3 - Schwer in Ordnung
Der riesige Truck kam hinter mir mit quietschenden Reifen zum Stehen und kurz darauf stieg eine breite männliche Gestalt aus.
Das war mein Zeichen, bibbernd meine Fahrerkabine zu verlassen und meine Rettung zu empfangen.
"Hallo, Lavender Hilton richtig?", sprach er mich so gleich an. Babyblaue Augen stachen mir aus dem attraktiven Gesicht entgegen und einige vereinzelte blonde Haarströhnen lugten unter seiner grauen Mütze hervor - offenbar war wenigesten er gut auf das komische Wetter heute vorbereitet.
Er schien nicht älter als ich zu sein, vermutete ich, als ich ihm in diesem Moment ein breites erleichterndes Lächeln zuwarf.
"Richtig, Lavender Hilton."
"Tate Walter", er reichte mir seine große schwere und ziemlich schwielige Hand. "Ich habe schon gehört, dass der Motor nicht ganz so will wie er soll?"
"Richtig", bestätigte ich seufzend. "Und ich muss dazu sagen, dass das Auto in letzter Zeit sehr dazu neigt, ständig irgendwie Probleme zu machen."
"Das ist schlecht... Beachtlich, dass du dich dann überhaupt getraut hast, so eine weite Strecke zu fahren." Seine Augen blieben überdeutlich an meinem Kennzeichen kleben.
"Ich weiß. Ich wahr wohl zu optimistisch."
Er lächelte mich an. Warm und genauso freundlich wie die Stimme am Telefon.
Anhand des Namens müsste Tate also der Sohn von dem Besitzer der Werkstatt sein. Oder zumindestens mit dem Eigentümer verwandt.
Lilly wäre begistert von diesem Kerl, schoss es mir plötzlich durch den Kopf.
Tate lachte rau auf. "Ja, ein bisschen zu optimistisch. Dem stimme ich zu. Aber nun gut, dann wollen wir mal. Den Abschlepper hab ich als Plan B mitgebracht, erstmal würde ich mir dein Auto nochmal anschauen, Vielleicht bekommen wir das Problem auch ganz einfach gelöst", sagte er und lief schon zu meiner hochgeklappten Motorhaube.
"Ich hoffe", murmelte ich, während ich ihm folgte. "Sag mal ist bei euch hier in der Gegend immer so wenig los? Es kam in der Zeit, in der ich hier stehe, keine einziges Auto vorbei."
"Um ehrlich zu sein... bleiben die meisten Menschen bei diesem Wetter dort, wo sie sind", erklärte er, dabei beugte er sich schon über diverse Autoschläuche. "Und heute Abend soll es noch stürmischer werden."
Ich machte ein betroffenes Gesicht.
Na super, das sind ja großartige Aussichten, wenn es hier im Frühling immer noch so... kaltund nass war.
Was soll ich dann den ganzen Tag machen? Auch wenn ich von außen betrachtet ziemlich... ähm, püppchenhaft zurechtgemacht bin, liebte ich lange Spaziergänge. Ob mit einem knalligen Lippenstift auf meine Lippend tragend oder den neuesten Boots an meinen Füßen oder auch nicht.
Eine Weile beobachtete ich Tate, wie er sich durch meinen Motorraum kämpfte und sämtliche Sachen zu überprüfen schien. Gerade wollte ich schon fragen, wie denn nun die Aussichten wären, da hob er den Kopf und wischte sich seine dunkel beschmierten Finger an seiner blauen Werkstatthose ab. "Tja also... im Moment finde ich den Fehler so nicht. Ich habe jetzt nochmal was zurechtgeruckelt und anders geklemmt, deswegen... versuch einfach mal bitte den Motor nochmal zu starten."
Ich tat also wie mir geheißen wurde, auch wenn ich schon eine sehr ungute Vorahnung hatte, stieg in mein Auto und drehte den Schlüssel im Zündschloss.
Nichts.
Niedergeschlagen stieg ich aus und ließ die Fahrertür hinter mir zufallen. "Funktioniert nicht."
Mensch Lavender, das ist ja wohl offentsichtlich.
Tate kratzte sich am Hinterkopf, bevor er die Motorhaube schloss. "Das heißt dann wohl, dass es mehrere Möglichekeiten gibt, warum der Motor ausgefallen sein könnte. Dafür muss ich es dann auf jeden Fall mitnehmen."
"Oh man", ich schlug mir die Hände vor mein Gesicht. "Das kann doch jetzt nicht wahr sein. Wie lange dauert das dann? Wie viel kostet das?"
Obwohl er seine Augen mitfühlend zu mir herunterblickten, zuckten seine Mundwinkel. Wahrscheinlich, weil ich mich derbe verzweifelt anhörte. "Das kann ich dir leider noch nicht sagen. Kommt darauf an, wie schnell ich den Fehler finde und was dann der Fehler ist. Bete einfach, dass die Hochdruckpumpe nicht defekt ist."
"Was würde das heißen?", hakte ich etwas zu schrill nach.
Er schürzte die Lippen. "Naja die Pumpe könnte sich festgefressen haben und dabei verteilt sie dann winzige Metallteile im gesamten Kraftstoffsystem. Das heißt, außer der Pumpe, müsste man auch noch die die ganzen anderen betroffenen Teile auswechseln, die mit dem Kraftstoff in Kontakt kommen."
"Übersetzt heißt das also: Es wird teuer", stellte ich grimmig fest und krallte meine Finger in den dünnen Stoff meines Mantels.
"Genau das heißt es", stimmte er mir zu, die Lippen waren nun ein dünner Strich.
Eine Sekunde trat kurz Stille ein - dann kam als erstes in Tate wieder Leben. "Nun dann schleppe ich dich mal ab - also dein Auto", korrigierte er sich zum Ende des Satzes nochmal und lächelte mich spitzbübisch an.
Das brachte mich überraschenderweise so zum Lachen, dass meine finanziellen Sorgen für ein paar Sekunden in den Hinterkopf abgeparkt wurden. Als ich mich endlich eingekriegt habe, räusperte ich mich und wickelte mir meinen Schal wieder enger um den Hals. "Gut, dann räume ich wohl alles erstmal aus dem Auto aus."
"Ach", Tate machte eine wegwerfende Handbewegung. "Das brauchst du nicht. Du kannst das ganz in Ruhe machen, wenn wir an der Werkstatt angekommen sind. Keine Sorge."
"Achso... na gut", erwiderte ich, nebenbei bemerkte ich, dass endlich nach langer Zeit ein Auto an uns vorbeifuhr. Das Erste nach - ähm - nach wie langer Zeit nochmal genau?
"Oh, du hast ja einen Hund. Das habe ich gar nicht gesehen", riss mich plötzlich Tate aus meinen Gedanken und stierte ungeniert in meine Frontscheibe herein. Wenn ich es nicht anders wüsste, dann hatten sich seine Pupillen zu Herzchen verformt. "So ein süßer Hund."
Ein stolzes Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. "Ja, das ist Gretel."
"Ein sehr putziger Name", kam es sogleich von ihm zurück, bevor er sich endlich wieder zu mir drehte. "Also deine Gretel solltest du auf jeden Fall aus dem Auto herausholen. Den Rest erledige ich und verlade deinen Wagen", ordnete er an, schon auf dem halben Weg zu seinem Truck.
Belustigt blickte ich ihm hinterher.
Keine Ahnung warum, aber irgendwie mochte ich diesen Typen. Er war in seiner Art wie ein riesengroßer wandelnder Teddybär. Freundlich, aber auch groß und sehr käftig.
Innerlich stieg meine Hoffnung nun doch, dass Brokenville vielleicht doch keine so mega große Absteige wird, wie ich es befürchtet hatte. Vielleicht waren die Leute hier doch nicht so schlecht und ich musste auf jemanden wie Tate treffen, um meine Nervösität und meine Sorge abzuschütteln.
Dass allerdings unbedingt dafür mein Auto schlapp machen musste - nun, bei dem Preis hätte ich gerne Mitspracherecht gehabt.
Als Tate in sein Fahrerhaus stieg, war das für mich das Signal, Gretel aus dem Auto freizulassen. Ich öffnete die Beifahrertür und meine Hündin freute sich so sehr, als hätte sie mich drei Wochen lang nicht mehr gesehen.
Lachend nahm ich sie auf den Arm, angelte dann noch nach meiner Handtasche, ehe ich die Beifahrertür schloss.
Einige Anweisungen von Tate und ein wenig Gefluche wegen der kurvigen Straße später, hatten wir es beide geschafft, mein Auto auf seinem Truck zu verladen. Auf Tates Aufforderung hin, stieg ich zu ihm in die Fahrerkabine und nahm auf dem Beifahrersitz Platz.
Während Tate den ersten Gang einlegte und Gretel wie der Chef höchstpersönlich mit gespitzten Ohren auf meinem Schoß thronte und meine Streicheleinheiten genoss, bestaunte ich den Ausblick aus der Frontscheibe.
Der Überblick von hier aus ist gigantisch.
"Ich glaube, ich schaffe mir doch besser einen Jeep an", rutschte es mir heraus, doch es wunderte mich nicht, dass ich gleich losquasselte. So war das eben bei mir. Ich konnte reden wie ein Wasserfall.
Allerdings schien das Tate nicht sonderlich zu stören. Er grinste nur breit. "Ja, ein Jeep ist schon was Feines. Ich möchte auch nicht böse klingen und ich würde sogar lieber von diesem Autothema ablenken, nur... ich glaube an deiner Stelle würde ich überlegen, ob ich den Wagen noch behalten will. Weil das kann ja nicht sein, dass der ständig schlapp macht." Missbilligend legte er seine Stirn in Falten.
Ich seufzte. "Ja, da gebe ich dir Recht. Aber im Moment ist das echt schlecht, sich mal einfach so ein neues Auto zuzulegen. Weil den Mini wird mir wohl niemand so leicht abnehmen."
"Mhm", machte Tate nachdenklich. Kurz herrschte ein Schweigen und ich spürte, wie meine Anspannung etwas von mir abfiel. Zwar war die Situation alles andere als schön, dafür hatte ich jetzt jedoch Hilfe und mein Hintern war schön warm. Besser als weiter in der eisigen Kälte zu bibbern und mit meinem Mini zu schimpfen.
"Darf ich dich eigentlich fragen, was du hier machst? Also warum du ausgerechnet nach Brokenville kommst?", platzte es nun unvermittelt aus Tate heraus.
Aber genauso wie ihm meine Quasselei nicht störte, so störte es auch mich nicht, dass er nachfragte. Ich hatte eigentlich nur darauf gewartet. Brokenville war ja schließlich jetzt nicht die Touristenattraktion, für die man hunderte von Kilometer herfuhr.
Wieder fuhr meine Hand über das schöne weiche Fell meiner Hündin, worauf Gretel so herzzerreißend gähnte, dass auch Tate auflachen musste. "Ich besuche meinen Onkel für ein paar Monate. Es hatte sich angeboten, dass ich dafür an der Uni hier in Brokenville mein Semester auswärtig machen kann."
"Oh, das ist echt cool", antwortete er und wirkte ehrlich begeistert. "Ich studiere dort auch, es ist total schön und entspannt dort - hey wenn es dir nichts ausmacht, dann zeige ich dir gerne mal die Uni", unterbrach er sich in seiner Begeisterung mitten im Satz. "Ich könnte dir gleich ein paar Leute vorstellen, wenn du magst."
Oh, das klang echt... gut.
Meine Mundwinkel bogen sich nach oben und ich lächelte ihn von der Seite an. "Also, wenn es keine Umstände macht... dann sehr gern."
"Ach, das macht keine Umstände", er machte erneut diese wegwerfende Handbewegung, die Augen konzentriert auf die Straße vor ihm gerichtet. "Meine Freunde werden sich garantiert freuen, dich kennenzulernen. Was genau studierst du denn?"
"Biologie. Ich habe einen von den neueren Studiengängen erwischt, in denen man sehr viele Unterthemen behandelt und gezielt vereint. So hat man eine größere Chance auf mögliche Qualifikationen in der Zukunft. Und bei euch an der Uni hat es sich angeboten, in das Labor zu gehen. Das soll bei euch echt gut ausgestattet sein. Dazu kommt, dass die Botanik in eurem gläsernen Gewächshaus eine Menge bietet. Ich muss mal schauen, für welches Einsatzgebiet ich mich entscheide oder ich beides irgendwie kombinieren kann", sprudelte es haltlos aus mir heraus.
Wieder war da dieses offene und herzliche Lächeln auf Tates Lippen. "Voll spannend. Ich hoffe, du triffst die Entscheidung, mit der du zufrieden bist und dich weiterbringt."
"Danke, das hoffe ich auch", entgegenete ich, ehe ich mich interessiert zu ihm drehte. "Und was studierst du?"
"Ingenieurwissenschaften - also um genau zu sein, Mechatronik. Kann einfach nicht anders. Ich liebe es, an irgendetwas herumzupuzzeln und vorallem die Fahrzeugtechnik zu erlernen." Nun strahlte seine ganze Miene noch ein Stück mehr. "Andere Frage", wechselte er aus dem Nichts das Thema und das machte ihn mir einmal mehr sympathisch.
Ich bin mir sicher, dass der Kerl bestimmt schon genug beste Freunde hatte - aber irgendwie erhoffte ich es mir, dass ich noch öfter mit ihm Zeit verbingen konnte. Er versprühte so eine positive Energie, dass man darauf glatt neidisch werden konnte.
"Wo wohnt dein Onkel? Also natürlich musst du die Frage nicht beantworten. Ich habe nur überlegt, dass ich dich da hinfahren könnte, falls er dich nicht abholen kann. Du hast ja bestimmt Einiges an Gepäck mit. Ist doch doof, wenn du dann mit dem Bus fahren oder laufen müsstest", bot er an.
Etwas verdattert sah ich ihn von der Seite an. "Das würdest du machen?"
"Klar, warum nicht? Als dein zukünftiger Mitkommiliton sollte man sich sowieso erst recht untereinander helfen."
Nun musste ich lachen. "Okay, dann nehme ich das Angebot gerne an. Mein Onkel wohnt in der Levanstreet. Soll wohl etwas außerhalb sein."
Jetzt war es Tate, der ein überraschtes Gesicht machte. "Oh. Ja, die Straße kenne ich - und ja, es ist etwas außerhalb. Ein Kollege von mir wohnt dort auch. Wenn es dir nichts ausmacht, dann könnte er dich auch mitnehmen."
Ich zuckte mit den Schultern. Klar, es war schade, dass es vielleicht doch nicht Tate sein würde, aber ich hatte nichts gegen neue Menschen. Und wenn es ein Kollge von ihm war, würde er wohl hoffentlich vertrauenswürdig sein oder? "Klar, warum nicht."
"Perfekt. Er hat nämlich gleich Feierabend und dann bietet es sich ja passenderweise an, dass du gleich die Nachbarschaft kennenlernst. Er ist echt schwer in Ordnung, du wirst ihn mögen."
Kurzer Smalltalk zwischen Tate und Lavender. Beide scheinen sich wohl gut zu verstehen 🙈 Als nächstes kommt der gute Charon ins Spiel... dann im nächsten Kapitel.
Habt noch einen schönen Montagabend!❤️
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