Kapitel 31
Helen
In den vergangenen Tagen hatte mich nicht Mr. Capello, oder Luc, wie ich ihn von jetzt an nennen sollte, sonder Marco gefahren. Er hatte die gesamte Fahrt aus dem Nähkästchen geplaudert. Luc hätte etwas zu erledigen, er würde sich Sorgen machen und müsse sichergehen.
Ich wusste nicht im Geringsten worüber Marco sprach, ich hatte aber auch keine Zeit Fragen zu stellen, da er gleich munter weitersprach. Aber ich fand es nicht schlimm, dass Marco mich ab und zu fuhr. Ich mochte Marco. Er machte Späße mit mir und brachte mich dadurch zum Lachen.
Wenn Marco verhindert war, stieg ich zu einem riesigen, grimmig dreinblicken Mann ins Auto. Carlos. Nun wusste ich auch was Marco gemeint hatte vor einigen Tagen. Carlos wechselte während der Fahrt nicht ein einziges Wort mit mir, was mich ungemütlich auf dem Sitz hin und her rutschen ließ, bis er mir einen tödlichen Blick zu warf und ich schwer schluckend still saß. Ich hätte nicht gedacht, dass ich es bevorzugen würde lieber mit Luc zu fahren.
Carlos Oberarme schienen vor Muskelmasse beinahe zu platzen. Zumindest wirkte es so auf mich, weshalb ich in keiner Weise seine Aufmerksamkeit auf mich lenken wollte.
Gestern hatte ich Kathi und Ben überzeugen können, am Wochenende Paintball zu spielen. Maja ließ mir keine Wahl. Die letzten Tage hatte sie mir in den Ohren gelegen, doch bitte mitzumachen und ich hatte ihr widerstrebend zugesagt.
Meine Gedanken rauschten wie die wütende See durch meinen Kopf. Ich schüttelte den Kopf und konzentrierte mich wieder auf meine Geige.
Ich spielte einige Stücke, die wir heute in der Uni gespielt hatten und übte für das Ensemble. Es war bereits spät und draußen war es stockdunkel. Kaum, dass ich meine Violine abgelegt hatte, um die nächste Seite zu richten, hörte ich ein lautes Poltern an meiner Tür.
Ich zuckte erschrocken zusammen und starrte die Tür an. Nach einem Augenblick der Stille legte ich meine Geige auf meinem Bett ab und schlich zitternd zur Tür.
Eine Weile lang war es still und ich dachte ich hatte mich verhört, als es plötzlich erneut polterte. Ich erschreckte mich so sehr, dass mir ein quietschen entkam. Schnell presst ich beide Hände auf meinen Mund. Mein Herz klopfte rasant und hämmerte gegen meine Brust. Was war das? Oh mein Gott? Was geschah hier? Ich war allein. Was wen hier jemand gerade einbrechen wollte. Meine Atmung wurde immer schnell und ich spürte den Vertrauten Schwindel. Ich sah mich hektisch um, nach irgendetwas, das ich benutzen konnte um ... ja was hatte ich dann damit vor?
Das Poltern ließ nicht nach und langsam aber sicher nahm ich es als ein energisches Klopfen war. Wahrscheinlich war es nur ein Nachbar, der wegen der Lautstärke ungehalten war, immerhin war es schon spät am Abend. Das musste es sein.
Ich lachte, immer noch leicht hysterisch über mich selbst. Mit leisen Schritten ging ich auf die Tür zu und entsperrte sie, um zu sehen wer vor der Tür stand. Die Tür wurde, sobald das Klicken beim Entsperren erklang, aufgestoßen. Ich schrie vor Schreck auf und machte ein paar Schritte zurück.
Luc stand in der Tür. Seine Augen funkelten gefährlich und seine Atmung war schwer. Seine Haare, die mich manchmal an eine längst vergangene Zeit erinnerten, waren nicht wie sonst, ordentlich frisiert, sondern hingen ihm unordentlich in die Stirn. Das Jackett war offen, das Hemd saß unordentlich und die Krawatte hatte sich ein Stück gelöst. Seine dunklen Augen schienen erst mich, dann meine Wohnung zu scannen.
Was... was war hier los? Was machte er hier? Warum klopfte er an meine Tür, wo er doch einfach hätte anrufen oder schreiben können? Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Warum sah Luc aus als sei er gerade Kilometer weit gelaufen? Die Gedanken in meinem Kopf überschlugen sich. Es fühlte sich an als würden mehrere Menschen wild miteinander diskutieren. Lucs intensiver Blick ließ mich unwohl fühlen, aber in mir machte sich keine Angst breit. Im Gegenteil. Dass Luc hier war gab mir plötzlich ein Gefühl der Sicherheit.
Meine Atmung, von der ich gar nicht mitbekommen hatte, dass sie stockte, setzte wieder ein.
»Geht es dir gut?« Luc war außer Atem. Seine starken Schultern hoben und senkten sich deutlich.
Es war das erste Mal, dass ich Luc so sah. Langsam schüttelte ich den Kopf. Wie sollte es mir gut gehen? Was hatte Luc, der sonst immer so gelassen und beinahe gleichgültig war, dazu veranlasst so vor meiner Tür zu stehen? Was war dieser Krach vor meiner Tür? Warum fragte er mich überhaupt, ob es mir gut ging?
Luc betrat meine Wohnung ohne zu fragen und schloss die Tür hinter sich.
»Bist du allein?«
Ich nickte ich, während ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten und zu verstehen was vor sich ging.
Scheinbar war meine Antwort nicht genug, denn Luc schlich wie eine Raubkatze durch meine Wohnung und suchte jeden Zentimeter ab. Erst als er wirklich alles kontrolliert hatte, schien er sich etwas zu entspannen.
Er atmete das erste Mal durch, seit er wie ein Verrückter an meine Tür geklopft hatte. Luc war immer noch angespannt. Mit einer Hand kratzte er sich an seiner Stirn, wobei sein Jackett verrutschte, als er seinen Arm hob. Meine Augen blieben ungewollt an einem schwarzen Griff hängen, der seitlich aus seiner Hose ragte. Ein Griff der mir nur allzu vertraut war.
Thomas arbeitet als Polizist, also hatte ich schon die ein oder Waffe gesehen. Ich sah zu Lucs Gesicht auf. Er blickte auf den Boden und sah aus, als wäre er in Gedanken vertieft. Ich wich einige Schritte zurück. Mein Herz pochte aufgeregt.
Hätte ich genug Zeit wegzulaufen? Er war gerade abgelenkt. Er würde nicht erwarten, dass ich weglief. Doch bevor ich meinen irrsinnigen Plan durchdenken konnte, denn wie sollte ich vor Luc weglaufen, im Handumdrehen hätte er mich wieder eingeholt, zog meine Bewegung Lucs Aufmerksamkeit auf mich.
Ich blieb stehen, als würde er damit sein Interesse an mir wieder verlieren. Genau das Gegenteil passierte. Sein Blick wurde forschend. Er schien mein Verhalten genauso wenig zu verstehen, wie ich sein Verhalten verstand. Warum hatte er eine Waffe dabei? Warum war er so außer Atem gewesen? Hatte er einen Kampf gehabt? Aber ich hatte keine Schüsse gehört und Luc war auch nicht verletzt. Also eher eine Verfolgung? Aber wen hatte er verfolgt? Oder wurde er verfolgt? Warum war er dann zu mir gestürmt? Zumindest wirkte es so auf mich. Suchte er bei mir Schutz? War es das?
Immer mehr Fragen bahnten sich ihren Weg in den Gesankenstrudel. Ich konnte mir nur schwer vorstellen, dass er wie Thomas ein Polizist war, und er legaler Weise eine Waffe bei sich trug. Der prasselnde Regen an Fragen wurden augenblicklich gestoppt, als die Erinnerung an die Nacht des Vorspiels meine Gedanken, wie ein greller Blitz, zerriss.
Sie scheuchte einen kalten Schauer über meinen Rücken, der eine Gänsehaut auf meinen Armen verursachte. Ich wusste nicht was oder wer Luc war, aber eins stand fest Luc Capello war kein Polizist. Er war in meiner Wohnung und hatte eine Waffe bei sich.
Lucs kastanienbraunen Augen wurde kaum merklich schmaler. Er kam auf mich zu, und diesmal wirklich verängstig, wich ich einen Schritt zurück. Ungläubig legte er den Kopf schief.
»Hast du Angst vor mir?« Ich schluckte schwer anstatt etwas zu sagen. Luc schnaubte verächtlich.
»Weißt du, was ich für einen Stress wegen dir habe?« Er kam einige Schritte auf mich zu.
Aus mir brach ein zurückgehaltenes Quietschen, als ich mehrere Schritte zurück wich. Luc machte einen weiteren Schritt auf mich zu und wieder wich ich einen Schritt zurück, mit erhobenen Armen, als könnte ich mich so vor ihm schützen. »Bleib wo du bist!«, sagte ich, wobei es mehr einem Kreischen glich. Mein Atem stockte zum wiederholten Mal, als ich die harte Oberfläche der Wohnungstür in meinem Rücken spürte.
Luc kam weiter auf mich zu und ich konnte nicht weiter zurück weichen.
»Geh!«Panisch suchten meine Augen nach etwas, dass mir helfen könnte. Luc bewegte seine Hand. Ich kniff meine Augen zu, weshalb die Tränen endlich über meine Wangen liefen und ich konnte nicht anders, als eine gezogene Waffe zu erwarten.
Ich schüttelte hysterisch mit dem Kopf und ein Wimmer brach aus mir hervor. Ein Zittern erfasst meinen Körper und ich betete, dass er mich nicht umbringen würde.
Als nichts geschah und ich nichts hörte, öffnete ich meine Augen. Luc stand direkt vor mir. Eine weitere Träne lief meine Wange runter. Langsam hob er seine Hand in Richtung meines Gesichts. Ich war zu verängstigt ich konnte mich nicht bewegen. Ich war wie eingefroren.
Mit dem Rücken seiner Finger wischte er sanft die Träne von meiner Wange. Ich zuckte unter seiner Berührung zusammen. Ganz langsam nahm Luc seine Hand wieder weg. Ich blickte zu ihm auf. Sein Gesichtsausdruck schien das erste Mal, seit ich Luc kannte, aufrichtig.
In seinen Augen stand Besorgnis. Er sah mich direkt an und schien nach einem Grund für meine Angst zu suchen. Meine Augen wanderten langsame zu seinem Gürtel. Würde ich es schaffen ihm die Waffe weg zu nehmen? Wäre das schlau? Jane könnte es mit Sicherheit. Aber ich? Weshalb war Jane noch nicht aufgetaucht? Jetzt da ich sie brauchte.
Luc bewegte sich von mir weg. Er griff hinter seinen Rücken. Da, wo die Waffe war. Er nahm die Waffe hervor und ich presste mich gegen die Tür, als würde ich so genug Abstand zwischen uns bringen können und rechnet bereits mit einem Schuss, aber er zielt nicht auf mich.
Viel mehr sah es so aus als, würde er sie mir zeigen wollen. Die Waffe baumelte an seinem Zeigefinger herunter. Sie schwang von links nach rechts und wieder zurück. Dann legte er sie auf der Küchenzeile ab.
»Es tut mir leid. Ich wollte dir wirklich keine Angst einjagen.« Ich sah zu der Waffe und wieder zu Luc.
»Gibst du mir die Möglichkeit mich zu erklären?« Wieder huschte mein Blick zu der Waffe. Meine Atmung zitterte genauso wie meine Beine. Luc ging einige Schritte weiter in das Zimmer rein, weg von der Waffe.
Ein riesiger Kloß in meinem Hals machte es mir schwer ruhig zu atmen. Meine Hände waren eiskalt und die Innenflächen waren nass vor Angstschweiß. Langsam nickte ich und verstand nicht warum ich es ihm erlaubte.
»Möchtest du meinen Waffenschein sehen?«, fragte er direkt. Also durfte er die Waffe legal besitzen? Ich war mir unsicher, ob ich ihm glauben konnte. Luc wirkte nicht wie ein vertrauenswürdiger Mann. Jetzt erst recht nicht mehr. Ich war sicher, dass er log.
Luc begann genervt in seiner Tasche zu kramen, und ich hob beschwichtigend die Arme. »Schon okay. Du brauchst es mir nicht zeigen«, sagte ich in der Hoffnung ihn abzuwimmeln und aus der Wohnung zu kommen, in die ich ihn nicht gebeten hatte.
Ob er die Waffe nun legal bei sich trug oder nicht, ich würde eh nichts daran ändern können. Luc steckte die halb rausgezogene Geldbörse wieder zurück.
»Hör zu. Ich versuche es dir so simpel wie möglich zu erklären«, begann er mit ruhiger Stimme und mir tief in die Augen blickend.
»Was ... was denn?«, fragte ich leicht stotternd.
»Einige böse Menschen, wollen mir das Leben etwas schwerer machen«, redete er weiter. Ich blickte ihn abwartend an, während ich versuchte meine Atmung zu kontrollieren, denn ich bemerkte das immer stärk werdende Schwindelgefühl von zu viel Sauerstoff.
»Sie sind etwas eingeschnappt.« Ich wartete seine nächsten Worte ab, um zu verstehen, was er mir sagen wollte. Ein extrem ungutes Gefühl bereitet sich in mir aus und legte sich schwer auf mein Brust, als Luc weitersprach.
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