Kapitel 10
Luc
Ich blickte Vater ruhig und abwartend an. Von der Zigarre stieg weiter aromatischer Rauch auf, als er sich schwerfällig erhob. Ein Unfall hatte dafür gesorgt, dass seine Hüfte instabil war und er nun an einem Stock mit goldenem Knauf lief. Er blieb vor mir stehen. Bewusst blickte ich ihn nicht an. Dies war kein Moment väterlicher Liebe.
Ich spürte den brennenden Schmerz in meinem Kiefer, als mein Kopf nach rechts geschleudert wurde. Die Ränder der klobigen Ringe an der rechten Hand Vaters schnitten in meine Haut. Ich richtet mich auf und stellte mich gerade hin. Meinen Blick heftete ich an die bronzene Globusskulptur die zwischen den beiden Fenstern stand.
»Wie konnte dir das passieren?«, herrschte er mich mit strengem italienischen Akzent an.
»Entschuldigung.« Meine Stimme war leise und unterwürfig. Vater holte mit dem Gehstock aus. Ich wusste, wenn ich meine Bauchmuskeln zum Schutz anspannte, würde es nur schlimmer werden. Der Schlag raubte mir die Luft. Ohne auf das pochende Gefühl in meiner Magengegend und in meinem Gesicht zu reagieren, stellte ich mich gerade hin und sah wieder den Globus an.
»Wie.« Er holte aus und schlug mit dem Stock auf höhe meines Kopfes. Ein scharfer Schmerz durchzog meine linke Gesichtshälfte.
»Konnte.« Noch ein Schlag in die Seite, der mich zu Boden rang. Sämtliche Luft entwich meinen Lungenflügeln.
»Das.« Ein Schlag auf den Rücken. Der brennende Schmerz schoss meine Wirbelsäule hoch und entfachte ein Feuer in meiner Rückenmuskulatur.
»Passieren?«, sagte er nun fast sanft, wobei er den Knauf an mein Kinn legte und so meinen Kopf zu sich anhob. Da er mich so aufgefordert hatte, blickte ich ihn an.
Das faltenzerfurchte Gesicht war eiskalt. Ich hatte vom Besten gelernt. So alt und schwach Vater war, jeder Schlag saß perfekt. Ich spürte wie Blut an meiner Schläfe herab lief. Er hatte mich gelehrt Schläge einzustecken und Schmerzen zu ertragen. Die Schmerzen, die ich jetzt spürte waren nichts im Vergleich zu denen, die ich bereits erlebt hatte. Ich wurde in der Vergangenheit nicht nur einmal gefoltert. Die Dinge die mich Vater gelehrt hatte, so wie er es jetzt tat, hatten mich zu dem gemacht, der ich heute war.
Vater zog eine Augenbraue hoch. Schwunghaft nahm er den Stock von meinem Kinn und wandte sich von mir ab. Ich richtete mich auf und unterdrückte den Schwindel der sofort einsetzte. Vater nahm wieder in seinem Stuhl platz und lehnte seinen Stock an den Tisch. Er blickte mich abwartend an.
»Es lief alles nach Plan. Doch dann kam ein Mädchen dazu«, begann ich Bericht zu erstatten, da er auf eine Erklärung wartete.
»Ein Mädchen?«
»Ja.«
Vater lehnte sich zurück, weshalb der Stuhl ein ledriges Geräusch von sich gab.
»Es ging ihr nicht gut. Ich denke sie hat sich in der Tür geirrt«, erzählt ich weiter monoton und ohne Emotionen.
»Du glaubst nur?«, hakte Vater nach.
»Ja.«
»Warum?«
»Sie schien starke Kopfschmerzen zu haben, nach Angaben einer Kellnerin. Das Mädchen fiel in Ohnmacht. Danach konnte sie sich an nichts erinnern. Ich bin mir nicht sicher, was sie gesehen hat.« Ich schluckte schwer. Das Gesicht Vaters entflammte und er schmiss den gläsernen Aschenbecher, welcher mich gewollt verfehlte und hinter mir an der Wand zerschellte.
Ich bewegte mich kein Stück und sprach weiter. »Ich half ihr. Danach fragte ich sie. Sie war ahnungslos«, sagte ich unerschrocken.
»Bist du dir sicher?« Nein. Nein war ich nicht. »Ja.« Was tat ich hier? Ich belog Vater! Dieser grunzte und lehnte sich wieder zurück in seinen Stuhl. »Wer ist dieses Mädchen?«, fragte er nun doch interessiert.
»Ihr Name ist ...« Ich hielt inne. »Helen.« Mrs. Houston hatte am Morgen auf meine Mail geantwortet und mir die Daten von Jane durchgegeben. Nirgends war der Name Jane zu finden. Was enorm ungewöhnlich war. Ich würde wohl tiefer graben müssen, um zu schauen, ob ich richtig lag.
»Weiß sie, wer du bist?« Ich schwieg.
»Weiß sie wer du bist?« Die Stimme Vaters wurde lauter und seine Worte nachdrücklich. »Nein.« Vater musterte mich einen Augenblick. »Wie geht es ihr?«
»Sie schien verwirrt, wenn gleich ohne Angst.« Giovanni Vitiello war ein brutaler Mafioso, doch Frauen und Kinder waren unantastbar und durften nicht verletzt werden. Egal was.
»Nun gut.« Er atmete tief ein, wobei die Luft ein pfeifendes Geräusch erzeugte. »Fuori!« Nun sprach Vater italienisch. Er wedelte mit der Hand und unterstrich seine Aussage. Ich verbeugte mich. Dann verließ ich das Arbeitszimmer. Die Tür fiel hinter mir zu. Von meinem Kiefer ging ein stechender Schmerz aus, weshalb ich ihn testweise vor und zurück schob. Der schmerzhafte Stich zog sich immer weiter durch mein Gesicht. Ich schloss die Augen und atmete durch.
Es hätte schlimmer kommen können als das. Ich wischte mit meinem Handrücken über meine Stirn. Etwas Blut blieb daran kleben. Die Wachen blickten mich an, doch sobald ich auf sah zuckten ihre Köpfe rum. Besonders als ich noch jung war, hatte ich meinen Frust an den Wachen ausgelassen, wenn Vater mich wieder bestraft hatte.
Ich ging die Treppe runter, um das Brennen der Verletzungen mit dem lieblich Rot von Wein zu lindern.
»Luc!« Paola kam gerade durch die Eingangstür. Vater musste sie weggeschickt haben. Wie erwartet. Sie konnte es nicht leiden, wenn Vater mich zurecht wies.
»Was ... « Sie hob ihre Hand, um meine Wunde zu begutachten, als ich am Treppenende angekommen war, doch ich wich ihrer Hand aus. »Es ist nichts.« Schnell ging ich in die Küche und goss mir ein Glas edlen Wein ein. Ich schwenkte den Wein in dem Glas, dann atmete ich den Duft ein. Es roch aromatisch fruchtig. Genüsslich nippte ich an dem Glas und ließ den Wein auf der Zunge zergehen. Die Lippen leicht gespitzt sog ich etwas Luft ein. Der Geschmack wurde intensiver. Ich schluckte den Wein hinunter und konnte das fruchtige Aroma noch eine Weile schmecken. Ein guter junger Wein.
»Was machst du da?« Empört nahm Paola mir das Glas aus der Hand und zerrte mich ins Esszimmer. Dort hatte sie bereits den Erste- Hilfekasten auf dem Tisch ausgeleert. Verbände, Tupfer, Heftpflaster, Tape, Schere, alles lag auf dem Tisch verteilt. Sie zerrte mich rüber und ich setzte mich halb auf den Tisch. Sie nahm einen Tupfer und kippte gefühlt literweise Desinfektionsmittel darauf.
Etwas grob nahm sie mein Kinn in die Hand und drehte meinen Kopf zur Seite. Ein scharfes Brennen entfachte, als Paola den Tupfer immer wieder auf die Platzwunde an meiner Stirn drückte. Ich verzog mein Gesicht nicht und blickte Paola an. Ihr braunes fast schwarzes Haar reichte bis zu ihrem langen Kinn. Ihre dunklen Augen zeigten Besorgnis. Ich griff sanft nach ihre Hand. »Mir geht es gut«, sagte ich gespielt verständnisvoll.
Sie entriss mir ihre Hand und schlug mir auf die Brust. Ich schmunzelte und sie tupfte weiter auch an meiner Lippe, woraus ich schloss, dass diese nach dem Schlag aufgeplatzt war. Mit einem frischen Tupfer entfernte sie das Blut von meinem Gesicht und tapte dann die Platzwunde an meiner Stirn.
»Ist es wegen des Mädchens?«
Ich nickte.
»Ich kann sie nicht leiden«, sagte Paola gereizt und wischte etwas energischer auf meiner Lippe rum.
»Warum?«
»Wenn Padre dich wegen ihr so zurichtete, dann ... « Paola geriet ähnlich wie Vater ins italienische, wenn sie sich aufregte. Ich unterbrach sie. »Ich habe das entschieden. Also trage ich die Konsequenzen.«
»Sie sah aus wie ein verwöhntes Gör. Sie hätte einfach in ihrer Welt bleiben sollen.« Jane selbst hatte wohlmöglich nicht in diese Welt kommen wollen. Da war ich mir sicher. Paola, Marco und Carlos hatten Palazzos Männer beseitigt, indem sie das Auto gerammt und angezündet hatten. Getarnt als üblichen, tragischen Unfall. Ich hatte befürchtet Jane würde es mitbekommen, doch Gott sei dank war sie in Gedanken vertieft und hatte nichts bemerkt.
Sie hatte keine Ahnung, wo sie dort reingeraten war. Nach dem ich eine Weile nichts sagte zog Paola die Augenbrauen nach oben.
»Ich habe ihr eine Leggings von dir geliehen.« Ihre Augen blitzten wütend und ich verzog meinen Mund zu einem halben Grinsen. Ich ging zurück in die Küche und tank genüsslich von meinem Wein.
»Hat Padre dir von der Gala erzählt?« Ich sah sie über den Weinglasrand an. »Gala?«, fragte ich und schüttelte den Kopf. »Es gab nicht viel zu reden«, fügte ich ergänzend an und schlürfte einen Schluck Wein.
»Mr. Bannet hat die Immobilien gekauft und bereits ein Vermögen damit gemacht. Deshalb lädt er zur Gala. Du wirst dort hingehen, als Vertreter.« Paola lehnte sich an die Arbeitsplatte und verschränkte die Arme. Wie immer ging Vater nicht persönlich zu feierlichen Anlässen. Er hatte in Mr. Bannet investiert. Ein relativ sauberer Geschäftsmann und jahrelanger Partner Vaters.
Auf dem Papier war ich selbst der Geschäftsmann oder der Vertreter. Daher ging ich öfter als mir lieb war zu solchen Veranstaltung. Mr. Bannet war ein reicher, aber ahnungsloser Mann, der mit mehr Mafia Mitgliedern zu tun hatte als ihm vielleicht bewusst war. Doch ich mochte ihn. Er war ehrlich und höflich. Außerdem wusste er gute Musik zu schätzen.
»Wann?«
»Nächste Woche.«
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