4 - Die Mitfahrgelegenheit
Chase Atlantic - Right Here
Der Truck polterte über die Einfahrt, die Tate so nahm, als würde er über eine Schanze fahren. Ohne Mist, ich war mir sicher, wir hoben kurz ab.
Ein großes Haus und viele, wirklich extrem viele Autos kamen in Sicht.
Tate und ich stiegen gemeinsam aus dem Truck aus und wir luden meinen Wagen ab, den Tate erstmal draußen abstellte. Er meinte, um den Rest würde er sich noch kümmern, lediglich meine Papiere wollte er haben. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie er mein Auto in die Werkstatt bekommen wollte, um es zu untersuchen, wenn der Motor nicht ansprang, doch ich wollte mir darüber nicht den Kopf zerbrechen.
Denn auch wenn Tates Gesellschaft echt goldig war, so wurde ich langsam echt tierisch müde. Und es nervte mich, dass es hier so kalt war. Meine Haare wurden mir zersaust um den Kopf geworfen und Gretel zitterte so stark, dass schon die Leine in meiner Hand zu vibrieren anfing.
Verdammt, alle ihre Pullover waren in den zahlreichen Taschen meines Autos irgendwo unter dem anderen Krempel vergraben. Es ist ja nicht geplant gewesen, dass ich mit dem Hund aussteigen musste.
Der Plan ist gewesen, dass mein Auto jetzt eigentlich vor dem Haus meines Onkels stehen sollte. Nicht hier.
Aber gut, der ehemalige Plan hatte sich sowieso erledigt.
Ich wusste nur, dass ich mir auf jeden Fall, ob ich es wollte oder nicht, doch noch eine fette Winterjacke zulegen musste, wenn ich die nächste Zeit überstehen wollte. Ein paar Tage hatte ich ja noch frei, bevor das Semester starten würde. In der Zeit würde ich mich schon irgendwie auf die Region hier einstellen können - und vielleicht dochnoch was finden, wo ich Tennis spielen konnte.
Ich wollte an meinen Kofferraum herangehen, doch Tate hielt mich am Arm sanft fest. "Ach lass mal, du brauchst die Taschen noch nicht herausnehmen. Erstmal organsiere ich dir deine Mitfahrgelegenheit, bevor wir alles herauskramen. Okay?"
Das klang logisch.
"Okay."
Tate nickte mir zu und ließ meinen Arm los, ehe er sich auf dem Absatz umdrehte und die nächsten Fußabdrücke in den Schnee hineinmassierte. "Dann komm mal mit." Er lief geradewegs auf das Haus zu, das im Untergeschoss eine integrierte Werkstatt mit Toren und der ganzen anderen benötigten Ausstattung verfügte.
Ohne zu Zögern folgte ich ihm und amtete auf, als wir in das warme Innere eintraten. Krass, dass sich die geheizte Luft hier hielt, obwohl das eine Tor weit offen stand.
"Charon!", rief Tate plötzlich neben mir laut. "Charon!" Keine Antwort. "Wo steckt er denn nur schon wieder", murmelte Tate vor sich hin. "Wahrscheinlich hat er schon wieder Kopfhörer drin. Warte mal kurz", wandte er sich an mich. "Ich geh ihn mal suchen." Und schon verschwand der große blonde Kerl um den nächsten Stapel Reifen.
Charon.
Seltsamerweise blieb der Name, der wahrscheinlich absolut belanglos für mich war und nur irgendeinem Mitarbeiter von Tate gehörte, bei mir im Gedächtnis hängen.
Ich hatte diesen Namen noch nicht so oft gehört - wenn nicht sogar noch gar nicht.
Stille umrahmte mich ein und der fiese Geruch nach irgendeinem Schmieröl und Gummi stieg mir so sehr in die Nase, dass ich mich von dem Fleck, an dem ich gerade eben noch stand, wegbewegte.
Wärme hin oder her, aber dieser Geruch... nein, den mochte ich jetzt nicht sonderlich.
Während Gretel ihre Nase am Boden behielt und schnüffelte, was das Zeug hielt, sah ich mich teils neugierig, teils auch gelangweilt, um die Wartezeit zu überbrücken, um.
Obwohl es von außen nicht so den Anschein machte, war die Werkstatt unter dem Wohnhaus ziemlich groß. Ich kam an mehreren Autos vorbei, zwei von ihnen standen auf Hebebühnen und sind weit hochgefahren worden.
Mit den Fingern meiner rechten Hand strich ich gedankenverloren über eine Schraubzange und hatte sofort Dreck an meiner Haut. Erst wollte ich den Dreck aus Gewohnheit an meiner Hose abwischen, doch dann entschied ich mich dafür, den Staub einfach wegzupusten, was auch funktionierte.
Gretel zerrte plötzlich in eine bestimmte Richtung, doch ich zog sie an ihrer Leine zurück. "Nein, wir sind hier nicht Zuhause. Bei Fuß", ordnete ich ihr an, als ich zu ihr herunterschaute.
Sie blinzelte einmal, zweimal - dann war die Nase wieder dicht über den Boden und sie schnüffelte lautstark weiter.
Immerhin schien der Hund genug beschäftigt zu sein, während ich mich hingegen weiter langweilte und nirgendwo eine Spur von Tate oder irgendeinem anderen Mitarbeiter dieser Werkstatt zu sehen ist.
Gott, warum war es denn hier bitte so verflucht still?
Ich begegnete meinem Spiegelbild aus heiterem Himmel. Ein paar Meter von mir entfernt befand sich ein Waschbecken mit einem überraschenderweise nicht sehr verschmierten Spiegel und das was ich da sah, ließ meine Mundwinkel noch weiter sinken.
"Verdammter Mist, wie laufe ich denn bitte die ganze Zeit herum", raunte ich vor mich hin, zog Gretel mit mir und richtete mir am Waschbecken angekommen kurzerhand meine hellbraunen langen Haare, sodass ich nicht mehr wie eine Vogelscheuche aussah. Dann griff ich in meine Handtasche und zückte einen meiner schönen nudefarbenen Lippenstifte heraus, um mir dann genüsslich die Lippen nachzuziehen. "Na bitte", murmelte ich und machte einen Kussmund. "Das sieht doch schon viel besser aus." Ich drehte meinen Kopf etwas, da ich einen dunklen Fleck auf meiner Wange entdeckt hatte, als ich bemerkte, dass aufeinmal etwas Neues im Spiegelbild zu sehen ist.
Mit zusammengekniffenen Augen rückte ich näher an den Spiegel heran. Nein, das war keine Autoplane, die in mein Sichtfeld gerückt ist.
Es war jemand, der sehr hochgewachsen war. Gekleidet mit einer locker sitzenden dunkelblauen Latzhose und das Haar ist nicht blond-
Zutiefst erschrocken fuhr ich herum, prallte mit meinem Becken schmerzhaft gegen den Waschbeckenrand und ließ aus Schock meinen Lippenstift fallen, der laut klackernd auf den Boden aufkam.
Gretel zuckte zusammen und zog den Schwanz ein, ehe sie sich zwischen meine Beine kauerte. Wahrscheinlich aus Angst, ich könnte noch was fallen lassen.
Schönen Dank auch, dass sie gar nicht gesagt hatte, dass wir nicht mehr alleine waren.
Ich hob den Blick - und unterdrückte mit viel Anstrengung, scharf Luft zu holen.
Oh.
Mein.
Gott.
Wenn ich mir bei einer Sache sicher war, dann dass dieser Kerl garantiert nicht von dieser Welt sein konnte.
Strähnen von seinen pechschwarzen Locken fielen ihm auf die Stirn, als er in diesem Augenblick seinen Kopf leicht zur Seite neigte, um den Lippenstift zu fixieren, der langsam auf ihn zukullerte und nun von seiner rechten Schuhspitze gestoppt wurde.
Schwarze Boots, deren Schnürsenkel nicht zusammengbunden waren, sondern halboffen zur Seite hingen.
Darüber säumte der Stoff seiner dunkelblauen Latzhose. Ein benutzter Lappen schaute aus einer seiner Hosentaschen heraus, als ich meinen Blick abscannend an ihm weiter hochwandern ließ. Er hatte nur auf der linken Seite seinen Hosenträger befestigt, der andere hing lässig herunter.
Ein weißes, enganliegendes Shirt umschmeichelte seinen Brustkorb und seine trainierten Oberarme, die gebräunte Haut stand in einem schönen Kontrast zu der Stofffarbe seines Shirts.
Um seinen Hals blinkte in dem leicht gedimmten Tageslicht etwas Silbernes auf. Filigran. Er schien eine Kette umzuhaben, die unter dem Stoff seines Shirts verschwand.
Schließlich kam ich bei seinem Gesicht an - und Herr im Himmel, dieses Gesicht sah aus wie in Stein gemeißelt. Mit viel Liebe und ebenso viel Rauhaftigkeit zugleich.
Ein markantes Kinn, geschwungene volle Lippen, kantige Gesichtszüge, eine wohl geformte gerade Nase und geschwungene, dunkle Augenbrauen, die ihm nicht nur einen Hauch von Verwegenheit und Düsternis verpassten, sondern gleich eine ganze Hand voll.
Als hätte er mich ebenso abgecheckt wie ich ihn, trafen sich nun unsere Blicke - und das mit voller Wucht.
Ungewollt hielt ich den Atem an.
Blau.
Hellblau.
Es war, als würde ich in der Arktis im Inneren eines Gletschers stehen und auf das dicke Eis schauen, das in dem Licht der Sonne in allmöglichen Facetten von einem wunderschönen Hellblau aufschimmerten. Seine Augen würde ich bewusst nicht mit einem Blick auf das Meer vergleichen - dafür wirkte das Blau so ruhig. Nicht in Bewegung. Festgefroren und mächtig zugleich. Glitzernd. Kühl.
Strahlend.
Seine Augen strahlten.
Ich schloss den Mund, den ich irgendwann geöffnet hatte und befeuchtet mir kurz meine Lippen.
Und nicht nur seine Augen strahlten, fiel mir in diesem Moment auf. Auch er. Er strahlte vor Selbstbewusstsein und Kraft. Und diesen Ausdruck, der nun in das helle Blau trat, konnte ich nicht deuten - doch es trieb mir eine gewaltige Gänsehaut über meinen gesamten Körper. Mein Herz, das sich die ganze Zeit nicht zu Wort gemeldet hatte, meldete sich nun.
Lautstark - und für meinen Geschmach viel zu schnell.
Viel zu schnell.
In diesem Augenblick fuhren meine Mauern um mich hoch, als wäre ein Alarmsignal eingegangen. Er löste das Alarmsignal aus.
Ich kannte genug Kerle wie ihn.
Kerle wie ihn und... Archer.
Sie waren überwiegend alle gleich.
Wussten, wie gut sie aussahen. Wussten, was sie mit einem anstellten. Wussten, wie sie einen erst gekonnt um den Finger wickelten, um einen dann fallen zu lassen.
Ich beschloss genau in dieser Sekunde, ohne ihn großartig zu kennen, dass ich ihn nicht mögen werde, egal, ob ich ihn hier das erste und letzte Mal antreffen würde oder nicht.
Seine ganze Gestalt schrie nach Gefahr und süßer Versuchung.
Unmenschlich.
Er zog eine seiner dunklen Augenbrauen in die Höhe und das auf die arroganteste Art und Weise, die mir je untergekommen ist.
Anstatt mich sein Verhalten jedoch verärgerte, erleichterte es mich.
Denn nun wusste ich, dass er es mir leicht machen würde, ihn nicht zu mögen. Es erleichterte mich sogar so sehr, dass sich ein Lächeln auf meine Lippen ausbreitete - und genau die Art von Lächeln, die jeder als überheblich und eingebildet einstufen würde.
So etwas wie Überraschung huschte für einen Wimpernschlag über seine undurchdringbare Miene. Dann bückte er sich langsam und hob meinen Lippenstift auf, den er dann zwischen seinen Fingern hin und her drehte, ehe er seinen Blick wieder fest auf mich richtete...
Naaa? Wie findet ihr die erste Begegnung von Lavender und Charon?
Ein schönes Wochenende euch! ❤️
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