⫷ Kapitel 16: Das Lied der Wartenden ⫸
Nauju erschien am Nachmittag, als das letzte Licht der Sonne schließlich hinter den Hängen des Zittergebirges verschwand. Er kündigte sich durch einmaliges Klopfen an und Nanouk schreckte aus ihrem leichten Schlummer, der sie übermannt hatte.
Müde rappelte sie sich auf und erhaschte bereits sein amüsiertes Lächeln. »Guten Abend, ataha Nauju«, bemühte sie sich neutral und, wenn es ihr irgendwie möglich war, höflich zu sagen.
»Kein Grund für Formalitäten«, grinste Nauju und stellte seine Arzneitasche auf den Tisch, nachdem er die Türe verschlossen hatte. »Es ist nicht notwendig so ein Gesicht zu ziehen. Normalerweise freuen sich die Mädchen, wenn sie eine meiner Heilmassagen bekommen.«
Nanouk strich sich das zerzauste Haar aus dem Gesicht und rieb sich die Augen, um den Schlaf zu vertreiben. »Weswegen sollte ich mich Euretwegen freuen? Wegen Leuten wie Euch bin ich doch erst in diese Lage gekommen.«
Nauju hob amüsiert eine Augenbraue. »Was hat dich derartig verstimmt? Solltest du dich nicht fühlen wie eine Prinzessin, im Vergleich zu dem Ort, aus dem du vor unsere Schwelle gekrochen kamst?«
Nanouk verzog angewidert die Lippen und ballte die Hände neben sich zu Fäusten. »Ich bin eine Gefangene und fühle mich dementsprechend auch als solche. Ihr mögt es leicht haben, hier oben«, sie fasste den Raum und Wallheim mit einem wütenden Blick ein, »in all dem Prunk und ohne Euch je sorgen zu müssen, wie Ihr den nächsten Tag übersteht. Belächelt meine Beschränktheit so viel Ihr wollt. Haltet mir meine Undankbarkeit vor so lange Ihr möchtet. Aber verlangt nicht von mir Reue zu zeigen für ein Gefühl, das Euch nicht gefällt.«
Nauju hatte sie höflich aussprechen lassen und sie nur weiterhin erheitert angeblickt, als würde ihn nichts in ihrer wütenden Aussage überraschen.
»Weißt du, weshalb es mich amüsiert?«, fragte er dann und blickte Nanouk nun wieder in die Augen, doch dieses Mal mit einer merkwürdigen Offenheit, einem unausgesprochenen Verständnis, von dem sich Nanouk nicht einmal sicher war, ob er sich dieses bewusst war. »Weil ich einmal genau dort kniete, wo du es nun tust. Und jetzt entledige dich endlich deiner Kleidung, damit ich dir helfen kann«, grinste er süffisant und ließ seinen Blick genüsslich an ihr herab wandern.
Nanouk starrte Nauju einfach an, als dieser sich umwandte und anfing die Zutaten für die Salbe zusammen zu mischen. Seine merkwürdige Offenbarung hatte ihren dumpfen Zorn verpuffen lassen, sodass sie sich nun verunsichert bemühte, zu begreifen, was er damit gemeint haben konnte.
Im Grunde wusste sie nichts über die Menschen hier am Hof. Sie sagte also nichts darauf und entledigte sich langsam ihrer Hose, konnte aber die Strümpfe nicht von ihren Beinen ziehen, da sie mit einem Ächzen fest stellte, dass sie sich kaum noch zu ihren Zehen beugen konnte. Erschöpft ließ sie sich also einfach wieder auf das Bett sinken und wartete unbehaglich, dass Nauju fertig wurde. Am Morgen hatte ihr Maha in die Strümpfe hineingeholfen und als sich Nauju nun zu ihr umblickte, deutete sie mit zusammengekniffenen Lippen auf die weißen Strümpfe.
»Könntet Ihr mir behilflich sein? Ich schaffe es nicht alleine.«
Nauju lächelte in sich hinein und nickte. »Dafür bin ich schließlich da.«
Nanouk rümpfte die Nase, als er sie erneut mit dieser Überlegenheit im Blick bedachte, als erwartete er tatsächlich, dass sie das hier genoss. Doch ganz gleich was es war, das hier in Wallheim Gang und Gebe war, Naujus Handgriffe blieben behutsam und keineswegs so, als stände ihm im Sinne, ihre Schwäche zu seinem Vorteil auszunutzen. Außerdem hatte er sie vermutlich ohnehin die vergangenen Tage in weitaus erniedrigenderen Zuständen erlebt.
Und mit der Zeit, als er die Salbe mit ruhigen, gerichteten Bewegungen in ihre Haut einarbeitete, konnte Nanouk nicht leugnen, dass sich seine warmen Hände tatsächlich gut anfühlten. Was es auch war, beruhigte das Brennen und Stechen und hinterließ nur eine wohlige Entspannung.
Sie betrachtete die Wunde eingehender und stellte mit Verwunderung fest, dass sie bereits abschwoll, kein Eiter mehr zu sehen war und selbst das abgestorbene Fleisch neuer, weicher Haut gewichen war. Selbst die gezackten Ränder des Schnittes waren auf wundersame Weise geglättet. Nauju erkundigte sich ab und an nach ihrem Befinden, doch als sie nur einsilbige Antworten gab, schnaubte er amüsiert.
»Du wirst dich noch nach Gesprächen mit mir verzehren. Das verspreche ich dir. Und wenn es nur dazu dient, zu erfahren, was ich weiß.«
Mit dieser kryptischen Andeutung ließ er sie schließlich alleine und Nanouk musste mit Resignation feststellen, dass er Recht behalten sollte. Bereits jetzt überschlugen sich ihre Gedanken, als sie mit wachsender Unruhe darüber nachdachte, was sie ihm vielleicht tatsächlich in ihrem Delirium erzählt haben könnte.
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Nanouk schlief unruhig diese Nacht, wenn überhaupt. Rastlos verfolgten sie Naujus Worte selbst in die wenigen Stunden Schlaf und weckten sie in den frühen Morgenstunden. Sie fühlte sich gerädert und durch das ewige Herumrollen im Bett hatte sich ihr Bein ebenfalls kaum erholt. Die Wunde pochte unangenehm und Nanouk war versucht den Verband abzunehmen und zu sehen, ob sie aufgegangen war. Doch die Bandagen war noch sauber, also ließ sie es bleiben.
Nachdem sie sich so kurz wie möglich im Waschraum aufgehalten hatte, warf sie einen vorsichtigen Blick nach draußen durch das kleine Fenster, erblickte aber nichts als zugeschneiten Nadelwald. Unruhig wanderte Nanouk humpelnd auf und ab, bis ein scharfes Klopfen an der Türe einen Gast ankündigte. Da Maha mit Saghani gestern an den Hof gegangen war, um bei den Hinrichtungen zu dienen, war Nanouk nicht überrascht, als eine große, dürre Dame eintrat und sie aus strengen Augen eingehend musterte. Sie trug ein sorgfältig gefaltetes Bündel in den Armen und sah überaus unzufrieden aus.
»Gute Morgen«, sagte Nanouk und hielt an der Truhe vor ihrem Bett inne.
Die Dame war in eine weiße Tunika aus Brokat gewandet, auf der sich unzählige Stickereien aus goldenem, grünem und rosafarbenem Garn befanden. Blüten und Zweige, Blätter und Früchte bedeckten beinahe jeden Zentimeter des weißen Stoffes.
»Für gewöhnlich knicksen die jungen Damen, wenn sie auf jemand ranghöheren treffen«, waren ihre ersten Worte an Nanouk. »Ich bin Ischka, Oberaufseherin Wallheims und direkt für die Ausbildung der Tafelmädchen zuständig.«
Nanouk meinte sich an diesen Namen zu erinnern. Maha hatte sie Hüterin der Etikette genannt, die nun aussah, als hätte sie in ein verdorbenes Stück Fleisch gebissen. Doch auch ihre Haut war trotz ihres Alters reinweiß, gepudert und Lippen wie Lider mit dunkler Farbe bemalt. Die dunkelblonden Haare waren kunstvoll in Zöpfen und Schlingen mit filigranen Broschen und Haarnadeln hochgesteckt.
»Entschuldigung«, murmelte Nanouk und bemühte sich höflich auszusehen.
Ischka rümpfte die Nase und legte das Bündel auf die Truhe neben Nanouk. »Zieh dich an. Ich soll dich vorerst in die Küche bringen, damit du dort den Frauen zur Hand gehst. Das dürfte dir keine Schwierigkeiten bereiten, schließlich hat das zu deinem Metier gehört.«
Nanouk bedankte sich, doch spürte bereits die unverhohlene Abneigung in Ischkas Worten. Sie war nicht nur streng, sondern unmöglich. Den abfälligen Beisatz über Nanouks Herkunft hätte sie sich sparen können, doch Nanouk schwieg dazu und bemühte sich möglichst rasch in ihre Kleidung zu schlüpfen. Als sie zu lange brauchte, ging Ischka ihr seufzend zur Hand und zurrte die blauen Bänder um ihre Schultern energisch fest, sodass Nanouk ein leichtes Gefühl der Enge verspürte, wenn sie einatmete. So spannte sich ihr das schwarze Hemd viel zu straff um die Brust, doch Ischka schien es genau darauf anzulegen.
Als Ischka dann nach Nanouks Haaren griff, wand sie sich so gut es ging unter den Händen der Dame davon.
»Ich weiß, wie ich mir die Haare binde, Danke«, sagte sie kühl und erwiderte Ischkas erzürnten Blick.
»Deine Unverfrorenheit wird dir hier noch einmal ein Stolperstein werden«, warnte die Oberaufseherin und deutete ihr dann zu folgen.
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Nanouk saß zwischen schnatternden Frauen um die großen Werktische und schälte Gemüse. Man hatte sie ohne Worte aufgenommen und bedachte sie nur ab und zu mit Blicken. Sie war eine Fremde, ein Eindringling, ein weiteres Maul zum Stopfen, das meinte Nanouk aus ihren Haltungen zu lesen.
Doch sie störte es nicht, schweigend daneben zu sitzen und sich alleine dem Zuhören zu widmen. Immerhin hing sie ihren eigenen Gedanken nach, drehte und wendete Ijiraqs Worte in ihrem Geist und versuchte sich wieder und wieder daran zu erinnern, was sie Nauju gesagt haben könnte.
Die Frauen um sie herum tauschten vorwiegend Klatsch und Tratsch aus, erzählten sich von vergangenen Festen oder bestimmten Adeligen. Da wurde Nanouk schließlich doch hellhörig. Sie sprachen oft von Siku, einem Mann, welcher adrett und ansehnlich am Hof lebte, jedes Mädchen gut behandelte und obendrein noch charmant bis zum Abwinken war. Ein Traumprinz, stellte Nanouk bitter schnaubend fest und erntete dafür abschätzige Blicke. Auch über diesen Getreuen des Winterkönigs hatte Ijiraq gesprochen und Nanouk wunderte sich nicht, dass man hier nur wohlwollendes über ihn zu sagen hatte.
Ihr erschien jegliches gute Wort hier oben als Lüge, als fälschliche Huldigung, um darüber hinwegzutäuschen, dass nach wie vor Menschen in widerwärtiger Weise ihr Ende fanden.
»Du solltest sehen, wie er die Dienerschaft an den Festbanketten behandelt«, warf man ihr vor. »Er fasst niemanden an, ohne Einverständnis und für seine Dienste kauft er nur diejenigen, die ein Interesse an ihm zeigen.«
Nach der Mittagspause wurden ihre eigenen drängenden Gedanken übermächtig und Nanouk bat die Küchenchefin ihr zu verraten, wo sich Nauju aufhielt. Dafür erntete sie einen skeptischen Blick, doch keine Herablassung wie sie vielleicht von Ischka erwarten hätte müssen.
»Warum auch immer du ihn aufsuchst, er wird sich wohl unter Tags in sein Musikzimmer zurück gezogen haben.«
»Habt Dank«, lächelte Nanouk angespannt und ließ sich dann von der tüchtigen Dame den Weg weisen.
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Nanouk war erleichtert, als sie der Weg nicht durch die belebten Bereiche Wallheims führte, sondern durch die Schlafräumlichkeiten der Dienerinnen hindurch bis zu einem stillen Seitengang.
Es gab nur zwei Flügeltüren in dem Korridor, beide weiß gestrichen und reich verziert. Nanouk hörte aus den Nebengängen immer noch gedämpft die Stimmen der anderen Mädchen und über alle dem hing der feine Geruch von frischen Blumen, die Nanouk nicht kannte. Ihr Bein pochte schmerzhaft von den zwei Stiegen, die sie hatte steigen müssen und ein wenig atemlos lehnte sie sich für einige Augenblicke mit dem Rücken gegen die Wand. So kam sie doch nie an ihr Ziel. Frustriert rieb sie sich die Stirn.
Hinter einer der beiden gegenüberliegenden Türen, die nur angelehnt war, hörte Nanouk den weichen, klaren Klang eines Zupfinstruments und hielt inne. Die Melodie erweckte einen sanften Schmerz in ihrem Innersten, eine Sehnsucht, wie sie diese nur bei dem Gedanken an ihren Traum gehabt hatte, in welchem sie mit den Urahnen durch das Licht ging und nach ihrem ataaq weinte.
Befangen schluckte sie und trat ohne weiter zu zögern an die Türe, um mit dem Klopfen dieses bedrückende Gefühl des Verlustes zu vertreiben. Der scharfe Klang ihrer Knöchel durchschnitt die zuvor ineinander fließenden Töne und die Melodie verstummte. Beinahe bereute Nanouk ihr Eingreifen, doch dann bat sie die Stimme Naujus herein.
Nanouk öffnete andächtig die Türe und erblickte den Nauju in einem beinahe völlig leeren Zimmer direkt vor dem hohen Spitzbogenfenster. Er saß auf dem gepolsterten Sims und richtete sich auf, als er Nanouk erblickte. Für einen Moment konnte sie die Verblüffung in seinen Zügen erkennen, ehe er die Stirn runzelte und sich wieder gegen die hölzerne Verkleidung der Fensternische sinken ließ.
»Und ich dachte, du seist Saghani.« Seine Stimme war von leichtem Spott durchzogen, als er sich das Musikinstrument wieder ein Stück näher an die Brust zog. Es war ein kleiner, geschwungener Holzrahmen in dem feine Schnüre gespannt wurden und durch dessen zupfen die weichen Töne entstanden waren.
»Habt Ihr sie erwartet?«, fragte Nanouk und blickte sich in dem leeren Raum um. Es gab nur einen niedrigen Tisch der vor einem opulent bezogenem Liegesofa stand und den Teppich, der ihre Schritte dämpfte. Eine Silberkaraffe und ein Kelch standen auf dem Tisch.
Nauju hob die Schultern. »Du hast allem Anschein nach gefunden, wen du erwartet hast. Habe ich dich nicht losgelassen?«, fragte er mit einem selbstgefälligen Leuchten in den Augen.
Nanouks Blick verfinsterte sich leicht, bevor sie sich wieder erinnerte, weswegen sie Nauju eigentlich aufgesucht hatte. Dann war es um ihren Ärger geschehen und ihr Herz schlug ihr unruhig in der Brust.
»Das, was Ihr sagtet, hat es nicht«, berichtigte sie ihn schließlich mit mulmigem Gefühl und blieb unschlüssig gegen die Türklinke gelehnt stehen.
»Ah«, machte Nauju und ließ seinen filigranen Finger an dem polierten Holzrahmen seines Instruments entlang gleiten. »Ich behalte gerne Recht.«
Nanouk entschied sich, ihm diesen vermeintlichen Sieg zu lassen. »Ihr habt angedeutet, dass ich ... Dinge gesagt habe. Als ich benommen von Eurer Medizin war.«
Nauju grinste und deutete schließlich auf das leere Liegesofa. Nanouk kam seiner Aufforderung zögerlich nach und humpelte zu dem Ruhemöbel. »Was habe ich denn erzählt?«
Nauju erhob sich nun und legte das Instrument ab, obwohl Nanouk irgendwie gehofft hatte, er würde wieder anfangen zu spielen. »Du scheinst eine recht amüsante Begegnung mit einem Raben gehabt zu haben, sagtest, er könne sich ins Jenseits scheren.«
Nanouk atmete auf. »Damit meinte ich vermutlich Ijiraq«, murmelte sie und hob ihr verletztes Bein vorsichtig auf das Liegesofa. Das alleine genügte schon, um eine Linderung zu erwirken und sie ächzte entspannt auf.
Nauju verschränkte die Arme vor seiner bunt bestickten Weste und legte mit gehobenen Brauen den Kopf schief. »Was hat er denn getan?«
Nanouk drückte vorsichtig an den besonders juckenden und schmerzenden Stellen herum, ehe sie die Schultern hob. »Er war derjenige, der mich aufgelesen, meinen Mantel verloren und mir Schlafmittel ins Essen gemischt hat.«
Nauju erwiderte ihren Blick mit größtem Interesse. »Ich dachte, du hättest dich mit dem Pferd alleine bis hier hinauf geschlagen? Du darfst dir übrigens gerne von dem Wein nehmen«, fügte er beiläufig hinzu und deutete auf de Karaffe.
Nanouk verzog misstrauisch die Augenbrauen. »Ich habe mit der Wahrheit ein wenig ausgeholt«, meinte sie so unbefangen wie möglich, doch nicht unbedingt beunruhigt. Irgendetwas in Naujus Blick versicherte ihr, dass er dieses Gespräch zu amüsant fand, um es weiter zu erzählen.
»Mit anderen Worten, du hast Saghani ins Gesicht gelogen.«
Nanouk biss sich auf die Lippe. »Anscheinend. Ich war halb am Erfrieren, meine Gliedmaßen waren bereits taub und mein Geist von Fieber gebeutelt. Ich kann wohl kaum nachvollziehen, warum ich diese Dinge gesagt habe.«
Ein leiser Trotz hatte sich in ihre Stimme gemischt, wem gegenüber konnte sie gar nicht recht sagen. Doch Naujus amüsierter und nun entzückter Blick, entfachten erneut jenes Gefühl der Erniedrigung. Als lache er sie aus, da ihm eine Tatsache bewusst war, von der Nanouk noch nicht einmal ahnte.
»Ich verstehe«, sagte er dann und tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Lippen. »Also hat er dich gerettet. Das ist interessant.«
»Demnach kennt Ihr ihn?«
Nauju hob unbeteiligt die Schultern. »Kennen ist so ein weitläufiger Begriff. Kennen wir nicht alle einen Dämon, der die Pflicht unseres Erzfeindes erfüllt?«
Nanouk antwortete nicht auf diese Frage, sie fühlte sich ohnehin rhetorisch an.
»Hat er dir noch etwas erzählt?«, wollte Nauju dann wissen und betrachtete ihre Finger dabei, wie sie an dem Strumpf herum zupfte.
»Nein«, gab Nanouk entschieden von sich. »Er ist ebenso ein unverschämter Diener des Winterkönigs wie-« Nanouk verstummte, als sie merkte, wie sich ihre Zunge durch Naujus eindringliche und neugierige Art lockerte. Er hatte etwas an sich, dem Nanouk beinahe unterschwellig gewillt war zu vertrauen und entsetzt stellte sie fest, dass sie ihm eben die Dinge verraten hatte, die sie eigentlich als Geheimnis zwischen sich und Ijiraq halten wollte.
Sie blickte erschrocken zu Nauju.
»Du kannst es ruhig aussprechen«, sagte dieser jedoch bloß mit einem belustigten Lächeln und stieß sich von der Fensterbank ab, um zu ihr zu gehen. »Ich weiß sowieso schon, was du von mir hältst. Sehe es in der Art, wie du mich anblickst, welche Worte du mir gegenüber wählst. Du bist nicht gerade respektvoll.«
Nanouk schluckte und musste den Kopf in den Nacken legen, als Nauju an das Ende des Liegesofas trat und sich neben ihrem ausgestreckten Bein niederließ. Er schob ihre rastlosen Finger beiseite und fühlte selbst über die Wunde.
»Verzeiht. Mein Herr«, zwang sich Nanouk zu sagen, doch Nauju schüttelte nur grinsend den Kopf.
»Es ist auch in diesem selbstgefälligen Zögern, bevor du dich entschließt mich als deinen Herren zu adressieren.«
Seine Finger glitten mit sanftem Druck die Länge der Verletzung entlang und Nanouk spannte sich an, als seine Hände dabei unter ihr Hosenbein fuhren. »Aber du musst mich so nicht nennen.«
»Ist Euch ataha Nauju lieber?« Nanouk konnte sich nicht vorstellen jemals irgendjemanden hier oben als Väterchen zu bezeichnen, es schickte sich einfach nicht. Dies waren familiäre Begriffe, die in einem Hause wie Wallheim nichts verloren hatten.
Nauju grinste daraufhin jedoch bloß lasziv und seine Hand kam knapp über ihrer Hüftbeuge zum Ruhen. »Es schmeichelt mir, doch verwechsle es hier oben nicht.«
Nanouk wich so gut es ging vor ihm zurück und fühlte sich mit einem Schlag unbehaglich an Mahas Dienste erinnert. »In Ordnung.«
Nauju lachte in sich hinein und zog seine Hand zurück. »Na los, ich sollte mich um deine Verletzung kümmern, wenn du schon so ungeduldig zu mir kriechst.«
»Ich kam nicht gekrochen«, erwiderte sie erbost, erntete dadurch allerdings noch ein weiteres, amüsiertes Schnauben.
»Wie fühlst du dich?«, fragte Nauju schließlich und erhob sich.
Nanouk stieß die Luft aus und stemmte sich ebenfalls von dem Liegesofa. »Erstaunlich gut«, meinte sie andächtig und trat mit dem Bein fester auf als üblich. »Wie habt Ihr es nur geschafft, dass sich diese ekelhafte Wunde derart sauber schließt?«
Als sie ihm einen Seitenblick zuwarf lächelte Nauju erneut mit diesem wissenden Blick zu ihr hinab, obwohl er kaum größer war sie Nanouk selbst.
»Ich hatte ein wenig Hilfe.«
»Von wem?«
Doch daraufhin verschwand das Lächeln von seinen Lippen und sein Blick wanderte für einen Moment in weite Ferne. »Von was.«
Aber als Nanouk weiter nachfragte, ging er nicht mehr darauf ein und wischte das Thema einfach beiseite.
Nauju führte sie gemächlich zurück zu ihrem Zimmer, bot ihr sogar seinen Arm an und Nanouk hakte sich zögerlich bei ihm unter. Allem voran, weil sie sich ein wenig unwohl dabei fühlte, ihm diese Aufforderung in aller Öffentlichkeit zu verwehren. Sie wusste nicht, wie man ihr Verhalten außerhalb dieser merkwürdigen Beziehung deuten würde, oder was Nauju täte, wenn er seinen Stolz gefährdet sähe, den er Trotz unbeteiligtem Lächeln gegenüber Saghanis Befehlen, sehr wohl besaß.
Trotzdem bereute sie es, als sich einige Köpfe nach ihnen umwandten und Nanouk mit zusammengekniffenen Lippen merkte, wie wenig ihr diese Sonderbehandlung gegönnt wurde. Vielleicht sollte sie sich mehr Sorgen um Neider machen, als um Naujus Stolz.
Wer auch immer ataha Nauju in Wallheim war, hatte mehr Einfluss und Ansehen, als Saghani ihr den ersten Tag an ihrem Bett weismachen wollte.
Er ließ sie in dem kleinen Krankenzimmer warten, während er seinen Medizinkoffer holte und sich um ihr Bein kümmerte. Nanouk schaffte es trotz Naujus Neckereien sich ein wenig zu entspannen und hing ihren eigenen Gedanken nach, bis Nauju schließlich den Verband schloss und sich die Hände an einem Baumwolltuch abwischte.
»Ich hoffe, dass du zu uns zurück kehrst«, seufzte er schließlich und verräumte seine Zutaten. »Deine Respektlosigkeit bringt ein wenig Abwechslung in mein Leben.«
Nanouk blickte auf, um zu ergründen wie viel des Gesagten erneuter Hohn war, jedoch fand sie Naujus Miene ehrlich betrübt.
»Ihr seid doch ein Adeliger, zumindest mittlerweile. Gefällt es Euch nicht, dass Euch jeder hier glücklich machen möchte?«
Daraufhin kamen Naujus ockerne Augen auf ihrem Gesicht zum Liegen, der Ausdruck in ihnen unergründlich. »Sicher. Doch du wirst feststellen, dass hier einige Dinge ganz anders sind, als du auf den ersten Blick zu sehen vermagst.«
Damit wandte er sich zum Gehen, doch Nanouk schob sich über den Rand ihres Bettes und hielt ihn am Ellenbogen davon zurück die Türe hinter sich zu schließen. Ihre Finger berührten die schwarze Tätowierung seiner entblößten Unterarme und ein Schauer rann ihr aufgrund der erneuten, unterdrückten Erinnerung den Rücken runter.
»Und was für Dinge wären das?«, fragte sie hastig, als Nauju mit gehobenen Augenbrauen auf ihre Hand hinab blickte.
»Wieso fragst du das nicht deinen verdammten Raben?«, grinste er und packte ihr Handgelenk, um es von seinem Ellenbogen zu lösen.
Nanouk schluckte und starrte ihn an, überlegte fieberhaft, was es war, das in seinen ockernen Augen aufblitzte. »Ihr werdet Saghani nicht erzählen, dass ich gelogen habe, nicht wahr?«
Daraufhin zwinkerte ihr Nauju zu und ließ ihre Hand fallen. »Solche Wahrheiten sind zu kostbar, um sie weiter zu erzählen.« Und damit zog er die Türe endgültig hinter sich zu.
Nanouk machte einen Schritt nach vorne, hielt sich dann aber zurück, ihm hinterher zu laufen. Er sollte nicht auf falsche Gedanken kommen und sie fühlte sich nach wie vor von seiner Art auf irgendeine persönliche Weise angegriffen. Er hatte zumindest ihre Zweifel zerstreut, er würde Saghani nichts davon erzählen und auch wenn Nanouk das ungute Gefühl nicht loswurde, dass er das allein aus Eigennutz tat, konnte sie sich nicht darüber beklagen.
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