Kapitel 14
Helen
Ich fühlte mich im Liegen unwohl. Als wäre mir schwindelig. Ich spürte ein leichtes Hämmern in meinem Kopf, welches immer stärker wurde. Ich drehte mich in dem Bett und kniff meine Augen zusammen. Das grelle Licht ließ meine Kopfschmerzen noch schlimmer und stechender werden. Warum hatte ich solche Kopfschmerzen? Ich richtete mich langsam auf und der Schwindel nahm zu, gefolgt von Übelkeit. Vorsichtig öffnete ich die Augen. Mein Atem stockte für einen Moment und meine Augen weiteten sich erschrocken.
Die Tür des Kleiderschranks war offen. Auf dem Boden und auf dem Bett lagen Anziehsachen unordentlich verteilt. Meine Schminksachen waren geöffnet und die Pinsel lagen auf dem Tisch verstreut. Was war passiert? Ich versuchte mich zu erinnern. Die Kopfschmerzen hinderten mich daran und ich musste mich darauf konzentrieren nicht gleich zu erbrechen. Wage schimmerte eine Erinnerung vor meinem inneren Auge. Ich versuchte danach zu greifen, doch die Erinnerung schien mir immer wieder zu entwischen. Lichter und rote Stühle. Ich meinte etwas zu erkennen. Mehrere Menschen. War ich aufgeregt? Ich grub ein kleines Stück weiter.
Die Erinnerung erschlug mich. Sie schnellte wie ein Gummiband in mein Gedächtnis zurück, welches man zu weit gespannt hatte. Ich war beim Vorspiel in der Universität. Ich war zu meinem Job gegangen und traf auf diesen ... Mann. Ich erinnerte mich an die Situation, in die ich geplatzt war. An den bösen, überraschten Blick des Mannes, an das Blut an der Schläfe des Andere, an... Alle Farbe musste aus meinem Gesicht gewichen sein. Meine Erinnerung wurde wieder unklar und ich nahm das schwammige Gefühl wahr. Das Gefühl welches bedeutete ... Jane war wiedergekommen. Nach fünf Jahren. Ich war wieder schwach. Ich hatte es nicht allein geschafft. Wie damals war ich ...
Tränen schoßen in meine Augen und brachten sie zum Brennen. In großen Tropfen kullerten sie über meine Wangen und hinterließen salzige Spuren. Ich schluchzte und versuchte Luft zu holen. Ich atmete die Luft ruckartig ein und aus. Mein Zwerchfell hüpfte auf und ab. Ich bemerkte, wie meine Atmung immer hysterischer wurde. In meinem Bett sitzend schlang ich die Arme um meine angewinkelten Beine und presste sie an meinen Körper.
Ich wiegte mich vor und zurück. Ich wimmerte und schnappte nach Luft. Warum? Ich hatte es nicht für einen Monat geschafft. Nicht mal ein einzigen Monat wohnte ich allein. Wobei ich war gar nicht richtig allein gewesen. Ben und Kathi oder zumindest einer von beiden war immer bei mir gewesen. Nicht mal einen Tag konnte ich es alleine schaffen. Ich war wie immer zu schwach. Ich legte mein Kinn auf meine Knie und presste die Hände an meinen Kopf.
Wieder hatte ich versagt. Ich schlug mit den Handballen seitlich gegen meinen Schädel. Ich hatte alle enttäuscht. Andrea. Thomas. Ben. Kathi. Ich war ihr Vertrauen nicht wert. Ich war es nicht wert! Nicht wert aufgewacht zu sein! Ich begann zu hyperventilieren. Meine Atmung war hektisch. Trotzdem hatte ich das Gefühl zu wenig Sauerstoff zu bekommen. Ich suchte das Bett nach meinem Handy ab.
Tränen verschleierten meine Sicht. Mein Weinen wurde immer unkontrollierter. Ich stieß die Bettdecke von meinem Bett. Die Kissen flogen durch das Zimmer, doch ich fand das Handy nicht. Ich hämmerte weiter mit den Händen gegen meinen Kopf. Was sollte ich tun?
Achte auf eine ruhige Atmung. Dann wirst du allmählich wieder klar denken können.
Die ruhige warme Stimme von Dr. Hill hallte dumpf in meinem Kopf wieder. Ich setzte mich in den Schneidersitz, schloss die Augen und legte meine ungehemmt zitternden Hände auf meinen Bauch. Immer noch weinte ich, unerbittlich schluchzend und wimmernd. Ich atmete flach durch die Nase ein und stoßweise durch den Mund aus. Ich konzentrierte mich nur auf meine Atmung. Jeden anderen Gedanken verbannte ich hinter einer Mauer. Ein ... und Aus. Ein ...... und Aus. Meine Atmung wurde bei jedem Ein- und Ausatmen ruhiger. Das schwummrige Gefühle von zu viel Sauerstoff verschwand langsam. Die Tränen flossen nun still über meine Wangen.
Nach einer Weile, als ich mir sicher war, mich beruhigt zu haben, öffnete ich die Augen. Die Atemübung war bereits Routine in dieser Situation. Anfangs hatte ich bei Panikattacken keine Kontrolle gehabt. Ich hatte es nicht mal geschafft, den Gedanke zu fassen mich beruhigen zu müssen. Doch die viele Übung hatte bewirkt, dass ich es schaffte, ohne die Hilfe von anderen oder irgendwelcher Medikamente, mich wieder zu beruhigen. Zwar zitterte ich noch wegen des Adrenalins, welches durch meine Blutbahn geschossen war, aber ich konnte einiger Maßen klare Gedanken fassen.
Ich begann die Wohnung aufzuräumen. Ich ordnete die Kissen auf dem Bett und legte die Decke ordentlich zusammen. Dann begann ich die Kleidungsstücke aufzusammeln. Ich hob die Sachen vom Boden auf, schüttelte sie aus und hing sie wieder auf die Kleiderbügel, um sie im Schrank zu verstauen. Danach räumte ich den Schminktisch auf. Ich legte alles zurück an seinen Platz. Die Ohrringe, die ich von Andrea und Thomas zum Geburtstag bekommen hatte und einige Ringe lagen auf dem Tisch. Aus Versehen hatte ich beim Aufsammeln des Schmucks, damit ich ihn in der Schmuckkiste verstauen konnte, einen Ring fallen gelassen. Beim Aufheben sah ich mein Handy. Es lag unter dem Schminktisch auf dem Boden.
Ich hob es auf und tippte einmal auf den Bildschirm. 25 verpasste Anrufe. 36 Nachrichten aus zwei Chats. Jane ... was ... Ich entsperrt das Handy. Sowohl die Anrufe als auch die Nachrichten kamen von Kathi und Ben. Sie mussten sich schreckliche Sorgen gemacht haben. Ich kam unter dem Tisch hervor und rief Kathi an. Ich wusste nicht, ob sie gerade eine Vorlesung hatte, aber das war mir egal. Das Telefon klingelte eine Weile bis Kathi abnahm.
»Wer ist da?« Kathis Stimme war besorgt und vorsichtig. Ich stellte Kathi auf laut und schickte ihr eine Nachricht. Ich wollte mit ihr reden, aber ich war gerade zu aufgewühlt und so ein Kloß in meinem Hals und das Gefühl einer Blockade, dass ich es nicht schaffte zu sprechen.
»HELEN!« Kathi schrie vor Erleichterung in den Hörer. »Gott sei Dank! Ich hatte solche Angst du seist verschwunden!« Ich schrieb in den Chat. Verschwunden?
»Ja! Jane ... sie war ... Ach Helen ... « Es war ein Augenblick ruhig. »Helen ich bin noch in der Lerngruppe. Können wir uns nachher treffen? Ich sage Ben auch bescheid.« Ich nickte, auch wenn sie es nicht sehen konnte und tippte Okay in den Chat. Ich legte auf und sah auf das Handy in meinem Schoß.
Ich fühlte mich leer. Ich hasste das Gefühl. Nach einer Panikattacke hatte ich oft dieses Gefühl von Leere in mir. Ich wusste nicht was in mir vorging. Ich war nicht traurig, nicht wütend, nicht glücklich. Es war einfach nichts. Mir fiel das Tagebuch ein. Ich sah in meinem Handy nach. Doch es gab keinen Eintrag. Ich suchte in meinem Schreibtisch nach dem alten Tagebuch, doch auch dort befand sich kein Eintrag von Jane. Ich hatte keine Ahnung was gestern nach all dem passiert war.
***
Ich lief über den nicht so stark gefüllten Campus. Es war relativ kalt und da der gefallene Schnee schon fast vollständig geschmolzen war, war es zu der Kälte auch noch nass draußen. Diese Umstände machten es sehr ungemütlich. Es war ohnehin untypisch, dass im November schon so viel Schnee lag. Daher war es nicht weiter verwunderlich, dass er sofort wieder schmolz. Ich zog meine Schultern etwas hoch und den Kopf ein, als eine eisige Böe meine Haare aus dem Gesicht pustete. Das Café kam in Sicht und ich ging zielstrebig darauf zu.
Als ich die Tür öffnete, kam mir ein starker Geruch von geröstetem Kaffee entgegen. Das Café war schön eingerichtet. Der Tresen bestand aus massivem Holz. Von der Decke hingen schmale Holzplatten an dunkeln Ketten, auf denen dunkelgrüne Pflanzen mit großen, dicken Blättern platziert waren. Aus den Lautsprechern ertönten sanfte Indie-Pop Klänge. Rustikale Leuchtstrahler an der Decke erhellten das gemütliche Café.
Der Rest des Inventars sah zusammengewürfelt, aber dennoch passend aus. An einem Einzelplatz stand ein großer mit blauglänzendem Stoff bezogener Sessel. Weiter daneben ein Stuhl der aussah als würde er aus einem Antiquitätengeschäft stammen. Einige Studenten hatte sich mit ihre Laptops niedergelassen. Es wirkte alles super kuschlig und bunt, aber trotzdem nicht überladen.
Ich ging unsicher durch das Café, als ich Kathi und Ben fand. Beide hatten schon einen Kaffee vor sich stehen. Als ich dichter bei ihnen war, sahen sie auf. Kathis Augen blitzen besorgt und Ben sah mich freundlich lächelnd an.
»Helen!« Kathi sprang auf und kam zu mir, um mich zu umarmen. Sie schlang die Arme um meinen Hals. Etwas überrumpelt tätschelte ich ihren Rücken. Eigentlich sollte ich mich an Kathis stürmische Art mittlerweile gewöhnt haben, doch ab und zu überraschte sie mich doch.
»Kathi. Du erdrückst sie noch.« Kathi wandte sich blitzschnell Ben zu. Ihre kurzen, feinen, blonden Locken sausten durch die Luft.
Ich konnte mir vorstellen, wie sie Ben wütend anfunkelte. Lächelnd schob ich Kathi auf ihren Platz zurück. Ich zog meinen Mantel aus, legte ihn über die Lehne des Stuhls, der vor mir am Tisch stand und setzte mich. Kathi schob mir einen Karamell Latte rüber. Ihre hellen blauen Augen glänzten betrübt. In ihrem linken Nasenflügel glänzte ein silberner Nasenring. Sommersprossen zogen sich über ihre Nase und die stark gekringelten, blonden Locken reichten knapp bis zu ihrer Schulter. Nichts hatte sich geändert. Kathi war wie immer.
Ich blickte auf meine Hände, die die Tasse umfasst hatten.
»Wie geht es dir Helen?« Ich blickte zu Ben auf. Die blau grünen Augen blickten mich direkt an. Die etwas buschigen, leicht zusammengezogenen, Augenbrauen verliehen Bens kantigem Gesicht einen Ernsten Ausdruck. Diese Seite von Ben kam nur selten zum Vorschein. Normalerweise macht er immer Scherze und brachte einen zum Lachen. Ich machte eine wage Geste.
Kathi hatte sich zurückgehalten doch jetzt platzte es aus ihr raus. »Helen. Es tut mir wirklich leid. Das ist alles meine Schuld. Ich wollte dich fragen, ob du Zeit für ein Treffen hast. Aber nicht du, sonder Jane war da. Ich war unvorsichtig und habe Jane verletzt. Und jetzt hat sie es an dir ausgelassen. Aber es waren fünf Jahre! Ich konnte doch nicht ahnen, dass Jane wiedergekommen ist! Wie sollte das denn auch passieren? Du warst doch nur beim Vorspiel. Ben hat mir erzählt, dass Jane da wiedergekommen ist. Wie konnte sie länger als ein Tag bleiben? Ich ... «
»Kathi.« Ben versuchte sie etwas zu beruhigen. Die Wörter kamen nur so aus Kathi rausgeschossen. Nun blickten mich beide an und ließen mich zu Wort kommen. Ich schluckte schwer und schloss meine Augen.
»Ist schon okay.« Kathi legte eine Hand auf meine und sah mich aufmunternd an. Ich schluckte schwer und fasste endlich etwas mehr Kraft. Mit ganz leiser Stimme und mich hinter meinem Latte versteckend erzählte ich ihnen alles. Angefangen mit dem Vorspiel. Dass meine Chefin besonders schlechte Laune hatte. Ich wohlmöglich sehr gestresst war und Jane wahrscheinlich deswegen erschienen ist. Ich erzählt auch kurz von dem Vorfall im Büro und dass ich ein komisches Gefühl dabei hatte. Der blutende Mann bleib unerwähnt. Etwas sagte mir, dass Jane mir auch ohne diese Situation einen Besuch abgestattet hätte und die paar True Crime Folgen, die ich gesehen hatte, verrieten mir, dass besser so wenig Leute wie möglich von den Verbrechen wussten.
Ich machte weiter mit dem heutigen Morgen. Den Kopfschmerzen. Meiner Panikattacke. Kathi und Ben hatten ruhig da gesessen und mir abwartend zugehört. Kathi verzog ihren Mund zu einer Schippe, als ich geendet hatte. »Helen.« Sie beugte sich zu mir rüber, um mich zu umarmen. Ihr Stimme war betrübt, mit einem weinerlichen Unterton und ihre Augen glänzten gefährlich ebenso wie meine.
»Ich hab Dr. Hill schon um einen Termin gebeten«, flüsterte ich halb. Ben und Kathi nickten verstehend. »Ich hoffe es ist schnell ein Termin frei«, sagte Ben und auch ich nickte.
»Soll ich mitkommen?« Kathi hatte mich los gelassen und sah mich nun etwas gefasster an.
»Ich schaffe das schon allein.« Ich lächelte sie an. Kathi erwiderte es stolz und drückte noch einmal meine Hand.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro