht leisten konnten. Sie hatte gespart um mein Fahrrad zu kaufen, hat Überstunden gemacht und das Geld vor dir versteckt, dass du es nicht für Whiskey ausgeben konntest. Aber das war alles umsonst, weil sie den Zaun ersetzen musste. Du warst der Grund warum Jess und ich hungern mussten."
Ich hatte mit schweren Herzens zugehört, als Harry mit seinem Dad sprach. Es wurde mit solch einer Fassung ausgehändigt; ich hatte Mühe zu akzeptieren, dass das der gleiche Junge wie Minuten zuvor war. Mein Mut erlaubte mir seinen Arm zu ergreifen, kämpfte damit ihn zu mir zu ziehen. Sobald der Blickkontakt entzweibrach fiel Harrys Fokus auf mich.
Polizeisirenen heulten in unmittelbarer Nähe. Ein Anruf an den Rettungsdienst musste von jemandem in der Nähe getätigt worden sein, der die Aufruhr gehört, sich jedoch nicht getraut hatte sich einzumischen. Harry hatte die Situation und die möglichen Ergebnisse kaum registriert, die möglicherweise ersichtlich sein würden, wenn er blieb. Meine Hände ergriffen sein Gesicht.
"Lass mich dich ausnahmsweise mal retten."
"Komm mit," er zog an meinem Arm.
Ich widerstand seinen Versuchen.
"Du musst rennen."
Sein Mund schmetterte in einem Rausch der Tränen und Erkenntnis auf meinen. Prellungen hatten sich gebildet, ein seltsames Helllila auf seinem Wangenknochen, ein finsteres Blau an seinem Hals. Knapp über seiner linken Augenbraue war ein Schnitt und einer an seinem Haaransatz versteckt. Unsere Küsse fanden die Worte, die wir nicht finden konnten.
"Renn."
Ich wurde freiwillig von Harry verlassen, der immernoch frisch auf meinen Lippen war; seine Präsenz umgab mich weiterhin, auch wenn er es körperlich nicht konnte.
"Er wird dir wehtun," lallte eine Stimme.
Ich sah wie Harrys Vater seinen Hals neckte, um mich anzusprechen. Der Anblick von ihm ließ meinen Magen umdrehen. Ich hatte noch nie in meinem Leben einen gebrochenen Knochen, trotz meiner ungeschickten Natur. Meine mangelnde Erfahrung in Brüche hinderte mich nicht an der Identifizierung seines zertrennten Armes.
"Harry ist nicht annähernd so wie du und wird es nie sein. Du bist ein Monster."
"Wenigstens weiß ich, dass ich ein Monster bin. Ich gebe nicht vor irgendwas anderes zu sein."
übersetzt von @GermanFanfictions1D
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