5 - Charon
Auch wenn mir unter seinem brennenden Blick unglaublich warm war, versuchte ich mir nichts anmerken zu lassen. Stattdessen blickte ich unbeeindruckt zurück - und verdammt, dieses Blickduell hatte es echt in sich.
Es war heiß.
Es war prickelnd.
Und es ist nicht gut, kommentierte meine innere Stimme mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ja es war auch nicht gut.
Also entschied ich mich, als erstes etwas zu sagen. Denn sonst würde ich noch unter ihm zergehen und nicht so schlaue Dinge anstellen.
Du magst ihn nicht!
Doch er war schneller und riss das Wort an sich. „Hast du dich verirrt?" Seine Stimme war voll, tief... und echt sinnlich.
Eine schöne Stimme und obwohl er nur diesen einen Satz gesagt hatte, konnte ich mir regelrecht vorstellen, wie er mit seinen Tonlagen spielen konnte, dem Gesagten genau dem gewissen Etwas zu verpassen.
Und in diesem Fall war es spöttisch... und herausfordernd.
Herausfordernd.
Wollte er etwa herausfinden, ob meine harte Miene nur eine Maske ist und ich ihm weiter standhalten konnte?
Meine Lippen kräuselten sich.
Bitte, nur allzu gerne. Ich liebe Herausforderungen.
„Nein, ich bin hier genau richtig", antwortete ich ihm und schenkte ihm eines meiner süßesten Lächeln. „Ich habe mich nur umgesehen."
„Angesehen wohl eher", merkte er nun sichtlich amüsiert an und nickte hinter mir zum Spiegel.
Schlaumeier.
Nun doch etwas genervt rollte ich mit den Augen. „Das ist doch nicht verboten."
Seine Mundwinkel zuckten. „Nein." Die Lippe durch die Zähne gezogen, wandte er zu meiner Überraschung den Blick als erstes ab, machte dafür aber ein paar Schritte auf mich zu. „Aber vielleicht solltest du nächstes Mal nicht deine Utensilien im ganzen Laden verteilen", mit diesem Satz reichte er mir den Lippenstift hin. "Ich weiß nämlich nicht, ob unsere Unfallversicherung bei einem Arbeistunfall dafür aufkommt, wenn die Mitarbeiter auf Lippenstifte ausrutschten. Du weißt schon - ist jetzt nicht unbedingt die typische Unfallquelle in einer Werkstatt." Obwohl das wahrscheinlich auf eine Art und Weise lustig gemeint sein sollte, sagte er das so arrogant, dass mir die Ohren klingelten.
Wieso genau macht ihn das aber wieder so attraktiv? Alleine schon deswegen sollte ich ihn weiterhin nicht mögen.
Erst recht, wie er mich jetzt mkt voller Selbstüberzeugung nochmals von Kopf bis Fuß betrachtete. Ich hatte gerade eben noch mit klappernden Zähnen gestanden und nun schwitzte ich so sehr, als hätten wir Hochsommer.
"Willst du ihn nicht mehr haben?"
Fragend blinzelte ich ihn was. "Was will ich nicht haben?", zickte ich, total verärgert darüber, dass er mir leider so gut gefiel.
Scheisse.
Er hob darauf den Lippenstift etwas höher in mein Blickfeld.
Oh.
"Natürlich", antwortete ich schnippisch und nahm ihm den so penibel ab, dass sich unsere Haut auf keinen Fall berühren konnte. "Ich danke dir." Mit einem lauten Klack setzte ich die Kappe wieder darauf und verstaute diesen... tückischen, ungehorsamen Lippenstift wieder in die Tasche, ehe ich vorsichtig zu meinem Gegenüber hochspähte - und ihn auf frischer Tat beim Starren ertappte.
Er schien jedoch keinesfalls beschämt oder etwas derartig vergleichbares. Seine Augen glitzerten weiterhin hintergründig vor sich hin.
Wer ist er?
Zu meiner Überraschung wandte er sich ab und ging auf ein Regal zu, doch abgeschrieben hatte er mich trotzdem nicht, obwohl er dort in einer Schachtel angestrengt etwas suchte. "Also... wenn du hier genau richtig bist...", sagte er und natürlich musste er genau richtig ganz süffisant betonen. "Wie kann man dir behilflich sein? Oder hast du vielleicht noch dein Puder irgendwo versteckt?" Er drehte sich sich um und grinste mich provokant bei der Frage an.
Arschloch.
"Haha, sehr witzig", antwortete ich. "In der Kiste, in der du gerade nachgeschaut hast, ist es schonmal nicht."
Sein Grinsen vertiefte sich und die Art, mit der mich ansah, hatte sich plötzlich verändert. Wenn ich mich nicht irrte, dann ließ er ganz offen sein... Interesse an das Licht treten. Nicht nur das Interesse, was ich hier machte, sondern Interesse allgemein an mir.
Mein Mund wurde gleich etwas trockener.
"Weißt du... auf dem Stand bin ich mittlerweile auch", konterte er mühelös. Er neigte seinen Kopf nochmals leicht zur Seite und schien kurz nachzudenken, ehe sein Lächeln noch teuflischer wirkte. "Oder brauchst du irgendetwas? Ein neuer Anstrich für deinen Rennschlitten? Nagellack soll es ja nicht so bringen, habe ich gehört."
Mir blieb der Mund offen stehen.
Wie kreativ und spontan kann man denn bitte sein und reagieren?
Ich öffnete schon meinen Mund, um ordentlich dagegenhalten zu können - und um ihm dieses lässige Grinsen endlich aus dem Gesicht zu wischen - als aus heiterem Himmel Tates Stimme erklang.
"Ach Mann, Charon. Hier bist du." Tate kam von rechts angelaufen.
Moment - Charon?
Das ist Charon? Derjenige, der die nächsten Monate mein Nachbar sein wird und mich gleich auch noch fahren soll?
Mit geweiteten Augen umklammerte ich die Leine von Gretel etwas fester.
Das kann doch jetzt nicht wahr sein!
"Ja, hier bin ich. Hatte hier hinten etwas gesucht", erwiderte Charon nun und lächelte Tate im Vergleich zu mir absolut freundlich an.
Meine eben noch aufgerissenen Augen wurden nun schmal.
"Achso", Tate lachte, ehe sein Blick auf mich fiel und dann wieder zu Charon herüber ging. "Hey wie ich sehe, hast du schon Lavender kennengelernt."
Charons rechte Augenbraue wanderte etwas hoch. "Lavender?", wiederholte er meinen Namen und sprach ihn so ... weich und betont aus, wie er noch nie zuvor ausgesprochen wurde. Die hellblauen Augen landeten schließlich auf mir und sein Lächeln ist nun komplett aus dem Gesicht gewichen.
"Oh ihr habt euch noch nicht vorgestellt - mein Fehler. Ich dachte, ihr habt es schon", übernahm Tate nun eilig und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Das ist Lavender und...", seine andere freie Hand deutete auf den zitternden Hund, der zwischen meinen Beinen auf meinen hellen ausgepolsterten Stiefeln saß. "... und das ist Gretel."
Charons Augen nahmen meinen Hund eingehend ins Visier, bevor sie wieder aufruckten, da Tate mit der Vorstellungsrunde weitermachte. "Und Lavender, das ist Charon", er nickte zu diesem herüber. "Mein Kollege und dein zukünftiger Nachbar."
"Nachbar?", schnappte Charon das Wort sofort verwirrt auf und es war gut zu wissen, dass man ihn mal aus der Fassung bringen konnte. Wenn auch nur kurz. "Was soll das heißen?" Seine Frage klang fast schon... lauernd.
"Das soll heißen, dass Lavender ihren Onkel besucht, der in der gleichen Straße wie du wohnst", lieferte ihm Tate geduldig die Antwort. "Und das war auch der Grund, warum ich dich gesucht habe. Lavender hatte auf den Weg hierher eine Panne, ich habe sie gerade eben abgeschleppt. Dabei haben wir uns ein bisschen unterhalten und es kam heraus, dass sie ein auswärtiges Semster hier in Brokenville macht und in der Zeit bei ihrem Onkel wohnt. Der Onkel, der in der-"
"Gleichen Straße wie ich wohne", beendete Charon seinen Satz. "Ja... das habe ich verstanden." Es klang etwas forsch, doch Tate schien sich keinesfalls von Charon angegriffen zu fühlen.
Ich hingegen war erstaunt, wie schnell sich Charons Launen wandeln konnten.
Gerade eben war er noch... naja, freundlich nun auch nicht, aber zumindestens hatte er nicht so verschlossen gewirkt wie jetzt. Es schien, als wäre es ein Weltuntergang für ihn, dass ich nun für ein paar Monate in der gleichen Straße wohnen würde wie er.
Und dass ich Lavender hieß.
"Wie ist dein Nachname?", kam es unvermittelt von Charon im gleichen Moment.
Erst wollte ich ihn für mich behalten, doch das wäre kindisch. "Hilton", presste ich also knapp hervor.
Er runzelte die Stirn. "Ich kenne niemanden mit dem Namen Hilton in meiner Straße."
"Mein Onkel hat auch einen anderen Nachnamen", erklärte ich ihm schulterzuckend. "Und bestimmt kennst du ihn eh nicht, so lange wohnt er noch nicht dort. Er ist erst kürzlich dorthin gezogen."
Nun verrengten sich auch seine Augen ein Stück und versteckten das strahlende Blau zur Hälfte. "Kürzlich erst hingezogen sagst du ja?", hakte er nach.
Leise.
Noch nachdenklicher.
Was hatte das nur zu bedeuten?
"Äh, wie dem auch sei", mischte sich Tate wieder ein. "Ich hatte gedacht, da du eh Feierabend hast und ihr auch noch Nachbarn seid, ob du nicht vielleicht so nett wärst und sie mitnehmen könntest. Sollte es nicht gehen, dann-"
"Schon gut", hielt Charon gegen. "Ich nehme sie mit. Wo sind ihre Sachen?" Sein Gesichtsausdruck sah zwar überhaupt nicht begeistert aus, doch er folgte nun Tate raus aus der Werkstatt, um vermutlich mein Zeug zu holen.
Eilig folgte ich ihnen und wäre dabei fast über Gretel gestolpert. Schnell raffte ich mich auf und begegnete beim Aufschauen Charons Blick, den er mir in diesem Augenblick über die Schulter zuwarf.
Obwohl in diesem Blick keinerlei Emotionen abzulesen waren, so konnte ich darin genau erkennen, wie er versuchte, mich einzuschätzen - ja regelrecht zu analysieren.
Ich schluckte hart, als er sich wieder von mir wegdrehte.
Dickes Sorry, dass jetzt wieder so lange nichts kam. Der Stress hat mich wieder eingeholt... ich versuche mein Bestes und hoffe mal wieder, dass euch das Kapitel gefallen hat.
❤️
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