- Zahlreiche Dekorationen -
Die hässliche Tür zum Chemieraum stand weit auf und ladete mich geradezu höhnisch ein, diese Stunde endlich entgegenzutreten.
Ich biss mir kurz auf meine Wangeninnenseiten.
Seit bestimmt schon zwei Minuten befand ich mich an ein und derselben Stelle. Immer noch an der gegenüberliegenden Garderobe, die Hände in meine Lederjacke, die ich bereits schon angehangen hatte, hineingekrallt und den Blick fest fixiert auf den sich immer mehr füllenden Fachraum.
Liv war schon längst hereingegangen und ich konnte sie gerade so noch mit der Ausrede, dass ich noch etwas aus meiner Jacke auspacken wollte, abwimmeln.
Der schreckliche Gong zum Unterrichtsanfang hallte merkwürdig in meinen Ohren nach.
Mr Godiac, der heute unseren Chemieunterricht übernahm, zog verwirrt die grauweißen Augenbrauen hoch, als er zur Tür ging, um sie zu schließen und mich dort noch gelähmt an der Wand stehen sah.
"Ms Steven, richtig?", fragte er vorsichtig.
Ich ließ langsam meine Jacke los. "Ja... richtig." Mein Herz fing heftig in meiner Brust zu schlagen an bei dem Gedanken, gleich wieder dicht neben Adrael zu sitzen. Und der Vorschlag mit der Party am kommenden Samstag hatte in mir auch einen gewaltigen Schock verursacht, der ebenfalls noch schrecklich tief saß.
Mr Godiac nickte. "Ist Ihnen nicht gut? Denn sie sehen-"
Leise räusperte ich mich und konnte ihn damit sogar unterbrechen. "Nein, uhm, mir geht es bestens." Ich rückte flüchtig den einen Schulterriemen von meinem Rucksack zurecht, bevor ich an ihm vorbei ging und alle Blicke spürte, die auf mir ruhten.
Liv lächelte mich breit, aber auch gleichzeitig etwas besorgt an. Anscheinend sah ich wirklich nicht so aus, als würde es mir zu einhundert Prozent gut gehen.
Für mich nicht unverständlich.
Der leere Stuhl neben ihr zog mich wie ein Magneten an, doch ehe ich überhaupt dort ankommen konnte, kam mir Mr Godiac mit einer einfachen, denn noch folgenschweren Frage an den Kurs gerichtet bevor. "Ich gehe mal davon aus, dass ihr alle nach dem Sitzplan, der sonst hier gilt, auch sitzt?"
Was? Die alte Hexe hatte sich ernsthaft einen Sitzplatz gemacht?
Innerlich schrie ich verzweifelt auf und sank gedanklich heulend zu Boden. Dann fügte ich mich niedergeschlagen meinem Schicksal und steuerte mit hängenden Kopf den Stuhl an der Wand neben Adrael an. Wie vorhin schon, umnebelte mich sein unwiderstehlicher Duft sofort.
Mr Godiac erzählte schon seit etwa zwanzig Minuten über Helium, er gehörte wohl zu den Lehrern, die sich gerne selber beim Sprechen zuhören, als Adrael das erste Mal verstohlen zu mir herüber linste. Und das bekam ich auch nur mit, weil ich mindestens genauso verstohlen in der gleichen Sekunde zu ihm herüber geschaut hatte.
Panisch drehte ich mich schnell weg und biss mir auf die Lippe.
Wie sollte ich das nur diese Stunde und die nächste Stunde noch aushalten? Und was hatte ich zu ihm gesagt? Das ein nächster sogenannter Ausrutscher definitiv nicht mehr passieren würde? Sich von ihm fernzuhalten war unmöglich. Und noch schlimmer war es, wenn ich schon direkt neben ihm saß und mein Körper sich wie eine verschmuste Katze an ihn anschmiegen wollte.
Das war doch... krank.
Plötzlich spürte ich seinen warmen Atem an meinem Ohr. "Ich weiß, woran du denkst", flüsterte er im spielerischen Tonfall.
Hörbar holte ich tief Luft.
Er blieb noch immer so dicht zu mir herüber gebeugt und ich merkte, dass er einen Arm über meine Stuhllehne gelegt hatte. "Und es ist leider nunmal verdammt niedlich, wie du dich immer vor mir sträubst. Deswegen gebe ich dir nichtmal eine Chemiestunde, bis du zugibst, dass du mich schon seit einer Ewigkeit gerne küssen willst."
Fassungslos schnaubte ich, traute mich jedoch nicht mein Gesicht zu ihm zu wenden, weil seine Lippen dann ein weiteres Mal zu dicht an meinen wären. Außerdem war mir die Aufmerksamkeit von den anderen Schülern schon wieder unangenehm, da einige längst registriert hatten, wie dicht Adrael an mir herangerückt saß.
"Vergiss es", zischte ich nur.
Adrael lachte gewohnt leise, das altbekannte Lachen, was er immer an den Tag legte, wenn er sich über mich lustig machte. "Warum soll ich das vergessen?"
Meine Fingerknöchel traten noch mehr etwas hervor, weil ich den Griff um den Bleistift in meiner rechten Hand verfestigte. "Weil das nicht eintreffen wird. Nicht in den nächsten Tagen, nicht in den nächsten Wochen oder Monaten. Oder dieses Jah-"
"Ja klar", unterbrach er mich amüsiert. "Du hast aber ausgelassen, dass das in den nächsten Minuten oder Stunden passieren könnte."
"Da garantiert auch nicht", fauchte ich gereizt. "Gar nicht, verstanden?"
Er zog sanft an meinem Pferdeschwanz. "Okay, dann deiner Meinung dort garantiert auch nicht. Andere Frage. Kommst du nun Samstag zur Party?"
Ich schüttelte stur den Kopf. "Nein. Ich... ich habe da was vor."
"Ach. Das ist aber verdammt schade." Seine warmen Finger spürte ich aufeinmal im Nacken, ganz leicht übten sie dort einen angenehmen Druck aus. Meine Gänsehaut durfte er nun längst mitbekommen haben. "Gehst du dort wieder Katzenbettwäsche shoppen?"
Gerade noch konnte ich mich kontrollieren, seine Hand von mir wegzuschlagen. Aber dann würde er mich nur noch mehr ärgern. "Vielleicht", antwortete ich kurzangebunden.
Seine Hand entfernte sich von meinem Nacken, dafür strich er mit einem Finger für ein paar Sekunden sanft über meine Lippen. "Perfekt. Dann bestell mir doch gleich welche mit. Meine Katze braucht auch einen Kissenbezug."
Ich verdrehte entnervt die Augen und verdrängte dieses Hochgefühl, dass es mich irgendwie total freute, dass er im Moment so auf mich fixiert war und gar nicht von mir ablassen wollte. "Sag mal, existiert bei dir wirklich eine Katze oder steht der Korb dort nur als Atrappe?", fragte ich, meine Stimme zitterte zum Ende hin etwas, weil er seine Hand nun auf mein linkes Bein ablegte.
"Natürlich ist der Korb nur Atrappe. Ich liebe es eben, mein Zimmer mit diesen grottigen Katzenkörbchen zu dekorieren und alle nach der Größe zu sortieren und aufzustellen. Ist so eine geheime Schwäche von mir", antwortete er in der selben provokanten Tonlage wie immer.
Widerwillig bewegten sich meine Mundwinkel nach oben, weshalb ich mich noch mehr über mich selbst ärgerte. "Was für eine Katze hast du?"
"Also ehrlich. Ich wundere mich gerade echt, warum eure Chemielehrerin Sie beide zusammen sitzen lässt, Mr Fray und Ms Steven." Nicht sehr überzeugt von der angeblich weisen Entscheidung blickte Mr Godiac zu uns, in der einen Hand ein Stück Kreide haltend. Wie erwartet drehten sich noch mehr Köpfe der anderen nach hinten zu uns.
Meine Wangen waren bestimmt schon wieder ausnahmefrei tiefrot und verlegen betrachtete ich die Tischplatte.
"Tja. Diese Frage bleibt wohl vorerst ungeklärt. Bis die feine Dame wieder aus ihrem Kalifornien Urlaub zurück ist", konterte Adrael ruhig und setzte sich demonstrativ langsam wieder richtig hin.
"Eure Lehrerin ist nicht in Kalifornien, sondern krank", berichtigte Mr Godiac ihn naserümpfend.
"Aber natürlich, wenn sie es sagen, wird das schon stimmen."
Die meisten drehten sich mit einem Lächeln wieder nach vorn um, nachdem Mr Godiac kommentarlos seinen Unterricht fortsetzte.
Eins zu Null für Adrael.
Die meisten wussten auch davon, dass die meisten Lehrer an unserer Schule nie wirklich krank waren, sondern sich mal gerne eine Auszeit nahmen und irgendwo wegflogen.
"Meine Katze ist dreibeinig und hat ein reudiges graues Fell", raunte mir Adrael schließlich nach ein paar vergangenen Minuten zu, seine Hand nahm erneut den Platz auf meinem Bein ein.
Jetzt guckte ich ihn doch etwas geschockt an und der dunkle Ausdruck in seinen Augen war wieder wie ein Schlag in die Magengrube. "W-warum ist deine Katze dreibeinig? Was ist mit ihr passiert?"
Er zuckte ahnungslos mit den Schultern. "Was weiß ich. Ein Kumpel von mir wollte sie nicht mehr. Ist auch noch gar nicht so lange her. Hab sie ihm Sonntagabend abgenommen. Der Idiot wollte sie einschläfern lassen. Eigentlich sind mir Katzen nicht ganz so geheuer, aber Arielle ist voll korrekt."
"Arielle?"
"Exakt, sie heißt Arielle", bestätigte er grinsend, dabei wurde schwach ein Grübchen auf der rechten Seite seiner Wange sichtbar. "Hab sie sogenannt, weil sie mit den drei Beinen nicht wirklich als Erdbewohner in dem Sinne durchgeht und sie außerdem Wasser über alles liebt. Und Puffelchen, so lautete ihr Name vorher, war mir dann doch zu weird. Ich meine, wenn ich die abends rufe, wenn sie Abendbrot bekommen soll und das jemand mitbekommt... Neee, da macht man sich ja nur selber zum Affen."
Unkontrolliert kicherte ich los.
Als ich das nächste mal zu ihm aufschaute, wurde mir aufeinmal klar wie absurd das war, dass ich hier mit ihm zusammen herumwitzelte.
Sofort versteifte ich mich und auch er nahm wieder einen ernsten Gesichtsausdruck an.
"Ähm... ja", überging ich das mit versuchter ausdrucksloser Stimme, die trotzdem verdächtig wackelte. "Wie auch immer."
Den Rest der Chemiestunde und auch die nächste unterhielten wir uns gar nicht mehr. Jeder war irgendwie mit sich selbst beschäftigt und als die zweite Stunde auch endlich zu Ende war, verließ Adrael mit nachdenklicher Miene als erstes den Raum.
"Was genau war mit euch denn los?" Interessiert lächelte mich Liv an, gleichzeitig nahm ich die Jacke von der Garderobe ab.
Gezielt wich ich ihrem Blick aus. "Nichts."
"Nichts?"
"Nichts."
"Gut. Weil, wenn nichts mit ihm ist, gibt es in meinen Augen keinen Grund, warum du Samstag denn nicht auch zur Party kommen kannst, oder?"
Und das wäre an diesem Tag Eigentor Nummer zwei.
Nächstes Kapitel ist bald da.
Steht Adrael auf Cassie? ;)
♡
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