Kapitel 32
Helen
»Du erinnerst dich an unsere erste Begegnung?«, fragte Luc vorsichtig. Ein Schock durchfuhr mich. Würde er mir nun erzählen, was genau ich gesehen hatte?
»Einige Leute wollen sich an mir rächen. Einer von ihnen hat dich in meinem Büro gesehen.« Ich merkte, wie meine Augen etwas größer wurden. Der Mann mit dem Blut an der Schläfe böse? Hatte ich das richtig verstanden? War ich deswegen in Gefahr? Gab es deswegen diese eigenartige Abmachung mit Jane?
»Ich weiß nicht, was sie vor haben. Ich weiß lediglich, dass einer von ihnen in deiner Nähe ist.«
»Was?«, fragte ich entsetz.
»Es wäre zu gefährlich dir zu sagen, wer es ist. So lang sie nicht wissen, dass wir sie entdeckt haben, sollte alles sicher sein.« Luc schien mich zu lesen, wie ein offenes Buch. Die Fragen mussten mir ins Gesicht geschrieben stehen. Ich hätte nicht gedacht, dass Luc so offen mit mir sein würde. Es musste ihm wirklich ernst sein, wenn er sich so verhielt.
»Warum erzählst du mir das alles?«, fragte ich leise, unsicher ob ich eine Antwort wollte. Luc warf mir einen vorsichtigen aber prüfenden Blick zu. »Es wäre wie eine Einladung für sie, wenn du dich falsch verhältst, aktiv zu werden. Ich möchte dich in Sicherheit wissen.« Luc schien mir auf eine Art die Situation zu erklären, zeitgleich aber sagte er nicht wirklich etwas über die Situation, in der ich mich ungewollt befand. Sein letzten Worte trieben das unruhige Kribbeln in mir an und ließen Hitze in mir aufsteigen.
Ich schluckte schwer. Warum hatte ich mich in sein Büro verirren müssen?
»Da sie eh schon wissen, dass wir Kontakt zu einander haben, müssen wir sie wissen lassen, dass du unter meinem Schutz stehst.« Ich fand seine Wortwahl komisch. Wer würde heutzutage noch so reden? Es wirkte auf mich sehr veraltet. Mein Blick fiel wieder auf die Waffe. Ich hatte fast den kleinen Revolver auf der Küchenzeile vergessen. Den hatte Luc wohl nicht ohne Grund bei sich.
»Hast du dich beruhigt?« Ich nickte langsam und schluckte, um meine Kehle zu befeuchten. Warum er hier war hatte er mir noch nicht gesagt und das würde er wohl auch nicht, denn Luc ging bereits suchend durch mein Zimmer. Ohne zu fragen öffnete er meinen Schrank. Entrüstet ging ich zu ihm. „Was machst du da?", wollte ich wissen. Er nahm meine beige Reisetasche mit den dunkelbraunen Griffen hervor, und ließ sie auf den Boden fallen. Sich nicht daran störend, dass ich ihn empört anblickte und meine Tasche aufhob, machte er die nächste Schranktür auf.
Er nahm mehrere Jeanshosen und Oberteile aus meinem Schrank und war dabei die nächste Tür zu öffnen, worauf ich die Tasche wieder fallen ließ, um ihn davon abzuhalten. Die nächste Tür würde ich ihn nicht öffnen lassen, egal was passierte. Sein Gesicht hatte die typische Kälte verloren, was ihn aber nicht weniger unbekümmert aussehen ließ, während er mich schräg von oben musterte. Seine Augen glitten über mein Gesicht und wanderten zu meiner Hand die ich auf seinen ausgestreckten Arm gelegt hatte, um ihn davon abzuhalten, meinen Schrank zu durchsuchen.
Über mich selbst überrascht, nahm ich die Hand weg. War das wirklich ich gewesen, oder war es Jane? War Jane kurz aufgetaucht und hatte übernommen? Ich schüttelte benommen den Kopf. Langsam blickte ich zu Luc auf. Meine Augenbrauen waren spürbar zusammen gezogen. Ich setzte zum Sprechen an, doch Lucs dunkelbraunen Augen musterten mich so intensiv, das ich mich nicht mehr traute.
Ich bemerkte das kurze Zucken von Lucs Schultern. Auch seine Mundwinkel hatte sich etwas gehoben. »Möchtest du etwas sagen?« Etwas trotzig zog ich meine Augenbrauen noch tiefer zusammen.
„Kannst du das bitte lassen", sagte ich schüchtern.
»Darf ich deine Tasche nicht packen?« Energisch schüttelte ich den Kopf. Wofür überhaupt? Wie kam er auf die Idee meine Tasche zu packen? Ich wüsste nicht, dass ich geplant hatte irgendwohin zu gehen.
»Dann pack du bitte weiter.« Nach einer Antwort suchend, weshalb ich meine Tasche packen sollte, blickte ich in seine braunen Augen, die mir ungewohnt freundlich erschienen.
»Du wirst zu mir ziehen.« Entrüstung spiegelte sich in meinem Gesicht wieder. Diesmal hoben sich Lucs Mundwinkel nicht. Ich schüttelte langsam den Kopf. „Nein." Sofort sammelte ich die Reisetasche auf und stopfte sie zurück in den Schrank. Nie im Leben werde ich bei ihm einziehen. Er hatte eine Waffe sehr wahrscheinlich illegal bei sich. Nichts würde mich dazu bringen zu ihm zu ziehen. Luc beobachtete mich, während ich ungehalten an ihm vorbei stapfte und meine Kleidung zurück in den Schrank legte.
Dieser Mann weckte Gefühle in mir, dessen Stärke ich nicht gewohnt war. Ich war schon lang nicht so sauer gewesen wie jetzt. Luc blieb nicht untätig, während ich an ihm vorbei getrampelt war und holte die Tasche wieder hervor. Ein Laut des Unglaubens stahl sich von meinen Lippen. Fast schon erstaunt blickte Luc mich an, bereits drauf und dran Sachen in die Tasche zu packen. Ich entriss ihm die Tasche. Meine Wut konnte ich nun nicht mehr zurückhalten. Der Zorn ließ meine Hände sich zu Fäusten ballen und verleitete mich Luc ohne Hemmung böse anzustarren. Es reichte mir. Wie konnte er sich so aufführen? Machte er sich über mich lustig? Er würde schon noch sehen, was er davon hatte.
„Wenn du nicht gleich gehst, rufe ich die Polizei", sagte ich klein laut. Er warf nur einen flüchtigen Blick auf mich und stieß Luft durch seine Nase aus. Ich nahm mein Handy und wählte 110, ohne aber auf den grünen Hörer zu tippen. Ich blickte zu Luc, und zeigte ihm das Display des Handys.
»Was glaubst du, warum ich das mache? Ich habe auch kein Interesse daran mehr Zeit als nötig mit dir zu verbringen.« Seine Worte sorgte für einen kleinen Stich. Als hätte ich ihn darum gebeten. Was nahm er sich heraus? Mit wachsender Wut wanderte mein Daum in Richtung des grünen Hörers.
»Ich wollte sehen, ob alles gut ist, da ich ein verdächtiges Auto auf der Straße gesehen habe.« Mein Blick huschte zum Fenster und wieder zu Luc.
»Als ich in dem Stockwerk ankam, sah ich zwei schwarz gekleideten Männer mit einer Cap, der an deiner Tür war. Sie sind mir entwischt. Ich habe sie durch das ganze Treppenhaus verfolgt. Sie sprangen in ein Auto und fuhr davon.«
Ich war Lucs Erzählung aufmerksam gefolgt. Ich hatte meinen Arm hängenlassen und mein Vorhaben, Luc der Polizei zu melden, war vergessen. Jemand war an meiner Tür? Davon hatte ich nichts mitbekommen. Ich hatte keinen Grund Luc nicht zu glauben. Meine Geige war wahrscheinlich zu laut gewesen und ich war in Gedanken gewesen, weshalb ich es wahrscheinlich nicht mitbekommen hatte. Ich spürte mein Herz schneller schlagen. Wollte hier tatsächlich jemand einbrechen? Warum ausgerechnet bei mir? Und ich hätte es nicht mitbekommen.
War die schwarz gekleidete Männer diese Leute, von denen Luc sprach? Es pikste unangenehm in meiner Brust. Erschrocken stieß ich Luft aus und hielt eine Hand an mein Herz, um das Piken zu lindern. Ich schielte zur Tür und kniff die Augen zusammen als klirrendes Glas und lautes Krachen in meinem Kopf hallte.
Ich hatte keine Kontrolle mehr über meine Atmung. Meine Beine gaben nach und ich hielt mir die Hände über die Ohren, in der Hoffnung das schmerzhafte Klingeln darin zu stoppen.
»Helen?« Lucs warme Stimme drang kaum durch das laute Klingeln zu mir. Er musste in weiter Ferne sein.
»Helen, ist alles okay?« Ich hörte meine eigne hektische Atmung. Das einzige worauf ich achten konnte, war mein immer schneller werdendes Herz, welches unangenehm in meinem Brustkorb sprang.
»Helen. Hörst du mich?« Ja.
»Beruhig dich. Es ist alles gut.« Nein. Nein ist es nicht. Ich war hilflos. Wie damals.
»Du bist nicht allein.« Ich spürte eine warme große Hand, die sich um meine Schultern legte und meinen Arm fest drückte. Ich spürte die Wärme, welche von seinem Körper ausging, so nah musste Luc mir sein. Sacht und beruhigend streichelte Luc meinen Oberarm. Ich war mir nicht sicher, wie lange wir so zwischen Bett und Küche auf dem Boden kauerten, aber irgendwann, nachdem ein Fluss heißer Tränen meine Wange herab geronnen war und ein Beben nach dem anderen mein Körper durchfahren hatte, hatte ich mich beruhigt.
»Geht es wieder?« Sanft tätschelte Luc meinen Arm. Kraftlos nickte ich.
»Ruh dich aus. Wir reden morgen weiter.« Luc half mir auf und brachte mich zum Bett. Er schlug die Decke zurück, ich legte mich hin und vorsichtig deckte er mich zu, um sich dann zum Gehen zu wenden. Erschöpft, ohne darüber nachzudenken, griff ich nach seiner Hand. Luc blickte zu mir zurück. Langsam kam er wieder auf mich zu und setzte sich neben mein Bett.
„Du hast gesagt ich bin nicht allein", sagte ich und spürte erneut sich anbahnende brennende Tränen.
»Ich bleibe hier. Jetzt schlaf.« Langsam nickte ich. Schlaf war das Einzige, an das ich denken konnte. Mit der beruhigenden Wärme von Lucs Hand auf meiner schlief ich ein, bevor ich noch einen klaren Gedanken fassen konnte.
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