⫷ Kapitel 31: Gnade dem Hass der Hilflosen ⫸
Nauju behielt Recht. Nanouk musste beinahe zwei Tage warten, ehe er wieder in ihrem Zimmer auftauchte und die Narbe versorgte. Doch während dieser Zeit sprach er nicht viel, war seltsam verschlossen und unnahbar, wie sie ihn gar nicht kannte. Nanouk versuchte jedoch gar nicht diese Stille zu brechen, weil sie selbst zu tief in ihrem Kopf steckte und die alten Sorgen über ihre verschollenen Kameraden ausgrub.
Die Rastlosigkeit machte sich auch bei ihrer Arbeit bemerkbar, sodass Maha sie besorgt zur Seite nahm. Reiki ist ein guter Lügner, doch du bist es nicht. Nanouk zwang sich Maha zu versichern, dass es ihr gut ging, obwohl sie das Gefühl hatte, die Zeit rinne ihr wie Wasser durch die Finger.
Die schockierenden Dinge, die Nauju ans Licht getragen hatte, nagten an ihr und untersagten ihr auch die zweite Nacht auf Folge einen erholsamen Schlaf. Nanouk wurde erneut zu Saghani gerufen, die nun wieder gesund und lebendig aussah und keine verräterischen Anzeichen ihres Gebrechens zeigte. Die Herrin Wallheims eröffnete ihr, dass Adassett morgen nach ihr verlangte und obwohl Nanouk nach wie vor glauben wollte, was er ihr nach der zermürbenden Nacht unterbreitet hatte, konnte sie die dumpfe Furcht nicht aufhalten.
»Er wollte deine Dienste schon viel früher erkaufen«, erklärte Saghani und schnippte die Asche von einem der Räucherstäbchen in die flache Granitschüssel. »Aber alle meine Mädchen verdienen eine ausgewogene Ruhezeit, nachdem sie im Bett gedient haben. Adassett bekommt keine Ausnahmen.«
Nanouk stand wie versteinert in dem schummrigen Dunkel Saghanis Gemachs und nickte.
Saghani blies sanft auf das brennende Räucherstäbchen und die Asche glomm kurzzeitig wieder auf. »Ich habe mit Inja gesprochen. Sie hat Adassett eine Weile lang gedient, doch mehr als drei Mal hat er sie nicht gewollt. Aber sie weiß zumindest ein wenig mehr als die anderen. Doch normalerweise sind ihm meine Mädchen zu teuer. Er will es schnell und billig, verlangt nach offenen Haaren«, erläuterte Saghani angewidert und seufzte verärgert. »Warum es umso schöner ist, dass er für dich so viel Gold bezahlt.«
Nanouk zwang sich nicht leidend auszusehen, als sich Sagahni zu ihr herumdrehte und die dunkelblauen Saphire ihres Schmucks im Schein der Glut aufblitzten. »Das bedeutet aber auch, dass du dieses Mal bei Sinnen sein musst. Finde heraus, was er verlangt und merke es dir. Daher dieses Mal keinen Wein, wickle ihn um den Finger und erstatte mir Bericht.«
Nanouk nickte stumm.
»Wenn du übermorgen wieder hier bist, werde ich es einrichten, dass du dich eine Weile mit Maha zusammen setzt. Sie soll dir neben Ischka ein wenig mehr über Spionage beibringen. Für die Zukunft.«
Saghani grinste wölfisch und nickte Nanouk verschwörerisch zu. »Sehr wohl, anaana Saghani«, brachte sie schließlich hervor und senkte das Haupt, sodass man ihr nicht anmerkte, wie unvorbereitet sie für all das war. Und wie wenig sie gedachte, Saghani tatsächlich zu helfen.
Saghanis Schritte kamen auf sie zu und nur wenig später spürte sie ihre Finger, die ihr Kinn sanft aber bestimmt nach oben drückten. »Ich weiß. Adassett kann unangenehm werden. Jeder Mann kann das.«
Nanouk kam nicht umhin sich zu wundern, wer es war, der hier Mädchen verkaufte, schwieg jedoch, denn Saghani war noch nicht fertig.
»Doch diese Arbeit ist essenziell für uns. Essenziell dafür, hier nicht unter zu gehen. Ich habe versprochen, dass ich mich um dich kümmere und das tue ich. Im Gegenzug erwarte ich mir bloß, dass du Wallheim diesen Dienst zurück erweist.«
»Sehr wohl, anaana Saghani«, sagte sie dann leise.
Die Dame lächelte zufrieden und strich ihr sanft über die Wange. »Ich danke dir, meine Blume. Du bist ein Geschenk der Ewigen, wahrhaftig.«
»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet«, flüsterte sie und schlug die Augen nieder, »dass Ihr mir diese Möglichkeiten bietet.«
Dafür musste sie nicht einmal lügen. Saghani bot ihr eine Vielzahl an Vorteilen und nicht zu Letzt verschaffte sie ihr einen Vorsprung, um sich hinter der Fassade dieses dekadenten Hofes zu orientieren. Anfangs hatte sie sich noch als unglücklich geschätzt, direkt in die Fänge der hochrangigen Vertrauten des Winterkönigs geworfen zu werden, doch das war bevor sie erkannt hatte, wie zerstritten diese waren.
Wie fragil und brüchig das Machtgefüge auf der Spitze des Berges balancierte und vielleicht tatsächlich bloß eines Stoßes bedurfte, um in sich zusammen zu brechen. Und dieser Gedanke führte Nanouk auf dem Weg in ihr Zimmer unweigerlich zurück zu dem, was Adassett gesagt hatte. Dass er ihr Vertrauen und ihre Verschwiegenheit bräuchte für das, was er vorhatte. Sie dachte an Reiki und an den Brief, den er ihr geschrieben hatte. Was er wohl versuchte zu erreichen indem er sie rettete?
Mit wild schlagendem Herzen griff sie unter die Matratze, wo sie den gefährlichen Brief versteckt hatte, damit niemand ihn finden konnte und zog das dünne Papier ans Licht. Sie musste einfach verstehen, was es war, das er nicht aussprechen konnte, doch als sie den Zettel entfaltete, lachten ihr die selben unleserlichen Buchstaben entgegen. Reiki hatte behauptet alles, was er sagte, müsse er an den Winterkönig weitergeben. Bedeutete das also ebenfalls, dass er in Rätseln schrieb, weil er Angst hatte, dass der Winterkönig erfuhr, was es war, das er ihr so dringend mitteilen wollte?
Nanouk strich über die dunkelroten Linien und zwang sich zu erinnern. Doch ganz egal, wie sehr sie sich abmühte, die Buchstaben, die sie nicht kannte, kannte sie nicht. Es war zum Verzweifeln. Sollte sie Nauju um Hilfe bitten? Doch diesen Gedanken verwarf sie. Nach allem was vorgefallen war, war sich Nanouk erneut unsicher, ob sie ihm trauen durfte und die einschlägigen Warnungen über Reikis Verschwiegenheit, die Furcht die aus seinen Worten damals im Zittergebirge gesprochen hatte, veranlassten sie dazu, tatsächlich Stillschweigen zu bewahren. Zumindest für den Moment.
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Als Nauju diesen Abend auftauchte, war er so heiter und unbeschwert wie sonst auch. Er stellte seinen Arzneikoffer auf den Tisch und fing ohne Umschweife an, die Salbe herzustellen.
»Ich habe es schon von Saghani gehört«, eröffnete er das Gespräch. »Adassett hat wieder nach dir verlangt.«
Nanouk, die zuvor noch am Fenster gestanden und sich trotz tödlicher Kälte hinaus in die stille Einsamkeit des Fichtenwaldes gewünscht hatte, schnaubte. »Beehrt Ihr mich deshalb heute Abend? Damit mein Bein nicht aufgibt?«
Nauju warf ihr einen amüsierten Blick über die Schulter zu. »Dass ich dich die vergangenen zwei Tage nicht mit meinen unzählig amüsanten Gesprächen beehrt habe liegt daran, dass ich zu tun hatte. Und dein Bein ist beinahe wieder in Ordnung.«
Nanouk blickte an sich herab und spannte den Muskel an, doch spürte sie nach wie vor ein scharfes Ziehen. »Dann habt Ihr eindeutig andere Vorstellungen von in Ordnung.«
Nauju hob die Schultern und vermischte das duftende Fichtenöl mit der Salbe. »Ich bin kein Magier, sondern ein Mensch. Ein Sterblicher, wie du.«
Nanouk holte leise Luft und ging anschließend zu ihm hinüber. Er mochte zwar die Macht Etamashuks verwenden, um seine Heilmittel zu verstärken, doch das Gerüst war immer noch irdische Medizin. Vielleicht konnte sie gar etwas von ihm lernen. Nauju blickte nicht einmal auf, als sie sich neben ihn stellte und auf seine flinken Hände blickte.
»Wie bereitet Ihr diese Salbe zu?«
Nauju hielt kurz inne und legte den Kopf schief, ehe er seine Arbeit fortsetzte. »Das meiste stelle ich in meinem Gemach her. Das Destillieren der Naturstoffe und das Mischen der Grundsalbe wäre hier gar nicht möglich. Doch die Kombination muss frisch sein. Deswegen mache ich es hier.«
Nanouk nickte, trotz ausweichender Antwort und fragte sich, ob das daran lag, dass Nauju sein Wissen nicht weiter geben wollte, oder ob seine Methodik wieder etwas wäre, wo es ihr den Magen umdrehte. Sie betrachtete ihn für einige Augenblicke lang schweigend und wunderte sich erneut, wie ein Mann wie dieser es schaffen konnte eine Möwe aus dem Himmel zu schießen. Sie selbst hatte es nie geschafft, keiner aus ihrem Dorf hatte es je fertig gebracht einen Vogel über dem Meer zu erwischen. Vom Ufer waren sie zu fern und auf See schaukelten die Wellen die Kajaks zu sehr, um so ein kleines Ziel zu treffen.
»Was hat Saghani gegen offene Haare?«, fragte sie dann in die Stille. »Warum ist das etwas, das ataha Adassett zusagt?«
Nauju hob eine Augenbraue, ohne seinen Blick von seiner Arbeit abzuwenden und zögerte für einen Moment. Doch sagte dann: »Offene Haare signalisieren einen unterwürfigen, bereitwilligen Charakter. Wildheit, wenn du verstehst.«
Nanouk kniff die Lippen zusammen und stützte sich auf den Holztisch. »Saghani sagte billig. Ich habe das Gefühl, die Bedeutung von Wildheit ist hier oben eine andere.« Ihre Blicke trafen sich, als Nauju neugierig zu ihr sah.
»Es ist abwertend gemeint und ich verstehe nicht weshalb«, fuhr sie energisch fort. »Ein wildes Tier ist gefährlich, ungezähmt. Die See ist wild, die Fjorde und ein Schneesturm auf dem Firn sind wild. Die Eisfelder und verschneiten Haine sind wild. Und wir empfinden Ehrfurcht vor der Wildheit. Und blicken nicht auf sie herab«, erklärte sie leise aber fest, weil es sie betroffen machte als etwas bezeichnet zu werden, das sie nicht war.
Nauju legte seine Werkzeuge weg und drehte sich ein Stück zu ihr um. »Es gibt Menschen, die noch nie die Wildheit des Nordens erlebt haben, Nanouk. Sie kommen aus reichen Städten erbaut aus Glas und Stein, wo die schlimmste Gefahr ein Hausbrand oder der Diebstahl des Viehs ist. Vor Naturgewalten haben sich diese Menschen nie fürchten gelernt. Sie kennen die See nicht, wissen auch nicht, wozu ein verhungernder Wolf fähig ist und denken nicht einmal an die Kälte jenseits ihrer sicheren Stadtmauern. Wildheit bedeutete für sie Abenteuer.«
Nauju blinzelte, als müsse er sich aus Erinnerungen reißen, die ihn einzuholen drohten und wischte sich die Finger an einem Baumwolltuch sauber. »Wildheit bedeutet für sie fantasieren und träumen.«
Nanouk verzog die Brauen. »Leute wie Ihr träumt davon von einem wilden Tier zerrissen zu werden?«
Nauju lachte amüsiert. »Oh, das keineswegs. Sie fantasieren davon die Wildheit zu zähmen. Sie zu erobern und sie zu brechen, bis sie ihrer Herr geworden sind.«
Nanouk machte ein verärgertes Gesicht. »Das ist Dummheit. Was hat das mit offenen Haaren zu tun?«
Nauju holte einmal tief Luft und legte das Baumwolltuch langsam und bedacht zurück auf den Arbeitstisch, ehe er sich vollständig zu Nanouk umwandte. »Offene Haare laden dazu ein, die Faust darin zu vergraben und sich zu nehmen, was man will. Die Wildheit einer Frau zu zähmen und sie zu bezwingen, sie zu kontrollieren, während man an dem Gefühl der Kontrolle trunken wird.«
Nanouk biss die Zähne zusammen, als Nauju eine Hand hob und über ihren lose geflochtenen Zopf strich, den sie sich über die Schulter gelegt hatte.
»Je einfacher die Frisur«, fuhr Nauju mit einem milden Lächeln fort, »desto weniger Vorsicht muss man walten lassen. Je simpler, desto weniger schade ist es darum, diese wundervolle, zivilisierte Frisur zu zerstören.«
Naujus Hand glitt von ihrem Kiefer über ihren Hals und Nanouk machte einen bestimmenden Schritt zurück. Nauju seufzte und ließ seine Hand leblos fallen.
»Zivilisiert«, spuckte Nanouk und fasste Naujus Erscheinung mit einem angewiderten Blick ein. »Ein Begriff der von denjenigen geprägt wird, die nach einer Ausrede für ihre eigene unzivilisierte Art suchen.«
Nauju lächelte weiterhin vor sich hin. »Möglich.«
»Oh, ganz bestimmt«, fauchte Nanouk und machte eine allumfassende Bewegung mit dem Arm. »Genießt Ihr diese Degradierung nicht ebenso hier in Wallheim? Habt Ihr nicht selbst zugegeben Etamashuk'siulliq ermordet zu haben, um sein Gefieder für Eure selbstsüchtigen Zwecke zu benutzen?«
Naujus Lächeln wurde eine Spur breiter, als er den Tiegel aufnahm und anschließend auf das Bett deutete. »Setz dich, bevor du vor Wut noch aus den Strümpfen fährst.«
Nanouk krümmte ihre Finger in einer strangulierenden Geste, sagte aber nichts darauf und ließ sich erbost auf das Bett sinken.
»Ich fürchte die See ebenso wie ich mein Urteil fürchte. Alles jenseits dieser Mauern fürchte ich, das vermag auch Etamashuq'siulliqs Gefieder nicht zu verändern«, fuhr er dann mit melodischer Stimme fort und machte sich daran ihre Wunde zu versorgen. Nanouk schnaubte nur herablassend durch die Nase.
»Doch was mich überrascht ist, dass du durch meine Worte zur Wut neigst und nicht zur Furcht.«
Nanouk verzog das Gesicht und Naujus Lächeln wurde zu einem breiten Grinsen. »Schließlich ist es doch genau das, was sich Adassett morgen wieder gönnen wird, richtig?«
Nanouk öffnete den Mund, doch brachte keinen Laut hervor, als sie erahnte, worauf Nauju hinauswollte.
»Demnach...?«, fing Nauju an.
»Wir waren beide sturzbetrunken«, beeilte sich Nanouk ausweichend zu sagen, doch Nauju hob bloß belustigt seine Brauen. »Aber Eurem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hätte ihn das nicht aufgehalten.«
»Eher das Gegenteil«, korrigierte er sie und strich sich mit der Schulter die weißen Strähnen aus dem Gesicht. »Dann hat er dich also tatsächlich nicht angefasst?«
Nanouk erwiderte Naujus fragenden Blick schweigend. Was sollte sie auch schon sagen. Lügen fiel ihr schwer und Nauju hatte sie als aller erster durchschaut.
Dieser setzte sich nun doch erstaunt kerzengerade hin und ließ seinen Blick über sie schweifen. »Interessant. Das ist äußerst interessant.«
Nanouk biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. »Bitte sagt es nicht Saghani.«
Nauju legte den Kopf schief und blickte hinaus zum Fenster, wie er es immer tat, wenn er nach einer Antwort auf seine unausgesprochenen Fragen suchte, oder überlegte. »Du wirst ihr nicht helfen, richtig? Was hat Adassett dir geboten, im Gegenzug?«
Nanouk erwiderte seinen neugierigen Blick erschlagen. »Nichts.«
»Du willst mir erklären, dass er dich einfach aus Herzensgüte heraus verschont hat?« Nauju sah über alle Maßen unüberzeugt aus und sein herablassendes Lächeln wurde eine Spur schärfer.
»Warum sollte ich Euch das verraten?«
»Nun«, fing Nauju an und fuhr gemächlich mit dem Zeigefinger ihre Narbe entlang. »Zum einen, weil ich auch schon dein erstes Geheimnis für mich behalten habe, dein zweites behüte und-«, er brach ab und wurde sehr still, sodass Nanouk meinte, er wäre erstarrt.
Doch sie sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte und eine ehrliche Betroffenheit über sein Gesicht huschte. »Und du mich unglückseliger Weise dabei erwischt hast, wie ich mir die Seele aus dem Leib geschluchzt habe. Ich habe deine Verschwiegenheit in dieser Hinsicht hoch geschätzt und dachte, wir wären zu einer stillen Übereinkunft gekommen.«
Nauju seufzte theatralisch und wischte sich die Hände sauber.
»Ich weiß es nicht«, sagte Nanouk daher leise und streckte eine Hand nach ihm aus, um ihn daran zu hindern aufzustehen. »Wirklich nicht. Er hat nichts gesagt, bloß gemeint, er wolle mir ein Angebot unterbreiten. Ich schlage Saghani meine Hilfe nicht aus Bosheit heraus aus, sondern weil ihr Ziel nicht mein Ziel ist.«
Nauju betrachtete sie eingehend und dann beinahe amüsiert. »Du spielst ein unglaublich gefährliches Spiel. Du weißt, wie ich dir Saghani beschrieben habe? In der Sekunde, in der sie merkt, dass du nicht nützlich bist für sie, wird sie dich für deinen Verrat in tausend Stücke reißen. Du rüttelst an einem Machtgefüge, das dir fremder nicht sein könnte.«
Nanouk schluckte hart und erwiderte Naujus berechnenden Blick. »Irgendeiner muss es schließlich tun. Der Winterkönig missbraucht seine Macht schon viel zu lange.«
Nauju stand schließlich auf und räumte seine Sachen zusammen. »Und du bist der Meinung, dass du dieser jemand sein musst? Eine junge Frau gegen den gesamten Hof. Das klingt wie eine Geschichte, die zum Scheitern verurteilt ist.«
Nanouk presste ihre Lippen zusammen, um sie am Zittern zu hindern. »Ihr sagt dies, als wäre ich furchtlos.« Doch das war sie nicht. Nanouk fürchtete sich noch immer vor dem morgigen Tag, vor Adassett und dem, was er tat. Es würde eine Hinrichtung geben und sie sollte ihm danach im Bett dienen, eine Kombination die ebenso erschütternd war, wie die Umstände des letzten Festes.
Nauju legte den Kopf schief und ging zur Türe. »Meinst du nicht, du solltest furchtlos sein, wenn du bereit bist diese Schritte zu gehen? Alles andere wäre doch schierer Wahnsinn.«
Nanouk holte zitternd Luft. »Nur ein Narr ist furchtlos. Doch an Wahnsinn grenzt das alles hier trotzdem. Ich hatte nur gehofft, diesen Weg nicht alleine gehen zu müssen.«
Sie blinzelte energisch gegen die Tränen in ihren Augen an und erkannte Nauju, wie er ihr durch den schummrigen Raum hindurch zuzwinkerte. »Da sind wir immerhin schon zwei.«
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Am nächsten Morgen wurde Nanouk von Inja geweckt. Doch auf Nanouks Frage hin, wo Maha wäre, lächelte Inja bloß herablassend und begleitete sie schweigend hinunter in den Waschraum.
Wie auch schon die letzten Male erwartete sie eine Schar an Dienerinnen, die sich um ihre Körperpflege kümmern sollten und Inja deutete den anderen sich ans Werk zu machen.
»Ich habe von anaana Saghani den Auftrag bekommen, dich vorzubereiten. Deine Haare sollen wir heute gänzlich offen lassen. Besonders hübsch musst du auch nicht sein, denn das ginge an ataha Adassett ohnehin nur verloren.«
Nanouk schluckte bloß und wusch sich mithilfe der zwei Dienerinnen in der hölzernen Wanne, um sich anschließend in ihre maßgeschneiderte Tunika kleiden zu lassen. Auch, wenn sie es mittlerweile gewohnt war jeden Luftzug auf ihrer Haut zu spüren, lief ihr dennoch jedes Mal ein unangenehmes Kribbeln über die Arme bis zu ihrem Nacken nach oben.
»Und wie ich sehe, hat ataha Adassett tatsächlich wieder ein Wunder vollbracht. Stumm wie ein Fisch«, hakte Inja nach, als Nanouk in ihren Gedanken versunken nicht einmal gemerkt hatte, dass die Kurtisane zu ihr sprach.
Sie saß an der Seite auf einem gepolsterten Lehnstuhl und wippte mit ihren überschlagenen Beinen, als sie auf eine Antwort wartete, die Nanouk nicht gewillt war zu geben. Sie empfand ihre Gehässigkeit eher als störend, statt beleidigend und wusste aus Erfahrung, dass es ohnehin keinen Sinn hatte Inja die Stirn zu bieten. Sie war daraus aus zu verletzen und nicht um zu reden.
»Wie tief hat er ihn dir rein geschoben, dass du nicht einmal mehr simple Antworten geben kannst, frage ich mich«, fuhr Inja in herablassender Plauderstimme fort und ihre wasserblauen Augen blitzten im Licht der Kerzen und des Kamins arglistig auf. »Ich habe gehört, dass ataha Adassett erst aufhört, wenn man kaum noch atmen kann. Stimmt das?«
Nanouk wandte Inja langsam den Kopf zu, als die beiden anderen Dienerinnen die feinen Schmuckfibeln an ihre Kleidung hefteten. »Mir wurde klar gemacht, dass du das eigentlich selbst in Erfahrung gebracht hättest«, sagte sie ruhig und erkannte, wie punktgenau sie damit ins Schwarze traf. Injas Augen weiteten sich und ihre Haut wurde noch blasser, sodass ihre Sommersprossen fast wie Blut auf Schnee hervortraten.
Inja stand in einer fließenden Bewegung auf und kam zu ihr herüber. Sie packte die niedrigen Lehnen des kleinen Stuhls, auf dem Nanouk saß so fest, dass das Holz knirschte und lehnte sich über sie.
»Du bist nichts besonderes«, zischte sie hasserfüllt und Nanouk konnte erkennen, dass es in ihren Iriden nichts als endloses Blau gab, so nahe beugte sie sich über sie. »Du tust immer so, als wärst du etwas besseres als wir. Aber du wirst schon noch brechen. Ataha Adassett ist nach seinen Zweikämpfen besonders entrückt. Du wirst leiden. Er wird dich so fest gegen die Wand schmettern, dass dir Hören und Sehen vergeht, du wirst diese hochnäsige Haltung schon noch ablegen. Du wirst zurück gekrochen kommen und darum betteln beschützt zu werden.«
Nanouk blickte in Injas strahlenden Augen, die so hasserfüllt auf ihr lagen. »Du hast Recht. Vielleicht werde ich leiden. Schlimmer noch als du gelitten hast. Aber wirf deine Wut nicht derjenigen vor die Füße, die nicht einmal weiß, was sie damit anfangen soll, sondern demjenigen, der dir das angetan hat.«
Inja fuhr so heftig vor Nanouk zurück, als hätte sie Inja geschlagen. »Du hast keine Ahnung«, fauchte sie.
»Es tut mir Leid, was es auch ist, dass dich so verletzt hat, doch wirf nicht weg, was du hast, nur, weil du jemanden wie mich leiden sehen willst.«
Inja kniff ihre Lippen zornig zusammen und machte sich dann selbst an die Arbeit, einige wenige Zöpfe in Nanouks offene Haare zu flechten. »Sorge dich nicht um anaana Saghanis Saphire, wenn ataha Adassett dich züchtigt. Sie hat ausreichend, um einige durch eine dreckige Hure wie dich zu verlieren.«
»In Ordnung«, sagte Nanouk leise und verzog das Gesicht, als Inja heftig an ihren Haaren zog.
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Im Foyer Wallheims wurden sie von Nauju abgefangen, der sie in der Menge als erster entdeckte, beinahe als hätte er Ausschau nach Nanouk gehalten. Doch als er schließlich bei ihnen angekommen war, galten seine anzüglichen Blicke alleine Inja.
»Ataha Nauju«, grüßte Inja mit einem tiefen Knicks und lächelte ihn zuckersüß an. »Es ist selten, dass Ihr die Mädchen verabschiedet!«
Nauju lächelte wohlwollend und griff nach Injas schlanken Händen. »Heute ist ein besonderer Tag, nicht wahr?«
Injas Lächeln wackelte keine Sekunde, als sie Nanouk anblickte und dann verlegen die Augen niederschlug. »In der Tat. Nanouk wird uns allen ein Vorbild sein können. Doch hatte ich gehofft, durch meine Zuwendung würde Euer ganz persönlicher Tag noch eine Spur besonderer werden.«
Der Ausdruck in Naujus Augen wandelte sich auf diese Andeutung hin und sein Blick huschte genüsslich an Inja herab. »Du bleibst hier? Das ist in der Tat eine angenehme Überraschung.«
Inja kicherte verhalten und ließ ihre Finger über Naujus Kragen tanzen. »Ihr findet mich in meiner Kammer. Immerhin wäre es ungerecht, wenn die anderen Spaß hätten, bloß Ihr nicht.«
Nauju stimmte zu und hauchte Inja einen Kuss hinters Ohr, woraufhin sich Inja mit einem Seufzen gegen ihn sinken ließ.
Nanouk verdrehte die Augen und sah weg. Inja konnte sogar auf Befehl hin erröten, eine Eigenschaft, die man auf Nanouks Gesicht wohl nie finden würde. Ein Segen oder ein Fluch vermochte sich ihr in diesem Augenblick noch nicht zu offenbaren.
Gerade wollte sie sich ohne ein letztes Wort an Nauju zu verschwenden auf den Weg hinüber zu Saghani machen, die bereits an den breiten Eingangstüren mit ihrer Entourage stand, als sie eine Hand an der Schulter zurückhielt. Nauju drückte sie sanft aber bestimmend in die andere Richtung davon, bis sie hinter der geschwungenen breiten Treppe in einem ruhigeren Eck zum Stehen kamen.
»Was wollt Ihr, ataha Nauju?«, fragte sie distanziert und gereizt.
Nauju legte den Kopf schief und betrachtete sie mit gerunzelten Brauen. »Deine Haare sehen hinreißend unkultiviert aus.«
»Und Ihr seht nach wie vor dekadent und wollüstig aus, kommt auf den Punkt, ehe ich die Nerven verliere«, drängte sie ihn und blickte sich nervös nach Saghani um, doch hinter den marmormen Stiegen konnte sie kaum das Foyer überblicken.
»Bist du gar nicht neidisch?«, wollte Nauju selbstgefällig von ihr wissen und strich sich durch die Haare.
»Was? Dass Ihr Euren Spaß mit Inja haben werdet?« Nauju hob erwartungsvoll eine Augenbraue. »Nein. Verzeiht mir, doch neidisch? Wenn ich dieser Lage etwas entgegenbringe, dann ist es Mitgefühl für sie.«
Nauju schürzte die Lippen. »So furchtbar schätzt du mich ein? Und dein Mitgefühl verginge dir, wenn du wüsstest, was sie mir unter den Laken schon alles geflüstert hat.«
»So furchtbar schätze ich den gesamten Hof ein, ganz gleich, wie hoch es gepriesen wird. Und Inja ist nicht gerade zurückhaltend mit ihrer Abneigung mir gegenüber. Schließlich ist es ihr zu verdanken, dass Adassett überhaupt ein Auge auf mich geworfen hat, als sie Ischka den Schlüssel gestohlen und mich hinauf in den Turm geschleppt hat.«
»Sie hat was getan?«
»Doch das ist absolut einerlei«, fuhr Nanouk hart fort und schüttelte den Kopf. Dabei rutschte das schwere Schmucknetz mit den winzigen Saphiren beunruhigend auf ihrem Haupt zur Seite und sie griff mit zittrigen Fingern danach, um es zu fixieren. »Ich möchte auch nicht, dass Ihr sie dafür belangt, oder irgendjemand. Nein, Inja ist alles andere als nett oder respektvoll, doch das ist mir völlig egal.«
Nauju betrachtete sie argwöhnisch und verschränkte die Arme vor der Brust. »Dich lässt absolut alles kalt, richtig?«
Nanouk schnaubte. »Wenn dem so wäre, würde ich mich hier nicht verkaufen lassen, um bloß einen Blick auf meine Kameraden riskieren zu können, sondern mich gleich von der Wehrmauer stürzen. Injas Gehässigkeit lässt mich kalt, weil sie das, was sie ist, der Welt hier oben zu verdanken hat. Vermutlich hegen all Eure perfekten, grazilen, verführerischen Schönheiten den gleichen, verdrehten Zwist. Sie wollen Euch, den anderen Nobelleuten und dem König gefallen, weil es das einzige ist, das sie hier haben. Inja?«
Nanouk wandte sich um und deutete vage auf die auch im Foyer ständig lachend, schmeichelnd und betörend umher schwebenden Kurtisanen. »Sie kniet vor Euch, weil sie genau wie Ihr keine Alternative hier oben hat, wenn sie nicht in der Bedeutungslosigkeit des Hofes vergehen will.«
Naujus amüsierter Ausdruck war von seinem Gesicht gerutscht und hinterließ einen unzufriedenen Mann, der sie mit düsteren Augen betrachtete. »Deine Wahrheiten schmerzen, ist dir das bewusst?«
Nanouk schluckte und strich sich über die duftende Haut an ihren Oberarmen. »Das tun sie immer.«
Nauju legte den Kopf schief, als er den verräterischen Gedanken in ihren dunklen Augen aufblitzen sah. »Die eigenen wohl mehr, als jene, die man anderen vor die Füße wirft, nicht wahr?«
Nanouk biss die Zähne zusammen und schüttelte den Kopf. »Ich muss jetzt gehen.«
Nauju strich sich mit den Fingerkuppen über die Lippen, hielt sie jedoch nicht zurück, als sie sich zu der Schar an Kurtisanen gesellte, die diesen Tag auf die Hinrichtung gehen mussten. Er rührte sich selbst nicht vom Fleck, als er ihr nachdenklich hinterher blickte.
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