Kapitel 53
Luc
Ich sah auf Helen runter. Ihr Kopf auf meinem Bauch ruhend schlief sie tief und fest. Sie lag bereits dicht bei mir, als ich aufgewacht bin. Mich dann etwas aufzusetzen, sorgte dafür, dass Helen meinen Oberkörper als Kissen benutzte. Ich schmunzelte während ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht strich.
Abrupt hielt ich inne. Ich sollte das nicht tun. Auch sollte ich nicht dieses positive Gefühl empfinden. Hätte das alles hier nicht so lange angedauert, wäre es nicht dazu gekommen.
Mich über mich selbst ärgernd strich ich die Strähne hinter ihr Ohr und nahm dann meine Hand weg. Ich würde alles dafür tun, dass sie ohne Probleme in ihr altes Leben zurückfand.
Helen bewegte sich und wirkte, als würde sie jeden Moment aufwachen. Dabei kuschelte sie sich an mich und ich unterdrückte ein aufkommendes Lachen. Ich war mir sicher, dass sie gleich mit hochrotem Kopf aufschrecken würde.
Sie öffnete ihre Auge sah sich kurz um und schreckte wie erwartet mit großen Augen auf. Ich sah ihr angeheitert dabei zu, wie sie ihr leicht lockiges Haar zu sortieren versuchte, während sie meinen Blick mied.
»Ich hätte nicht gedacht, dass der Grund für dich auf dem Boden zu schlafen der ist, dass du dich nicht zurückhalten kannst.«
Verlegen und geschockt zugleich sah sie mich an. Ihre grünen Augen waren nun nicht mehr ganz so blass die Wangen vor Scharm gerötet schüttelte sie hektisch den Kopf und macht eine verneinende Geste mit ihren Händen. „Nein das war nicht ..."
»Keine Angst. Das bleibt unser Geheimnis.« Sie schloss die Augen und ließ den Kopf hängen. Um ihr etwas Freiraum zu geben stand ich auf und nahm mir frische Sachen, womit ich ins Bad ging.
Ich zog mich um, machte mich frisch und als ich zurück kam war Helen bereits verschwunden, also ging ich nach unten.
Schon auf der Treppe nahm ich einen himmlischen Duft wahr. Der Tisch war reichlich gedeckt.
»Guten Morgen.«
»Luc.« Andrea, Helens Adoptivmutter, blickte mich herzlich an.
»Guten Morgen. Setz dich, setz dich.« Sie zeigte auf den Platz neben Helen. Thomas saß an der Tischspitze. Er wünschte mir einen guten Morgen und las in der Zeitung weiter, die er vor sich ausgebreitet hatte. Helen und mir gegenüber saß Andrea die gerade Topflappen beiseite legte.
»Habt ihr gut geschlafen?« Ich spürte, wie Helen sich neben mir anspannte, weshalb ich kurz schmunzelte, dann aber gelassen zu Andrea sah. »Das haben wir. Danke der Nachfrage.«
»Helen meinte du trinkst Kaffee? Ich habe welchen aufgesetzt. Er müsste gleich fertig sein.«
»Ja ich trinke Kaffee. Sie müssen sich keine Umstände bereiten. Ich trinke auch etwas anderes.«
»Schon in Ordnung. Thomas trinkt auch gern mal Kaffee.« Thomas nickte während er weiter in der Zeitung las.
Die Fragerunde von gestern Abend war nicht beendet sonder nur aufgeschoben. Andrea stellte mir Fragen über Fragen, die ich ihr so gut ich konnte beantwortete, damit weder sie noch Thomas misstrauisch wurden. Erstrecht da Thomas bei der Polizei war, konnte ich es mir nicht erlauben ungesunde Neugier zu wecken.
»So wir werden dann mal los.« Thomas legte nun endlich seine Zeitung weg und stand auf.
»Wollt ihr Luc mitnehmen?«
»Nein. So nett Luc auch ist, das ist eine Vater-Tochter-Tradition.« Andrea lacht und sah zu mir. Auch Helen hatte sich nun erhoben.
»Wir werden uns die Zeit schon gut vertreiben können.« Ich lächelte höflich zurück.
»Selbstverständlich.« Helen sah zu mir und wieder zu Andrea. Einen Moment lang wirkte es, als würde sie mit sich hadern, doch dann entschied sie sich wohl die Situation einfach so hinzunehmen, wie sie war. „Na gut", sagte sie und ging mit Thomas.
Andrea erzählte mir, dass Thomas und Helen jedes Jahr gemeinsam einen Weihnachtsbaum aussuchten und mit den Jahren wurde es zu einer Art Tradition. Später würde er von allen zusammen geschmückt werden. Dafür brauchten wir nun die Deko, die scheinbar auf dem Dachboden war.
Wir stand im Obergeschoss unter der weißen Tür in der Decke. Andrea reichte mir den Stock zum Öffnen der Tür, da ich ihr angeboten hatte nach oben zu gehen. Ich ließ die Klappe langsam runter, ließ die Leiter ebenfalls runter und stieg die klappernde Holzleiter hoch, dessen Stufen viel zu schmal waren.
»Zu deiner Linken müsste etwas sein. Ein brauner Karton mit Tannenbaumkugeln.«
Es war ziemlich dunkel hier, weshalb ich mein Handy hervor holte und die Taschenlampe anstellte. Ich lief gebückt durch den niedrigen Raum, der sich in der Spitze des Daches bildete. Es war sehr staubig und überall standen Kisten, Kartons und andere Gegenstände, die teilweise mit Decken oder Laken abgedeckt waren. Ich entdeckte ein Karton mit der Aufschrift Weihnachten. Ich hob den Deckel etwas an und wie vermutet befanden sich darin rote und goldene Kugeln. Ich hob den Karton an, der schwerer war als gedacht und ging zur Leiter zurück.
»Hast du ihn?«
»Ich denke.«
»Sei bloß vorsichtig. Nicht dass du runterfällst.« Ich stieg die Leiter mit dem großen Karton in den Hände runter und stellte ihn dann auf dem Boden ab.
»Helen wird mich ausschimpfen, wenn sie das sieht.« Andrea putze Staub, den ich ebenfalls vom Dachboden mitgebracht hatte, von meinem Pullover. Sie war eine wirklich liebevolle Person. Ich klopfte den verblieben Staub von den Schulter.
Das Helen verärgert sein konnte, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Bei all den Sachen die passiert waren, hatte ich Helen noch nie wirklich böse gesehen.
»Ist schon in Ordnung. Ist noch etwas oben?«
»Ja die Kerzen.« Ich kletterte die Leiter wieder hoch und musste wie zuvor auch meinen Fuß auf den letzten Stufen schräg stellen, damit ich irgendwie hochsteigen konnte.
»Es ist ein dunkler Koffer mit elektrischen Kerzen.« Ich suchte den Dachboden nach einem dunklen Koffer ab. Nachdem ich eine ganze Weile gesucht hatte und auch Andrea nicht genau sagen konnte, wo der Koffer war, hatte ich ihn doch unter einem Stapel Fotoalben gefunden, wovon eines runtergefallen war.
Ich holte den Koffer hervor und wollte gerade das Album zurück zu den anderen legen. Doch bevor ich es zurücklegte blieb mein Blick an einem Bild, der durch Zufall aufgeschlagenen Seite, hängen.
Es zeigte Helen, als sie noch ein kleines Kind war. Auf beiden Seiten trug sie Zöpfe mit rosa Schleifchen, die sich durch die Locken etwas zusammen kringelten. Ihre Augen waren riesig und ihre Wangen wie die eines Hamsters.
Sie strahlte stolz mit einer kleinen Geige in der Hand in die Kamera. Es war sehr niedlich anzusehen. Meine Lippen zogen sich zu einem Lächeln. Sie saß auf dem Schoß einer Frau die sehr viel Ähnlichkeit mit Helen aufwies und wahrscheinlich ihre Mutter Jennifer Kuhn war. Hinter den beiden stand ein Mann, dessen dunkle Locken Helen scheinbar geerbt hatte. Er trug eine eckige Brille mit dunklem Rahmen. Mein Lächeln verschwand.
Dieser Mann kam mir bekannt vor. Doch ich wusste nicht genau, woher ich ihn kannte.
»Hast du ihn gefunden, Luc?« Ich sah Helens Vater einen Augenblick an, versuchte mir sein Gesicht einzuprägen, dann legte ich das Album zurück.
»Ja ich hab ihn!« rief ich zurück und ging zur Leiter.
***
Der Tannenbaum würde erst morgen geschmückt werden. Bereits im Kinderheim hatte ich einige weihnachtliche Traditionen mitbekommen, denn in der einen oder anderen Sache unterschied sie sich doch zu denen in Italien.
Während Andrea bereits alles für den Baum vorbereitete, hatte sie mir ganz interessiert Fragen zu dem Ablauf von Weihnachten in Italien gestellt. Auf das meiste konnte ich ihr nur wage antworten, da mein letztes italienisches Weihnachten fast zwanzig Jahre zurück lag. Wovon ich ihr allerdings erzählte waren die Erinnerungen an die Weihnachtsessen bei meiner Nonna.
»Ach wirklich?«
»Ich habe gerne mit ihr gekocht, ja. Das tue ich heute noch gern, auch wenn jetzt allein.«
»Frag Helen mal nachher. Sie kocht auch ganz gerne.«
»Das werde ich«, sagte ich ohne zu erwähnen, das wir bereits gekocht hatten.
»Vielleicht könnt ihr ja auch zusammen etwas Italienisches kochen, was du mit deiner Nonna gekocht hast. Der Braten im Gefrierschrank wird nicht schlecht.«
»Nein ist schon in Ordnung. Ich bin gespannt auf mein erstes richtiges nicht italienisches Weihnachtsfest.«
»Dein Erstes?«
»Nun ja, im Waisenheim war es doch etwas anders, denke ich.« Andreas Blick schien betroffen, doch bevor sie etwas sagen konnte kam Thomas herein.
»Luc kommst du einmal?« Ich sah zur Tür durch die Thomas lugte. Ich stand auf und ging zu ihm.
»Magst du mir mal helfen?«
»Natürlich.« Helen kam stürmisch die Treppe herunter und hielt mich auf ihrem Vater zu folgen. Sie fuchtelte wild mit ihren Händen umher.
„Warum soll Luc dir helfen? Das kann ich doch auch machen."
»Luc ist ein starker Mann, das wird er ja wohl schaffen.« Helen tippte sich vor die Brust. „Ich..."
»Du kannst Mutti helfen. Wir wollen gleich Kaffee machen.« Sie blickte Thomas noch kurz an. Dann drehte sie sich entschuldigend zu mir.
»Zieh das an. Ich hoffe es passt.« Thomas gab mir eine dunkle, sehr warme Winterjacke und stellte gefütterte Stiefel vor mir ab. Als ich beides angezogen hatte, folgte ich ihm raus.
Es herrschten eisige Temperaturen und in der Nacht hatte es so viel geschneit, dass ich bei meinem ersten Schritt nach draußen bis weit über meine Knöchel im Schnee stand.
»Hier.« Thomas reichte mir einen breiten Besen mit harten, roten Borsten.
»Ich schippe, du fegst.«
Wir hatten die Hälfte der Auffahrt von dem Schnee befreit, da begann es erneut zu schneien. Ich war richtig ins Schwitzen gekommen, auch wenn es minus fünfzehn Grad draußen waren. Ich hatte nicht gedacht, dass Schnee fegen so anstrengend hätte sein können.
»Gute Arbeit mein Junge. Danke für deine Hilfe« Thomas klopfte mir auf die Schulter. Leider schien unsere Arbeit umsonst, denn es war fast alles wieder zu geschneit. Als wir nach drinnen kamen, hatten Andrea und Helen bereits alles vorbereitet.
Helen lächelte mich gequält an und reichte mir ein Handtuch. In meinen dunklen Haaren hatte sich Schnee gesammelt, welcher geschmolzen war und meine Haare total durchnässt hatte.
»Geh ruhig erst duschen. Ich werde das selbe tun«, sagte Thomas im Vorbeigehen.
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