Kapitel 46
Helen
Mit eindeutig zu viel Kraft strich ich den Bogen aus dem Schreck heraus über die E Saite. Das Geräusch ließ die kleinen Härchen auf meinen Armen zu Berge stehen.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, erklang Marcos Stimme hinter mir.
Ich blickte zur Tür, durch die Marco seinen Kopf in mein Zimmer streckte und mich wie immer freundlich musterte. Ich senkte die Geige und blickte fragend zurück. »Was ist denn?«
»Magst du kurz mitkommen?« Ich zog meine Augenbrauen hoch und deutete auf mich selbst. »Ich?«
»Ja du. Ist sonst noch wer hier?« Ich schüttelte weniger als Antwort und viel mehr über mich selbst den Kopf, legte die Violine sowie den Bogen beiseite und folgte Marco in die Küche.
Luc saß an dem langen, massiven Esstisch. In seiner rechten Hand schwenkte er ein Glas Rotwein. Ein mittlerweile gewohnter Anblick. Mich beschlich allmählich das Gefühl, dass Luc ein großes Problem mit zu viel Rotwein hatte.
»Hast du am Wochenende schon etwas vor?«, fragte er mit entspannten Blick auf mich. Langsam nickte ich.
»Und das wäre?«
»Am Wochenende sollen wir auf einem Bankette spielen. Ich hab schon zugesagt«, erklärte ich kurz. Er stellte das Glas auf dem Tisch ab, verschränkte die starken Arme, die durch den hochgekrempelten Ärmel des Hemdes nun gut sichtbar waren und lehnte sich zurück. »Das passt perfekt.«
»Bring es ihr schonend bei Luc.« Mein Blick glitt zu Marco, der mit breitem Grinsen und beiden Armen auf der Stuhllehne mir gegenüber lehnte.
»Wir müssen dafür sorgen, dass du sicher bist.« Ich folgte Lucs Worten, abwartend, was er als nächstes sagen würde. In meiner Magengegend breitete sich ein Gefühl der unguten Vorahnung aus. In der ich sicher war? Wollte er mich jetzt komplett abschotten? Musste ich jetzt in einem von mir selbsterbauten Gefängnis unterkommen?
»Bei dem Bankett werden viele mir bekannte Personen sein. Darunter Kollegen und Rivalen.« Rivalen? Doch bevor ich nachfragen konnte redete Luc weiter. »Ich werde dich ihnen vorstellen.« Okay soweit so gut. Ich nickte, um mich mit dem Plan einverstanden zu erklären. Es war nicht was ich erwartet hatte, aber es war definitiv besser, als das, was sich meine haltlose Fantasy zusammengesponnen hatte.
Wenn mich die Kollegen und Freunde von Luc kannte, war die Wahrscheinlichkeit geringer, dass mir einer der Rivalen, wie Luc sie nannte, unbemerkt etwas antun konnte, oder? Außerdem könnte Luc auch nicht mehr ... Seit der Situation im Auto war ich mir nicht mehr so sicher mit Luc. Es würde viel eher auffallen, wenn mich mehr Leute mit ihm in Verbindung brachten.
»Du solltest zu ende zu hören, bevor du einwilligst.« Ich stutzte bei Lucs Aussage und sah ihn verwirrt an. »Warum? Es kann nicht schaden, wenn mich mehr Menschen kennen. Ist man dann nicht automatisch sicherer«, sagte ich gerade heraus und war von mir selbst überrascht. Eigentlich redete ich nicht so offen mit Luc. Vielleicht half es mir, da Marco hier war, offener zu reden.
»Dich einfach nur vorzustellen hebt dich auf keine Position, in der man dich respektiert und achtet. Ich möchte dich vorübergehend zu einer Person machen die unantastbar ist«, führte Luc weiter aus.
Nicht ganz sicher worauf er hinaus wollte, blickte ich zwischen ihm und Marco hin und her. Zudem fand ich Lucs Wortwahl zunehmend eigenartig. »Was ... Was meinst du genau?«
»Ich mache dich zu meiner Verlobten«, sagte Luc schlicht.
Ich erstarrte. Ver... Verlobte? Ich hatte mich sicher nicht verhört? Meine Augen geweitet, wie die eines Welpen, schüttelte ich mit dem Kopf. »Nein«, sagte ich fast schon lachend. Von so vielen Sachen hatte ich mich überzeugen lassen, aber hierbei würde ich nicht mitmachen.
Ich war eine grausige Schauspielerin. Ich musste Jane das irgendwie erklären und überhaupt ... ich wollte nicht noch tiefer in diese Sache hineingezogen werden. Was brachte es mir überhaupt als seine Verlobte bekannt zu sein? Wie sollte mir das mehr Sicherheit verschaffen, anstatt mich noch weiter in Zielposition zu katapultieren?
Es reichte mir, dass ich bei Luc wohnte und nicht machen konnte was ich wollte, ohne es im Vorfeld mit irgendwem abgesprochen zu haben. Luc hob eine Augenbraue. Wieder schüttelte ich mit dem Kopf.
»Selbstverständlich bist du nicht wirklich meine Verlobte.« Wieder schüttelte ich mit dem Kopf und fühlte mich Lucs Worten schonungslos ausgesetzt. Ich konnte nichts erwidern und mir blieb nichts anderes übrig als zum wiederholten Mal den Kopf zu schütteln, da Luc mich mit einem ausdruckslosen Gesicht musterte.
»Weißt du, Luc ist in seinem Umfeld ein wirklich ... « Marco, der bis eben mit geschürzten Lippen, die er wie ein Fisch bewegte, indem er seinen Mund öffnete und schloss, auf dem Stuhl lehnte, brachte sich nun in das Gespräch mit ein. Er machte eine kurze Pause, so als müsse er erst noch überlegen was er sagen wollte. » ... geachteter Mann.« Immer noch skeptisch sah ich zwischen Luc und Marco hin und her.
»Kannst du uns sagen, was dich daran so sehr stört?« Ich sah Marco verdutzt darüber an, dass er scheinbar mit Luc einer Meinung war. Ich wusste nicht warum es mich überraschte. Die beiden mussten hier zusammen gesessen haben, um diesen Plan zu schmieden, während ich in meinem Zimmer Geige spielte. Ich konnte nicht umhin einen kleinen Stich des Verrats in meinem Herz zu spüren, als Marco mich interessiert musterte.
»Ich ... Ich möchte das nicht. Es ist viel zu kompliziert. Das hier Wohnen ist schon ... schwierig für mich. Ich möchte nicht noch mehr Sachen verheimlichen oder erklären müssen.« Das war wohl die beste Wahl ohne zu sagen, dass ich nicht als die Verlobte eines möglichen Mörders inszeniert werden wollte und nicht noch tief in den Sumpf stapfen wollte. Denn umso schwere würde es werden hier wieder raus zu kommen. Ich hatte auch das Gefühl es ehrlich rüber gebracht zu haben. Es entsprach ja auch der Wahrheit.
»Es ändert nichts daran, dass ...« Luc wurde von Marcos erhobener Hand unterbrochen. Ich hatte das Gefühl, dass Lucs Blick, den er Marco zukommen ließ, etwas angesäuert war, trotzdem ließ er ihn machen. Ich hatte schon mehrfach dein Eindruck gewonnen, dass die Gruppe bestehend aus Luc, Marco, Paola und Carlos ein sehr gut eingespieltes Team war.
»Hast du eine andere Idee?« Marcos Augenbrauen, wovon eine einen kleinen Cut aufwies und die andere wie üblich mit zwei Piercings geschmückt war, waren hochgezogen und erzeugten einen gespannten Gesichtsausdruck.
Ich überlegte. Eine andere Idee? In den letzten Tagen wollte ich mehr als alles andere, dass ich niemals in dieses Büro geraten wäre. Oder zumindest nicht auf Luc gestoßen wäre. Dass ich zunehmend ein schlechtes Gefühl mit dem Ganzen hatte und jetzt noch mehr involviert werden sollte, bestärkte mich darin. Ganz zu schweigen von diesem unbekannten, neunen Gefühl, dass Luc in mir hervorrief, dessen Ursache ich mir nicht eingestehen wollte, welches ich aber auch nicht leugnen konnte, jetzt da ich ihn ansah und es wieder in mir kribbelt, wäre es besser einfach dieser ganzen Sache den Rücken zu kehren.
Ich war mehr und mehr in diese Situation reingezogen worden, was mich fast vergessen ließ, womit ich es eigentlich zu tun hatte und zwar gefährlichen, mordlustigen und gewaltbereiten Menschen. Sowohl das Paintballspiel als auch die Nachrichten im Radio hatten mich unsanft in die Realität zurückgeworfen und mir gezeigt, dass Luc nicht irgendwer war. Wobei ich letzteres Nicht wissen konnte.
Vielleicht sollte ich auf Ben hören und all meine Kontakte zu Luc beenden, damit ich endlich zurück in ein normales Leben konnte. Allerdings war mein Leben nie wirklich normal gewesen und in den letzten Tagen fühlte ich mich zunehmend besser. Die letzte Panikattacke lag Tage zurück. Selbst diesem Gewaltangriff von dem rothaarigen Mann hatte ich deutlich länger stand gehalten, als ich erwartet hätte und auch mein Gedankenkarussell zu Lucs Person konnte ich Stand halten. Ich fühlte mich so stark und selbstbewusst wie noch nie und ich war mir sicher, dass Luc daran nicht ganz unschuldig war.
»Ich möchte, dass das Hier so schnell wie möglich endet. Wenn das die einzige Möglichkeit ist ...«
Ich zögerte einen Moment bevor ich weiter sprach.
»... dann werde ich die Verlobte spielen.«
Marco grinste breit wodurch seine spitzen Eckzähne zum Vorschein kamen, die mir nicht natürlich spitz schienen, aber zu ihm passten. Luc nickte knapp und widmete sich wieder seinem Wein. »In Ordnung ich treffe alle nötigen Vorbereitungen.«
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