- Glaube mir -
Ich ging erst fest davon aus, dass eine angespannte Stimmung zwischen uns beiden herrschen würde, aber eher traf das Gegenteil ein.
Adrian lächelte mich plötzlich an. "Willst du gleich nach Hause oder wollen wir unterwegs noch etwas essen? Hier in der Nähe gibt es einen guten Chinesen. Ich kenne dort jemanden, der würde uns ein paar Sachen kostenfrei geben. Also nur, wenn du chinesisch magst."
Etwas verdattert von seinen Stimmungsschwankungen brauchte ich ein paar Sekunden, um mich wieder zu sammeln. "J-ja... Das hört sich gut an. Aber danach muss ich wirklich los", stammelte ich.
Also eigentlich nicht, aber das musste ja niemand wissen. Ich wollte nur mal wieder ein bisschen Ruhe haben.
Er nickte, bevor er einen Arm um meine Schultern legte und mit mir weiter zwischen den Autoreihen lief. Währendessen beobachtete ich das Farbspektrum am Himmel, wie sich die einzelnen Rosatöne ineinander vermischten und einen sauberen Übergang erschufen. Manche Leute streiteten sich ernsthaft darum, ob der Sonnenuntergang oder der Sonnenaufgang schöner war.
Ganz ehrlich, beide waren einfach nur wunderschön.
"Über was denkst du nach?", fragte mich Adrian leise.
Der Schotter knirschte unter meinen Schuhsohlen. "Über Sonnenauf - und Sonnenuntergänge. Viele diskutieren ja darüber, welcher besser und toller aussieht."
Schmunzelnd sah er mich im Gehen an. "Wie kommst-" Er verstummte, da er hoch in den Himmel schaute. "Achso, deswegen", lachte er leise. "Eigentlich sind beide doch hübsch. Alles in der Natur ist irgendwie einzigartig, ich finde, da kann man gar nichts bewerten."
Erstaunt über seine Worte hob ich die Augenbrauen an. "Wusste gar nicht, dass du so darüber denkst", gab ich offen zu.
"Tja", er zuckte nur leicht wahrnehmbar mit den Schultern. "Ist eben meine Meinung dazu."
Aha.
Wir liefen noch ungefähr eine halbe Minute über dieses riesige, vollgeparkte Gelände, bis Adrian vor einem grauen, ziemlich neu aussehenden Auto stoppte und mir vor Überraschung über diesen Wagen kurz der Mund offen stehen blieb.
"Oha", sagte ich schließlich. "Der sieht ja echt... schick aus. Ist das ein Audi R8?"
Adrian schüttelte glucksend den Kopf, ging um das Auto herum und sperrte den Kofferraum auf. "Den hätte ich auch gerne genommen, aber dieses Modell haben so wahnsinnig viele. Und ich wollte mal was neues ausprobieren." Der Kofferraum schloss sich, nachdem er unsere Taschen dort hereingepackt hatte und Adrian selber stellte sich stolz vor seinen Wagen und tätschelte liebevoll die Motorhaube. "Aber das, Süße, ist ein Audi RS5 in Mattgrau. Der Audi RS5 ist das leistungsstärkste Fahrzeug der A5 - Reihe von Audi."
Ich konnte nicht anders als über seine Liebe zu seinem Audi zu grinsen. "Okay, ich hab's verstanden."
"Das war aber noch lange nicht alles", belehrte er mich nun auch grinsend und mit erhobenen Zeigefinger. Seine grauen Augen glitzerten vor Begeisterung. "Aus zwei fetten ovalen Endrohren entweichen die Abluft und der Sound des 450 PS starken 2,9-Liter-V6, der ursprünglich aus dem Porsche Panamera stammt. Seine Leistungsdaten entsprechen denen des RS5 Coupés. Heißt im Detail: 600 Nm Drehmoment zwischen 1.900 und 5.000 pro Minute. Achtgangautomatik mit kurz übersetzen unteren Gängen, obere Overdrive-Gänge zum Spritsparen, Allradantrieb ist serienmäßig, vom Mittendifferential 40 zu 60 Prozent zwischen vorne und hinten verteilt. Bis die Tacho-Nadel über Tempo 100 streicht, vergehen 3,9 Sekunden", erläuterte er, dabei strich er sanft über den Lack.
Diesmal lachte ich nun auch los. "Da vergöttert aber ziemlich jemand seinen Audi", kicherte ich amüsiert, während ich zur Beifahrerseite steuerte.
Adrian stützte sich auf das Dach auf der anderen Seite ab und schaute mich etwas verträumt an. "Ach scheisse, jetzt wurde ich ertappt. Ich glaube, leugnen bringt nicht mehr viel bei dir, oder?"
"Nein", antwortete ich lachend, gleichzeitig stieg ich wie er ins Auto ein und fast synchron machten wir die Türen zu.
"Und? Hat es dir heute eigentlich etwas gefallen?", fragte Adrian neugierig, während er den Motor startete. "Das habe ich voll vergessen zu fragen."
Ich nickte nur, immer noch viel zu sehr baff, was für ein teures Auto er fuhr. Vorhin waren wir ja mit Ace mitgefahren und demnach hatte er uns mit seinem Auto umherkutschiert, einen alten Golf. Unverholen starrte ich die Ledersitze und die edelaussehende Ausstattung an. "Wie viel hat das hier alles gekostet?"
"Frag lieber nicht." Er fuhr das Auto aus der Parklücke und langsam vom Parkplatz herunter. Als wir an der Ausfahrt hielten und den Moment abwarteten, eine freie Lücke auf der Straße zu erhaschen und heraufzubiegen, widmete er sich seinem Radio.
Flüchtig musterte ich das Seitenprofil von seinem Gesicht und stellte sofort noch mehr kleine, fast winzige Unterschiede zu seinem Bruder fest.
Adrian's Gesichtszüge, also das Kinn zum Beispiel, war doch nicht so unglaublich markant geformt wie bei Adrael, obwohl es von weiter weg vollkommen mit seinem gleichte. Oder seine Augenbrauen. Die waren zwar auch extrem dunkel, aber sie waren etwas anders geschwungen. Ich konnte nichtmal sagen, inwiefern das jetzt anders aussah. Aber Adrian wurde dadurch irgendwie mehr Offenheit verliehen, sein Zwilling hingegen wirkte mit seinen Augenbrauen mehr herausfordernd.
Ich kniff die Augen etwas zusammen.
So unterschiedlich wie sie wohl im Charakter waren, so unterschiedlich waren sie eigentlich vom Aussehen. Eigentlich spiegelten ihre Gesichtszüge ihren Charakter perfekt wider. Adrian mit den irritierenden Augen und den weniger einprägenden Merkmalen rief Neugier, aber auch Misstrauen in einem hervor. Und Adrael mit seinen ausdrucksstarken blauen Augen, den Röntgenblick und den markanteren Punkten konnte mit diesen Vorteilen perfekt diese Provokation hervorrufen, aber gleichzeitig auch Unkontrollierbarkeit in einer anderen Person bewirken.
"Hat dich mein Bruder nun eigentlich wirklich in Ruhe gelassen und nur bei irgendetwas geholfen?", stellte mir Adrian aufeinmal die Frage, ehe er seinen Audi zwischen zwei anderen in eine kleine Lücke auf der Straße quetschte.
Verdammt, musste er das jetzt wirklich nochmal aufgreifen?
Ich lehnte mich zurück und spielte nervös mit meinen Fingern. "Er hat mir wirklich nur kurz geholfen."
Er sah immer noch nicht ganz überzeugt aus, vermied es aber, mich intensiv deshalb anzuschauen. "Okay. Darf ich wissen, bei was?"
Das Blut schoss mir wieder mal in die Wangen, als ich mich an den Moment vor nichtmal einer Stunde erinnerte. Seine warme Haut auf meiner, seine sanften Küsse - okay, es reichte. Ich durfte nicht mehr darüber nachdenken, es war nämlich nur... ein Fehler gewesen.
Ja, eindeutig.
"Um ehrlich zu sein, ist es mir ziemlich peinlich, wenn ich das jetzt sage", entgegnete ich verhalten.
"Oh." Jetzt sah er doch kurz zu mir herüber, Reue flackerte in seinen schönen grauen Augen auf. "Tut mir leid, ich... also so direkt wollte ich nun auch nicht fragen. Sorry nochmal."
Ich senkte meinen Blick auf meinen Schoß. "Schon gut."
Er lachte kurz auf. "Nein, eigentlich nicht. Eigentlich frage ich auch immer nur ungern aus und respektiere es, wenn jemand nichts darüber sagen möchte. Aber wenn es um meinen Bruder geht oder er irgendwie in etwas verwickelt ist, dann..." Er hielt inne.
"Was dann?" Fragend linste ich zu ihm herüber. Sein Gesicht wurde von den vielen Rücklichtern und den Werbereklamen um uns herum in bunte Lichter getaucht.
Tief atmete er ein und wieder aus. "Wie du bestimmt schon mitbekommen hast, ist Adrael nicht gerade einfach. Und... vom Charakter ziemlich unberechenbar. Ich kann echt nie voraussagen, was er in den nächsten paar Minuten machen wird, obwohl ich ihn schon mein ganzes Leben kenne. Sicher, man kann nie andere vollkommen einschätzen, das ist ja klar. Aber bei ihm geht es komplett nicht", seufzte er frustriert.
Auch wenn ich seiner Erklärung nicht gern glauben würde, sagte mir tief im Innern jemand, dass er gar nicht so unrecht hatte.
"Und was halt Mädchen angeht", fuhr Adrian weiter fort. "Die benutzt er eben nur für One Night Stands und selbst da ist er wählerisch. Fast jedes Mädchen macht sich Hoffnungen, selbst wenn er auch einfach mal mit ihnen aus Langeweile heraus oder warum auch immer flirtet, und will ihn verändern. Zum Freund haben. Du weißt schon."
Ich nickte nur.
Das waren alles Sachen, die mir anhand von Gerüchten schon bekannt vorkamen, aber die jetzt nochmal persönlich von jemanden Nahestehenden zu erfahren, war dann doch schon was anderes.
"Und wenn dieser Punkt jedesmal erreicht wird, blockt er bei ihnen ab, bricht ihnen ohne Mitgefühl das Herz. Ich weiß auch gar nicht, wann mein Bruder sich überhaupt das letztemal verliebt oder überhaupt über einen längeren Zeitraum eine Freundin hatte." Adrian fuhr sich kurz durch die Haare. "Ist gefühlt ne Ewigkeit her."
Das kam jetzt nicht unerwartet.
Nachdenklich tippte ich mit den Fingern leise auf meinen Oberschenkel. "Und was ist mit dir? Bist du auch so wie er?"
Adrian schwieg für ein paar Sekunden. "Ich war auch nicht immer nett, ja, das gebe ich zu", erwiderte er leise.
Aha, aha.
Also doch beide komplette Herzensbrecher. Na zum Glück hatte ich mich noch nicht so intensiv in einen von beiden verguckt, dass ich wie die Hauptdarsteller aus Liv's Liebesfilmen verzweifelt irgendjemanden hinterherweinen würde. Und das sechs Wochen oder noch mehr. Oder, ich zitiere, "Ich kann nicht mehr ohne ihn leben" millionenmal in mein nicht vorhandenes Tagebuch schrieb. Die Seiten selber waren dann außerdem noch gewellt, weil vor dem Schreiben meine Tränen alles durchnässt hatten.
Na ja... noch konnte ich mich von alles abkapseln. Aber wollte ich das überhaupt?
Die Frage stellte ich mir die restliche Stunde oft, sodass auch relativ schnell die Zeit verging, in der wir noch beim Chinesen Abendbrot aßen, über dies und jenes redeten und letztendlich vor meinen Wohnblock mit dem Auto anhielten.
"Also", begann Adrian und lächelte mich an. "Was ich fast vergessen habe. Wir müssen ja beide noch zusammen einen Vortrag machen, hm?"
"Och nö", rutschte es mir heraus.
Er lachte. "Och nö wegen mir oder wegen dem Vortrag?"
Ähm.
"Alles gut", ich winkte nur ab. "Geschichte haben wir am Mittwoch oder? Und über welches Thema sollten wir nochmal genau etwas machen?"
"Jep und ich denke, es war Martin Luther King. Bin mir jetzt aber nicht mehr ganz genau sicher." Er strich mit einem Finger über sein Lenkrad, bevor er mich wieder lächelnd ansah. "Hast du Montagnachmittag Zeit?"
Ich legte kurz den Kopf schief.
Barbie könnte ich später wieder suchen gehen und sonst hatte ich nicht wirklich viel zu tun. Hausaufgaben machte ich eh nie und Liv konnte sich auch nicht mit mir treffen, weil sie zum Zahnarzt musste.
"Ja, das können wir so machen", antwortete ich schmunzelnd.
"Gut", grinste er mich an. "Soll ich dich Montag auch morgens mit zur Schule nehmen? Bin nämlich hier in der Nähe, weil ich vor der Schule noch etwas aus einer Werkstatt abholen muss."
Klang nicht schlecht.
"Okay", willigte ich ein und stieg mit einem letzten Lächeln zu ihm gerichtet aus dem Auto aus. "Dann bis Montag."
Es klang eher wie eine Entscheidung mit vielen, ich betone, vielen Folgen.
Es ist Freitag. Jaaaa! Aber ich dachte heute Morgen beim Aufstehen, es wäre Samstag. Ach verdammt.
Soooo.... Adrian wird sowieso von eurer Seite aus mit ziemlich skeptischen Augen beobachtet. Interessant. Was denkt ihr, wird am Montag so passieren?
Ich gehe jetzt weiterschreiben.
♡
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