Kapitel 51
Helen
Heute Morgen war ich in meinem Bett aufgewacht, ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war. Das Letzte woran ich mich erinnerte war, dass Luc ein Taxi bestellte, mit dem wir nach Hause fuhren. War Jane aufgetaucht? Oder war ich einfach nur eingeschlafen und Luc ... Ich schüttelte den Kopf.
Ich saß mit Paola und Luc an dem langen Esstisch. Pola stocherte wenig gut gelaunt in ihrem Müsli rum, Luc trank unbekümmert von seinem Kaffee und ich knapperte wenig hungrig, wegen der angespannten Stimmung, an dem goldgebackenem Brötchen.
»Du kannst gerne hier bleiben, Paola«, sagte Luc ruhig.
»Und wieder auf der Couch schlafen? Nein Danke«, kam es zickig von Paola.
»Du kannst in dem Zimmer schlafen. Helen und ich sind nicht da.« Paola hielt inne und sah zu Luc. »Ihr beide?«
Luc trank von seinem Kaffee, entspannt zurückgelehnt und nickte. Ein kurzer Blick auf mich, dann wieder zurück zu Luc und Paolas Augen wurden zu schmalen Strichen. »Wo seid ihr denn?« Luc sah über den Rand seiner Tasse. »Bei Helens Eltern.«
Luc sagt es als sei es das Normalste der Welt. Mit einer Ruhe und Gelassenheit, die selbst mich zum Staunen brachte, denn diese Information war mir auch neu. Mindestens genauso geschockt wie Paola sah ich zu Luc. Paola rückte den Stuhl ein Stück zurück. »Was?!«
»Wie bitte«, korrigierte Luc seine Schwester
»Luc! Du kannst doch nicht ... «
»Doch. Kann ich.«
Ich schüttelte mit dem Kopf. Sowohl Luc als auch Paola sahen mich an. »Siehst du! Selbst sie sagt, dass es verrückt ist.«
»Ihr Name ist Helen.«
Entgeistert stieß Paola Luft aus. »Luc ... «
Paola ignorierend sah er zu mir.
»Warum schüttelst du den Kopf? Kommt es doch nicht mehr zu dem Besuch bei deinen Eltern?«
»Ich dachte ich würde alleine fahren«, gab ich leise von mir.
Luc beugte sich vor und lehnte sich mit einem Arm auf dem Tisch ab.
»Wie? Mit öffentlichen Verkehrsmitteln? In denen jeder Zeit eine Person zu dir kommen könnte? Dass Antonio dir so nah kommen konnte, zeigt wie viel Schutz du benötigst.«
Paola stieg wieder in das Gespräch ein, ungeachtet, dass ihr Bruder sie gerade ignoriert hatte. »Antonio? Antonio Palazzo war dort?« Luc nickte. Paolas Stimme klang aufgeregt
»Er versteht sich auch großartig mit Helen.« In Lucs Stimme klang ein säuerlicher Unterton mit, den ich so noch nie bei ihm gehört hatte.
Ich vermutete er spielte auf die Situation an, kurz bevor wir gegangen sind. Antonio, den ich als Jurastudent Anton kennengelernt hatte, hatte mir einige Komplimente zu meinem Auftritt gemacht, mit denen ich mich mehr als überfordert fühlte. Er hatte mich aufmuntern wollen und mich etwas gedrückt mit den Worten, man müsse Komplimente annehmen können.
Anton hatte eine ganz besondere Ausstrahlung, die ich nicht einordnen konnte und der ich mich komplett ausgeliefert fühlte. Anhand von Paolas Stimme konnte ich erahnen, dass Anton nicht einfach ein Student der selben Uni war. Beschämt sah ich auf meine Hände runter.
»Woher kennst du ihn?«, fragte Paola an mich gerichtet und es war das erste Mal, seit wir uns kannten, dass sie zu mir und nicht über mich sprach. Allerdings antwortete Luc ihr. »Aus der Uni.«
»Sie sind schneller als gedacht.«
Ich wagte es Luc zu korrigieren, da es nicht ganz stimmte, dass ich Anton aus der Uni kannte.
»Eigentlich hat Jane ihn kennengelernt, auf einer Feier mit Maja, Lisa und ihren Freunden.«
»Wann war das?«
»Kurz nach dem wir aufeinander getroffen sind.«
Luc nickte vor sich hin während er in Gedanken vertieft schien. Das Vibrieren seines Handys holte ihn unliebsam aus seinen Gedanken. Er warf ein Blick auf das Display, drehte das Handy um und sah mich an.
»Also? Fahren wir zu deinen Eltern, oder nicht?«
»Wer war das?«
»Helen?«
»Luc!«
Irritiert darüber das Paola immer wieder mit Luc redet, er es aber gekonnt überspielte huschten meine Augen hin und her.
»Es war Vater, oder?«
»Ich fahre nachher kurz ran.«
»Mit ihr?« Paola streckte einen Finger in meine Richtung.
»Glaubst du es ist ein Problem, wenn wir erst spät bei deinen Eltern ankommen?« Luc wandte sich an mich und ignorierte Paola erneut. Ich überlegte kurz und schüttelte den Kopf. »Nein ich denke nicht.« Wenn ich Andrea erzählte, dass ich jemanden mitbrachte, würde sie erst einmal in Putzwut verfallen und war froh um jede Sekunde, die sie mehr hatte.
»Du willst sie wirklich mitnehmen?«, fragte Paola nochmal nachdrücklich
»Ja«, antwortete Luc knapp. Paola ließ sich niedergeschlagen gegen die Stuhllehne fallen.
»Du wirst schon wissen, was du machst.«
***
Wir standen vor einem eisernen Tor. In der Mitte war das Zeichen zusehen, dass Luc auch in der Innenseite seines Oberarms auf der Haut hatte. Er gehörte also wirklich zu dieser Unternehmer Familie, über die ich mit Ben und Kathi geredet hatte.
Auf dem Weg hatte ich Andrea geschrieben, dass ich nicht allein kommen würde. Sie hatte zig Fragen zu der Person gestellt, die ich mitbringen würde, denn sie musste noch ganz dringend ein Geschenk besorgen. Da ich gerade das Zeichen von Lucs Oberarm auch an dem Tor sah, kam mir eine Idee, also bat ich Andrea noch ein Geschenk für Luc zu besorgen, welches ich ihm schenken könnte.
Neben dem Tor standen zwei in schwarze Anzüge gekleidete Männer die angsteinflößend zu uns sahen. Sie erinnerten mich ein wenig an den Mann, der mir gegenüber handgreiflich geworden war und ich sah unsicher zu Luc.
Dieser saß gelassen da und stütze seinen Kopf mit einer Hand ab. Das Tor öffnete sich mit einem metallischem Quietschen. Erschrocken über den plötzlichen Laut zuckte ich zusammen. Wir fuhren durch das Tor und an den Wachen vorbei.
»Sei entspannt. Es wird nichts passieren.« Zweifelnd warf ich einen Blick auf Luc. Paola hatte sich vorhin ganz anders angehört. Ich war fest davon überzeugt, dass etwas passieren würde. Ich konnte aber nicht weiter darüber nachdenken, als wir die gewundene Auffahrt hoch zu einem alten Gutshaus fuhren.
Es war so traumhaft schön, dass ich aus dem Staunen nicht mehr raus kam. Die Fassade war weiß und rein. Eine kleine Treppe führte durch einen großen Türbogen zum Eingang, der zu einer Art kleinem Vorbau gehörte, welcher an den Seiten in zwei kleine, süße Türmchen überging. Die Fenster waren hoch und von einer bräunlichen Farbe.
Wir hielten in dem Kreisel vor dem Haus, dessen Mitte einen Springbrunnen und ringsherum ein Blumenbeet aufwies, das im Frühling und Sommer mit Sicherheit in vielen bunten Farben leuchtet. Luc stieg aus, kam um das Auto herum und öffnete die Tür. Er half mir auszusteigen. Dann drückte er meine Hand und lächelte mich an, was mich in der Kälte hat wärmer werden lassen.
Wir betraten das Haus. Das Erste, was mir auffiel, war ein etwas besonderer Geruch, doch ich konnte den Geruch nicht definieren. Die Eingangshalle leuchtet in einem warmen Licht, welches der Kronleuchter an der Decke erzeugt. An der Seite führte eine geschwungene Treppe nach oben auf eine Galerie. Von hier aus konnte ich nur einige Türen erahnen. Gerade aus verbarg sich scheinbar das Wohnzimmer. Zumindest vermutete ich das Wohnzimmer vor uns, denn ich konnte lediglich einen großen schwarz glänzenden Flügel sehen.
Ob Luc spielen konnte und sich deswegen so für Klassik interessierte? Ich hatte ausschließlich Schallplatten, was an sich schon ungewöhnlich war, von klassischer Musik bei ihm in der Wohnung gesehen.
Ich hörte das Auftreffen eines Gegenstandes auf dem hellen Boden und bemerkte einen Mann am Ende der Treppe. Er hatte einen Gehstock in der Hand leicht erhoben. Sein Gesicht war zornig, doch als er mich, die ich versetzt hinter Luc stand, bemerkte wichen die erbosten Gesichtszüge und er stützte sich wieder auf seinem Stock ab.
Er lächelte mich so freundlich und lieb an, wie es nur alte Leute konnte. Er schien mir auf einmal wie ein netter alter Mann. Ich lächelte scheu zurück. Luc verbeugte sich leicht. Perplex sah ich zu ihm und tat es ihm gleich.
»Das ist sie also?«, fragte der alte Mann mit einer kehligen, rauchigen Stimme.
»Ja«, antwortet Luc in einer sehr respektvollen Art und Weise, nicht wie sonst kurz angebunden und desinteressiert. Der alte Mann ging voran in Richtung des Wohnzimmers und wir folgten ihm.
Links war eine riesiges Erkerfenster mit großen, hohen Fenstern, die Licht in das hinter einer Wand verschwindende Esszimmer warfen. Ich konnte lediglich einen Blick durch die doppelte Schiebetür auf einen hellen Esstisch werfen. Das Haus schien sehr offen gestaltet zu sein.
Wir gingen an dem feinpoliertem, staubfreien Flügel vorbei und kamen an einer modernen und luxuriösen Wohnlandschaft an, die ich fälschlicher Weise nie in diesem Haus erwartet hätte.
»Einen Kaffee?«, fragte der Mann der uns durch das Haus führte. Darin klang ein starker italienischer Akzent mit. Luc lehnte dankend ab. Wir ließen uns auf den gemütlichen Sofa nieder.
Luc und der Mann, der sich als Lucs Vater entpuppte, mit dem er keinerlei Ähnlichkeit aufwies, redeten eine Weile über Sachen die mich nichts angingen.
»Warum hast du nichts von deiner Verlobten erzählt?« Die leicht gurgelnde Stimme von Lucs Vater klang vorwurfsvoll.
»Ich dachte nicht, dass es dich interessiert.« Lucs Vater öffnete ein Holzschächtelchen vor sich. Daraus nahm er eine Zigarre. Er nahm einen zangenähnlichen Gegenstand zur Hand.
Das scharfe Geräusch des Zigarrenschneiders zischte durch die Luft.
»Das hast du nicht zu entscheiden.« Ich spürte, wie Luc neben mir sich zunehmend anspannte, was mich unruhig werden ließ. Sein Vater steckte die Zigarre in den Mund, was ihn wie den perfekte Kleinganoven aussehen ließ.
Er entfachte ein Streichholz und zog mehrfach stark an der Zigarre, von der nun Rauch Aufstieg und die Frage nach dem Geruch beantwortet.
»Ich bin dein Vater. Natürlich möchte ich deine Verlobte kennenlernen.« Ich verstand nicht warum plötzlich eine so angespannte Stimmung herrschte und ich war sicher Luc noch nie so kleinlaut gesehen zu haben.
Meine Augen hüpften hektisch von Luc zu seinem Vater und wieder zurück. Ich hatte das Gefühl dass es meine Schuld war. »Entschuldigen Sie. Ich ...«, beganng ich schüchtern. Ich fing mir einen starren Blick von Lucs Vater ein und bemerkte wie Luc sich neben mir noch mehr verkrampfte. »Es ist meine Schuld. Ich wollte nicht, dass jemand von uns erfährt. Bitte verzeihen Sie«, log ich so gut, wie noch nie.
Lucs Vater brach in kehliges, schallendes Gelächter aus. Er lachte so sehr, dass er mit einer Hand die Zigarre zwischen zwei Fingern und mit der anderen seinen Bauch hielt. Luc schwieg und sah seinem Vater beim Lachen zu.
Irgendwann beruhigte sich Lucs Vater. Er legte die Zigarre auf einem Aschenbecher ab und reichte mir über den kleinen Couchtisch die Hand.
»Freut mich Sie kennenzulernen. Giovanni Vitiello mein Name.«
Der Rest des Gespräches handelte von mir. Giovanni Vitiello stellte mehrere Frag zu meiner Person die Luc ihm knapp beantwortet.
Danach verabschiedeten wir uns von Lucs Vater. Er freue sich sehr darauf mich wieder zu sehen. Als er das sagte glitzerten seine Augen aufgeregt.
Luc war die ganze Zeit über komplett anders gewesen, als ich ihn bisher kennengelernt hatte. Er antwortete ausschließlich auf die Fragen seines Vaters sonst sagte er nichts.
Dazu schien er permanent unter Anspannung gestanden zu haben.
Jetzt, da wir im Auto saßen verflog diese langsam. Ich hätte gerne Fragen gestellt, aber außer seinem Vater beantwortet Luc nur selten Fragen. Ich wollte wissen, warum das Verhältnis zu seinem Vater so schwierig war. So kam es mir jedenfalls vor. Lag es daran, dass es nicht sein leiblicher Vater war? Oder gab es noch einen anderen Grund?
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