Kapitel 20
Luc
Ich hatte sie von weither erkannt. Langes, leicht gelocktes Haar. Kleine zierliche Statur. Ich wusste wer sie war. Es war sehr unglücklich, Jane bereits wieder zu treffen. Der Vorfall hatte sich noch nicht gelegt. Palazzo war immer noch extrem sauer, dass wir seine Ware an uns genommen und weiterverkauft hatten.
Außerdem stand Palazzos Auftragsarbeiter nicht mehr zur Verfügung. Der Schatten von Palazzo, wie man ihn die letzten Jahre nannte. Ein eigentlich unabhängiger, sehr begabter Mann, der für meinen Geschmack zu viel mit Palazzo arbeitete, um weiter als unabhängig zu gelten, sich zu viel in unserem Gebiet aufhielt und mit seiner Nase zu häufig in meinen Geschäften steckte.
Ich hatte den Schatten gewarnt, hatte ihm gesagt sich zu entfernen, hatte ihm nicht mal verboten mit Palazzo zu arbeiten. Ich wusste, dass es ihm ein sicheres und vor allem gutes Einkommen brachte. Der Schatten aber entschied sich mich zu ignorieren, bis er mir seinen Tod angeboten hatte.
Bei einem vermeintlich freundschaftlichen Beisammensein, sagte er fast schon überheblich, wenn ich so sehr wollte, dass er sich nicht einmischte, unsere Geschäft nicht sabotiert, indem er Palazzo unsere Händler meldete, dann solle ich ihn doch davon abhalten. Das hatte ich getan. Mein Wort nicht zu achten, mich sogar zu bedrohen und lächerlich zu machen, hatte ihm sein Atem auf Ewig genommen.
Es regnete täglich Drohungen. Aber wir stritten alle Vorwürfe ab, denn sämtliche Zeugen oder Beweise wurden beseitigt. Bis auf Scotty. Palazzos liebste Ratte.
Sie hatten nichts, worauf sie sich stützen konnten. Scotty hatte versucht Informationen zu bekommen und wurde erwischt. Ich wollte mit ihm verhandeln. Ein klärendes Gespräch führen. Das aktuelle Kriegsbeil begraben.
Doch dann platze Jane rein, sah wohlmöglich die Waffen, das Geld und ihr Gesicht war Scottys einzige Information, die er bekommen hatte. Etwas so wertvolles für Palazzo. Das Gesicht einer Frau in meiner Nähe.
Das war aber nichts womit sie andere Familien auf ihre Seiten bringen konnten. Niemand würde sich ohne Beweise aktiv gegen uns werden. Jeder wusste, dass es in einen Familien übergreifenden Krieg ausarten würde. Doch es bedeutet einen wohl möglichen Schwachpunkt von mir und somit eine Gefahr für Jane
Noch unglücklicher war die Tatsache, dass andere mir sehr wohl bekannte Menschen ebenfalls hier waren. In diesen Kreisen war niemand sauber. Die Meisten waren entweder in Korruption, Briefkästenfirmen oder anderen illegalen Machenschaften verwickelt. Alles in Allem hätte es kaum schlechtere Bedingungen für ein Event geben können, von dem Jane und ich Teil waren.
Ich saß auf dem etwas abgeschottetem Rang, ganz hinten im Saal, zusammen mit von Geld schweren Geschäftsmännern und hing meinen eigenen Gedanken nach.
»Mr. Capello, Sie sind so abwesend. Schmeckt Ihnen der Wein nicht?« John Ternell sprach mit schmutziger Raucherstimme. Müde sah ich zu ihm.
Auch wir handelten mit John Ternell, wenngleich er ein dreckiges Arschloch war, mit Alkohol- und Drogenproblem, was sein dauerndes Schniefen bewies.
Allerdings kamen wir über ihn extrem leicht an Waffen. Er hatte grandiose Beziehungen, was ihm das Sagen am Hafen verschaffte. Wir kamen also nicht um Geschäfte mit ihm herum.
Ich neigte meinen Kopf und verzog meinen Mund zu einem Lächeln. »Doch. Der Wein ist gut.« Ich betrachtet das Glas in meiner Hand. »Die Gesellschaft allerdings langweilt mich.« Herausfordernd sah ich zu ihm rüber. Mein rechter Mundwinkel hob sich zufrieden, als ich in das säuerlich verzogene Gesicht sah.
»Wieder besonders witzig der Jungspund«, sagte Ternell ungehalten. Er hatte nicht ganz unrecht. Um mich herum waren lauter alte Männer in ihren Fünfzigern. Mit einer bejahenden Geste quittierte ich seine Aussage. Ich hatte eine angespannte Stimmung erschaffen. Die anderen Gäste mit uns am Tische wollten sich Ternell anschließen, Bonuspunkte sammeln und sich mit ihm gut stellen, doch sie trauten sich nicht. Selbst wenn ich ein Jungspund war, sie waren sich durchaus bewusst, mit wem sie sich anlegen würden.
Dass ich Palazzos Schatten getötet hatte, sorgte neben meinem ohnehin schon besonderem Ruf für viel Aufruhe. Selbst wenn wir es abstritten, es war mehr als offensichtlich und hatte schnell die Runde gemacht. Denn der Schatten war nicht irgendwer und man tötete ihn nicht einfach so. Er aber hatte mich provoziert.
»Ich möchte nicht weiter das offene Gespräch hemmen. Nur zu.« Mit dem Glas in meiner Hand stand ich auf und lächelte ermunternd in die Runde. Einige Köpf waren starr geradeaus gerichtet, andere nach unten geneigten. Ternell sah mich missbilligend an. Schmunzelnd wandte ich mich zum Gehen.
Es war der perfekte Moment Nachforschungen anzustellen. Ich brauchte mehr Informationen über Jane oder Helen. So lang Palazzos Schatten Thema war, musste ich Jane schützen. Sie war jetzt darin involviert und das ohne es zu wissen. Ich wollte dringend das Namensrätsel abschließend klären. Ich konnte nicht akzeptieren, dass sie mich einfach versucht hatte hinters Licht zu führen. Außerdem würde Paola wohl noch etwas Zeit benötigen sich in die ganzen Datenbanken einzuklinken.
Mr. Bannet hatte mir erzählt, das Ensemble, in dem auch Jane spielte, bestünde aus Studierenden der Universität, an die er regelmäßig Gelder spendete. Diese Information hatte ich gleich an Paola weitergeleitet. Eine Sache mehr, in der ich und Mr. Bannet die gleichen Ansicht vertraten. Ich liebte klassische Musik. Sie gab mir Entspannung, etwas in dessen Genuss ich nur selten kam.
Außerdem erinnerte es mich an gute Zeiten mit meinen Eltern. Ich selbst zahlte daher jedes Semester für ein Stipendium. Schon öfter hatte ich mich dafür mit einem Professor unterhalten, der elternlosen Kindern kostenlosen Klavierunterricht gab. Er war es, der mit zwei Männern in ein Gespräch vertieft war und auf den ich zielstrebig zu ging.
Mr. Harnos Blick fiel auf mich. Er hob sein Glas und lächelte mir zu. Ich erwiderte das Lächeln und schloss mich der Unterhaltung an.
»Meine Lieben, das ist Mr. Capello er arbeitet ehrenamtlich im Waisenheim Villa Kunterbunt.« Mr. Harno hatte einen Arm um meine Schulter gelegt und stelle mich freudig seinen Freunden vor. Ich gab Beiden lächelnd die Hand. Scheinbar waren sie ebenfalls Pianisten und lehrten an der Universität. Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile, bis sich Mr. Harnos Freunde verabschiedeten und wieder an dem öffentlichenTeil der Gala teilnahmen, der unten im Saal stattfand. Es waren einige Journalisten dort. Diese hatten zu den Rängen keinen Zugang und sich auf dieser Gala sehen zu lassen, war gute Publicity.
Ich stellte mich an das Geländer, welches aus einer halbhohen, dicken, oben abgerundeten Wand bestand und blickte auf das Ensemble runter. Mr. Harno stellte sich zu mir und folgte meinem Blick. Ich musterte Jane genauer. Vorhin wirkte sie wie im Restaurant, bevor sie in Ohnmacht gefallen war. Ihre Körpersprache war geschlossener und dezenter. Sie hatte den Augenkontakt sofort unterbrochen und dann nicht mehr aufgesehen. Ihr Verhalten war anders gewesen, zurückhaltend und vorsichtig fast schon ängstlich. So wie in jenem kurzen Augenblick, auf der kleinen Bühne im Restaurant. Ich war mir sicher sie hatte mich ebenfalls erkannt.
»Wer ist das Mädchen in der letzten Reihe?«, fragte ich so neutral wie möglich. Dabei schwenkte ich den roten Wein in meinem Glas.
»Haben Sie Interesse an ihr?«, fragte Mr. Harno belustigt. Der kühle Glasrand berührte meine Lippen, als ich einen Schluck nahm und die liebliche Flüssigkeit in meinen Mund floss. Mein Blick war immer noch auf Jane gerichtet. »Nein.« Ich ließ meine Antwort gleichgültig und kalt klingen.
»Warum fragen Sie dann?« Mr. Harno hatte sich seitlich zu dem Geländer positioniert, einen Arm darauf abgestützt und musterte mich witzelnd.
Ich lehnte meine Unterarme ebenfalls auf dem Geländer ab und löste meinen Blick von Jane. Stattdessen musterte ich mein Glas und das edle Weinrot darin. »Sie ist gut«, sagte ich schlicht und drehte das Glas, in dem die dunkelrote Flüssigkeit durch das darauf fallende Licht leuchtete.
Mr. Harno lachte kurz auf, weshalb ich mich ihm zu wandte. Er blickte auf den Fußboden und schüttelte den Kopf.
»Sie war beim Vorspiel in der Universität. Sie war grandios, ihre Auswahl und Interpretation der Stücke besonders.« Mr. Harno blickte träumerisch auf Jane runter. Auch ich schaute wieder zu ihr herab, gespannt was Mr. Harnos Worten folgen würde.
»Aber der Rektor hat sie durchfallen lassen.« Ich legte den Kopf schief. »Weshalb?«
»Sehen Sie sie? Die erste Geige ganz vorn?« Mr. Harno deutet auf das unnatürliche Mädchen von vorhin, welches mich mit einem groteskem Lächeln bedacht hatte.
»Sie ist die Tochter eines Unternehmers, der viel Geld an die Musikhochschule spendet. Ihr Platz war also schon sicher. Daher musste sie auch nicht am Vorspiel teilnehmen. Dieses Vorspiel letzte Woche war ein Nachrückverfahren, da zwei Plätze frei geworden waren, einer davon ging sofort an Claire Smith. Die Aufnahmen von Helen Bold hatte also nicht groß Priorität, schließlich wollte man seine Geldgeber nicht vergraulen.«
»Helen?«, hackte ich nach. Mr. Harno blickte zu mir und gab ein zustimmendes Geräusch. »Helen Bold ist der Name der jungen Damen, nach der Sie fragten.« Ich blickte wieder zu Jane beziehungsweise Helen. Hatte sie mit mir gespielt? Hatte sie mir einfach einen anderen Namen genannt? Vielleicht, weil sie tatsächlich etwas gesehen hatte? Ich lehnte mich wieder auf das Geländer. Bisher hatte ich den Namen Jane nur von ihr gehört und indirekt auch von ihrem Freund, was mich daran zweifeln ließ, dass sie mich wissentlich belogen hatte. Oder gab es doch einen anderen Grund? Der Wein schwang elegant in dem Glas.
Ich schnaubte. Es war eine Mischung aus Erstaunen und Belustigung. Es machten die gesamte Situation noch spannender, als sie es ohnehin schon war. In meinem Studium hatte ich von Krankheiten mit starker Persönlichkeitsänderung gehört. Lächelnd nahm ich einen Schluck des fruchtigen Weines, der plötzlich viel süßer schmeckte, ohne Helen(!) aus den Augen zu lassen. Interessant.
»Sir, wünschen Sie noch Wein?« Ein Keller kam zu uns mit einem Tablett in der Hand. Darauf Gläser und eine Flasche Wein. Ich trank mein Glas aus und stellte es auf seinem Tablett ab.
»Später. Sagen Sie dem Ensemble, dass ich gerne eine Violinsonate hören möchte.« Ich lächelte höflich.
»Natürlich.« Der Kellner lief sofort los. Ich sah wieder auf das Ensemble runter.
»Die erste Geige überzeugt mich nicht«, sagte ich kühl. Mr. Harno sog hörbar durch seine Nase Luft ein. »Ja. Die Technik ist gut, aber ihr Spiel ist nichts sagend. Sie spielt ausschließlich nach den Noten, ohne Persönlichkeit.« Ich nickte langsam. »Eigentlich wäre sie nicht angenommen worden?«, fragte ich gezielt nach.
»Nein.« Mr. Harnos kurze Antwort klang belustigt. Lachend nahm er ein Schluck aus seinem Glas.
Meine Augen folgten einem Manager von Mr. Bannet. Das Mädchen, welches die erste Geige spielte lächelte. Alle anderen nahmen ihre Instrumente und verließen den Saal. Wenig später kamen sie wieder.
Der junge Mann der Helen vorhin auf der Bühne angesprochen hatte unterhielt sich kurz mit ihr und stellte sich dann zu anderen Studenten, die sich mit Dozenten unterhielten. Ich wandte mich an Mr. Harno »Entschuldigen Sie mich.« Mr. Harno nickte höflich und ich ging die Treppe runter.
Ich beobachtet, wie Jane sich auf die Bar zu bewegte und folgte ihr. Wenn möglich würde ich sie unbeobachtet sprechen wollen. Mir ließ es keine Ruhe. Ich wollte mehr Wissen zu ihrer Person haben. Ich war es nicht gewohnt keine Kontrolle über eine Person zu haben und zugegebener Maßen kratze es erheblich an meinem Ego, dass sie mir wie ein Aal durch die Finger geglitten und entwischt war, ohne, dass ich wirklich etwas über sie wusste.
In Schlangenlinien bahnte ich mir meinen Weg durch den Saal und sah Jane nun endlich vor mir. In eben dem Moment, als ich meine Hand hob, um sie anzusprechen, hatte Jane sich umgedreht und stieß nun gegen mich. Das Glas entleerte sich auf meinem Oberkörper und das leise Gerede um uns herum verstummte.
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