12 - Niall
|| Niall ||
Ich hoffte, dass Harry mir meine Ausrede abkaufte. Wenn ich mir selbst zuhörte, fand ich, dass ich mich eigentlich ziemlich unglaubwürdig anhörte und normalerweise war Harry ein Mensch, der leicht Lüge und Wahrheit auseinander halten konnte – zumindest, was mich betraf.
Allerdings schien ihm meine Antwort durchaus plausibel zu sein, denn er nickte nur mit zusammengepressten Lippen und mied den Augenkontakt zu mir. Nicht, dass ich es darauf anlegte, denn ich hatte Angst, dass alles aus mir rausplatzte, sobald jemand mich noch einmal fragte und mir dabei ernst in die Augen schauen würde.
Das war schon immer so gewesen. Ich konnte auch so nie lange einer Person in die Augen schauen. Wenn ich das tat oder jemand mich dazu zwang, fühlte ich mich nackt und ausgeliefert.
Das Sprichwort: Die Augen sind der Spiegel zur Seele oder wie auch immer man das nannte, traf auf mich passend wie die Faust aufs Auge zu. Ich war dann für jeden ein offenes Buch.
Alle denken immer ich wäre naiv und der fröhlichste Mensch auf Erden. Und ein Teil von mir ist es wirklich. Was als Schauspiel angefangen hat, ist zu einem Teil von mir selbst geworden. Grundsätzlich ist es meistens einfacher für mich der naive fröhliche Niall zu sein. Dann sind auf einmal Probleme wie von selbst verschwunden und ich muss nicht dreimal überlegen, ob ich eine Entscheidung treffe oder auch nicht.
Ich bin ein Mensch, der gerne und viel redet, würden die anderen Jungs wahrscheinlich über mich sagen, sollten sie mich mal beschreiben.
Aber die Wahrheit ist, dass ich zwar rede und rede, aber in Wirklichkeit mein Mund verschlossen ist wie ein Schloss, das seit 500 Jahren nicht mehr geöffnet oder geölt worden ist.
Es ist nicht so, dass ich vollkommen unglücklich bin, mit dem Charakter, den ich allen offenbarte. Denn ich wusste, dass es manchmal gut war, wenn man nicht jedem zeigte, wer man wirklich ist. Manchmal ist es wirklich gut der Niall zu sein, den alle lieben. Der Niall, der alle zusammenhält.
Normalerweise würde man sagen, dass Liam derjenige ist, der immer weiß, wo es lang geht; der am meisten die Kontrolle über die jeweilige Situation hat - der alle am meisten unter Kontrolle hatte. Und vielleicht ist das auch so – immerhin bin ich was unsere neue Position in Dark Phoenix angeht genauso schlau wie ein Toastbrot. Aber ich bin mir sicher, dass ohne mich unsere Gruppe schon von Anfang an ins Nirvana gelaufen wäre.
Wer will schon den armen unschuldigen und vor allem naiven Niall enttäuschen? Wer will eine vollkommene Frohnatur zerstören, wenn es doch sowieso nur noch so wenige von meiner Art gab?
Ich liebte die Jungs alle wie Brüder – denn genau das waren sie für mich.
Brüder, die sich zankten und rauften. Brüder, die mich bis aufs Blut nervten (auch wenn ich das nie jemanden spüren ließ). Brüder, auf die man sich, wenn es darauf ankam, verlassen konnte. Brüder, die einen mehr oder weniger näher standen, aber dennoch gleich für mich waren. Jeder von ihnen hatte eine positive Eigenschaft, die sie einzigartig in Bezug auf mich machten.
Liam war derjenige, der nie vergaß mich auf den Boden der Tatsachen runterzuholen. Denn manchmal verlor ich mich vollkommen in meiner Rolle als den naiven unschuldigen Niall und entschied auch wie er es entschieden hätte. Auch wenn es mich wunderte, dass Liam mich nicht davon abgehalten hatte, als wir den Vertrag unterschrieben hatte, schätzte ich diese Eigenschaft nach wie vor sehr an ihm.
Harry war derjenige, der mir zuhörte, wenn mal ein kleiner Teil von meinem wahren Ich hervorlugte und auch wenn der andere Niall kleine Problemchen hatte. Er fragte nie nach, sondern versuchte mir einfach direkt zu helfen, egal wie banal mein Problem auch war.
Zayn war derjenige, bei dem ich das Gefühl hatte, dass er mich wirklich verstand. Vielleicht wirkte er auf dem ersten Blick unnahbar, aber ich wusste, als Beweis mich selbst nehmend, dass er alles nur das nicht wahr, wenn es auf die Personen kam, die er in sein Herz geschlossen hatte.
Und last, but not least Louis. Louis und ich waren von Anfang an Grundverschieden. Und trotzdem würde ich behaupten, dass die Freundschaft zwischen Louis und mir die engste war; obwohl er nicht eine, der oben genannten Eigenschaften der Jungs, wirklich besaß beziehungsweise nicht die Fähigkeit hatte, diese auch so umzusetzen, dass sie mir helfen konnte.
Louis war ein kleiner Chaot, aber was ich bei dem Chaoten mit Sicherheit wusste war, dass er für mich vor eine Kugel springen würde. Er war immer für mich da, versuchte mir zu helfen, auch wenn die anderen das alle besser konnten. Aber das schätzte ich so sehr an ihn. Egal wie bescheuert es ihm vorkam, was ich da machte, laberte oder analysierte, er versuchte es trotzdem immer wieder; obwohl wir beide wussten, dass er es nicht schaffte mir zu helfen, mir genug zuzuhören oder mich auch überhaupt zu verstehen.
Es war nicht so, dass ich meine Freundschaft zu den Jungs nur deswegen aufrecht erhielt. Ich würde die Jungs auch so alle lieben – selbst wenn sie tagein tagaus nichts taten. Nur, war ich wirklich dankbar, dass ich diesen Haufen meine Freunde nennen konnte. Denn ich brauchte den naiven fröhlichen Niall, um mich selbst zu schützen und ohne sie hätte ich keinen Grund mehr diesen Aufrecht zu erhalten, denn dann hätte ich genug Platz in meinem Kopf, um mich nur mit meiner Vergangenheit zu beschäftigen; um zu erkennen, dass ich nichts in meinem Leben richtig gemacht hatte.
Ich beobachtete Harry wie er sich mit gesenkten Kopf ein Glas Wasser einschüttete. Es war untypisch von ihm mir so eine Aussage direkt abzukaufen; vor allem wenn er vorher bemerkt hatte, dass irgendetwas mit mir los war. Entweder er glaubte wirklich, dass ich wegen des Essens so mies gelaunt war oder ihn beschäftigte etwas so sehr, dass es ihm den Weitblick, den er sonst hatte, missen ließ.
Das erstere erschien mir allerdings als sehr unwahrscheinlich, da Harry als erster erkannt hatte, dass das mit der extremen Vorliebe für das Essen nur ein Teil von meinem unschuldigen fröhlichen Niall war. Er hat es zwar nicht als solches erkannt, sondern bloß Liam einmal dafür gescholten, dass ich nur immer spaßeshalber übertrieb mit meinem Fokus aufs Essen, da dieser ernsthaft meinte man müsse drei Säcke mehr voll mit Essen einpacken wegen mir, als wir zu dritt ein Picknick hatten machen wollen. Auch wenn ich es nicht gezeigt hatte, hatte mich Liams Aussage ein wenig verletzt und das hatte Harry offenbar bemerkt. Ich musste zwar zugeben, dass mein Essensgenuss etwas mehr ist als das, was die anderen darunter verstanden. Allerdings war das bloß ein Teil von dem anderen Niall, den ich selbst übernommen hatte. Manchmal verschwamm die Grenze von dem anderen Niall und dem wahren Niall so stark, dass ich es selbst manchmal nicht unterscheiden konnte.
„Ist bei dir denn alles okay?", fragte ich Harry, der die Wasserflasche wieder zuschraubte.
„Ja, ja... Mich trifft es halt auch nur, dass die uns die Rationen gekürzt haben", seufzte er und guckte tief in sein Glas.
„Ja, das ist echt mega mies!", klagte ich und musterte Harry dabei weiter.
Mir war mittlerweile klar, dass Harry offenbar der Schuldige oder einer der Schuldigen war, weswegen wir jetzt einen Teil unseres Luxuslebens hatten abgeben müssen und egal weswegen es war, ich würde Harry nie dafür anklagen. Harry war jemand, der an sich nie etwas machte, ohne davor gründlich darüber nachgedacht zu haben. Dass er, für ihn, relativ schnell den Vertrag unterschrieben hatte, schob ich auf den Druck und den Gruppenzwang, dem wir ihn da aufgedrückt hatten.
Bei meinen Worten zuckte Harry leicht zusammen und hätte ich nicht darauf geachtet, wäre es mir wahrscheinlich noch nicht mal aufgefallen.
Es tat mir Leid. Aber wenn ich meinen unschuldigen Niall für die anderen weiterhin aufrecht erhalten wollte, dann musste ich schon so weiter tun, als wäre ich dieser auch. Und dieser Niall litt nun einmal bis ins unermessliche wegen des zu wenigen Essens.
Ohne dass ich mich darauf hätte vorbereiten können, riss Harry seinen Kopf nach oben und blickte mich forschend an.
„Irgendetwas hast du und ich hoffe du-"
„Was treibt ihr denn bitte hier? Lästert ihr etwa über mich?", unterbrach ihn Louis scherzend, der zu mir trat und einen Arm um meine Schultern legte.
Harry schnaubte und verschränkte seine Arme ineinander, nachdem er das Glas an der Theke abgesetzt hatte.
„So toll bist du nicht, als das wir uns die Mühe machen uns das Maul über dich zu zerreißen", pfefferte Harry ihm entgegen, woraufhin Louis so tat, als würde er anfangen zu weinen.
Normalerweise fand ich es lustig und süß zugleich (oder auch nervig – je nachdem) den beiden beim Zanken zuzugucken, aber gerade hatte ich absolut keine Nerven dafür.
„Jungs, ich gehe schlafen", erwiderte ich und wollte gerade gehen, als Harry meinte: „Gute Idee. Ich glaube ich gehe auch nach Hause"
„Nicht bevor wir das hier geregelt haben, Curly", kam es von Louis zischend, der seinen Arm von meiner Schulter löste und mit dem Zeigefinger auf Harrys Brust drückte, der wieder seine Augen verdrehte.
„Okay, macht wozu ihr Lust habt", grinste ich die beiden an und drehte mich dann von ihnen weg.
„Gute Nacht, Niall", kam es von Louis und „Schlaf gut" von Harry, woraufhin ich den beiden dasselbe zurück wünschte.
Auch Liam und Zayn, die immer noch Fifa zockten, als gäbe es nichts interessanteres auf der Welt, wünschte ich eine gute Nacht. Die beiden brummten nur zurück und fixierten weiter den Bildschirm. Aber so schlecht wie die beiden spielten, waren sie mit ihren Gedanken ebenfalls ganz wo anders.
Ich seufzte und ging dann in mein Zimmer. Bis auf meine Boxershorts zog ich mich aus und schloss dann die Vorhänge vor meinem Fenster.
Kurz bevor ich mich in mein Bett legte, schaltete ich die LED-Lampe, die über meinem Bett angebracht war und sanft die Farben wechselte, an und dachte auch daran meine Anlage anzumachen. Wenn man darüber nachdachte, war es irgendwie merkwürdig so wie ich da auf dem Bett lag und einfach nur wie hypnotisiert diese Lampe, in Form eines Balles, anstarrte. Aber langsam verlor ich mich in diesem Farbenspiel und driftete ab.
Die Musik vermischte sich immer mehr mit anderen Geräuschen und aufeinmal hockte ich wieder auf dem Waldboden. Es war genauso kurz nachdem wir das Haus, wo wir die Frau, die ich mal als meine Mutter kannte, verlassen hatten.
Nur diesmal war ich alleine.
Kein Louis, kein Harry, kein Zayn und auch kein Liam weit und breit.
Nur ich.
Alleine.
„Niall, hilf mir!", hörte ich ihre Stimme rufen, obwohl sie erst vor wenigen Sekunden doch geschrien hatte und ohne, dass ich lange überlegen musste, rannte ich.
Ich rannte weg.
Weg von ihr.
So wie ich es das erste mal bereits getan hatte.
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eure highonlouis :) xx
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