Kapitel 20
Mit schnellen Schritten lief ich zurück zum Gemeinschaftsraum. Mittlerweile war es dunkel geworden. Das Abendessen hatte ich also verpasst. Wie spät war es? Und wie konnte ich so dermaßen mein Zeitgefühl verlieren?
Ich nuschelte das Passwort. Doch auch der Gemeinschaftsraum war beinahe leer.
Vereinzelt lernten ein paar Schüler an den großen Tischen, doch sie alle waren in den unteren Jahrgängen.
Mein Herz schlug immer noch viel zu schnell. Kurz hatte ich überlegt Draco nichts von meinem Gespräch mit Snape zu erzählen, hatte mich dann aber doch dafür entschieden, dass es besser ist wenn er Bescheid weiß.
Ich lief die Treppe zu den Jungs nach oben. Es war nicht das erste Mal und mit Sicherheit auch nicht das letzte Mal, dass ich dafür einen dummen Blick von einem Drittklässer bekam. Zu meiner Belustigung war es jedes Mal derselbe und irgendwie schien er Angst vor Mädchen zu haben. Neulich habe ich ihn auf dem Flur gesehen und jeder Hexe ist er konsequent aus dem Weg gegangen.
Oben angekommen hämmerte ich gegen Draco's Tür. Doch niemand machte auf.
Ich legte mein Ohr dagegen und war mir sicher, ihn zu hören.
Erneutes klopfen. Doch er reagierte nicht. Das konnte nichts Gutes bedeuten.
"Mach die Tür auf, Draco." Rief ich. Doch als Antwort bekam ich nur einen lauten Knall.
Irgendwas zersplitterte auf dem Fußboden. Dann der nächste Knall.
Mit einem Ruck riss ich die Tür auf, nur um zu sehen, dass er sein Zimmer in Scherben zerlegt hatte. Er stand mit dem Rücken gewandt zu mir.
Sein Hemd hatte er an den Ärmeln hochgekrempelt.
Alles was zerbrechen oder kaputt gehen konnte, war kaputt.
Es sah aus, als wäre ein Tornado durch dieses Schlafzimmer gefegt.
Sein Bücher lagen quer verteilt über dem Boden. Scherben zierten den ganze Raum. Seine Vorhänge hatte er runtergerissen.
Sein Atem ging stoßweise.
"Geh raus." Zischte er leise. Als ich einen Schritt auf ihn zumachte, knirschte das Glas unter meinen Füßen.
Seine Hände waren zu Fäusten geballt.
"Was ist passiert?" Fragte ich fassungslos. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen, doch es gab beinahe nichts, was noch an derselben Stelle stand wie das letzte Mal, als ich hier war.
Und es gab auch kaum etwas, dass überhaupt noch heil war.
"Ich habe gesagt, du sollst rausgehen." Er fuhr herum. Seine Augen waren nur noch kleine Schlitze. Seine Haare hingen ihm nass in die Stirn. Seine Haut war so unglaublich blass, dass ich beinahe Angst hatte, er könnte genauso zu Bruch gehen wie seine Einrichtung.
Dabei war er schon viel gebrochener als alles in diesem Raum.
"Dir müsste mittlerweile bewusst sein, dass ich nicht gehen werde." Er fixierte mich. Sein Körper bebte vor Anspannung und dem Verlust seiner Beherrschung.
Ich konnte kleine Schnitte an seiner Hand erkennen, Blut, was ihm die Finger hinablief.
Leise schloss ich die Tür. Niemand außer mir sollte das sehen.
"Also Draco, was ist passiert?" Fragte ich erneut. Versuchte meine aufgeregte Stimme möglichst ruhig klingen zu lassen. Einen Gegenpol zu seinem Wirbelsturm zu erzeugen.
Er fuhr sich mit der Hand durch seine ungezähmten Haare, schloss für einen Moment die Augen. Versuchte sich zu sammeln. Doch ich sah in seinem Gesicht, wie unglaublich schwer ihm das fiel.
"Snape hat mit mir gesprochen."
Mein Herz rutschte mir in die Hose. Ich brauchte keine Sekunde darüber nachzudenken, was das Gespräch mit Snape und die Zerstörung seines Schlafzimmers gemeinsam hatten.
Es lag auf der Hand.
"Er weiß nicht wovon er spricht. Er -" Doch Draco unterbrach mich.
"Er weiß genau, wovon er spricht, Maura. Er trägt dasselbe Mal auf seinem Unterarm. Und das schon viel, viel länger als ich."
Für einen Moment schauten wir uns einfach an. Die wenigen Meter die uns trennten schienen sich auf eine riesige Distanz auszuweiten. Er glitt mir aus der Hand.
"Wieso seid ihr alle der Meinung eine Entscheidung für mich treffen zu können?"
Ich wusste, dass sie Recht hatten.
Ich wusste, dass ich in Gefahr war. Wir in Gefahr waren.
Doch wahrhaben wollte ich es nicht. Ich würde versuchen, diesen Krieg mit allen Mitteln für mich zu entscheiden. Ich werde Draco nicht aufgeben.
"Weil du sie anscheinend nicht treffen kannst!" Seine Stimme erfüllte den ganzen Raum. Mein Körper zuckte bei der Intensität leicht zusammen.
"Weil wir beide sie anscheinend nicht treffen können." Fügte er leise, kaum hörbar, hinzu.
Ein drückendes Gefühl machte sich in meiner Brust breit.
Ich war nicht bereit aufzugeben.
"Noch ist es vielleicht nicht zu spät, wieder getrennte Wege zu gehen."
Ich versuchte mir den Rest meines Schuljahres ohne Draco vorzustellen.
Dachte an Pansy und Blaise und dass dort gerade wenig Platz für mich war. Dachte an Dain, der das ganze restliche Jahr nur noch versuchen würde mich mit irgendwelchen Witzen aufzumuntern. Dachte an schlaflose Nächte. Und das Gefühl des Versagens, welches ich nie wieder vergessen würde. Dachte an Draco, wie er voller Verzweiflung auf dem Astronomieturm stand. An Draco in Gesellschaft des dunklen Lords, und wie er niemanden zum reden mehr hatte.
Und mein Herz fühlte sich schwer an. Gefüllt mit einer Last, die ich nicht wieder los werden würde. Der Gedanke an ein Schuljahr ohne Draco schmerzte.
Und plötzlich hörte ich wieder die Worte von Snape in meinem Kopf.
Laut und deutlich.
"Sie lieben den Jungen?"
Ummalt von sonst so gänzlich vielen Fragezeichen war es doch eigentlich so klar.
"Doch. Es ist zu spät, Draco." Ich machte noch einen Schritt auf ihn zu. Beobachtete seine Reaktion. Wie seine Fäuste sich langsam entspannten. Die Sehnsucht in seinen grauen Augen zunahm, als ich mich ihm nähherte.
"Es ist schon lange viel zu spät." Flüsterte ich. Ein weiterer Schritt auf ihn zu. Er verharrte an Ort und Stelle. Kam nicht auf mich zu, entfernte sich aber auch nicht von mir.
Ließ mich jedoch keine Sekunde aus den Augen.
"Tu das nicht, Maura." Flehte er.
Mein Handeln war selbstsüchtig, aber Draco war oft genug genauso selbstsüchtig gewesen.
Und wenn es eine Chance gab, auch wenn es nur ein winzig kleiner Funke war, musste ich es versuchen. Ihm beweisen, dass ich mit ihm durch die Hölle und zurückgehen würde.
Nur noch ein letzter Schritt trennte uns.
Mein Herz raste, als ich meine Hand langsam ausstreckte, um sein Gesicht zu berühren.
Kurz hatte ich Angst, er würde mich abblocken.
Meine Hand festhalten, einen Schritt nach hinten machen. Doch nichts davon passierte.
Als meine Finger über seine Wange strichen, schloss er die Augen. Schmiegte sich gegen meine Hand. Genoss meine Berührungen auf seiner Haut.
Kam in diesem riesigen Trümmerhaufen für einen kleinen Moment zur Ruhe.
"Schau mich an, Draco." Es vergang ein Moment, in dem er mit sich kämpfte.
Doch er gab nach, gab die Oberhand ab.
"Wir sind naiv, Maura." Flüsterte er. Bedeckte meine Hand mit seiner.
"Ich weiß. Unfassbar naiv. Und ich weiß auch, dass Snape Recht hat mit dem was er sagt. Doch ich bin nicht vernüftig. Und ich will es auch gar nicht sein. Ich mag ein wenig lebensmüde sein -." Eine kurze Pause.
Mein donnernder Herzschlag.
Ein tiefer Atemzug.
"Oder ich bin einfach nur so sehr in dich verliebt."
Mein Hand zitterte und ich wusste, dass Draco das spüren konnte.
Die Gefühlen waren nicht zu leugnen. Sie waren schon so lange präsent. Nur wir hatten sie noch nie ausgesprochen. Für den schmerzlichen Fall, dass alles anders kommen würde, würde es weniger wehtun.
Sie nie gesagt zu haben.
Es wäre leichter. Doch nichts ist mehr leicht und gerade will ich einfach nur leichtsinnig sein.
Ich will, dass all diesen Chaos einen Wert hat, den man mit nichts anderem bezahlen kann.
Ich will verliebt sein.
Eine winzige Träne rann über seine Wange, bevor er langsam zu Grinsen begann.
"Ich habs nicht ganz verstanden, magst dus nochmal wiederholen?"
Schelmisch. Frech. Durch und durch Draco Malfoy.
Das Grinsen auf seinem Gesicht wurde immer breiter, bis es auch mich ansteckte.
"Ich bin verliebt in dich, Draco. Und wenn du das noch nicht gewusst hast bist du-." Bevor ich meinen Satz zu Ende sprechen konnte zog er mich zu sich. Schloss den Abstand zwischen unseren Lippen. Und bei Merlin, kein Kuss war mit diesem hier zu vergleichen. Er schickte Hitze durch meinen Körper, erfüllte mich mit einem Gefühl der Schwerelosigkeit, Sicherheit.
Als könnte uns in unserer kleinen, verliebten Welt nichts passieren, solange dieses Gefühl nicht verschwand.
In Scherben liegend und Flammen stehend, aber glücklich.
Seine Stirn lag an meiner. Grinsend wie zwei Vollidoten schauten wir uns an.
"Ich bin verliebt in dich, Maura." Mein Herz sprang gegen meine Brust. So stark, dass ich mir sicher war es würde jeden Moment aus mir hüpfen und eine Party im Gemeinschaftsraum schmeißen gehen.
Schmetterlinge stiegen in meinem Bauch auf.
Mein ganzer Körper war elektrisiert.
"Wie war das?" Flüsterte ich.
Und wir begannen zu lachen.
Verliebt.
Naiv.
In Lebensgefahr.
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