Pfui Spinne - Manche Dinge bleiben besser unter uns
Der Schmerz nahm ihm jeden klaren Gedanken, als sein ganzes Selbst sich auf den Punk in seiner Brust beschränkte. Reflexartig begann er zu zappeln, versuchte, sich zu befreien. Doch die Spinnengreifer gruben nur tiefer. Knochen knackten.
Er schrie wieder. Lauter.
Plötzlich brüllte er nicht mehr allein. Auch die Spinne kreischte markerschütternd auf. Verschwommen sah Raik, wie Lillian ihren Dolch tiefer in den Rücken der Riesenspinne bohrte und gezielt herumdrehte.
Dupont starb, ohne einen weiteren Mucks von sich zu geben. Dafür brach er schwer auf Raik zusammen.
„Uärks", stöhnte Raik, als sich das Spinnenblut über ihn ergoss und sich mit seinem eigenen vermischte.
Lillian ignorierte das und zog ihren langen Dolch aus dem Kadaver heraus, was einen neuen Blutschwall für Raik zur Folge hatte.
„Ey! Kannst du nicht-?" Raik brach mit einem schwachen Ächzen ab und blieb kraftlos liegen. Noch immer pulsierte der Schmerz in seiner Brust. Doch immerhin sprangen endlich seine Selbstheilungskräfte an. Bald würde nichts mehr von seiner Verletzung zu sehen oder zu spüren sein. Bald... das konnte sich sehr lange anfühlen.
„Der hat mich völlig ignoriert! Vergessen!", murmelte die Vampirin abfällig und trat beherzt auf eine der jetzt ziellos umherkrabbelnden, pelzigen Spinnen drauf. „Anfängerfehler."
„Lilly!" Mit einem erneuten Ächzen schob Raik den Kadaver von sich herunter und riss dabei die scharfen Greifer aus seiner Haut. Wieder stöhnte er. Es war mehr ein Wimmern. „Wenn Du mich schon als Lockvogel benutzt, hättest Du nicht wenigstens nen Moment früher kommen können? Bevor dieses Vieh mich anknabbert?"
An Lillians Mundwinkel zupfte ein Lächeln. Dann reichte sie ihm die Hand. „Ach - hab dich nicht so. Du heilst doch schon wieder", grummelte sie mit zunehmend besserer Laune, als Raik einschlug und sich von ihn auf die Beine ziehen ließ. „Dafür kanns du dich ausruhen und ich räum noch ein bisschen auf."
Raik grinste nun doch und ließ sich demonstrativ auf den Stuhl fallen, während Lillian systematisch begann, die Schränke zu durchsuchen. Dabei nicht helfen zu müssen und stattdessen noch ein bisschen rumsitzen und ausheilen können, klang aufmunternt. „Und dann gehen wir schwimmen?"
Lillians Blick wanderte einmal über seine blutdurchtränkte Erscheinung. „Absolut."
Ein Hauch Vorfreude begann in Raiks Innern zu prickeln. Doch das verging ihm schlagartig, als die Welt um ihn herum anfing sich zu drehen und ein neuerliches Brennen durch seine Glieder jagte. „Scheiße. Er war giftig."
Dann hörte sein Herz auf zu schlagen und alles wurde schwarz.
Als Raik wieder zu sich kam, lag er draußen im Gras und ein Hauch von Wärme strich über sein Gesicht, seine Arme, seine Beine. Träge hob er den Kopf und blinzelte ins Nichts, während er versuchte, das schmerzhafte Pochen hinter seiner Stirn zu ignorieren. Erfolglos.
Immerhin saß Lillian neben ihm. Auch wenn er sie nicht sah – er roch sie – jetzt wieder menschlicher. Sicher hatte sie ihren Ring wieder aufgesteckt. Außerdem lag Ruß und Asche in der Luft – zusammen mit dem Gestank nach seinem eigenen Blut, das mittlerweile halb getrocknet in seinem Hemd, seinen Haaren und an seiner Haut klebte. Um sich von diesem unangenehmen Gefühl abzulenken, sah er zur Hütte hinüber. Sie brannte. Ah. Daher die kuschelige Wärme.
Nach dieser Erkenntnis wurde sein Kopf wieder schwer und er ließ sich einfach wieder zurück ins Gras sinken. Das war besser. Wenn auch nur ein bisschen. „Du bist fertig mit aufräumen?", murmelte er leise und starrte in den klaren, blauen Himmel hinauf.
„Hm-hm. Wieder unter den Lebenden?", antwortete die Vampirin und schob raschelnd ein paar Papiere zusammen.
„Offensichtlich", grummelte Raik leise und rieb sich über die Stirn, während er in sich hineinlauschte. Er fühlte sich noch immer lädiert, fertig und müde. Aber dank seiner extremen Heilungskräfte, die spätestens dann einsetzten, wenn sein Herz stillstand, schien wieder alles halbwegs im Lot zu sein. Trotzdem: „Sterben ist scheiße."
Einen Moment lang war nichts als Stille zwischen ihnen.
„Entschuldige." Lillians Stimme klang seltsam gepresst, doch Raik war noch zu benommen, um das richtig einordnen zu können. „Entschuldige, dass ich nicht schneller gewesen bin."
Das klang dunkel. Das klang nach Selbstvorwürfen. Raik lächelte schwach und kam mit einem Ruck wieder in eine sitzende Position. Es ging ihm noch immer nicht ‚gut' - aber er musste auch nicht mehr schwächeln als notwendig.
„Mach dir nichts draus, Lilly", antwortete er und drehte den Kopf in ihre Richtung. Innerlich zuckte etwas in ihm zusammen, als er sah, dass ihre Kleidung über und über mit Blut verschmiert war. Trotzdem verzog er keine Miene. Es war ja sein Blut. „Einmal mehr oder weniger spielt auch keine Rolle mehr."
Lillian sah nicht überzeugt aus, doch sie schwieg.
Raik lächelte etwas munterer, dankbar, dass sie ihm gegenüber bei Weitem nicht so gleichgültig war, wie sie sich oft gab. Trotzdem wollte er das Thema wechseln und deutete auf die Papiere in ihren Händen: „Was ist das?"
Die Vampirin zuckte die Achseln. „Die Zusammenfassungen und Ergebnisse von Duponts Forschungen. Wie er die Schamanenmagie analysiert hat. Seine Experimente. Was funktioniert hat und wie er den Talisman geprägt hat, damit dieser komplexe Zauber funktioniert. Ich wollte auf deine Meinung warten, was wir damit machen wollen."
Raik zögerte. „Naja - eigentlich sollten wir es dem Orden aushändigen. Das ist trotz allem wertvolles Wissen." Soweit war es offensichtlich. Theoretisch. Und praktisch? Seine Gedanken waren Ketzerei dem Orden gegenüber. Doch Lillian vertraute er genug, um sie vorbehaltlos auszusprechen. „Aber letztlich ist es auch eine mächtige Waffe. Und ... Ehrlich? ... Ich fände es nicht schlimm, wenn es noch mal fünfzig oder mehr Jahre braucht, ehe soetwas erfunden wird..."
Lillian lächelte matt und faltete die Papiere zusammen. „Ich denke auch. Manche Dinge bleiben besser unter uns. Schreiben wir in den Bericht, dass Dupont ansheinend wegen einem gescheiterten Experimentes leider verstorben ist? Wir konnten nur noch seine zerstörte Leiche finden."
Das war nicht mal gelogen. Raik grinste. „Ich kann mich auch nicht erinnern, irgendetwas Aussagekräftiges gefunden zu haben."
Lillian nickte. „Sehr bedauerlich", bestätigte sie und stand langsam auf, um zu den brennenden Ruinen hinüber zu schlendern. Dort angekommen, ließ sie die Blätter von Duponts jahrelangen Forschungsarbeiten achtlos in die gierig leckenden Flammen fallen.
Als sie zurückkam sah sie wieder sehr abwesend aus, während ihr Blick nachdenklich an Raiks blutverschmierter Kleidung hing.
War das Sorge, was er da sah? „Alles gut, Lilly?"
Seine Partnerin nickte und schien gleichzeitig den Kopf zu schütteln. „Glaubst du, dass er recht hatte?", fragte sie schließlich leise. „Glaubst du, dass du gestorben wärst, wenn er dir das Herz rausgerissen hätte?"
Raik schwieg. Er war schon auf viele Arten gestorben. Herz rausreißen gehörte bisher jedoch nicht dazu. Und wenn man bedachte, dass die Quelle seiner Heilkräfte in seinem Herzen liegen sollte... „Ich weiß es nicht.", antwortete er schließlich leise. „Aber ich möchte es auch nicht ausprobieren."
„Ich auch nicht." Lillian warf ihm ein kurzes, fast schon scheues Lächeln zu, für das er kurzerhand ihre Hand packte und sie unter Protest zu sich ins Gras zog, ehe er ihr einen Kuss auf die weichen, kühlen Lippen hauchte. Als sich ihr Körper intuitiv enger an ihn schmiegte, hielt er sie noch fester. Einen Moment lang wünschte sich Raik, dass er sie nie wieder loslassen müsste.
Lillians Atem kitzelte an seinem Ohr, genau wie ihr leises Lachen. „Wollten wir nicht schwimmen gehen?"
Raik grollte und zog seine Hände zurück. Demonstrativ zupfte er einen nicht vorhandenen Krümel von dem blutigen Stoff ihres Hemdes. Sie würden irgendwoher neue Kleidung besorgen müssen. „Ich muss dich noch auf Spinnen absuchen."
Lillians Gesicht verzog sich angeekelt und augenblicklich ging sie auf Abstand. „Hör auf damit! Ich hab immer noch das Gefühl, dass es überall juckt!"
Daraufhin zwinkerte Raik ihr fast schon verschwörerisch zu. „Na dann: Lass uns nicht länger warten und endlich zu diesem See gehen!"
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