Kapitel 16
Nachdem wir gefrühstückt hatten, mussten wir uns schweren Herzens von diesem Ort verabschieden. Bis zu einem Platz, in dessen Zentrum ein kleiner Springbrunnen stand, brachten uns die von Galadriel gesandten Elben. Das kristallklare Wasser des Brunnens leuchtete im Licht der Sonne, die gerade über den Baumwipfeln auftauchte. Zufrieden betrachtete ich das Naturschauspiel, dass mir erneut vor Augen führte, welchen Sinn unsere Aufgabe hatte. Diese letzten friedlichen Plätze verdienten jeden Schutz, den sie erhalten konnten. Einen letzten Blick warfen wir auf das sprudelnde Wasser, als Haldir über das grüne Gras der Lichtung zu uns gelaufen kam.
"Von der Nordgrenze komme ich.", erklärte er. "Nun bin ich geschickt, euch wieder als Führer zu dienen."
Erfreut schloss ich meinen alten Freund in die Arme und bemerkte dabei Thranduils eifersüchtigen Blick.
"Sag mir, Haldir, was gibt es neues von dort? Wir sahen weitere Elben an die Grenze gehen. Ich fürchte wir haben euch in Bedrängnis gebracht."
Ich löste mich aus unserer Umarmung und knuffte Thranduil in die Seite, dessen Blick sich noch immer nicht geändert hatte. Er erdolchte den armen Galadhrim beinahe damit. Haldir ließ das kalt.
"Das Schattenbachtal ist voller Dunst- und Rauchwolken. Die Berge beben und aus ihren Tiefen dringen Geräusche. Zu eurem Glück hat sich keiner für den Weg heimwärts in den Norden entschieden. Es wäre vermutlich ungemütlicher geworden als der weg voraus."
Sein spitzbübisches Grinsen lockerte das Gesagte etwas auf, doch konnte es nicht über den Schrecken hinwegtäuschen, der ihnen wohl noch drohen würde.
"Doch jetzt kommt, unser Weg führt nach Süden."
Er lief ohne ein weiteres Wort los, sodass wir ihm Wohl oder Übel folgen mussten. Die Straße, die wir liefen war leer und nirgendwo konnte man auch nur einen Elb ausmachen. Aragorn war der erste, der Haldir darauf ansprach.
"Wo sind alle? In all der Zeit hier herrschte reges treiben, doch jetzt scheint es, als würde keine Seele hier leben." Lange schwieg Haldir und wir dachten er würde keine Antwort mehr geben, als er sprach.
"Sie sind von einer Krankheit befallen, die sich seit Jahren immer weiter dieses Waldes bemächtigt. Die Angst zerrt an ihren Geistern und macht ihre Körper schwach. Galadriel wacht seit eh und je über diesen Wald, doch auch ihr Licht schwindet und die Dunkelheit findet Einzug in unseren Häusern. Der Krieg um Mittelerde ist so nah, wie er seit dem ersten Zeitalter nicht mehr war." Erschrocken keuchte der Waldläufer über die niederschlagenden Worte des Elbenkriegers.
"Wir haben den Krieg zu euch gebracht. Wir sind Schuld daran, dass er diesen Ort erreicht hat."
Wir anderen schwiegen befangen.
"Nein.", antwortete Haldir lediglich.
"Wie kann dies nicht unsere Schuld sein?", fragte Legolas irritiert.
"Weil es die unsere ist. Viel zu lange sind wir unter unseren Bäumen umhergewandert und haben uns nicht um das Land um uns herum gekümmert. Waren wir doch innerhalb unserer Grenzen geschützt vor allem Bösen. Keiner von uns hat den Wandel bemerkt, den die Orks in Moria vollzogen haben." Man konnte deutlich spüren wie es ihn belastete, war er doch für den Grenzschutz zuständig.
"Wir... Ich hätte sehen müssen, das etwas im Gange ist. Sie kamen immer öfter im Schutze der Nacht an unsere Grenzen, flohen jedoch immer, sobald sie einen von uns sahen. Sie blieben außerhalb unserer Reichweite und testeten unsere Verteidigung. Es war nur eine Frage der Zeit bis sie angegriffen hätten. Ihr mögt es beschleunigt haben, doch einzig Sauron trägt Schuld an den Boshaftigkeiten in Mittelerde."
Die Bäume über uns lichteten sich ein bisschen und immer mehr Sonne erreichte den Waldboden. Vor uns konnte man die südlichen Stadttore von Caras Galadhon erkennen.
"Nun lasst uns diesen schönen Tag nicht mit solch dunklen Gedanken verschwenden. Wir sind bald da und ihr solltet eure Zeit zwischen den schönen Mellyrn noch etwas genießen.", riss Haldir mich aus meinen aufkommenden Erinnerungen und geleitete uns durch das Tor.
"Woher kennst du ihn?", fragte Thranduil mich, als wir einige Schritte schweigend nebeneinander her gelaufen waren.
"Du denkst ich würde etwas für ihn empfinden.", stellte ich erheitert fest.
"Du bist sehr vertraut mit ihm gewesen.", erwiderte er.
"Naja, er hat so schöne blonde Haare und blaue Augen... Ich weiß nicht, findest du ihn nicht auch irgendwie süß?", provozierte ich ihn und erreichte mein Ziel mit diesem einen Satz vollständig. Unglaube spiegelte sich in seinen Gesichtszügen und sein Mund stand weit offen.
"Legolas!" Sofort kam der Elb zu uns gelaufen.
"Ada?" Thranduil starrte mich noch immer mit offenem Mund an.
"Findest du nicht auch, dass Haldir und ich ein tolles Pärchen wären?"
Legolas sah verwirrt von mir zu seinem Vater und wieder zurück. Ich kicherte und Legolas verstand.
"Also wenn du mich so fragst..." Thranduil unterband seinen Satz mit einem niederschmetternden Blick.
"Du machst dich über mich lustig.", stellte er nüchtern fest. "Und du ziehst meinen Sohn da mit rein."
Legolas und ich zuckten synchron mit den Schultern.
"Also ich find ihn wirklich hübsch.", erklärte sich Legolas und brachte mich damit zum Lachen. Noch besser war allerdings Thranduil, dem seinem Ausdruck nach zum Heulen zu Mute wäre.
"Hey, sieh es so, immerhin ist er ein Elb.", prustete ich und sah zu Gimli, der unserem Gespräch nur nebensächlich zu lauschen schien. Jetzt musste auch Legolas grinsen, der genau wusste, worauf ich anspielen wollte.
"Naja, Gimli und ich haben aber eine viel bessere Beziehung zueinander als ich zu diesem Elb. Der kann ihm nicht das Wasser reichen."
"Da hast du wohl recht. Dann kann ich mein Glück ja versuchen." Thranduils Gesicht schwankte zwischen leichenblass und feuerrot während er unserem Gespräch folgte.
"Noch ein Wort und ich machen den Elb kalt.", knurrte Thranduil und Legolas und ich sahen erschrocken von einem zum anderen.
"Von wem sprecht Ihr, eurer Hoheit?", mischte sich gerade der Mann ein, der soeben auf Thranduils Todesliste gelandet war. Thranduils eisblaue Augen fixierten Haldir, der sofort um einige Zentimeter zu schrumpfen schien.
"Liluith?", bettelte er angespannt, seinen Blick nicht von dem wütenden Elbenkönig lösend. "Hilfe?"
"Haldir, mein Freund, mein Geliebter befürchtet da würde mehr zwischen mir und dir bestehen als Freundschaft. Ach ja und er steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil der beste Freund seines Sohnes ein Zwerg ist." Locker legte ich einen Arm um Thranduil und einen um Legolas. Das brachte beide dazu mich anzusehen und rettete Haldir aus seiner misslichen Lage.
"Nur Freunde. Ja, das sind wir schon seit langer Zeit. Du hattest rote Locken damals, doch das ist über einhundert Jahre her."
Haldirs Stimme war ein wenig zittrig, als sich die Augen des Elbenkönigs wieder auf ihn richteten, doch sprach er einfach weiter. Thranduil Muskeln entspannten sich als er die Beteuerungen hörte und seine Schultern sackten ein wenig herunter. Also nahm ich meine Arme wieder zu mir.
"Du siehst, kein Grund eifersüchtig zu sein." Ich beugte mich zu ihm und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
"Du bist der einzige, dem mein Herz gehört."
Vor uns tauchte eine große grüne Mauer aus Blättern auf, die die Sicht sowohl nach vorn, als auch zu beiden Seiten meilenweit nach links und rechts, versperrte.
"Dies sind die Grenzen unseres Waldes. Möget ihr einen sicheren Weg finden, der uns alle rettet. Berio le i Melain. Namarië.*"
Haldir verbeugte sich und trat einen Schritt beiseite.
Dadurch offenbarte er einen schmalen Durchgang, der zuvor nicht zu sehen gewesen war. Ich umarmte den blonden Galadhrim noch ein letztes Mal und zog dann Thranduil und Legolas mit mir durch den Durchgang. Auch die anderen Gefährten verabschiedeten sich noch bei unserem Führer und folgten uns dann. Auf der anderen Seite war eine sattgrüne Wiese, die mit vielen kleinen gelben Blumen geschmückt war, die von den Elben Elanor genannt wurde. Getrennt wurde das Blumenmeer durch den Silberlauf, der links von uns im Sonnenlicht glitzerte. Links lag breit, dunkel und bedrohlich der Anduin, der große Strom.
Doch zunächst lösten wir unsere Blicke von den sich bewegenden Wassermassen und richteten unsere Aufmerksamkeit auf den viel freundlicheren Silberlauf. Knapp vor seiner Einmündung in den größeren Fluss, befand sich ein weißer aus Steinen und Holz bestehender Landesteg, an dem viele kleine und auch große Boote vertäut waren.
Sie leuchteten in grün und braun, weiß und grau und manche hoben sich auch als goldene Farbkleckse ab. Doch die Vielzahl der Boote, so wie auch unsere drei, waren grau. Flach lagen sie im Wasser, obwohl sie voll beladen waren mit all den Dingen, die wir brauchen würden. Einige Elben begrüßten uns an dem Steg und geleiteten uns zu unseren Booten. Warnungen sprachen sie, diese Boote nicht mit Leichtsinn zu steuern, da sie anders als die meisten, störrisch gegen die gefühllose Hand waren. Aragorn, Frodo und Sam stiegen in das erste, Boromir, Merry und Pippin in das zweite und Gimli zunächst als einziger in das dritte Boot. Legolas neigte seinen Kopf vor seinem Vater, der die höfliche Geste ignorierte und ihn an sich drückte. "Ich wollte nie, dass dir etwas zustößt. Deiner Mutter versprach ich, auf dich Acht zu geben. Welch leichtsinniger Vater bin ich, dich auf solch eine Reise zu lassen." sprach er voller Ernst.
"Nicht leichtsinnig bist du. Du beweist Weisheit und Mut, denn du hast erkannt, dass es nötig ist mich gehen zu lassen." Fest sahen sie sich in die Augen, bis Legolas sich abwand und zu seinem Freund ins Boot stieg.
"Ich kann Legolas nur zustimmen.", sagte ich, als wir allein dort standen.
"Ich riskiere meine gesamte Familie für dieses hoffnungslos scheinende Unterfangen. Wie kann das weise sein?"
"Es mag sein, dass du uns heute gehen lässt und damit unser Leben auf Messers Schneide steht, doch viel wichtiger ist, das wir etwas unternehmen. Diese Welt füllt sich mit Dunkelheit. Ich kann es spüren. Nichts stellt sich ihr entgegen. Noch nicht. Wir kämpfen für alles was wir lieben. Damit nicht noch mehr Familien zerrissen werden."
Sanft küsste er mich und unterbrach damit meine Antwort.
"Pass auf dich auf. Pass auf meinen Jungen auf und sag ihm, dass er auf dich achten soll. Ich will, dass ihr beide mit allen Körperteilen am rechten Platz wieder zu mir zurück kommt."
"Versprochen. Wir geben unser bestes. Und du achte darauf, dass es noch einen Ort gibt an den wir zurückkommen können. Gin melin."
"Ich liebe dich auch mein Engel."
Ein letztes Mal küssten wir uns, bevor ich zu Legolas und Gimli ins Boot stieg. Die Elben lösten die Taue und stießen unsere Boote der Reihe nach vom Ufer ab. Die Strömung war stark, weshalb wir nur langsam vorankamen.
Sie hatten uns für eine kleine Probefahrt flussaufwärts geschickt, um zu sehen, dass wir auch wirklich mit den Booten klar kamen. Bald ließen wir die kleine Wiese hinter uns und verloren den Anleger und damit auch Thranduil aus dem Blick.
Ich wusste, wir würden diese Stell erneut passieren, doch dann war er vermutlich gegangen, um sich auf die eigene Abreise vorzubereiten. Daher versuchte ich meine Aufmerksamkeit von Thranduil auf das Boot zu lenken.
Gleichmäßig schwebte es über das klare Wasser in dem hier und da ein paar goldene Blätter schwammen. Der Lauf machte hier eine scharfe Biegung, bevor er in seinem Bett gerade weiterverlief. Als wir die Kurve hinter uns gebracht hatten, tauchte vor uns ein großer Schwan auf. Sein Schnabel leuchtete beinahe golden und seine kohlrabenschwarzen Augen blickten uns direkt an. Das weiße Gefieder war rein und die breiten Schwingen waren halb geöffnet.
Erst als wir Musik vernahmen und uns dem Tier näherten, erkannten wir, dass es sich dabei um ein Boot handelte. Gesteuert wurde es niemand anderem als dem Herrn und der Herrin der Galadhrim selbst. Celeborn und Galadriel erhaben wie es nur Schwäne konnten gelitten sie über den Fluss.
"Wir kommen um euch ein letztes Lebewohl zu sagen und euch mit Segenswünschen aus unserem Land zu entlassen.", schallte die schöne Stimme Galadriel über das Wasser und brachte uns dazu innezuhalten. Langsam fuhr der Schwan an uns vorüber und zur Anlegestelle. Und wir folgten ihm.
*(Mögen die Valar euch beschützen. Lebt Wohl.)
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