22) Nichts hab ich
"Meine Fresse, ich brauche jetzt unbedingt Bewegung", knurrte Adam neben mir schlecht gelaunt, während er seine Sporttasche hin- und herschwankte, dabei fast ein Mädchen erwischte, die sich gerade noch so an ihm vorbeiquetschten konnte.
Statt sich aber über diesen beinahe Unfall zu beschweren, huschte sie fast schon unterwürfig an uns vorbei.
Ich seufzte kopfschüttelnd.
Es konnte sich ruhig auch mal jemand trauen etwas gegen uns zu sagen, selbst wenn Adam neben mir aussah, als würde er gleich dem nächsten an die Kehle springen wollen und ich aggressiv auf meinen Kaugummi herumkaute.
Sofort wanderten meine Gedanken wieder zu dem besonderen Vorfall mit dem Schokoeis, in Zusammenhang mit ihrem Mut.
Verdammt, ich wollte nicht schon wieder an sie denken. Sie sollte herausgestrichen werden, sie sollte gar nicht mehr in meinem Kopf existieren. Aber selbst gestern Abend musste ich noch so oft an diese Szene denken.
Diese funkelnden Augen, dieser trotzige Ausdruck... diese verführerischen Lippen.
"Adrael?"
Verwirrt schreckte ich hoch, um Adam einige Meter weiter hinter mir an meinem Schließfach stehen zu sehen, derweil ich schon vorausgelaufen bin.
Ach du heiliger, jetzt lenkte sie mich schon so dermaßen ab, dass ich gar nichts mehr um mich herum mitbekam. Das durfte nicht nochmal passieren, so ein verpeiltes Verhalten war nicht typisch für mich und die Jungs, gerade Adam, würden schnell darauf kommen, dass es dafür irgendeinen Auslöser geben muss.
Und mein Bruder war schon sehr dicht, nein, eigentlich komplett an der Lösung daran gewesen.
Schwerer wird es auch jetzt gleich werden, wenn ich mit ihr zusammen Sport hatte. Ich konnte mich doch verdammt nochmal nicht konzentrieren, wenn sie da in engen Klamotten durch die Gegend flitzte. Das war zu viel für mich, genauso, dass ich schon längst mitbekommen hatte, dass viele heimlich ein Auge auf sie geworfen haben.
Klar, in den letzten Tagen war ich immer kurz davor zu sagen oder fand es eigentlich sogar so, dass sie gut zu mir passen würde, aber irgendetwas hinderte mich immer noch daran, vollkommen diese Jagd auf sie zu machen und ihr Herz für mich zu gewinnen. Vielleicht, weil sie selber nicht gerade die netteste zu mir war, wobei das ja hauptsächlich durch mein Verhalten ausgelöst wurde. Oder, dass ihr origineller Style nicht so meins war, aber irgendwie auch wieder schon.
Ich biss die Zähne fest aufeinander, bevor ich mich zu Adam umdrehte und den Weg zu meinem Schließfach antrat.
Wie oft habe ich darüber schon nachgedacht? Viel zu oft. Es wurde an der Zeit, wieder Ablenkung zu finden und nicht komplett abhängig von ihr zu werden.
Gekonnt wich ich Adams abscannenden Blick aus, den er immer drauf hatte, wenn er einen Grund für etwas herausfinden wollte.
"Alles okay?", entschloss er sich schließlich dazu, mich direkt wegen meines Aussetzers anzuspechen.
Entnervt zog ich meine Sporttasche zwischen dem ganzen Gerümpel heraus, nachdem ich mein Schließfach geöffnet hatte. "Ja klar, was sollte nicht okay sein?" Wie auf das Stichwort fiel mir eine Saftflasche, wo auch immer die aus meinem Fach herkam, entgegen und kam mit einem lauten Knall auf den Boden unter uns auf, die Packung riss an einer Seite auf und der Saft spritzte zur Hälfte heraus. "Fuck", fluchte ich.
Adam, der bei dem Spektakel völlig inne gehalten hat, zog seine Augenbrauen verstörrt zusammen. "Du sagst es", murmelte er, gleichzeitig betrachetete er die Sauerei um uns herum angeekelt. "Seit wann lagerst du eigentlich Orangensaft bei dir im Fach?"
Noch schlechter drauf als vorhin schon, knallte ich die Metalltür zu und schulterte meine Sporttasche. "Was weiß ich", damit setzte ich mich wieder in Bewegung, Richtung Sporthalle.
"Was zur Hölle? Willst du das nicht sauber machen?", lachte Adam nun schadenfroh los, ehe er mich eingeholt hatte.
Diesmal hob ich meine Augenbrauen an. "Nein?"
Er pfiff leise durch die Zähne. "Adrael, das gibt Ärger, wenn das jemand herausfindet, weißte schon, ne?"
"Interessiert mich nicht."
"MEINE JUNGEN HERREN? IST DAS IHRE SAUEREI?!", ertönte eine tiefe, sehr laute Stimme hinter uns. Ohne mich umzudrehen, wusste ich, dass das unser strenger, tyrannischer Lateinlehrer sein musste.
Adam biss sich auf Lippe, um nicht nochmal laut loszulachen. "Dramaaa", raunte er mir belustigt zu.
"HALLO? WAS IST DAS BITTE FÜR EINE UNVERSCHÄMTHEIT? KOMMEN SIE AUF DER STELLE HIERHER!" Deutlich waren seine schweren Schritte zu hören, anscheinend hatte der sich jetzt nun auch in Bewegung gesetzt.
Ich wusste, das, was sich vor hatte, war respektlos, aber ich konnte heute einfach nicht anders und außerdem behandelte uns dieser Mistkerl auch wie Dreck, also... Also hob ich meinen Arm und zeigte ihm meinen Mittelfinger, während ich noch immer mit Adam den Gang in die entgegengesetzte Richtung davonlief.
"ADRAEL FRAY! DAS GIBT EIN NACHSPIEL, DAS SICH GEWASCHEN HAT! KOMMEN SIE SOFORT HER!"
Ignorieren gehörte schon immer zu meinen Stärken, weswegen ich auch kein bisschen auf diese Forderung einging, sondern nun die Verbindungstür zur Turnhallte aufstieß, um mit Adam in dem Sportgebäude zu verschwinden.
Ace, Ian und Kay streckten schon ihre Köpfe zu uns, denn der Eingang zu unserer Umkleide befand sich nur einige Meter von der Verbindungstür.
"Wer hat da gerade so einen Schreianfall gehabt?", stellte Ian uns stirnrunzelnd die Frage.
"Wurdet ihr angeschrien?", schob Ace gleich als nächstes hinterher, als wir bei ihnen ankamen und in die Umkleide eintraten.
Auch in der Umkleide wurden wir erwartungsvoll angeschaut, es hatten wohl viele gehört wie dieser Schwachkopf ausgetickt ist. Viele hatten schon einige vielsagende Mienen aufgesetzt, ihre Arme vor ihrer nackten Brust verschränkt und musterten uns amüsiert.
Dass Adams Mundwinkel zuckten, machte das ganze nicht viel besser.
"Na? Wer von euch hat wieder was verbockt?", grinste mein Bruder schließlich.
"Adrael hat-"
"Nichts hab ich", stoppte ich seinen Erklärungsversuch. Es reichte schon, dass ich nachher wieder beim Schulleiter sitzen durfte.
Adam schüttelte lachend den Kopf und stellte seine Sporttasche am gewohnten Platz ab. "Ach. Tatsächlich?"
Die anderen stimmten in sein Lachen ein und wandten sich glücklicherweise ihren einzelnen Unterhaltungen und dem Umziehen zu. Da auf den vorderen zwei Bänken nichts mehr frei war, wanderte ich zu den anderen. Zum einen, weil ich keine Bock darauf hatte, nochmal auf das Saftflaschenthema angesprochen zu werden, zum anderen, weil ich es schon immer affig fand, dass sich unser Sportkurs, wie im letzten Jahr, in zwei Gruppen aufteilte.
Die Sportler und die unbeliebten Kartoffelsäcke oder Spargeltarzane, wie Adam sie immer spöttisch betitelte.
Klar, zwei von denen waren echt ungepflegt und neben denen musste ich mich nun wirklich nicht aufhalten , weil das zu einer zarten Überreizung meiner Nase führen würde, aber die anderen waren eigentlich ziemlich cool drauf.
Letztendlich ließ ich mich neben Jill nieder, der mich überrascht anguckte. "Gar nicht bei den anderen?", begrüßte er mich, gleich darauf begann er sofort seine Sachen noch weiter zur Seite zu räumen, obwohl davor schon genug Platz für mich gewesen ist.
Deshalb schob ich mit einer Hand, bemüht freundlich auszusehen, seine Sachen wieder zurück. "Ich habe genug Platz, danke", ging ich nicht weiter auf seine Frage ein.
Nach ein paar Sekunden Stille fand er doch tatsächlich ein Gesprächsthema, während wir uns umzogen und uns wenige Minuten später auf den Weg zur Sporthalle begaben. Natürlich war weit und breit noch nichts von den Mädchen zu sehen, was mich nicht im Entferntesten überraschte. Wahrscheinlich standen sie noch alle vor den Spiegeln und zupften sich ihre Pferdeschwänze zurecht.
Wir vergnügten uns daher lieber mit ein paar Basketbällen, die wir in der Halle umherschleuderten und ein halbes Rugbymatch in fünf Minuten veranstalteten, bis Mr und Mrs Angor die Halle leider auch betraten und dem ein Ende setzten. Stattdessen sollten wir lieber die Geräte auf der einen Hälfte der Halle aufbauen.
Doch kurz bevor wir überhaupt den Anweisungen folgen konnte, hielt uns Mrs Angor noch auf.
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