KAPITEL 8
Cassiopeia
Mein Blick glitt immer wieder zwischen der Stadionuhr und dem Spielfeld hin und her und bei jedem Mal nahm meine innere Anspannung zu. Die restliche Spielzeit betrug noch knapp drei Minuten und die Canton Raiders lagen 18 zu 24 zurück – ein Rückstand, der kaum noch auszugleichen war in dieser Zeit. Trotzdem saß ich neben Ranielle auf meinem Platz und flehte inständig, dass die Raiders noch aufholten. Für mein eigenes Wohl.
Diego hatte schon die ganzen letzten Tage über schlechte Laune gehabt, seit er erfahren hatte, dass ich mich mit Emilio unterhalten und ihn neben mir sitzen lassen hatte. Ich hatte gehofft, dass seine völlig übertriebene Eifersucht nach dem einen Ausbruch neulich nach der Schule verfolgen wäre, aber war schnell eines Besseren belehrt worden. Diego war unglaublich nachtragend und so reichten selbst die kleinsten Kleinigkeiten dazu aus, ihn aufzuregen, dabei hatte ich mit Emilio nach dem einen Gespräch, wo er mich auf Diego angesprochen hatte, kein einziges Wort mehr gewechselt.
Als Emilio neulich nach dem Stundenende an meinem Tisch gestanden hatte, war mir mein Herz förmlich in die Hose gerutscht. Ich hatte Angst gehabt, dass einer von Diegos Freunden uns so zusammen sehen würde, aber gleichzeitig war mir auch sofort klar gewesen, worüber Emilio reden wollte. Als er auf dem Flur an Diego und mir vorbeigelaufen war, während wir zugegebenermaßen ziemlich heftig rumgemacht hatten, hatte ich seinen Blick auf mir brennen gespürt. Emilio musste sich ziemlich verarscht vorgekommen sein, dass ich ihm nicht erzählt hatte, dass ich einen Freund hatte. Ich fühlte mich schrecklich egoistisch, dass ich ihn so ausgenutzt hatte. Es war schön, mal mit einer Person des anderen Geschlechts zu reden, die nicht offensichtliche Angst vor Diego hatte und deshalb war es auch nicht spurlos an mir vorbeigegangen, als Emilio mich damit konfrontiert hatte.
Aber das war im Moment nicht so wichtig, wichtig war nur, dass die Raiders noch mindestens sechs Touchdowns machten und die Tigers keinen.
In diesem Moment ging ein Raunen durch die Zuschauerreihen, gefolgt von lauten Seufzern und Buhen – den Tigers war ein weiterer Touchdown gegen die Heimmannschaft gelungen. Der Jubel der Tiger-Fans, die gekommen waren, ging in all dem Gegröle vollkommen unter.
Ich blickte ein weiteres Mal zur Uhr: Nur noch weniger als eine Minute. Damit hatten die Raiders das Eröffnungsspiel der Football-Saison offiziell verloren und das würde bestimmt keine gute Stimmung in der Mannschaft auslösen. Ich konnte mich also schon innerlich auf einen frustrierten und leicht reizbaren Freund gefasst machen.
„Verdammte Scheiße, haben die Tomaten auf den Augen und Bleiklötze an den Füßen?!", fluchte Ranielle neben mir laut. „So eine scheiß Performance haben die Raiders seit Monaten nicht mehr abgeliefert."
Im Gegensatz zu mir war meine beste Freundin tatsächlich an Football interessiert und fühlte bei den Spielen immer richtig mit, während ich diesem Sport nicht wirklich viel abgewinnen konnte. Zweiundzwanzig vor Testosteron überschäumende Jungs, die einem ovalen Ball hinterherjagten und sich dabei mehr oder weniger verprügelten – dass Diego darauf stand, war klar, aber ich konnte mir wesentlich schönere Arten vorstellen, auf die ich mein Wochenende verbringen könnte. Aber trotzdem kam ich seit zwei Jahren zu jedem Spiel der Raiders, schließlich war mein Freund der Captain der Mannschaft.
Manchmal, wenn ich hier in dieser Masse an Menschen unterzugehen drohte, fragte ich mich, wieso Diego sich ausgerechnet mich als seine Freundin ausgesucht hatte, wo er doch sozusagen der Star der Schule war und ich, naja, ich war eher unscheinbar. Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, wo Diego mich einfach auf dem Schulhof angesprochen hatte und nach meiner Nummer gefragt hatte. Ich hatte damals erst gedacht, dass das ein blöder Scherz von ihm sei, doch Diego hatte es wirklich ernst gemeint und mir noch direkt an dem Tag geschrieben. Das war kurz vor den Sommerferien gewesen und so hatten wir fast jeden freien Tag zusammen verbracht, bis wir schließlich offiziell zusammengekommen waren. Und jetzt saß ich jedes Wochenende hier im Stadion.
„Naja, es kann auch mal passieren, dass wir verlieren. Außerdem sind viele Neue von den Juniors zum ersten Mal dabei, da muss das Team sich erst mal neu zusammenfinden", überlegte ich. „Da musst du Kadeem gleich ganz fest in den Arm nehmen, um ihn zu trösten", fügte ich dann noch mit einem Zwinkern hinzu.
Ranielle wusste natürlich, dass Kadeem in sie verliebt war, das war schließlich kaum zu übersehen, doch sie ließ ihn seit Jahren beharrlich abblitzen, was zum einen echt lustig und zum anderen mit ein bisschen Mitleid für beide meiner Freunde mitanzusehen war. Zum Glück hatte das kaum Auswirkungen auf unsere Freundschaft, worüber ich unglaublich glücklich war. Ranielle und Kadeem waren die einzigen Menschen, denen ich voll und ganz vertraute.
„Ne, der Penner hat mir gestern nicht darauf geantwortet, als ich ihn gefragt habe, ob er mir seine Spanischaufgaben schicken kann, der kriegt ganz sicher kein Umarmung", erwiderte Ranielle und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, doch ich konnte sehen, wie ihre Mundwinkel leicht nach oben zuckten.
Manchmal fragte ich mich, ob sie Kadeem nicht auch mehr mochte, als sie zugab, aber dann würde ich nicht genau verstehen, wieso sie ihn so beharrlich abwies. Aber wahrscheinlich besaß jeder Mensch sein eigenes persönliches Rätsel oder Geheimnis, das andere nicht nachvollziehen konnten.
Ein lauter Pfiff riss mich aus meinen Gedanken – das Spiel war offiziell beendet, die Raiders hatten verloren. Ich blickte zum Spielfeld hinab und sah, wie Diego in genau diesem Moment frustriert seinen Helm ins Grass schmiss. Sein Gesicht war dabei vor Wut verzehrt und mich durchfuhr ein kalter Schauer. Das sah nicht gut aus, der heutige Abend würde bestimmt noch die ein oder andere böse Überraschung für mich bereithalten.
„Diego ist ja richtig gut drauf", stellte Ranielle ebenfalls fest und rümpfte die Nase. Sie war kein großer Fan von Diego und sie wusste so gut wie ich, wie er sein konnte.
„Vielleicht kriegt er sich ja gleich wieder ein", erwiderte ich schwach, ohne dass ich meinen Worten selber Glauben schenkte. So wutentbrannt, wie Diego gerade vom Platz stampfte, hatte er sich in zwei Wochen noch nicht eingekriegt.
Mit zitternden Beinen und weichen Knien erhob ich mich von meinem Sitzplatz und Ranielle tat es mir nach. Die anderen Zuschauer waren bereits dabei, durch die Ausgänge des Stadions hinauszuströmen, sodass wir uns einfach von ihnen mittreiben ließen. Ranielle lief hinter mir und ich hatte das Gefühl, ihren sorgenvollen Blick in meinem Rücken zu spüren. Auch wenn ich noch nie erzählt hatte, wie es zwischen Diego und mir manchmal wirklich war, hatte ich das Gefühl, dass sie etwas ahnte. Und auch wenn sie meine beste Freundin war, sollte niemand davon wissen. Das war mein persönliches Geheimnis.
Draußen angekommen, liefen wir zur Rückseite des Stadions, wo sich die Umkleidekabinen der Jungs befanden. Ranielle erzählte dabei ununterbrochen etwas über ihren heißen Spanischlehrer, doch ich hörte ihr kaum zu, meine Gedanken waren zu sehr damit beschäftigt, was gleich passieren würde. Wir warteten auf dem Flur vor den Kabinen zusammen mit einigen andere Zuschauer, die ihre Freunde oder Familienmitglieder abpassen wollten.
Ich lehnte mich mit dem Hinterkopf gegen die kalte Steinwand, als ich plötzliche eine laute Stimme aus der Umkleide der Heimmannschaft hörte. „Kann mir mal bitte einer sagen, was das heute für ein Scheiß war? Sind über Nacht eure Beine verkrüppelt oder warum hat keiner von euch verdammten Flachwichsern es geschafft, sich schneller als eine Statue zu bewegen? Und was war das für ein grottiges Passspiel? Selbst meine blinde Großmutter kann besser fangen, als du David!", schrie Diego seine Teamkollegen an. Seine Stimme bebte vor Wut und als im nächsten Moment etwas mit einem Krachen gegen die Wand flog, war ich noch nicht mal verwundert. Diego war offenbar noch schlechter drauf, als ich erwartet hatte.
Ein mulmiges Gefühl breitete sich schwer wie Steine in meinem Magen aus und ich wäre am liebsten einfach umgekehrt, um gleich nicht meinem aufgebrachten Freund begegnen zu müssen.
Für eine Zeit hörte man nun nur noch gedämpfte Stimmen und einige lautere Flüche aus der Umkleide, bis sich schließlich die Tür öffnete und nach und nach die Spieler der Raiders mit hängenden Köpfen wie geprügelte Hunde herauskamen. Kadeem war einer der Ersten und lief direkt zu uns.
„Du hast echt nicht schlecht gespielt", versuchte ich meinen besten Freund aufzumuntern, der ein Gesicht aufgesetzt hatte, als würde er zu einer Beerdigung gehen, doch er schüttelte den Kopf.
„Nein, heute war nicht mein Tag. Nur weil ich immer noch besser als die anderen war, habe trotzdem beschissen gespielt", entgegnete er und fuhr sich durch die kurzen schwarzen Haare. „Diego ist rasend vor Zorn und unser Trainer ist auch nicht wirklich glücklich."
„Mein Gott, das war nur das Saisonauftaktspiel und ihr benehmt euch alle, als wäre diese Niederlage der Weltuntergang", mischte sich jetzt auch Ranielle ein, auch wenn sie sich erst noch selber über das Spielergebnis aufgeregt hatte. Aber sie hatte Recht, ich fand es auch mehr als übertrieben, wie sich alle in den Sport reinsteigerten.
„Aber diese Jahr kommen Trainer von den Colleges in der Gegend, um die besten Nachwuchstalente mit einem Stipendium zu fördern. Da dürfen wir uns nicht solche Fehltritte erlauben", erklärte Kadeem.
Damit hatte er natürlich recht, auch wenn ich daran noch gar nicht gedacht hatte. Ich wusste, dass Diego unbedingt ein Stipendium für die University of Chicago haben wollte, da war es natürlich verständlich, dass er sich über eine Niederlage aufregte, aber nicht so sehr.
„Ich muss jetzt aber nach Hause, meine Mutter wollte für heute Abend groß kochen", meinte Kadeem dann. „Soll dich mitnehmen, Rani? Du kommst doch mit Diego nach Hause, oder Cassie?"
Ich nickte. Auch wenn ich lieber mit meinen besten Freunden zusammen nach Hause fahren würde, würde ich auf Diego warten, sonst würde er sich noch mehr aufregen als so schon.
Ranielle, die für so etwas einfach einen sechsten Sinn zu haben schien, sah mich skeptisch an, doch ich setzte ein Lächeln auf.
„Genau, ihr könnt ruhig schon vorfahren", antwortete ich. „Diego ist bestimmt auch gleich soweit."
Ich konnte sehen, wie Ranielle noch einen Moment zögerte, doch dann nickte sie. „Okay, dann bis Montag, Cassie", verabschiedete sie sich von mir und zog mich zum Abschied in eine Umarmung.
Auch Kadeem umarmte mich kurz, dann machten sich die beiden auf den Weg und ich blickte ihnen in Gedanken versunken nach.
Ich blieb noch eine ganze Weile so stehen, während nach und nach alle Spieler die Umkleide verließen. Nur Diego war bisher nicht dabei gewesen. Irgendwann, als außer mir niemand mehr auf irgendjemanden zu warten schien, betrat ich deshalb einfach die Kabine. Dort sah ich Diego mit zusammengesackten Schultern auf einer der Bänke sitzen, das Gesicht in den Händen vergraben.
Ich räusperte mich leise, um mich bemerkbar zu machen. „Diego?"
Bei dem Klang meiner Stimme schreckte Diego hoch und stand ruckartig auf. Er hasste es, wenn andere ihn in einer verwundbaren Position sahen, selbst vor mir tat er immer so, als hätte er alles unter Kontrolle, auch wenn ich wusste, dass das nicht stimmte. Diegos Leben war ebenfalls alles andere als leicht.
„Was machst du hier drin?" Diego sah mich aus zusammengekniffenen Augen an, sodass ich seinen Blick nicht richtig deuten konnte.
„Ich wollte nach dir gucken, weil du so lange gebraucht hast. Ist alles okay bei dir?", sagte ich vorsichtig und blickte ihn unsicher an.
Diego kam einen Schritt auf mich zu. „Ob alles bei mir okay ist? Bei mir ist verdammt noch mal nichts okay! Ich habe heute vor dem Coach der UIC so scheiße gespielt wie noch nie und das nur, weil ich die ganze Zeit daran denken musste, wie du hinter meinem Rücken mit anderen Jungs flirtest und mich dann anlügst", knurrte er und funkelte mich wütend an. Offensichtlich hatte er sich immer noch nicht beruhigt und das Schlimmste – er gab mir die Schuld daran, dass er schlecht gespielt hatte.
Eine Gänsehaut zog sich über meinen Körper und ich wich automatisch einen Schritt zurück, doch Diego kam noch näher auf mich zu, sodass nur wenige Zentimeter uns trennten. Wie um mich vor Diego zu schützen, verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust. Es war total ungerecht von ihm, mich zu beschuldigen, der Grund für das schlechte Spiel zu sein. Wir hatten die Sache mit Emilio längst geklärt und ich hatte mich mehrfach entschuldigt. Diego konnte sich einfach mal wieder nicht eingestehen, dass auch er selber manchmal für seine Fehler verantwortlich war.
„Die ganze Mannschaft hat schlecht gespielt, ich glaube nicht, dass ich auch bei den anderen der Grund dafür war", antwortete ich deshalb wagemutig, weil ich wusste, dass Diego sich durch meine Widerworte provoziert fühlen würde. Aber manchmal konnte ich sie einfach nicht herunterschlucken. „Es tut mir leid, dass das Spiel nicht so lief, wie du es dir vorgestellt hast, aber ich kann nichts dafür."
Ich konnte förmlich sehen, wie sich Diegos Körper bei meinen Worten anspannte. Im nächsten Moment stieß er mich auch schon grob von sich. Ich taumelte für einen kurzen Moment, bevor ich endgültig das Gleichgewicht verlor und zu Boden stürzte. Mir gelang es gerade noch rechtzeitig, meine Arme auszufahren, um den Sturz mit den Händen abzufangen, doch trotzdem knallte ich unsanft mit dem Musikknochen gegen eine der Bänke und auch mein Steißbein prallte unsanft auf den Fliesen auf, sodass ein markerschütternder Schmerz meinen Körper wie ein Blitz durchfuhr. Unweigerlich traten mit Tränen in die Augen und ich blickte meinen Freund aus schockgeweiteten Augen an.
Offensichtlich realisierte auch Diego jetzt, was er getan hatte. Seine harten Gesichtszüge wandelten sich binnen Millisekunden zu einem Ausdruck voller Besorgnis und Bestürzung.
„Oh mein Gott, Baby, es tut mir so leid", stammelte er mit zittriger Stimme und beugte sich neben mir runter. „Das wollte ich nicht. Verdammt, ich würde dir doch niemals wehtun, es tut mir so unendlich leid."
Diegos Stimme klang völlig aufgelöst und ich glaubte ihm, dass er mich nicht absichtlich verletzten hatte wollen. Doch im Rausch seiner Emotionen verlor er immer wieder die Kontrolle, was nicht selten dazu führte, dass er mir wehtat, auch wenn er es eigentlich gar nicht wollte.
Trotzdem konnte ich es nicht verhindern, dass mir die ersten Tränen unaufhaltsam aus den Augen rollten. Ich stand immer noch unter Schock, auch wenn der Schmerz langsam nachließ. Dabei konnte ich noch nicht mal sagen, dass es die erste derartige Situation war, doch jedes Mal, wenn Diego mich so grob und rücksichtslos behandelte, brach es mir ein kleines bisschen das Herz. Noch schlug es, aber wenn er so weitermachte, würde irgendwann nichts mehr davon übrig sein.
Ich spürte, wie Diego sanft seine Hand an meine Wange legte, um meine Tränen wegzuwischen, doch schlug sie weg. Das, was er mir gerade angetan hatte, ließ sich nicht so einfach wegwischen. „Bitte bring mich einfach nach Hause", sagte ich deshalb und er nickte schwach.
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So, nachdem Wattpad mich gestern leider nicht das neue Kapitel hochladen lassen hat, scheint es wenigstens jetzt zu gehen😅
Nachdem Diego bei den meisten eh nicht so gut dasteht, hat er sich mit diesem Kapitel bestimmt keine Sympathiepunkte geholt😅 Ob er das wohl noch wieder gut machen kann?
Ich wünsche euch auf jeden Fall noch eine schöne Restwoche!🥰
Man sieht sich, wir haben ja Augen!
Eure Amy
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