- Countdown -
"Ich bin echt froh, dass es dir wohl wieder besser geht. Die Woche warst du so anders und das Schlimmste war, dass du dich nicht von mir hast helfen lassen. Tu mir das nie wieder an, okay?" Liv schaute mich warnend von der Seite an.
"Ja." Ich zwang mich zu einem Lächeln, um meine Rolle, die ich seit gestern nach der Schule spielte, perfekt weiterzuführen.
Mit Ace ein Geschenk für Ian einkaufen zu gehen, war echt lustig gewesen und ein großer Kontrast zu meinen letzten Nachmittagen. Nachdem wir einige Läden abgeklappert hatten, er war stets bemüht nicht dieses heikle Adrael-Adam Thema aufkommen zu lassen, sondern über banale Themen mit mir zu quatschen, hatten wir uns für einen schwimmenden Donut mit Getränkehaltung und einem Shirt mit der Aufschrift Held des Tages für ihn entschieden. Später, wir saßen gerade in einer Eisdiele, tauchte Liv auf. Anscheinend hatte sie auch gerade Einkäufe für ihn gemacht und setzte sich fröhlich zu uns. Letztendlich lief es so ab, dass sie mich dazu überredete bei ihr zu übernachten, weil sie mich vermisste. Der Abend war ganz lustig und auch der Morgen danach, da sie mich ebenfalls nicht auf das alles Vorgefallene ansprach.
Und das rechnete ich ihr hoch an.
Nur brachte mich meine Aufregung, jetzt garantiert Adrael gleich wieder zu sehen, immer mehr um. Ein paar mal war ich schon so unaufmerksam gewesen und knickte ungeschickt auf dem Kopfsteinpflaster der Straße zum Hafen um.
Liv dachte bestimmt, es lag daran, dass es schon so dunkel war. Die Sonne ist nämlich gerade erst untergegangen und die Beleuchtung der Straßenlaternen war ziemlich spärlich, also gerade ausreichend zum Überblicken.
Als ich das vierte Mal in Folge fast hinfiel, hakte sie sich kichernd bei mir unter und zusammen liefen wir die letzten Meter, bis das Boot in Sicht kam.
Synchron, ohne uns abzusprechen, blieben wir dann erstmal stehen.
Der Hafen war durch die Laternen in ein sanftes Licht getaucht und manche kleinere Boote lagen somit im Schatten eines anderen. Die Sonne war nun fast vollständig untergangen und das Wasser des Michigansee's wirkte beinahe schwarz. Nur an einer Stelle nicht, da das helle, bunte und blinkende Licht einer riesigen Yacht ihren Untergrund zum lebenden Spiegel machte.
"Oh mein Gott", entfuhr es Liv und sie schlug sich staunend die Hände vor ihren Mund. "Wie viele Stockwerke hat das Boot bitte?"
Ich kniff die Augen zusammen und wollte zählen, aber irgendwie wollte ich die Antwort auch nicht wissen. "Die Frage lautet eher, was Ian's Onkel bitte für einen Job hat, sich das Ding zu leisten und auch noch wahrscheinlich genug im Budget hat, um die zahlreichen Kratzer nach einer riesigen Party zu beseitigen?", vermerkte ich trocken.
Liv nickte nachdenklich. "Stimmt..." Kurz war es ruhig zwischen uns, aber nicht lange, da zog sie mich plötzlich lachend in die Richtung der wummernden Musik. "Ist doch egal, jetzt lass uns einfach dort hingehen."
Ich ließ mich lächelnd mitziehen und ignorierte mein nervöses Kribbeln in der Magengegend.
Unter die Musik mischte sich jetzt auch noch Gelächter und zahlreiche Stimmen. Ganz oben auf dem Deck wurden ein paar tanzende Menschen sichtbar, sowie auf den Seitenwegen entlang den einzelnen unterteilten Stockwerken. Schluckend betrachtete ich den weißen polierten Lack.
Oha.
Das Lichterspiel änderte sich zum Takt der neu beginnenden Musik und riss einen regelrecht in den Bann, wie die hellrosanen und dunkelblauen Farbspektren in die Luft hochschossen und rotierten.
"Das wird so lustig", quietschte Liv vergnügt.
Oh ja, das wird es bestimmt.
Die ziemlich lange Brücke, die zum untersten Deck der Yacht führte, war nicht unbewacht. Nein, es standen vor ihr tatsächlich zwei Typen, die Türsteher vor einer Disco vom Aussehen sehr ähnelten. Ian hatte wohl an alles gedacht und wollte echt nicht, dass ungeladene Gäste mitfeierten.
Der, mit den ganz kurzrasierten Haaren und dem Vollbart schaute uns prüfend an, als wir vor ihm stehenblieben. "Wie lauten eure Namen?"
"Olivia Henry und Cassandra Steven", antwortete Liv sofort für uns beide.
Während der andere nun ein kleines Notizbüchlein hervorkramte, um es kaugummikauend aufzuschlagen und darin umherzublättern, betrachtete uns der Vollbartschrank immer noch genauestens.
Hilfe, ich fühlte mich wie ein Schwerverbrecher irgendwie, wenn der mich so anguckte.
Gerade, als ich schon vor Unsicherheit fast komplett durchdrehen wollte, schritt der mit dem Buch zur Seite, lächelte uns sogar an und winkte uns durch. "Ihr könnt. Sorry, aber die Vorsichtsmaßnahmen wurden so gewünscht. Viel Spaß euch beiden."
"Ähm... danke", stotterte ich eins zusammen und folgte Liv, die ebenfalls genauso irritiert wirkte, die Brücke hoch.
Unsere Highheels, in die wir uns extra hereingequält hatten, klapperten laut auf dem Holz beim Laufen.
Außer Hörweite der Typen, beugte sich Liv aufeinmal zu mir herüber. "Du musst schön aufpassen, die Männer schauen dir voll hinterher. Du solltest also auf der Party erst recht bei den ganzen notgeilen Typen sehr auf dich aufpassen", grinste sie mich verschwörerisch an.
"Was?", hakte ich baff nach, traute mich aber nicht zurückzuschauen.
Einerseits war es mir unangenehm, dass mir ältere Männer auf den Hintern gafften, andererseits war das ziemlich verheißungsvoll für eine Begegnung mit Adrael. Wenn sie meinten, dass ich wohl gut aussah, dann machte mich das schon etwas selbstbewusster. Klar, Liv hatte das heute Abend auch schon mehrmals zu mir nach dem Fertigmachen gesagt, dass mir das Outfit unglaublich gut stand. Aber eine beste Freundin redete einem fast immer zutraulich zu.
Beiläufig versuchte ich an mir herunter zu schielen.
Zu den dunkelgrauen Highheels trug ich ein bis zur Taille eng geschnittenes Kleid, dessen weinroter Stoff dann bis zu der Mitte der Oberschenkel locker herunterfiel. An meinen Armen hingen diverse silberne Armbänder und um meinen Hals baumelte eine kurze filigrane Kette. Ich hatte wirklich heute fast nur die Sachen ausgewählt, die ich absolut vergötterte und dieses Kleid hing schon seit einer Weile in meinem Schrank, ich hatte es nie angezogen, weil mir kein Moment passend erschien.
Bis jetzt.
"Dein roter Lippenstift ist so cool. Wie kriegst du es immer hin, dass der so perfekt aufgetragen ist?" Liv, die weder Lippenstift, noch Lippgloss genommen hatte, sah mich interessiert an.
Ich zuckte die Schultern und setzte den rechten Fuß zuerst auf das Boot. "Keine Ahnung. Irgendwie hatte ich noch nie Probleme damit."
"Sei froh-"
"Da seid ihr ja!" Ace kam aus der Yacht herausgerannt und die Tür fiel laut krachend hinter ihm zu. Sein weißes Hemd klebte an seinem Oberkörper, in den Räumen der Yacht war es wohl ziemlich stickig, und die braunen Haare lagen wirr auf seinem Kopf. Strahlend umarmte er uns nacheinander, bevor er sich an das Geländer neben uns anlehnte. "Mädels, ihr wisst gar nicht, wie hammer die Stimmung ist. Ach und ihr beide seht fantastisch aus."
Verlegen lächelten wir ihn und antworten gleichzeitig. "Danke."
"Nur die Wahrheit, ihr Süßen." Liv neben mir hob bei 'ihr Süßen' verwirrt die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. "Ihr seid außerdem genau zur richtigen Uhrzeit hier. Gleich wollen wir auf Ian anstoßen, schließlich wird er erst in...", Ace holte schnell sein Handy heraus und schaltete das Display an", ... in genau dreizehn Minuten achtzehn." Er steckte sein Handy wieder weg. "Wollen wir?" Er bot uns rechts und links von ihm Gentlemanlike jeweils einen Arm an, worauf wir an ihn herantraten.
"Wie viele Gäste hat Ian eigentlich eingeladen?", fragte Liv noch immer beeindruckt von unserer Umgebung.
Ace lachte fröhlich. "Ja haha, wohl so um die fünfzig bestimmt. Sind viele ehemalige Klassenkameraden aus der Primaryschool dabei, dann noch von unserer Schule ein paar, von anderen Schulen, Freunden aus anderen Städten, Cousins... und so weiter", erzählte Ace weiter. Und dabei blieb es nicht, er schien wohl schon etwas zu viel getrunken zu haben, denn völlig nicht zur Frage passend hielt er plötzlich einen Bericht über Wasserflugzeuge.
Na gut, warum nicht. Das lenkte mich von dem Partygeschehen um mich herum ab. Auch wenn es nicht so krass wie auf den anderen zwei Party's war, bei denen ich bisher so mitteilgenommen hatte, war das doch schon immer eine andere Welt.
Auf dem Weg durch den ersten gut gefüllten und mit Lichtern geschmückten Raum traf Ace nochmal viele, die immer etwas von ihm wollten oder ihn noch unbedingt leicht lallend begrüßen mussten. Das zog sich wie ein Kreislauf auch durch die anderen Räume, die wir durchquerten oder durch Treppen erreichten. Wir waren bereits schon so viele Treppen gestiegen, dass ich mir sicher war, dass hinter der nächsten Tür endlich das obere Deck liegen musste.
Und es war auch so.
Nach bestimmt fünf Minuten oder noch mehr stieß Ace mit dem Fuß, ja, die dreckige Schuhsohle hinterließ einen schönen Abdruck auf dem weißen Untergrund, die Tür auf und endlich striff wieder kühle Luft meine Wangen.
Die Leute um uns herum hatten sich mehr verteilt und alles hatte den Anschein, als wäre es hier etwas ruhiger. In der Mitte stand ein langgezogener Tisch, auf dem sich eine Menge eingepackter Geschenke stapelten und ganz am Ende glaubte ich eine sehr große Geburtstagstorte auszumachen.
"Hier drüben!"
Wir drehten unsere Köpfe nach links und sahen die anderen fünf an der Reeling lehnen, jeder ein noch volles Glas Sekt in der Hand.
Mein Herz wummerte laut in den Ohren und ich entschied mich beim Hinlaufen nicht in die einzelnen Gesichter zu schauen, sondern erstmal nur heil mit den hohen Schuhen irgendwie dort anzukommen.
Und überraschenderweise schlangen sich plötzlich zwei Arme um mich und ein trainierter Körper drückte sich fest an mir. "Ach, Cassie, ich bin so froh, dass du hergekommen bist. Es wäre so schade gewesen, wenn du abgesagt hättest", flüsterte Ian in mein Ohr, ehe er sich vor mir hinstellte und mich glücklich anschaute.
Ich lächelte ihn breit an. "Natürlich bin ich da, wenn du Geburtstag hast, Ian. Alles Gute erstmal", entgegente ich und schloss ihn nochmal in meine Arme, bevor wir uns wieder voneinander lösten, um dass Liv nun auch an die Reihe kam.
Nun stand ich, weil Ace Ian auch mit Wasserflugzeugen vollquatschte und Liv sich köstlich amüsierte, wieder fast alleine mit den anderen vier Jungs.
Da fällt mir ein, Ian war ja gar nicht richtig betrunken, bisher hatte Ace den Posten an sich gerissen. Aber was nicht war, konnte ja noch kommen.
Schüchtern verflocht ich die Hände ineinander und blickte unsicher auf.
Unerwartet hoben sich Leandro's Mundwinkel, als sich unsere Blicke als erstes kreuzten, dabei strich er sich flüchtig mit der freien Hand eine kastanienbraune Locke aus dem Gesicht. "Hey, Cassie. Lange nicht gesehen", spielte er auf diese Woche an. "Dachte schon, ich sehe dich nie wieder", zwinkerte er mir zu.
"Uhm jaa, hi alle miteinander", ging ich nicht weiter darauf ein.
"Hii", flötete Adrian, griff nach einem vollen Sektglas auf einem Stehtisch neben sich und hielt es mir hin. "Hier, dass du auch gleich was zum Anstoßen hast."
Dankend nahm ich es ab und hoffte, man sah nicht zu sehr, wie ich zitterte.
Zum Glück kamen Ace, Liv und Ian wieder näher zu uns heran und verwickelten die anderen in ein lockeres Gespräch, aber behielten dabei immer die Uhr im Blick.
Die einzigen, die nicht wirklich viel erzählten, waren Adam und Adrael.
Verstohlen linste ich zu beiden herüber, da sie fast gegenüber von mir standen.
Adam drehte ruckartig den Kopf zur Seite, als hätte er mich gerade gemustert und wollte nicht ertappt werden. Seine dunkelblonden Haare fielen ihm auf die Stirn, weil er sein Gesicht auf den noch sauberen Boden gerichtet hatte, gleichzeitig zupfte er kurz nervös an seinem schwarzen Shirt herum.
Unglaublich immer noch, dass er mir erst dieses Geständnis machte und nun wieder so war. Die Erinnerung daran war eher so, als hätte ich sie geträumt.
Lange konnte ich mich nicht zurückhalten und langsam brannte meine Haut unter seinem intensiven Blick. Nach vielleicht einer weiteren Minute schaute ich wieder auf - und begegnete seinen hellblauen Augen.
Ich holte tief Luft in dem Moment, in dem er nochmal meinen Körper abwanderte, seine Hand sich fest um die Reeling klammerte und er bei meinem Gesicht angekommen, sich wiederholt auf diese weiche Lippen biss. Die schwarzen, längeren Strähnen seiner Haare fielen etwas nach rechts, als er den Kopf leicht neigte und mich weiterhin stumm ansah. Während all die anderen um uns herum auf den Countdown warteten, um anzustoßen, unbesorgt lachten und nichts von der Spannung zwischen mir und Adrael ahnten, die sich augenblicklich aufbaute.
Sie war noch intensiver als die anderen Male zuvor, so viel war bereits vorgefallen und lösten die unterschiedlichsten Emotionen in uns aus.
Sein weißes, nicht ganz bis nach oben zugeknöpftes Hemd, dass zu der schwarzen Jeans harmonierte, betonte wieder seine Muskeln, zeigten, wie angespannt er war und wie flach er atmete.
Irgendwann hielt ich das nicht mehr zwischen uns aus. Ich wendete meinen Kopf zur Seite und schnappte leise keuchend nach Luft.
Das war das, was ich vermisst und gleichzeitig gefürchtet hatte.
Die Kontrolle wieder zu verlieren und ihm wieder zu verfallen, obwohl ich nichtmal weiß, ob er es ehrlich mit mir meinte. Weil noch einen Ausrutscher ohne Bedeutung für ihn, würde ich nicht verkraften wollen.
1 MILLION READS!!!!! Oh mein Gott. Ich danke euch so dafür.
♡
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